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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 01.09.2000
Aktenzeichen: 9 W 69/00
Rechtsgebiete: GKG, ZPO, KostVfg


Vorschriften:

GKG § 15
GKG § 61
GKG § 65 Abs. 1
GKG § 19 Abs. 3
GKG § 25 Abs. 2 Satz 2
GKG § 25 Abs. 4
ZPO § 256 Abs. 2
ZPO § 261 Abs. 2
ZPO § 297
ZPO § 308 Abs. 2
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 91 a
ZPO § 93
ZPO § 344 Abs. 1
ZPO § 96
ZPO § 269 Abs. 3
KostVfg § 32 Abs. 9 Satz
KostVfg § 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

9 W 69/00

Düsseldorf, 1. September 2000

In Sachen

Tenor:

wird die Beschwerde des Bezirksrevisors vom 21. Juni 2000 gegen den Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 9. Juni 2000 zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beklagte war Gläubigerin einer in notarieller Urkunde titulierten Kaufpreisforderung von 650.000 DM. Nachdem sie sich eine vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde in Höhe des vollen Betrages hatte erteilen lassen, teilte sie den Schuldnern mit, sie werde - nur - in Höhe von 250.000 DM vollstrecken. Daraufhin erhoben die Schuldner insoweit Zwangsvollstreckungsgegenklage und beriefen sich auf Erfüllung.

Nachdem die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits auch bezüglich der restlichen 400.000 DM die Erfüllung bestritten hatte, haben die Kläger nach Schluß der mündlichen Verhandlung die Zwangsvollstreckungsgegenklage entsprechend erweitert.

Gegenüber einer Hilfsaufrechnung der Kläger in Höhe von 260.000 DM hat die Beklagte ihrerseits vorsorglich aufgerechnet mit einer Forderung in Höhe von 117.333,33 DM.

Das Landgericht hat die Zwangsvollstreckungsgegenklage abgewiesen, weil weder erfüllt noch die Hilfsaufrechnung begründet sei; über die Klageerweiterung hat das Landgericht nicht entschieden. Auf die Berufung der Kläger hat der Senat das landgerichtliche Urteil geändert und die Zwangsvollstreckung der Beklagten für unzulässig erklärt, weil die Kaufpreisforderung insgesamt erfüllt sei.

Das Landgericht hat den Streitwert für die erste Instanz festgesetzt auf 250.000 DM. Der Beschwerde des Bezirksrevisors, der die Festsetzung des Streitwerte auf 767.333,33 DM, hilfsweise auf 650.000 DM begehrt, hat es nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht den Wert des Streitgegenstandes für das verfahren erster Instanz (Gebührenstreitwert) auf 250.000 DM festgesetzt.

Die Klageerweiterung um 400.000 DM nach Schluß der mündlichen Verhandlung erhöht den Streitwert des Verfahrens erster Instanz nicht.

Grundsätzlich führt zwar die Klageerweiterung zu einer Streitwerterhöhung vom Zeitpunkt des Einreichen des Antrags an, § 15 GKG (Zöller/Herget, ZPO, 21. Aufl., § 3, 16 "Klageerweiterung"; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rdnr. 704). Gemäß § 61 GKG wird bei einer Klageerweiterung die allgemeine Verfahrensgebühr nach Kostenverzeichnung Nr. 1201 fällig mit Eingang des die Erweiterung enthaltenden Schriftsatzes bei Gericht (Österreich/Winter/ Hellstab, GKG, 5.0, Nr. 1201, Rdnr. 21).

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Klage erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung erweitert und hierüber nicht mehr verhandelt worden ist.

In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage, wie geänderte, neue oder erweiterte Klage- oder Widerklageanträge nach Schluß der mündlichen Verhandlung zu behandeln sind, unterschiedlich beantwortet. Einig ist man darüber, dass solche Anträge unzulässig sind (BGH NJW 2000, 2512, 2513; BGH NJW-RR 1997, 1486; BGH NJW-RR 1992, 1085; HansOLG Hamburg, MDR 1995, 526; wohl auch OLG München, MDR 1981, 502, 503; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 296 a, 15; Zöller/Greger, a.a.O., § 296 a, 2). Dies folgt nach einhelliger Auffassung aus § 256 Abs. 2, 261 Abs. 2, 297 ZPO. Insbesondere aus § 297 ZPO ergibt sich, dass Sachanträge, wenn sie Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein sollen, in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (BGH NJW-RR 1992, 1085; Stein/Jonas/Leipold, a.a.O.). Wie mit solchen unzulässigen Anträgen umzugehen ist, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet. Dies gilt für die Frage, ob solche Anträge zuzustellen sind (nein: Zöller/Greger, a.a.O., § 296 a, 2; Fischer NJW 1994, 1315, 1316; HansOLG Hamburg, MDR 1995, 526; ja: Stein/Jonas/Leipold, a.a.O., 16), ob sie nach Zustellung als rechtshängig zu behandeln sind (nein: BGH NJW-RR 1997, 1486; HansOLG Hamburg, MDR 1995, 526; Stein/Jonas/Leipold, a.a.O.; Zöller/Greger, a.a.O.; ja: OLG München, MDR 1991, 502, 503) und schließlich für die Frage, ob über diese Anträge ohne Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann (offen gelassen in BGH NJW 2000, 2512, 2513; nein: BGH NJW-RR 1997, 1486; Stein/Jonas/Leipold, a.a.O.; Zöller/ Greger, a.a.O.; Fischer, a.a.O.; ja, nämlich Abweisung als unzulässig: BGH NJW-RR 1992, 1085). Nach Auffassung des Senates kommt ohne Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung jedenfalls eine Entscheidung über geänderte oder neue Klage- oder Widerklageanträge grundsätzlich nicht in Betracht, auch nicht durch Abweisung als unzulässig. Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung ist das Ergebnis der mündlichen Verhandlung. Auf Umstände nach Schluß der mündlichen Verhandlung kann und darf das Gericht seine Entscheidung grundsätzlich nicht mehr stützen, es sei denn, die mündliche Verhandlung wird wiedereröffnet. Dies ist Folge des Verhandlungsgrundsatzes und des Grundsatzes der Mündlichkeit des Zivilprozesses.

Liegen die Dinge wie hier und eröffnet das Gericht die mündliche Verhandlung nicht wieder und entscheidet über den nach deren Schluß geänderten oder neuen Klage- oder Widerklageantrag nicht, so erhöht sich der Streitwert für das Verfahren nicht. Dies folgt zum einen bereits daraus, dass - wie dargelegt - das Gericht einen solchen Antrag nicht mehr berücksichtigen darf. Zum anderen würde es an einer Rechtsgrundlage fehlen für die gemäß § 308 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zu treffende Entscheidung über die Pflicht, die Prozeßkosten zu tragen. Wird über einen solchen Antrag nicht entschieden, liegen die Voraussetzungen der §§ 91, 92 ZPO nicht vor. Auch die Voraussetzungen der sonstigen Kostentatbestände sind nicht erfüllt. Dies gilt für die §§ 91 a und 93 ZPO ebenso wie für die Kostenvorschriften, die es unabhängig vom Obsiegen oder Unterliegen ermöglichen, eine Prozeßpartei (getrennt) mit Sonderkosten zu belasten, wie etwa § 344 Abs. 1 ZPO. Auch § 96 ZPO ist nicht einschlägig, weil die hier in Frage stehenden Anträge nach Schluß der mündlichen Verhandlung keine Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne der genannten Vorschrift sind, sondern sie den Angriff selbst bilden (Zöller/Herget, a.a.O., § 96, 1; Schneider, Die Kostenentscheidung im Zivilurteil, 2. Aufl., S. 287), für den die allgemeinen Kostenvorschriften gelten. Der Fall eines geänderten oder neuen Klage- oder Widerklageantrages nach Schluß der mündlichen Verhandlung ist schließlich nicht vergleichbar mit der Situation, dass der gemäß § 65 Abs. 1 GKG fällige Gebührenvorschuß für das streitige Verfahren nicht gezahlt und die Akte deshalb spätestens nach Ablauf von sechs Monaten weggelegt wird (§ 7 Abs. 3 Buchstabe e) AktO). In diesen Fällen ist gemäß § 32 Abs. 9 Satz, 3 KostVfg die gemäß § 65 Abs. 1 GKG zu zahlende Gebühr (dies gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift auch für die Klageerweiterung) - nur/jedenfalls - insoweit anzusetzen, als sich der Zahlungspflichtige nicht durch Rücknahme des Antrages von der Verpflichtung zur Zahlung befreien kann. In diesem Fall wird also eine Rücknahme des Antrages fingiert, die die Gebühr aus Kostenverzeichnis Nr. 1202 entstehen läßt. (Österreich/Winter/Hellstab, GKG, 5.0, Nr. 1202, Rdnr. 20 a). Es ist jedoch ebensowenig gerechtfertigt, diese Handhabung auf den vorliegenden Fall zu übertragen wie § 269 Abs. 3 ZPO als Kostentatbestand heranzuziehen. Denn in der Regel wird die Prozeßpartei, die nach Schluß der mündlichen Verhandlung einen Antrag ändert oder einen neuen Antrag stellt, gerade eine Entscheidung hierüber herbeiführen wollen. Gelingt ihr dies nicht, weil das Gericht die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet, widerspräche es der Interessenlage, eine Rücknahme des jeweiligen Antrages zu unterstellen.

Die Auffassung, dass eine Klageerweiterung nach Schluß der mündlichen Verhandlung den Streitwert nicht erhöht, steht auch nicht im Widerspruch zu den §§ 15 und 61 GKG, wonach die Wertberechnung entscheidend der Zeitpunkt der die Instanz einleitenden Antragstellung/Einreichung ist und wonach die allgemeine Verfahrensgebühr mit Einreichen der Klageerweiterungsschrift fällig wird. Denn eingereicht im Sinne dieser Vorschriften ist eine Klageerweiterung nur dann, wenn sie rechtzeitig, also vor Schluß der mündlichen Verhandlung, eingereicht wurde.

Die Beschwerde ist auch insoweit ohne Erfolg als der Bezirksrevisor die Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung der Beklagten bei der Streitwertfestsetzung erreichen will. Da das Landgericht über die Hilfsaufrechnung der Beklagten in Höhe von 117.333,33 DM nicht entschieden hat, erhöht sich der Streitwert nicht um den Wert dieser Aufrechnungsforderung, § 19 Abs. 3 GKG.

Von Amts wegen hat der Senat gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG schließlich geprüft, ob die Hilfsaufrechnung der Kläger, die das Landgericht für nicht gerechtfertigt erachtet und über die der Senat nicht entschieden hat, den erstinstanzlichen Streitwert erhöht. Maßgebend ist auch insoweit für die Wertfestsetzung bei der Aufrechnung § 19 Abs. 3 GKG, wonach sich der Streitwert um den Wert einer Hilfsaufrechnung erhöht, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht. Es ist umstritten, ob insoweit die Wertberechnung für jede Instanz selbständig anzustellen ist (Zöller/Herget, a.a.O., § 3, 16 "Aufrechnung"; Schneider, MDR 1986, 181, 183). Würde man auf die jeweilige Instanz abstellen, bedeutete dies im vorliegenden Fall, dass für das landgerichtliche Verfahren eine Wertaddition stattfinden müßte, für das Verfahren vor dem Senat hingegen nicht. Der Bundesgerichtshof (WM 1985, 264, 267 f.) lehnt eine auf die jeweilige Instanz bezogene Betrachtungsweise ab und berücksichtigt die Hilfsaufrechnung, über die die frühere Instanz entschieden hat, nicht, wenn das Rechtsmittelgericht die Klage ohne weiteres abweist. Der Senat schließt sich dem an. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, zu berücksichtigen, wenn und soweit das Rechtsmittelgericht die vorangehende Entscheidung, die den Hilfsaufrechnungsanspruch aberkannt hat, ändert. Anderenfalls wäre der Kläger mit Kosten auch für den Wert der Hilfsaufrechnung belastet, obwohl er insoweit im Ergebnis nicht unterlegen ist.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet, § 25 Abs. 4 GKG.

Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren: bis 10.000,-- DM.

Ende der Entscheidung

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