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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.12.2000
Aktenzeichen: 8 U 193/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 852
BGB § 847
BGB § 852 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 11
ZPO § 713 Satz 1
1) Ende der 80er Jahre wurde ein ventraler Zugang zur Durchführung einer Spondylodese nur in wenigen chirurgischen Kliniken bevorzugt; bei dem Verfahren handelte es sich dennoch nicht um eine abzulehnende Außenseitermethode, sondern um ein durchaus gängiges Vorgehen, das zwar mit einem erhöhten Risiko von Gefäßverletzungen verbunden war, das aber andererseits hinsichtlich der Stabilität der Verblockung gegenüber der üblichen dorsalen Technik Vorteile bot.

2) Behauptet ein Patient, vor einer operativen Spondylodese überhaupt nicht auf eventuelle Risiken hingewiesen worden zu sein, beginnt die Verjährungsfrist des § 852 BGB für eine auf den Gesichtspunkt eines Aufklärungsversäumnisses gestützte Schmerzensgeldforderung in dem Zeitpunkt, in dem der Patient den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem chirurgischen Eingriff und einer konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigung (hier : Impotenz) kennt.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 14. Dezember 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B sowie die Richter am Oberlandesgericht G und S

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 10. November 1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der am 7. Juni 1939 geborene Kläger erlitt im Jahre 1979 einen schweren Arbeitsunfall, der eine Amputation des linken Unterschenkels zur Folge hatte. Später traten erhebliche Rückenbeschwerden auf, die man bei der Beklagten auf ein sogenanntes Wirbelgleiten zurückführte. Man empfahl dem Patienten eine operative Spondylodese. Zur Durchführung dieses Eingriffs wurde der Kläger im September 1989 stationär aufgenommen; nach einem Aufklärungsgespräch, dessen Inhalt streitig ist, unterzeichnete er eine schriftliche Einverständniserklärung (Bl. 20 GA). Am 19. September 1989 führte der Leitende Arzt Dr. R den Eingriff durch; dabei wählte er einen vorderen Zugang, gelangte also durch den Bauchraum in das eigentliche Operationsgebiet. Dr. R verblockte den fünften Lendenwirbelkörper mit dem Kreuzbein; dabei gab es Probleme mit der Fixierung der eingebrachten Metallplatte, da einige Schraubenköpfe verkanteten und sich nicht ordnungsgemäß befestigen ließen (vgl. Operationsbericht, Bl. 18 f. GA). Nach dem Eingriff traten bei dem Kläger Erektionsprobleme auf, die ihn dazu veranlaßten, sich in urologische Behandlung zu begeben. Am 17. Januar 1991 erstattete Prof. Dr. P von der Urologischen Abteilung des Krankenhauses in K ein Gutachten (Bl. 50 ff. GA), in dem er eine neurogene Ursache der erektilen Dysfunktion für wahrscheinlich hielt und einen möglichen Zusammenhang zu der Verblockungs-Operation aus dem Jahre 1989 aufzeigte. Ähnlich äußerte sich der Direktor der Urologischen Universitätsklinik B in einer Stellungnahme vom 13. Februar 1995 (Bl. 25 ff. GA).

Mit seiner am 19. Januar 1998 beim Landgericht Duisburg eingegangenen und am 25. März 1998 zugestellten (vgl. Bl. 13 GA) Klage macht der Kläger einen Schmerzensgeldanspruch geltend. Er hat behauptet, bei der Verblockungsoperation, bei der ein unnötig riskanter ventraler Zugang gewählt worden sei, sei es zu einer Läsion der sympathischen Nervenfasern gekommen; diese Verletzung habe eine erektile Dysfunktion zur Folge gehabt; auch enthalte sein Ejakulat keine Spermien. Im Gegensatz zu früher sei es ihm nach dem Eingriff nicht mehr möglich gewesen, mit seiner Frau geschlechtlich zu verkehren. Über das Risiko von Erektionsstörungen und Impotenz sei er präoperativ nicht aufgeklärt worden; bei einer entsprechenden Belehrung hätte er seine Zustimmung nicht erteilt, zumal er und seine Frau sich im damaligen Zeitraum Kinder gewünscht hätten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber 60.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Verblockungsoperation sei einwandfrei durchgeführt worden. Auch habe man den Kläger vor dem Eingriff sachgerecht über die möglichen Komplikationen aufgeklärt; dabei sei insbesondere von dem Risiko der Impotenz die Rede gewesen. Vorsorglich hat die Beklagte den Umfang der geltend gemachten Forderung beanstandet.

Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg hat durch Vernehmung von Zeugen sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und sodann die Klage durch Urteil vom 10. November 1999 abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und macht geltend, die für die Potenzstörung ursächliche Nervschädigung sei operationsbedingt. Vor dem Eingriff sei er nicht in der gebotenen Weise aufgeklärt worden; die in der Einverständniserklärung vorhandenen handschriftlichen Zusätze seien erst nach seiner Unterschriftsleistung hinzugefügt worden; über das für seine Familienplanung wesentliche Risiko der Impotenz sei bei keiner Gelegenheit gesprochen worden. Abgesehen davon habe der verantwortliche Chirurg eine unnötig riskante Operationsmethode gewählt; richtigerweise hätte man ihn als Patienten über die zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen aufklären müssen. Bei einer solchen Belehrung hätte er sich seinerzeit gegen die konkrete Durchführung der Operation entschieden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 25. März 1998 zu zahlen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und erhebt ergänzend die Einrede der Verjährung: Dem Kläger sei bereits durch das urologische Gutachten vom 17. Januar 1991 der Zusammenhang zwischen der Verblockungsoperation und seinen angeblichen Potenzstörungen deutlich geworden; auch habe er selbstverständlich das von ihm behauptete Fehlen jeglicher Aufklärung gekannt; angesichts dessen hätte er seine Schmerzensgeldansprüche bereits im Jahre 1994 gerichtlich geltend machen müssen. Darüber hinaus behauptet die Beklagte, der Kläger hatte sich in jedem Fall für die Operation entschieden, weil der Eingriff die einzige Möglichkeit gewesen sei, ihn von seinen kaum erträglichen Schmerzen zu befreien.

Schließlich bestreitet sie die angeblichen Operationsfolgen; der Patient sei schon vor dem Eingriff zeugungsunfähig gewesen; dies sei daraus zu schließen, daß die mit seiner Ehefrau unternommenen Versuche einer Insemination fehlgeschlagen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage mit Recht und aus zutreffenden Erwägungen abgewiesen. Dem Kläger steht der auf § 847 BGB gestützte Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nicht zu. Die Beklagte haftet weder für ein ärztliches Fehlverhalten bei der operativen Behandlung vom 19. September 1989 noch für ein Versäumnis im Rahmen der gebotenen Patientenaufklärung:

I.

Nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen hat ein Kläger im Rahmen eines Rechtsstreits zu beweisen, daß dem in Anspruch genommenen Krankenhausträger ein für eine konkrete gesundheitliche Beeinträchtigung ursächlicher Behandlungsfehler anzulasten ist. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Prof. Dr. S ist in überzeugender Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß derartige Versäumnisse nicht mit der für eine Haftung erforderlichen Sicherheit festzustellen sind. Die schriftlichen und ergänzenden mündlichen Ausführungen des Gutachters sind nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei; die Richtigkeit seiner Stellungnahme wird zudem mit der Berufungsbegründung nicht konkret angegriffen; eine ergänzende Beweisaufnahme durch den Senat ist deshalb nicht erforderlich:

1)

Es ist nicht daran zu zweifeln, daß die Spondylodese seinerzeit medizinisch indiziert war. Der Kläger litt ausweislich des von ihm bei der stationären Aufnahme vom 24. Juli 1989 ausgefüllten Anamnesebogens ständig unter heftigen Rückenschmerzen, welche die verantwortlichen Ärzte zutreffend auf ein Wirbelgleiten zurückführten. Eine dauerhafte Beseitigung dieser Beschwerden konnte nur durch die operative Verblockung der instabilen Wirbelsäulensegmente erfolgen.

2)

Die von dem Chirurgen Dr. R gewählte Operationsmethode ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Prof. Dr. S hat zwar deutlich gemacht, daß der in der Unfallklinik seinerzeit bevorzugte ventrale Zugang Ende der 80er Jahre in den Orthopädischen Kliniken nur noch selten gewählt wurde; der Gutachter hat aber keinen Zweifel daran gelassen, daß es sich nicht um eine abzulehnende Außenseitermethode, sondern um ein durchaus gängiges Verfahren handelte, welches hinsichtlich der Stabilität der Verblockung Vorteile hatte.

3)

Ausweislich des Operationsberichtes ist es bei dem Eingriff nicht - wie ursprünglich vorgesehen - gelungen, das distale Ende der eingebrachten Metallplatte am Kreuzbein zu fixieren, da die Schrauben verkanteten und abbogen. Prof. Dr. S hat betont, daß ein solcher Vorgang auch bei äußerster Sorgfalt geschehen kann und dem Operateur nicht vorzuwerfen ist Ebenfalls hat er es als sachgerecht bezeichnet, die nicht richtig zu fixierenden Schrauben an Ort und Stelle zu belassen; die zur Beseitigung der Fremdkörper erforderlichen Manipulationen wären mit beträchtlichen Risiken verbunden gewesen.

4)

Feststeht, daß bei dem Kläger postoperativ eine erektile Dysfunktion aufgetreten ist; auch ist angesichts der zu den Akten gereichten urologischen Stellungnahmen nicht daran zu zweifeln, daß ein ursächlicher Zusammenhang mit der Operation vom 14. September 1989 besteht. Die gesundheitliche Beeinträchtigung ist aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf ein intraoperatives Fehlverhalten zurückzuführen. Prof. Dr. S hat deutlich gemacht, daß bei einer chirurgischen Spondylodese grundsätzlich die Gefahr einer Schädigung von Gefäßen und Nervenbahnen besteht; eine solche Läsion kann auch einem erfahrenen Chirurgen bei äußerst sorgfältigem Vorgehen unterlaufen. Unter diesen Umständen ist der dem Kläger obliegende Nachweis eines zumindest fahrlässigen Behandlungsfehlers nicht zu erbringen.

II.

Auch für ein Aufklärungsversäumnis hat die Beklagte nicht einzustehen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger präoperativ über das Risiko der Impotenz ausdrücklich informiert wurde; auch braucht nicht entschieden zu werden, ob es in dem Gespräch mit dem Patienten angebracht gewesen wäre, ihn über die Vor- und Nachteile des ventralen Zugangs einerseits und der dorsalen Technik andererseits zu belehren (vgl. hierzu: OLG Oldenburg VersR 1997, 978 f.). Der Durchsetzung des Schmerzensgeldanspruchs steht nämlich jedenfalls die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen:

1)

Bereits im Februar 1990 vermutete der Kläger einen zumindest zeitlichen Zusammenhang zwischen seiner Impotenz und der Operation vom 19. September 1989; dies ergibt sich aus seinen anamnestischen Angaben im Krankenhaus H anläßlich einer späteren stationären Behandlung. Durch das anschließend eingeholte urologische Gutachten vom 17. Januar 1991 (Bl. 50 ff. GA) wurde darüber hinaus, festgestellt, daß zwischen der chirurgischen Spondylodese und der eingetretenen Impotenz ein kausaler Zusammenhang anzunehmen ist. Angesichts dessen wußte der Kläger, daß seine gesundheitliche Beeinträchtigung auf die stationäre Behandlung bei der Beklagten zurückzuführen war. Ihm war ferner nach seinem eigenen vorbringen bekannt, daß vor dem Eingriff nicht über das Risiko der Impotenz mit ihm gesprochen worden war. Angesichts dessen hatte er die nach § 852 Abs. 1 BGB für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis vom Schaden spätestens im Jahre 1991.

2)

Die Drei-Jahres-Frist zur Geltendmachung eines auf den Gesichtspunkt eines Aufklärungsversäumnisses gestützten Schmerzensgeldanspruchs lief deshalb spätestens im Jahre 1999 ab. Vor ihrer Vollendung wurde die Frist weder durch Verhandlungen der Beteiligten gehemmt noch durch gerichtliche Geltendmachung unterbrochen.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; Absatz 2 der gesetzlichen Bestimmung ist nicht anzuwenden: Zwar hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erstmals in zweiter Instanz erhoben; es ist aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, daß sie ohne die darauf gestützte Verteidigung im Prozeß unterlegen wäre; ganz im Gegenteil spricht angesichts der erstinstanzlichen Beweisaufnahme einiges dafür, daß der Beklagten ein Aufklärungsversäumnis nicht vorzuwerfen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 713 Satz 1 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Beschwer des Klägers beträgt 60.000,-- DM.

Ende der Entscheidung

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