Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.09.1999
Aktenzeichen: 8 U 164/98
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847
BGB § 611
BGB § 242
BGB § 276
BGB § 249 ff.
BGB § 823
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 164/98

Verkündet am 16. September 1999

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Belker sowie die Richter am Oberlandesgericht Gebelhoff und Strecker

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. Juli 1998 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin ließ sich von dem Beklagten - einem niedergelassenen Arzt für Chirurgie und Sportmedizin - bei einer am 18. Februar 1993 unter Lokalanästhesie ambulant durchgeführten Operation ein Ganglion am rechten Handgelenk entfernen. Der Eingriff verlief komplikationslos (vgl. Operationsbericht GA 43, 82). Der Beklagte versorgte die verschlossene Wunde mit einem Verband und einer Gipsschiene. Am Folgetag (19. Februar 1993) suchte die Klägerin den Beklagten erneut auf, wobei zwischen den Parteien umstritten ist, ob es sich um einen vereinbarten Wiedervorstellungstermin handelte (so der Beklagte). In der Behandlungskartei des Beklagten findet sich hierzu folgender Eintrag:

"Tbl. nicht vertragen. Finger geschwollen. Hochlagerung. Schiene ab + a.".

Der Beklagte wechselte den Verband und empfahl der Klägerin, den Arm hochzulegen und zu kühlen.

Weil sich ihr Zustand verschlechterte und der rechte Arm stark schmerzte, suchte die Klägerin am Folgetag, dem 20. Februar 1993, gegen 10.00 Uhr die Chirurgische Ambulanz des B Krankenhauses in Mönchengladbach auf. Ausweislich des dortigen Aufnahmebefundes zeigte sich eine Entzündung (Phlegmone) der gesamten rechten Hand, allerdings ohne. Fluktuation im Wundbereich und ohne Lymphknotenentzündung (Lymphadentis). Die Klägerin wurde stationär aufgenommen. Eine um 12.50 Uhr vorgenommene rektale Temperaturmessung ergab einen Wert von 39,4°. Nach einer Wunderöffnung diagnostizierte man eine Infektion mit dem Erreger Streptococcus pyogenes, haemolyt. Gr. A 1.

Trotz eingeleiteter Antibiose (3 x 5 g Totocillin) und täglicher Wundspülung erfolgte nur ein langsamer Rückgang des Entzündungsgeschehens; man entschloß sich deshalb zu einer Umstellung auf das Medikament Ciprobay. Die Klägerin wurde nach endgültiger Wundheilung am 7. April 1993 aus der stationären Behandlung entlassen. Hieran schloß sich zur Gelenkmobilisierung eine Rehabilitationsmaßnahme an.

Weil die Klägerin die Infektion und deren Folgen auf Fehler des Beklagten zurückführte, bat sie die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler um eine sachverständige Beurteilung des Sachverhaltes. Diese kam auf der Grundlage des von ihr in Auftrag gegebenen Gutachtens des Sachverständigen Dr. B (GA 18) zu dem Ergebnis, daß dem Beklagten weder operative noch postoperative Fehler vorzuwerfen sind (Bescheid vom 15. Dezember 1995, GA 59).

Dieser Bewertung ist die Klägerin entgegengetreten. Sie hat die Ansicht vertreten, bereits der äußere Anschein spreche dafür, daß die Infektion auf einen Mangel der Desinfektion im Rahmen der Operation beruhe. Ferner hat sie dem Beklagten vorgeworfen, die Infektion nicht schon am 19. Februar 1993 erkannt und sogleich sachgemäß behandelt zu haben. Sie hat behauptet, den Beklagten auf trotz der eingenommenen Medikamente zunehmende starke Schmerzen, Fieber und Übelkeit sowie ein Anschwellen ihrer Finger der rechten Hand hingewiesen zu haben. Sie hat - auch im Hinblick auf die ihrer Darstellung zufolge infektionsbedingt lange Arbeitsunfähigkeit - die Zahlung eines entstandenen Verdienstausfallschadens von insgesamt 7.636,50 DM sowie eines Schmerzensgeldes von mindestens 5.000 DM verlangt.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

den Beklagten zu verurteilen, an sie 7.636,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Juli 1996 zu zahlen;

2.

den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens 5.000 DM betragen soll, nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Juli 1996 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, sowohl bei der Lokalanästhesie als auch der Operation selbst die gebotenen Desinfektionsmaßnahmen beachtet zu haben. Die Punktionsstelle zum Setzen der Lokalanästhesie sei unter Benutzung des Mittels Neo-Kodan ebenso desinfiziert worden wie auch das eigentliche Operationsgebiet selbst. Die Lokalanästhesie sei unter Verwendung einer sterilen Kanüle und einer sterilen Einwegspritze vorgenommen worden. Das Operationsbesteck, das in einem Dampf-Sterilisator auch sterilisiert worden sei, sei auf einer sterilen Unterlage abgelegt worden. Sowohl er als auch seine Assistentin hätten ihre Hände vor dem unmittelbaren Eingriff mit Sterillium desinfiziert. Seine Assistentin und er hätten Einmal-Handschuhe, eine Einmal-Kopfbedeckung, einen Einmal-Mundschutz sowie Operationskittel getragen. Das Operationsfeld sei steril gelagert und mit einem zusätzlichen sterilen Tuch abgedeckt worden. Bei der Wiedervorstellung der Klägerin am 19. Februar 1993 seien lediglich die Finger leicht geschwollen und die Wunde selbst unauffällig gewesen. Die Klägerin habe gesagt, sie habe das Schmerzmittel nicht vertragen. Von Fieber oder Schüttelfrost sei keine Rede gewesen, dafür habe es auch keine Anzeichen gegeben; die Klägerin habe lediglich von Schmerzen und einem Anschwellen der Finger berichtet.

Das Landgericht hat zur Frage, ob die Operation fehlerhaft erfolgt war, ob der Beklagte am 19. Februar 1993 die Infektion hätte erkennen können und müssen sowie zu der Frage der Ursächlichkeit eines möglichen Fehlverhaltens das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K vom 11. Dezember 1997 eingeholt und die Klage nach einer schriftlichen Ergänzung des Sachverständigen sodann durch Urteil vor, 28. Juli 1998 abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es sei weder feststellbar, daß die Desinfektionsmaßnahmen des Beklagten unzureichend gewesen seien, noch daß er die Infektion bereits am 19. Februar 1993 habe erkennen können. Der Sachverständige habe insoweit zutreffend die Sachverhaltsdarstellung des Beklagten zugrundegelegt, weil die abweichenden Behauptungen der Klägerin über ihren Zustand am 19. Februar 1993 nicht bewiesen seien. Eine erneute Anhörung des Sachverständigen hat das Landgericht abgelehnt.

Gegen die Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie geht weiter davon aus, daß dem Beklagten Versäumnisse hinsichtlich der Desinfektion vorzuwerfen sind. Sie verweist darauf, daß entsprechende Maßnahmen nicht dokumentiert sind und fordert im Hinblick auf einen ihres Erachtens deshalb anzunehmenden Dokumentationsmangel die Zubilligung von Beweiserleichterungen zu ihren Gunsten. Hinsichtlich der Wiedervorstellung bei dem Beklagten am 19. Februar 1993 wiederholt und vertieft sie ihren erstinstanzlichen Sachvortrag zu ihren dem Beklagten gegenüber dargestellten und auch erkennbaren Beschwerden. Sie behauptet darüber hinaus, dem Beklagten auch über Schüttelfrost berichtet zu haben. Sie wirft ihm aufgrund der Verkennung der Infektion einen fundamentalen Diagnoseirrtum vor, welcher ihre weiteren Leiden herbeigeführt habe. In formeller Hinsicht beanstandet die Klägerin, daß das Landgericht es unterlassen hat, den Sachverständigen antragsgemäß anzuhören.

Die Klägerin beantragt,

1.

den Beklagten zu verurteilen, an sie 7.636,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Juli 1996 zu zahlen;

2.

den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Senats gestellt wird, nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Juli 1996 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrages das Urteil des Landgerichts. Er tritt der Forderung der Klägerin nach Zubilligung von Beweiserleichterungen entgegen.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. K.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze sowie auf die bezogenen Behandlungsunterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin kann nicht gemäß § 847 BGB Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verlangen. Auch ist sie nicht nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung gemäß den §§ 611, 242, 276, 249 ff. BGB oder aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 BGB berechtigt, Ausgleich für einen entstandenen Verdienstausfallschaden zu verlangen. Das Landgericht ist in dem angefochtenen Urteil mit Recht und aus zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Beklagten ein für die postoperativen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ursächliches Fehlverhalten nicht vorzuwerfen ist. Die vordem Senat durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. K ergänzend durchgeführte Beweisaufnahme rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen. hat ein Patient im Rahmen eines Rechtsstreits darzulegen und zu beweisen, daß dem in Anspruch genommenen Arzt im Rahmen der Behandlung ein zumindest fahrlässiges Versäumnis unterlaufen ist. Dieser Nachweis ist der Klägerin im Ergebnis nicht gelungen.

1.

Dem Beklagten ist nicht vorzuwerfen, für das postoperative Entstehen der Entzündung wegen unzureichender Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen des operativen Eingriffs verantwortlich zu sein. Der Beklagte hat unter Beschreibung der getroffenen Desinfektionsmaßnahmen im einzelnen dargestellt, daß die Operation unter Beachtung steriler Bedingungen erfolgte, was die Klägerin - soweit es ihre Wahrnehmung erlaubte - gegenüber dem Sachverständigen bestätigt hat. Daß sie Umfang und Art der getroffenen Maßnahmen nunmehr mit Nichtwissen bestreitet, verhilft ihrer Klage nicht zum Erfolg, weil ihr der - nicht angetretene - Beweis obliegt, daß der Beklagte - entgegen seiner Darstellung - erforderliche hygienische Vorkehrungen nicht getroffen und damit behandlungsfehlerhaft gehandelt hat.

Das damalige Geschehen rechtfertigt es nicht, der Klägerin hinsichtlich der Frage eines behandlungsfehlerhaften Verhaltens Beweiserleichterungen zuzubilligen und sie damit von ihrer prozessualen Pflicht zum Nachweis eines anspruchsbegründenden Sachverhaltes zu entbinden. Zu Unrecht macht die Klägerin hierzu geltend, die unterlassene Dokumentation der Desinfektionsmaßnahmen müsse sich beweismäßig zu ihren Gunsten auswirken. Sie verkennt dabei, daß nur die fehlende Dokumentation aufzeichnungspflichtiger ärztlicher Maßnahmen deren Unterbleiben indiziert. Um eine solche aufzeichnungspflichtige Maßnahme handelt es sich bei den in jedem Fall eines operativen Eingriffs zu beachtenden Desinfektionsmaßnahmen und der Einhaltung steriler Bedingungen nicht.

Zugunsten der Klägerin kommen auch nicht die Grundsätze des sog. Anscheinsbeweises zur Anwendung. Denn alleine der Umstand der postoperativ aufgetretenen Entzündung rechtfertigt nicht die Annahme, diese Entwicklung sei nach der Lebenserfahrung typischerweise auf eine nicht ausreichende Beachtung steriler Bedingungen zurückzuführen. Dem Senat ist aus zahlreichen anderen Rechtsstreitigkeiten bekannt, daß sich auch bei Beachtung der gebotenen hygienischen Sorgfalt Entzündungen aufgrund eines operativen Eingriffes nie vollständig ausschließen lassen. Darauf verweist außer dem Sachverständigen Dr. Brandt auch Professor Dr. K in seinem schriftlichen Gutachten, wo er ausführt, daß für eine erfolgreiche Durchführung eines chirurgischen Eingriffs keine 100%ige Gewährleistung gegeben werden kann, da das Auftreten einer Infektion trotz gründlicher Desinfektionsmaßnahmen und sogar prophylaktischer Antibiosemaßnahmen nicht völlig auszuschließen ist.

2.

Dem Beklagten sind auch keine Fehler bei der postoperativen Wundversorgung und Behandlung der Klägerin vorzuwerfen. Professor Dr. K hat bei seiner Anhörung deutlich gemacht, daß das Verhalten des Beklagten, der am 19. Februar 1993 nach einem Verbandwechsel der Klägerin lediglich empfahl, den rechten Arm hochzulegen, die Hand zu kühlen und sich am nächsten Tag wieder vorzustellen, auch dann in jeder Hinsicht sachgerecht war, wenn die - von dem Beklagten - bestrittene Darstellung der Klägerin über ihre damalige Beschwerdesymptomatik als zutreffend unterstellt wird.

Die Hinweise auf eine am 19. Februar 1993 eingetretene Befundverschlechterung gaben noch keine Veranlassung zu weiteren Maßnahmen, insbesondere waren eine - am ersten postoperativen Tag unübliche - Wundöffnung oder eine - den tatsächlichen Befund zu diesem Zeitpunkt nur verschleiernde - medikamentöse Behandlung (noch) nicht angezeigt: Angesichts des Umstandes, daß körperliche Beeinträchtigungen nach einem solchen Eingriff, wie er bei der Klägerin durchgeführt worden war, nicht ungewöhnlich sind, mußte der Beklagte wegen der von der Klägerin behaupteten Beschwerden am 19. Februar 1993 nicht bereits von einer behandlungsbedürftigen bakteriellen Infektion ausgehen; es war zunächst lediglich zu beobachten, ob es zu einer Befundbesserung kam. Dies wird belegt durch den im B-Krankenhaus in Mönchengladbach am 20. Februar 1993 erhobenen Aufnahmebefund, wonach keine Fluktuation im Wundbereich und keine Lympfknotenentzündung feststellbar waren. Dies ist nach Darstellung von Professor Dr. K ein sicheres Indiz dafür, daß es richtig war, nicht bereits am ersten postoperativen Tag eine Wundöffnung vorzunehmen, sondern die Entwicklung zunächst zu beobachten, um erst bei einer weiteren Befundverschlechterung - wie hier - weitergehende Maßnahmen zu ergreifen. In Kenntnis sämtlicher Befunde und unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten Beschwerdesymptomatik hat Prof. Dr. K abschließend keinen Zweifel daran gelassen, daß er nicht anders gehandelt hätte als der Beklagte.

In Anbetracht des dargestellten Beweisergebnisses bedurfte es der Vernehmung des Ehemannes der Klägerin zur Frage ihrer Beschwerden am 19. Februar 1993 nicht mehr. Auf die Frage, ob seine derzeitig nicht durchführbare Vernehmung in absehbarer Zeit in Betracht gekommen wäre, kommt es mithin nicht an.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Beschwer der Klägerin liegt unter 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

Zurück