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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 8 U 5/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
1.

Der Umstand, daß es bei einer Patientin trotz durchgeführter Tubensterilisation zu einer erneuten Schwangerschaft gekommen ist, spricht nicht - auch nicht im Wege eines Anscheinsbeweises - für eine Fehlerhaftigkeit des Sterilisationseingriffes.

2.

Eine gerichtliche Beweisanordnung mit dem Ziel einer Überprüfung der beanstandeten ärztlichen Maßnahmen im Rahmen eines operativen Eingriffs kommt auch dann nicht in Betracht, wenn die Patientin dem ausdrücklich zustimmt (Bestätigung der bisherigen Senatsrechtsprechung).

3.

Im Rahmen der Durchführung einer Tubenligatur bedarf es der ausdrücklichen Aufklärung der Patientin über das auch nach der Sterilisation verbleibende (geringe) Schwangerschaftsrisiko.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 19. Dezember 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B sowie die Richter am Oberlandesgericht G und S

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 2. Dezember 1999 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

und ihr Ehemann die Durchführung einer Sterilisation. Sie unterzeichneten unter dem 14. Juli 1993 eine sogenannte Operationsvereinbarung, gemäß deren Inhalt sie eine operative dauerhafte Unterbrechung der Eileiter mittels Bauchspiegelung wünschten, mit der die möglichst sichere Verhütung einer zukünftigen Empfängnis bzw. Schwangerschaft erreicht werden sollte. In dem Schriftstück ist sodann folgender Hinweis enthalten:

"Auch bei kunstgerechter Durchführung dieses Eingriffes kann eine Schwangerschaft (bzw. auch Eileiterschwangerschaft) eintreten (ca. 1 bis 4 auf 1000 Fälle)."

Ausweislich des Operationsberichtes vom 16. Juli 1993 wurde der Eingriff der Eileitersterilisation am selben Tag durch den Operateur Dr. S durchgeführt. Nach der Beschreibung in dem Operationsbericht erfolgte im Rahmen einer Bauchspiegelung eine dreimalige überlappende Koagulation der beiden Tuben.

Im Jahre 1998 wurde bei der Klägerin erneut eine Schwangerschaft festgestellt; sie wurde am 2. September 1998 von ihrem vierten Kind entbunden.

Vor dem Landgericht Duisburg wurde in einem von der Klägerin eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Sachverständigengutachten des Direktors der Frauenklinik der Universität D Prof. Dr. B zu der Frage eingeholt, ob der 1993 im Krankenhaus der Beklagten durchgeführte Sterilisationseingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden ist.

Mit ihrer im vorliegenden Verfahren erhobenen Klage hat die Klägerin behauptet, zu der weiteren Schwangerschaft im Jahre 1998 sei es gekommen, weil der Sterilisierungseingriff im Krankenhaus der Beklagten entweder überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Im übrigen hat sie geltend gemacht, über das trotz einer Sterilisierung verbleibende Risiko einer erneuten Schwangerschaft nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein. Im Falle der sachgerechten und zutreffenden Aufklärung hätte sie weiterhin Verhütungsmittel benutzt.

Die Klägerin, die - teilweise aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes - neben der Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten die Erstattung des durch die Geburt bedingten Unterhaltsaufwandes - und zwar mit dem Zahlungsantrag Beträge für die Zeit von September 1998 bis August 1999 - sowie die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von 5.000 DM verlangt hat, hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.278 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr und ihrem Ehemann, Herrn D D, den Schaden zu ersetzen, den sie erlitten hat, weil trotz durchgeführter operativer Sterilisation am 16..07.1993 sie Mutter des Kindes D, geboren am 02.09.1998 geworden ist,

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist den vorwürfen entgegengetreten und hat behauptet, der am 16. Juli 1993 durchgeführte Eingriff sei nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Über das auch danach verbleibende Risiko einer erneuten Empfängnis sei die Klägerin ausreichend nach dem damaligen medizinischen Kenntnisstand unterrichtet worden. Eine Information der Klägerin über in den Folgejahren veröffentlichte Studien, die von einer höheren Versagerquote ausgehen, habe ihr nicht oblegen.

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg hat die Klage auf der Grundlage des in dem Beweissicherungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. B abgewiesen.

Gegen die Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages macht sie geltend, der Sterilisationseingriff sei überhaupt nicht, auf jeden Fall aber nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Im übrigen beanstandet sie, daß das Landgericht ihr für den Nachweis eines Behandlungsfehlers keine Beweiserleichterungen zugebilligt hat und bittet erneut zwecks Feststellung des behaupteten Behandlungsfehlers um eine Beweisanordnung zur Vornahme einer Bauchspiegelung. Im übrigen trägt die Klägerin vor, das Versagerrisiko der gewählten Sterilisationsmethode sei ihr gegenüber bewußt verharmlost worden. Bei Kenntnis des tatsächlichen Schwangerschaftsrisikos hätten sie und ihr Ehemann zusätzliche Verhütungsmethoden verwendet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 2. Dezember 1999 abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.278 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr und ihrem Ehemann, Herrn D D den Schaden zu ersetzen, den sie erlitten hat, weil trotz durchgeführter operativer Sterilisation am 16. Juli 1993 die Klägerin Mutter des Kindes D, geboren am 2. September 1998, geworden ist;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung geht das Landgericht davon aus, daß die Beklagte als Träger des Hospitals für die 1998 eingetretene weitere Schwangerschaft der Klägerin sowie für die wirtschaftlichen Folgen der Geburt ihres Sohnes D am 2. September 1998 weder aus vertraglichen (positive Forderungsverletzung) noch aus deliktischen (§§ 823, 897 BGB) Gesichtspunkten einzustehen hat. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

1.

Es besteht kein Zweifel daran, daß bei der Klägerin am 16. Juli 1993 durch den Arzt Dr. S im Hospital eine Tubensterilisation durchgeführt worden ist. Die Vornahme dieses Eingriffs ergibt sich eindeutig aus dem von dem Operateur Dr. S unterzeichneten Operationsbericht; einer weitergehenden Aufklärung hierzu bedarf es unter diesen Umständen nicht.

2.

Es gibt keine Anhaltspunkte für eine - von der Klägerin als Anspruchstellerin zu beweisende - Fehlerhaftigkeit des Sterilisationseingriffs. Eine Regelwidrigkeit der Operation läßt sich nicht - auch nicht im Wege des sogenannten Anscheinsbeweises - aus der 1998 erneut eingetretenen Schwangerschaft herleiten. Prof. Dr. B, der als Direktor einer frauenärztlichen Universitätsklinik über umfassende praktische und wissenschaftliche Erfahrung zur Beurteilung des streitgegenständlichen medizinischen Sachverhaltes verfügt, hat in seinem im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens erstellten Gutachten ausgeführt, daß die laparoskopische Eileitersterilisation in der hier gewählten Form zu den in Deutschland am häufigsten angewandten Methoden zur Sterilisierung einer Frau gehört und sich als anerkanntes und sicheres Verfahren der Empfängnisverhütung darstellt, welches allerdings bekanntermaßen mit dem Risiko sogenannter "Sterilisationsversager" behaftet ist.

Anhaltspunkte dafür, daß der damalige operative Eingriff fehlerhaft erfolgt war, gibt es nicht. Prof. Dr. B hat deutlich gemacht, daß aufgrund der Beschreibungen in dem Operationsbericht keine entsprechenden Feststellungen getroffen werden können. Seiner Beurteilung zufolge war es auch nicht zu beanstanden, daß die Sterilisation 9 Tage nach der Entbindung erfolgte.

Es ist nicht gerechtfertigt, der Klägerin zur Feststellung behaupteter Operationsfehler Beweiserleichterungen zu gewähren. Alleine der Umstand, daß die Klägerin erst rund 4 1/2 Jahre nach dem Eingriff erneut schwanger geworden ist, spricht gegen den Vorwurf, die Sterilisierung sei nicht sachgerecht durchgeführt worden. Ansonsten hätte es nahegelegen, daß es bereits wesentlich früher zu einer erneuten Empfängnis gekommen wäre; darauf weist auch Prof. Dr. B hin, indem er ausführt, daß der Zeitablauf bis zu der erneut eingetretenen Schwangerschaft ein gewisses Indiz für Regenerationsvorgänge am Eileiter gewesen sein mag, die sich als Verwirklichung des methodenbedingten Risikos darstellen.

Eine von der Klägerin erstrebte gerichtliche Beweisanordnung zur Durchführung einer Bauchspiegelung mit dem Ziel der Überprüfung des damaligen Sterilisationseingriffs kommt nicht in Betracht. Der Senat hat bereits in seiner in dem selbständigen Beweisverfahren ergangenen Beschwerdeentscheidung vom 19. Juli 1999 darauf hingewiesen, daß eine invasive ärztliche Maßnahme - wie die Klägerin sie begehrt - nicht Gegenstand einer gerichtlichen Beweisanordnung sein kann. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Es darf nicht Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung sein, einer Partei eine mit dem Eingriff zwangsläufig verbundene Gefährdung der eigenen körperlichen Integrität nahe zu legen, um wirtschaftliche Ansprüche in einem Rechtsstreit durchzusetzen. Hierdurch wird eine mögliche Beweisführung der Klägerin auch nicht vereitelt. Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, daß es ihr unbenommen gewesen wäre, auf eigene Initiative eine erneute Laparoskopie durchführen zu lassen und den Operateur anschließend als sachverständigen Zeugen für die hieraus gewonnenen Erkenntnisse zu benennen.

3.

Ansprüche der Klägerin lassen sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufklärungspflicht über das nach der Sterilisation verbleibende Schwangerschaftsrisiko herleiten:

Die Aufklärung der Patientin, die sich an der Versagerquote der Tubenligatur zu orientieren hat und den deutlichen Hinweis erfordert, daß eine - wenn auch sehr geringe - Mißlingensquote nicht auszuschließen ist, gehört als vertragliche Nebenpflicht dem Bereich der Sicherungsaufklärung an, weshalb sich die entsprechenden Versäumnisse als Behandlungsfehler darstellen (Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rdnr. 325, 327 m.w.N.).

Die Aufklärung der Klägerin und ihres Ehemannes in der sogenannten Operationsvereinbarung vom 19. Juli 1993 war ausreichend. Dort wird mit hinreichender Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß auch bei kunstgerechter Durchführung des Eingriffs eine Schwangerschaft (in ca. 1 bis 9 von 1000 Fällen) eintreten kann. Prof. Dr. B hat bekräftigt, daß diese Angaben dem ärztlichen Wissensstand im Jahre 1993 entsprachen, so daß auch dann nicht von einem haftungsbegründenden Aufklärungsfehler ausgegangen werden kann, wenn das Schwangerschaftsrisiko tatsächlich höher gelegen haben mag.

Unter Hinweis auf die von Prof. Dr. B angesprochene amerikanische Studie aus dem Jahre 1996, ausweislich der sich ein höheres Schwangerschaftsrisiko bei der Tubensterilisation herausgestellt haben soll (1,5 bis 1,8 %), hat die Klägerin erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie nachträglich über diesen neuen Erkenntnisstand zu informieren. Zu Recht hat das Landgericht eine solche Verpflichtung unter Hinweis darauf, daß sie sich als Überspannung der nachverträglichen ärztlichen Pflichten darstellen wurde, verneint. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Klägerin mit der Berufung nicht mehr, so daß es insoweit auch keiner weitergehenden Ausführungen bedarf.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Beschwer der Klägerin liegt unter 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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