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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 10.01.2002
Aktenzeichen: 8 U 49/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847
BGB § 823
BGB § 611
BGB § 242
BGB § 276
BGB § 249 ff
BGB § 284 Abs. 1
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 108 Abs. 1 Satz 1
1) Bereits im Jahre 1994 war durch zahlreiche Veröffentlichungen in den maßgebenden Zeitschriften allgemein bekannt, daß bei einer plötzlichen Schulterdystokie zunächst die Wehentätigkeit medikamentös zu unterbinden und eine großzügige Episiotomie anzulegen ist; anschließend muß der Versuch unternommen werden, die im Becken verkeilte kindliche Schulter durch mehrfaches Beugen und Strecken der mütterlichen Beine, durch Druck oberhalb der Symphyse oder durch eine intravaginale Rotation zu lösen.

2) Begnügt sich ein ärztlicher Geburtshelfer bei einer Schulterdystokie damit, ein wehenförderndes Medikament zu verabreichen und die Entbindung durch einen massiven Einsatz des Kristeller-Handgriffs zu beschleunigen, ist sein Vorgehen auch unter Berücksichtigung der Bedrohlichkeit der Situation als grob fehlerhaft einzustufen. Eine solche Einschätzung kommt selbst dann in Betracht, wenn die schwangere Patientin es an der wünschenswerten Kooperation fehlen läßt; ihr Widerstand ist nämlich regelmäßig durch Anlage eines Querbetts und durch Unterbindung der schmerzhaften Wehentätigkeit zu überwinden.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 49/01

Verkündet am 10. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B den Richter am Oberlandesgericht G und die Richterin am Oberlandesgericht S

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. Februar 2001 verkündete Grundurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.

Mit Zustimmung der Parteien wird über den prozessualen Streitgegenstand abschließend wie folgt entschieden:

1.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger

a) ein Schmerzensgeld in Höhe von 13.000 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 27. Februar 1998 zu zahlen;

b) an den Kläger eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 100 Euro ab dem 1. August 1997 vierteljährlich im voraus jeweils zum 1. Februar, 1. Mai, 1. August und 1. November eines jeden Jahres zu zahlen;

c) an den Kläger für den Zeitraum vom 13. April 1994 bis zum 31. Juli 1997 an rückständiger Rente 3.960 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 27. Februar 1998 zu zahlen.

2.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm in Zukunft daraus entstehen, dass es bei seiner Geburt zu einer linksseitigen oberen Armplexusparese gekommen ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits werden 20 % dem Kläger und 80 % den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die am 1960 geborene Mutter des Klägers, die in ihrem Heimatland Z drei Kinder geboren hatte, war im Jahre 1993 erneut schwanger. Am 4. April 1994 wurde sie in der rechnerisch 38. Schwangerschaftswoche mit in den Bauch ausstrahlenden Rückenschmerzen in der geburtshilflichen Abteilung des W A Hospitals G dessen Trägerin die Beklagte zu 1) ist, stationär aufgenommen. Aufgrund einer Sonographie vom 6 April 1994 wurde das zu erwartende Geburtsgewicht auf 4.000 bis 4.200 g geschätzt, dieser Befund veranlaßte den untersuchenden Arzt, auf die Gefahr einer Schulterdystokie hinzuweisen Am 13. April 1994 wurde die Geburt mit dem wehenfördernden Medikament Oxytocin eingeleitet Um 18.25 Uhr befand sich der kindliche Kopf am Beckenboden; das geburtshilfliche Team unter Leitung des Beklagten zu 2) lagerte die Patientin zur Entbindung. Die um 18.33 Uhr abgeschlossene Geburt ist in den Behandlungsunterlagen wie folgt beschrieben;

"Deprimierter männlicher Säugling; massiver Kristellereinsatz nach drei Einheiten Syntocinon intravenös; Schulterdystokie; mangelnde Kooperation der Mutter; Säugling abgesaugt; kurzzeitig bebeutelt; O2-Gabe; Apgar 6/8/9; pH-Wert 7,2".

Bei der Neugeborenen-Erstuntersuchung des Klägers wurde der Verdacht auf eine linksseitige Claviculafraktur geäußert; die späteren pädiatrischen Untersuchungen ergaben eine obere Plexuslähmung, durch welche die Funktionstüchtigkeit des linken Arms beeinträchtigt ist.

Der Kläger lastet diese Behinderung den Beklagten an. Er hat im Anschluß an zwei Bescheide der hiesigen Gutachterkommission (Bl. 14 ff., 20 ff. GA) geltend gemacht, die verantwortlichen Geburtshelfer hätten auf den plötzlichen Eintritt der Schulterdystokie nicht sachgerecht reagiert. Angesichts der zu erwartenden Größe der Leibesfrucht wäre es angebracht gewesen, die Entbindung durch Kaiserschnitt herbeizuführen. Abgesehen davon hätten sich die Geburtshelfer nach der Entwicklung des kindlichen Kopfs und dem anschließenden Geburtsstillstand darauf beschränkt, massiven Druck auf den Oberbauch der Patientin auszuüben; diese Maßnahme sei bei einer Schulterdystokie grundsätzlich kontraindiziert Bei einem einwandfreien Vorgehen wäre die nicht mehr reversible Plexuslähmung nicht eingetreten. Durch den vermeidbaren Vorfall sei er auf Dauer nicht im Stande, seinen linken Arm zu belasten.

Der Kläger hat beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn

a)

ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 27. Februar 1998;

b)

eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 300 DM ab dem 1. August 1997 vierteljährlich im voraus jeweils zum 1. Februar, 1. Mai, 1. August und 1. November eines jeden Jahres;

c)

eine rückständige Rente für die Zeit vom 13. April 1994 bis zum 31. Juli 1998 in Höhe von 11.874,19 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27. Februar 1998 zu zahlen;

2.

festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihm in Zukunft aus der im Zusammenhang mit seiner Geburt am 13. April 1994 stehenden ärztlichen Behandlung entstünden, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergingen.

Die Beklagten haben den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben eigene Versäumnisse geleugnet und behauptet, ein Kaiserschnitt sei in der damaligen Situation nicht ernsthaft in Betracht gekommen, zumal bereits das dritte Kind der Patientin bei der Geburt über 4.000 g gewogen habe. Als bei der Entbindung plötzlich die nicht vorherzusehende Schulterdystokie aufgetreten sei, habe man sich einwandfrei verhalten; eine Episiotomie sei nach der Entwicklung des kindlichen Kopfs nicht mehr in Betracht gekommen; auch habe man von einer Flexion der mütterlichen Beine und einer Rotation der kindlichen Schulter absehen müssen, da die Patientin sich mit großer Kraftanstrengung gegen das geburtshilfliche Vorgehen gewehrt habe. Zur Vermeidung der drohenden kindlichen Asphyxie sei es unumgänglich gewesen, die Entbindung durch wehenfördernde Medikamente und durch den Kristeller-Handgriff zu beschleunigen Vorsorglich haben die Beklagten den Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestritten und die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldes beanstandet.

Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve hat durch Vernehmung von Zeugen sowie durch Einholung von Sachverständigengutachten Beweis erhoben und sodann die Klage durch Grundurteil vom 2. Februar 2001 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie beanstanden die Beweiswürdigung des Landgerichts und machen geltend, man habe auf die schicksalhaft eingetretene Schulterdystokie sachgerecht reagiert. Der anwesende Assistenzarzt habe die verkeilte Schulter durch suprasymphysären Druck erfolgreich gelöst; erst anschließend habe man wehenfördernde Mittel und den Kristeller-Handgriff eingesetzt. Der Versuch einer vaginalen Rotation der kindlichen Schulter sei nicht in Betracht gekommen, da die Patientin sich mit großer Kraftanstrengung gegen eine solche Maßnahme gewehrt habe. Abgesehen davon stehe nicht fest, dass die Plexuslähmung bei einer anderen Art des Vorgehens vermieden worden wäre; der vom Landgericht beauftragte Sachverständige habe ausdrücklich betont, dass es nach einer Schulterdystokie verhältnismäßig häufig zu einer dauerhaften Schädigung komme. Die verbleibende Ungewissheit hinsichtlich des Kausalverlaufs müsse sich zu Lasten des beweispflichtigen Klägers auswirken; das geburtshilfliche Vorgehen in der damaligen dramatischen Situation sei nämlich keinesfalls als grob fehlerhaft zu bezeichnen, so dass Beweiserleichterungen nicht in Betracht kämen.

Die Beklagten beantragen,

unter Aufhebung des Grundurteils des Landgerichts Kleve vom 2. Februar 2001 die Klage abzuweisen.

Der Kläger stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien haben sich übereinstimmend mit einer abschließenden Entscheidung durch den Senat einverstanden erklärt. Insoweit wiederholen sie ihre in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gestellten Anträge.

Der Kläger vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Der Senat hat durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. W Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 15. November 2001 (Bl. 485 ff GA) verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Landgericht hat der Klage mit Recht und aus zutreffenden Erwägungen dem Grunde nach stattgegeben; dabei ist im Wege der Auslegung der angefochtenen Entscheidung davon auszugehen, dass es das Bestreben der erstinstanzlichen Zivilkammer war, dem Feststellungsantrag des Klägers durch Teilurteil zu entsprechen (vgl. Bl. 312 GA).

I.

Die Beklagten sind nach § 847 BGB zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verpflichtet. Darüber hinaus haben sie aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 BGB - die Beklagte zu 1) auch nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung gemäß den §§ 611, 242, 276, 249 ff BGB - die künftig drohenden materiellen Schäden zu ersetzen. Die Erörterung des Entbindungsverlaufs mit dem Sachverständigen Prof. Dr. W hat eindeutig ergeben, dass bei der geburtshilflichen Betreuung der Patientin gravierende Versäumnisse unterlaufen sind:

1.)

Allerdings war es sachgerecht, am 13. April 1994 eine vaginale Entbindung anzustreben. Prof. Dr. W hat deutlich gemacht, dass ein Kaiserschnitt nur dann ernsthaft in Erwägung zu ziehen ist, wenn man mit einem Geburtsgewicht der Leibesfrucht von über 4.500 g zu rechnen hat. Nach der am 6. April 1994 durchgeführten Sonographie lag die Gewichtsschätzung bei 4.000 bis 4.200 g, also deutlich unterhalb des als riskant einzustufenden Wertes. Darüber hinaus konnten die verantwortlichen Geburtshelfer berücksichtigen, dass es sich bei der Patientin nicht um eine Erstgebärende handelte; das Geburtsgewicht des letzten Kindes hatte zudem bereits über 4.000 g gelegen. Angesichts dessen war im Anschluss an die durchgeführte Fetometrie nicht mit besonderen Komplikationen zu rechnen.

2.)

Aufgrund der Beweisaufnahme steht hingegen fest, dass die verantwortlichen Geburtshelfer auf das plötzliche Auftreten der Schulterdystokie in der Endphase der Entbindung nicht einwandfrei reagiert haben:

a) Prof. Dr. W hat im Rahmen seiner Anhörung im einzelnen die Maßnahmen beschrieben, die grundsätzlich angebracht sind, wenn es nach der Entwicklung des kindlichen Kopfes überraschend zu einer Verkeilung der Schultern im mütterlichen Becken kommt: Sachgerecht ist es, die Wehentätigkeit medikamentös zu unterbinden; sodann ist zur Verringerung des Weichteilwiderstands und vor allem zur Gewährleistung eines optimalen vaginalen Zugangs eine großzügige Episiotomie anzulegen. Nach diesen Vorbereitungshandlungen kann und muss der Versuch unternommen werden, die verkeilte Schulter durch geeignete Manipulationen zu lösen; häufig gelingt es durch mehrfaches Beugen und Strecken der mütterlichen Beine die Entbindung fortzusetzen; daneben ist es möglich, das bestehende Hindernis durch äußerlichen Druck oberhalb der Symphyse zu beseitigen; schließlich kann durch Manipulationen im Geburtskanal eine Rotation der kindlichen Schulter herbeigeführt werden. Prof. Dr. W hat keinen Zweifel daran gelassen, dass dieses Vorgehen bereits im Jahre 1994 allgemein bekannt sein musste, die empfohlenen Maßnahmen waren regelmäßig Gegenstand von Aufsätzen in einschlägigen Fachzeitschriften und gehörten deshalb zu dem in einer geburtshilflichen Abteilung geschuldeten medizinischen Standard.

b) Tatsächlich wurden die gebotenen Manipulationen nicht durchgeführt. Das geburtshilfliche Personal unter Leitung des Beklagten zu 2) hat sich vielmehr damit begnügt, das wehenfördernde Medikament Syntocinon zu verabreichen und die Entbindung durch den sogenannten Kristeller-Handgriff, also durch massiven Druck auf den Oberbauch der Patientin, zu beenden. Diese Maßnahmen waren - woran Prof. Dr. W im Rahmen seiner Anhörung keinen Zweifel gelassen hat - in der damaligen Situation grundsätzlich kontraindiziert; sie führten zunächst notgedrungen zu einer weiteren Verkeilung der kindlichen Schulter im mütterlichen Becken; das dem Geburtsfortschritt entgegenstehende Hindernis konnte sodann nur durch massiven Gewalteinsatz und unter Inkaufnahme gesundheitlicher Beeinträchtigungen überwunden werden.

c) Der Darstellung der Beklagten, es sei zunächst - bis zur Rotation der kindlichen Schulter - nur Druck oberhalb der Symphyse ausgeübt worden, ist nicht zu folgen; auch ihre Behauptung, die weiteren gebotenen Maßnahmen seien an dem heftigen und nicht zu überwindenden Widerstand der Patientin gescheitert, kann der Beurteilung des Sachverhalts nicht zugrundegelegt werden: Zwar haben der Assistenzarzt Dr. I und die Hebamme B bei ihrer erstinstanzlichen Vernehmung bestätigt, dass sich die Mutter des Klägers dem richtigen Vorgehen massiv widersetzt habe; das Landgericht hat aber in der angefochtenen Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass ihre Aussagen im Ergebnis nicht überzeugend sind. Sowohl die Art des mütterlichen Widerstands als auch die Reihenfolge des geburtshilflichen Vorgehens werden widersprüchlich geschildert; ferner ist nicht zu verkennen, dass die Sachdarstellung der Beklagten im Laufe des Prozesses wiederholt geändert wurde: In der ersten Stellungnahme wird ausdrücklich auf die Entbehrlichkeit einer Episiotomie hingewiesen; auch seien die in der Literatur beschriebenen Maßnahmen zur Lösung der Schulterdystokie in der damaligen Situation nicht möglich gewesen, so dass als ultima ratio zur Vermeidung weitergehender Nachteile nur der massive Einsatz des Kristeller-Handgriffs übrig geblieben sei. In der Berufungsbegründung wird demgegenüber geltend gemacht, den Geburtshelfern sei es gelungen, die kindliche Schulter durch Druck oberhalb der Symphyse zu befreien; erst anschließend habe man - in nunmehr indizierter Weise - die Geburt durch den Einsatz wehenfördernder Mittel und durch manueller Unterstützung der Presstätigkeit beendet. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist ferner zu berücksichtigen, dass in dem Geburtsprotokoll zur Beseitigung der Komplikation ausschließlich die von dem Sachverständigen als kontraindiziert bezeichneten Maßnahmen dokumentiert sind; der angeblich nicht zu überwindende Widerstand der Patientin wird lediglich als "mangelnde Kooperation" bezeichnet. Schließlich hat der Sachverständige Prof. Dr. W überzeugend dargelegt, dass es einfache Mittel gibt, eine schwangere Patientin zu der erforderlichen Mitwirkung zu zwingen: Legt man ein Querbett an, ist es der werdenden Mutter nicht mehr möglich, die notwendigen Manipulationen der Geburtshelfer durch ein Stemmen der Beine gegen die Unterkante des Betts oder durch Bildung eines Hohlkreuzes zu verhindern. Abgesehen davon hat die Hebamme B bei ihrer Vernehmung eingeräumt, dass die Patientin zwischen den einzelnen Wehen durchaus ansprechbar und zugänglich war; durch diese Aussage wird die Vermutung des Sachverständigen, die Abwehrhaltung sei eine bloße Reaktion auf die medikamentöse Wehenförderung und auf die durch den Kristeller-Handgriff verursachten Schmerzen, bestätigt. Der angebliche Widerstand der Kindesmutter hätte also nicht nur durch eine Umlagerung, sondern auch durch eine Entspannung der Gebärmutter beseitigt werden können.

3.)

Für die geschilderten Versäumnisse hat nicht nur die Beklagte zu t) als Krankenhausträgerin einzustehen, sondern auch der Beklagte zu 2). Zwar mag es sein, dass der kontraindizierte Kristeller-Handgriff nicht von ihm persönlich, sondern von dem Assistenzarzt Dr. I angewandt wurde, er war aber als Oberarzt in der damaligen Situation für das geburtshilfliche Konzept verantwortlich; die Fehlerhaftigkeit des Vorgehens ist deshalb ihm anzulasten.

II.

Die den Beklagten vorzuwerfenden Versäumnisse sind für die eingetretene Schädigung des Klägers ursächlich geworden:

1.)

Die Armlähmung ist auf die perinatalen Probleme bei der Entwicklung der kindlichen Schulter zurückzuführen. Die diagnostizierte Plexusparese ist die typische Folge einer Zerrung des Nervengeflechts im Anschluss an die gewaltsame Lösung einer Schulterdystokie. Anhaltspunkte für eine anlagebedingte oder eine intrauterin verursache Schädigung sind nicht ersichtlich.

2.)

Der Senat verkennt nicht, dass die plötzlich aufgetretene Komplikation bei der Entbindung den Beklagten nicht vorzuwerfen ist; das Auftreten der Dystokie war überraschend und ist als schicksalhaft anzusehen. Der Sachverständige Prof. Dr. W hat zudem deutlich gemacht, dass es selbst bei einem optimalen Vorgehen nicht immer gelingt, das Problem ohne nachteilige Folgen zu bewältigen; nach einer Schulterdystokie kann es auch dann zu einer bleibenden Schädigung kommen, wenn das geburtshilfliche Personal in jeder Hinsicht einwandfrei handelt Dennoch ist die Behinderung letztlich den Beklagten haftungsrechtlich zuzurechnen; dem Kläger sind nämlich im Anschluss an die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hinsichtlich des Kausalverlaufs Beweiserleichterungen zuzubilligen, weil die in der geburtshilflichen Abteilung ergriffenen Maßnahmen als grob fehlerhaft einzustufen sind. In diesem Zusammenhang kann den Beklagten zugute gehalten werden, dass die damalige Situation dramatisch und bedrohlich war; nach dem Heraustreten des kindlichen Kopfes aus dem Geburtskanal bestand die Gefahr einer Sauerstoffunterversorgung, es musste deshalb das Bestreben der Geburtshelfer sein, die Entbindung innerhalb eines möglichst kurzen Zeitraums abzuschließen. Dennoch muss das - im Ergebnis als konzeptlos und unüberlegt zu bezeichnende - Verhalten als schwerwiegendes Versäumnis gewertet werden. Prof. Dr. W hat keinen Zweifel daran gelassen, dass einem Facharzt die zur Lösung einer kindlichen Schulter erforderlichen und geeigneten Maßnahmen bekannt und geläufig sein müssen; wichtig ist dabei ein an den einschlägigen Empfehlungen orientiertes systematisches Vorgehen. Ein solches Konzept wurde von dem Beklagten zu 2) ersichtlich nicht verfolgt; vielmehr war er in einer nach Auffassung des Gutachters unverständlichen Art ausschließlich darum bemüht, die Entbindung durch einen massiven Krafteinsatz zu beenden.

B.

Über die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes kann aufgrund der vorhandenen gutachterlichen Stellungnahmen und unter Berücksichtigung der zu den Akten gereichten ärztlichen Berichte entschieden werden. Der Senat hält es deshalb im Einverständnis der Parteien für angebracht, über das prozessuale Begehren des Klägers abschließend zu befinden.

I.

Die Beklagten sind nach § 847 BGB als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 13.000 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 27. Februar 1998 sowie zur Entrichtung einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 100 Euro verpflichtet:

1.)

Der vom Landgericht als Gutachter hinzugezogene Kinderarzt Dr. H hat im Rahmen seiner schriftlichen Ausführungen und anlässlich seiner mündlichen Anhörung anschaulich geschildert, dass die Funktionstüchtigkeit des linken Arms des Klägers auf Dauer erheblich beeinträchtigt ist; Die Plexusparese der in Höhe der Halswirbelkörper C 5 und C 6 verlaufenden Nervenstränge vermindert die Armhebung nach vorne und außen erheblich; auch die Rotation nach außen sowie die Beugung im Ellenbogengelenk sind betroffen. Nach den Feststellungen des Gutachters ist die Belastbarkeit des Arms insgesamt beträchtlich eingeschränkt; die Tragfunktion der linken Hand ist auf Dauer zwar nicht aufgehoben, aber vermindert. Aufgrund der Lähmung ist es zu einer asymmetrischen Körperfehlhaltung gekommen, die mit einer Wirbelsäulenkrümmung und einer kompensatorischen Neigung des Kopfes zur Gegenseite verbunden ist; die Koordination von Bewegungsabläufen ist schwerfällig. Aus den zu den Akten gereichten Berichten über die Entwicklung des Krankheitsbildes in der letzten Zeit (Bl. 456 ff GA) wird deutlich, dass man darum bemüht ist, durch krankengymnastische Maßnahmen die Mobilität zu verbessern und einer weiteren Verschlechterung der Fehlhaltung vorzubeugen. Im Ergebnis ist aber eine nicht behebbare Dauerschädigung eingetreten, die den Besuch einer Schule für Körperbehinderte erforderlich macht. Die von dem Sachverständigen Dr. H darüber hinaus festgestellte Entwicklungsverzögerung, die sich in Defiziten bei der Sprachrezeption und der Konzentrationsfähigkeit äußert, ist den Beklagten demgegenüber nicht anzulasten; insoweit konnte der Gutachter keinen sicheren Zusammenhang mit den Geburtsumständen feststellen. Abgesehen davon wäre eine - eventuell für eine gewisse zerebrale Leistungsminderung ursächliche - peripartuale Sauerstoffmangel-Situation nicht den Geburtshelfern vorzuwerfen; eine solche Asphyxie wäre vielmehr auf die mit der Schulterdystokie schicksalhaft verbundene Verzögerung bei dem Entbindungsablauf zurückzuführen.

2.)

Die auf der Plexusparese beruhende Beeinträchtigung des körperlichen Leistungsvermögens rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 13.000 Euro. Daneben ist dem Kläger gemäß § 847 BGB ein monatlicher Betrag von 100 Euro zuzubilligen, diese Rente trägt dem Umstand Rechnung, dass die erhebliche körperliche Behinderung den Kläger bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens beeinträchtigt und ihm vor allem in der Phase des Heranwachsens bei sportlichen Aktivitäten und bei der Auswahl einer geeigneten beruflichen Tätigkeit schmerzlich bewusst sein wird.

3.)

Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.

4.)

Dem Feststellungsantrag des Klägers ist stattzugeben, da im Hinblick auf die Art der körperlichen Beeinträchtigung künftige materielle und immaterielle Schäden nicht auszuschließen sind.

C.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Beschwer beider Parteien liegt unter 60.000 DM.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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