Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.03.2007
Aktenzeichen: I-18 U 135/06
Rechtsgebiete: LBeschG, BauGB, BLG, ZPO


Vorschriften:

LBeschG § 1 Abs. 1
LBeschG §§ 17 ff.
LBeschG § 17 Abs. 3
LBeschG § 17 Abs. 3 Satz 1
LBeschG § 17 Abs. 4
LBeschG § 24
LBeschG § 47 Abs. 1
LBeschG § 49
LBeschG § 55
LBeschG § 57
LBeschG § 57 Abs. 1 Satz 1
LBeschG § 57 Abs. 4
LBeschG § 61
LBeschG § 61 Abs. 2 Satz 2
BauGB § 34
BauGB § 103 Satz 4
BLG § 43 Abs. 3
ZPO § 319
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufungen beider Parteien gegen das am 31.05.2006 verkündete Urteil der 2b-Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (2b O 285/02) werden zurückgewiesen.

Von den Kosten der Berufungsinstanz trägt die Beklagte 40 % und die Klägerin 60 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Schuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin war Eigentümerin mehrerer unbebauter Grundstücke in R., welche im Jahre 1963 nach dem Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung vom 23.02.1957 (LBeschG) zugunsten der Beklagten enteignet wurden. Die Beklagte bebaute das Gelände mit Einfamilienhäusern für Familien der britischen Stationierungsstreitkräfte. Nach dem Abzug dieser Streitkräfte erließ die Bezirksregierung Düsseldorf zugunsten der Klägerin über einen Teil der Grundstücke den Rückenteignungsbeschluss Teil A vom 01.06.1992. Die Anfechtungsklage der Beklagten hiergegen war in letzter Instanz erfolglos (BVerwG 31.08.2000, NVwZ 2001, 198). Am 01.10.2002 erließ die Bezirksregierung Düsseldorf den Rückenteignungsbeschluss Teil B, in welchem sie bestimmte, dass die Klägerin an die Beklagte eine Rückenteignungsentschädigung in Höhe von 1.538.000 € zu zahlen habe und die Rückenteignungsentschädigung ab dem 01.10.2002 zu verzinsen sei; wegen des genauen Wortlauts und weiteren Inhalts des Rückenteignungsbeschlusses Teil B wird auf Bl. 19 - 28 GA Bezug genommen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass für die Rückenteignungsentschädigung derselbe Betrag je qm anzusetzen sei, wie er 1963 als Enteignungsentschädigung festgesetzt und gezahlt wurde. Sie hat beantragt,

unter Aufhebung des Rückenteignungsbeschlusses Teil B der Bezirksregierung Düsseldorf vom 01.10.2002 die Entschädigung für die Rückenteignung der Fläche Gemarkung R., Flur 1..., Flurstücke 2..., 2... (teilweise) und 2... auf 112.024,00 € festzusetzen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

widerklagend,

den Rückenteignungsbeschluss Teil B der Bezirksregierung Düsseldorf vom 01.10.2002 zu AZ 15.41-7/2000, zugestellt am 07.10.2002, teilweise abzuändern und die Klägerin zu verpflichten, an die beklagte B. eine weitere Rückenteignungsentschädigung in Höhe von 660.727,16 € zuzüglich gesetzlicher Zinsen zu zahlen.

Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Rückenteignungsentschädigung dem Wert der Grundstücke zum Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung des BVerwG über den Rückenteignungsbeschluss Teil A (31.08.2000) entsprechen müsse.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme unter teilweiser Abänderung des Rückenteignungsbeschlusses Teil B vom 01.10.2002 die Entschädigung für die Rückenteignung auf 1.372.000 € festgesetzt; im übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, maßgeblich für die Rückenteignungsentschädigung sei gemäß §§ 17 Abs. 3, 47 Abs. 1 LBeschG in sinngemäßer Anwendung der Verkehrswert der Grundstücke beim Erlass des Rückenteignungsbeschlusses Teil A, d.h. am 01.06.1992. Dieser Wert betrage nach dem eingeholten, überzeugenden Sachverständigengutachten 1.494.317 €. Für die nach dem 01.06.1992 vorgenommene Sanierung der Häuser könne die Beklagte von der Klägerin weder nach dem LBeschG noch aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Anlehnung an das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung etwas verlangen; diese Kosten habe sie auf eigenes Risiko aufgewendet. Durch die anschließende Vermietung der Häuser durch die Beklagte sei eine Minderung des Grundstückswerts um 122.176 € eingetreten und damit (gerundet) auf den festgesetzten Betrag. Wie im Rückenteignungsbeschluss Teil B angeordnet, sei die Rückenteignungsentschädigung zu verzinsen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Die Beklagte beharrt darauf, dass Bewertungsstichtag der 31.08.2000 sein müsse. Bei einer Bewertung nach den Verhältnissen vom 01.06.1992 müsse die Rückenteignungsentschädigung hilfsweise wenigstens ab diesem Tag verzinst werden. Zudem habe das Landgericht die Bewertung per 01.06.1992 in drei Punkten fehlerhaft vorgenommen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und unter teilweiser Abänderung des Rückenteignungsbeschlusses Teil B der Bezirksregierung Düsseldorf vom 01.10.2002 zu AZ 15.41-7/2000 die Entschädigung für die Rückenteignung der Fläche Gemarkung R., Flur 1..., Flurstücke 2..., 2... (teilweise) und 2...

1. auf insgesamt 2.198.555,00 € zuzüglich der gesetzlichen Zinsen (§ 17 Abs. 4 LBeschG) seit dem Rückenteignungsbescheid Teil B vom 01.10.2002 an die Klägerin festzusetzen;

2. hilfsweise 1.538.000 € zuzüglich der gesetzlichen Zinsen (§ 17 Abs. 4 LBeschG) sei dem Rückenteignungsbeschluss Teil A vom 01.06.1992 festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Rückenteignungsbeschluss Teil B der Bezirksregierung Düsseldorf vom 01.10.2002 abzuändern und die Entschädigung für die Rückenteignung der Grundstücke Gemarkung R., Flur 1..., Flurstücke 2..., 2... (teilweise) und 2... auf 112.024,00 € festzusetzen,

wobei sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, sie möchte ihren Berufungsantrag so verstanden wissen, dass ausschließlich der Betrag von 112.024,00 € zu zahlen sei.

Die Klägerin bleibt dabei, dass die Rückenteignungsentschädigung mit dem Betrag der Enteignungsentschädigung identisch sein müsse.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Wegen des Sachverhalts im übrigen und der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil verwiesen sowie auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. S. einschließlich seiner Ergänzungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Beide Berufungen sind zulässig, haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat die von der Klägerin aufzubringende Rückenteignungsentschädigung zu Recht in der Hauptsumme auf 1.372.000 € festgesetzt.

1.

Es ist richtig, die Entschädigung nach den Wertverhältnissen zum Zeitpunkt der Rückenteignung zu bestimmen und nicht auf die ursprüngliche Enteignung abzustellen.

a)

Nach Wortlaut und Systematik des LBeschG ist der Zeitpunkt der Rückenteignung maßgeblich. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts sowie des von ihm in Bezug genommenen Urteils des OLG Köln (18.01.1996, NJW 1996, 2799) verwiesen werden. Die Angriffe der Klägerin hiergegen überzeugen nicht.

aa)

So bedeutet die in § 57 Abs. 4 LBeschG angeordnete sinngemäße Anwendung der Bestimmungen über die Enteignung, darunter § 17 Abs. 3 Satz 1 LBeschG über die Bemessung der Enteignungsentschädigung nach dem Grundstückszustand beim Erlass des Enteignungsbeschlusses, gerade nicht, dass auch für die Rückenteignung dieser - jetzt vergangene - Zustand zugrunde zu legen wäre. Das wäre keine sinngemäße Anwendung, sondern eine unmittelbare.

bb)

Aus den verschiedenen Tatbestandsalternativen des § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG einerseits, ihrer mit § 57 Abs. 4 LBeschG einheitlich angeordneten Rechtsfolge andererseits ergibt sich nichts im Sinne der Klägerin.

Zwar trifft es zu, dass die erstgenannte Alternative ("wenn das Grundstück nicht mehr für Aufgaben im Sinne des § 1 benötigt wird") zwei verschiedene Fallgestaltungen umfasst, nämlich neben der hier interessierenden Konstellation, dass die dem Enteignungszweck entsprechende Nutzung eine Zeit lang durchgeführt wurde, auch diejenige, dass der Enteignungszweck schon vor Nutzungsbeginn wieder wegfiel (BVerwG 17.09.1998, NJW 1999, 1271, 1273); einen weiteren Fall der vorherigen Zweckverfehlung regelt die zweitgenannte Alternative ("mit der Ausführung des Vorhabens ... nicht binnen zweier Jahre ... begonnen wurde"). Richtig ist weiter, dass es bei einer Rückenteignung deshalb, weil das Grundstück niemals dem Enteignungszweck zugeführt wurde, angemessen, wenn nicht gar verfassungsrechtlich geboten ist, wegen der Rück-Entschädigung grundsätzlich auf den Wert zum Enteignungszeitpunkt abzustellen (BGH 21.02.1980, NJW 1980, 1571, 1572). Schließlich differenziert § 57 LBeschG hinsichtlich der Rechtsfolge in der Tat nicht zwischen den genannten drei Alternativen seines Abs. 1, sondern ordnet in Abs. 3 für alle gleichermaßen die sinngemäße Anwendung der §§ 17 ff. LBeschG an.

Aus alledem folgt jedoch nur, dass es in den Fällen vorheriger Zweckverfehlung im Lichte der aktuellen verfassungsrechtlichen Erkenntnisse nicht möglich sein mag, gemäß dem Wortlaut und der Systematik des LBeschG auf den Wert bei Rückenteignung abzustellen, sondern dass es in diesen Fällen einer Korrektur bedarf (hierzu näher unten d)). Nicht berechtigt ist dagegen die weitere Schlussfolgerung, dass der Gesetzgeber den - hier gegebenen - Fall des Zweckwegfalls nach durchgeführter Nutzung mit einer anderen Rechtsfolge versehen haben würde als den der vorherigen Zweckverfehlung, wenn er dafür nicht die Rück-Entschädigung gleich der ursprünglichen Enteignungsentschädigung setzten wollte. Der Gesetzgeber von 1957 verfügte noch nicht über jene aktuellen verfassungsrechtlichen Erkenntnisse, die die genannte Gleichsetzung begründen. Vielmehr war es bis zur Entscheidung des BVerfG vom 12.11.1974 (NJW 1975, 37 = BVerfGE 38, 175) herrschende Meinung, dass der Gesetzgeber frei sei, ob er auch nur in den Fällen vorheriger Zweckverfehlung überhaupt einen Anspruch auf Rückenteignung vorsah (s. die Vorgeschichte dieser Entscheidung, berichtet in BGH 21.02.190, NJW 1980, 1571), und somit erst recht bei der Festsetzung der etwaigen Rückentschädigung.

cc)

Nicht entschieden zu werden braucht, ob die Auffassung der Klägerin zutrifft, dass dann, wenn die ursprüngliche Entschädigung in Land erfolgte, bei der Rückenteignung lediglich die beiden Grundstücke wieder zu tauschen sind, oder ob nicht gem. § 57 Abs. 4 i.V.m. § 24 LBeschG für eine zwischenzeitlich unterschiedliche Wertentwicklung ein finanzieller Ausgleich zu leisten wäre. Hier ist ein glatter Tausch von Sachwerten von vorn herein nicht möglich. Entsprechendes gilt für das Argument der Klägerin, dass bei der Rückenteignung eines beschränkten dinglichen Rechts ausschließlich dieses Recht wieder zu begründen sei.

b)

Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Formulierung in der Begründung des Regierungsentwurfs zu - damals - § 55 LBeschG (BT-Drs. 2/1977, Bl. 526 - 528 GA), der Enteignete solle "unter gewissen Voraussetzungen verlangen können, daß der frühere Rechtszustand wiederhergestellt wird", gibt für eine Beschränkung auf den Nominalbetrag der ursprünglichen Enteignungsentschädigung nichts her.

c)

Dieser Befund wird durch den Vergleich mit anderen Regelwerken nicht in Zweifel gezogen, sondern im Gegenteil weiter bestätigt.

Wo die Rückenteignungsentschädigung grundsätzlich durch die seinerzeit geleistete Entschädigung bestimmt wird (z.B. § 43 Abs. 3 Satz 2 Bundesleistungsgesetz (BLG)), ist weiter angeordnet, dass seitdem eingetretene Wertveränderungen zu berücksichtigen sind (§ 43 Abs. 3 Satz 3 BLG); wo sie dadurch grundsätzlich begrenzt wird (z.B. § 103 Satz 4, 1. Halbsatz BauGB; § 43 Satz 4, 1. Halbsatz EEG NW), ist vorgesehen, dass werterhöhende Aufwendungen zu berücksichtigen sind (§ 103 Satz 4, 2. Halbsatz BauGB; § 43 Satz 4, 2. Halbsatz EEG NW). Demgegenüber enthält das LBeschG keine ausdrücklichen Vorschriften über die Berücksichtigung von zwischenzeitlichen Wertveränderungen, so dass, würde man ohne weiteres auf die frühere Enteignungsentschädigung abstellen, diese ungeachtet solcher Veränderungen zu zahlen wäre, was selbst die Klägerin - für den Fall von Wertminderungen - nicht als angemessen erachtet. Dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit von Wertveränderungen und ein Regelungsbedürfnis dafür bei der Abfassung des LBeschG bewusst war, belegt die zitierte Bestimmung des einige Monate älteren BLG. Stellt man jedoch statt auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Enteignung auf denjenigen der Rückenteignung ab, dann sind zwischenzeitliche Wertveränderungen bereits erfasst, und dem Regelungsbedürfnis ist der Sache nach genüge getan.

In diesem Zusammenhang teilt der Senat nicht das von der Klägerin vertretene Verständnis der letztinstanzlichen Entscheidung über Teil A des Rückenteignungsbeschlusses (BVerwG 31.08.2000, NVwZ 2001, 198). Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort formuliert (a.a.O, S. 200), den Wertverhältnissen komme (erst) dann Bedeutung zu, wenn die Rückabwicklung stattfindet, und der Ausgleich etwaiger Grundstückwertsteigerungen oder -minderungen richte sich nach § 57 Abs. 4 LBeschG, welcher sich von § 103 Satz 4 BauGB und § 43 Abs. 3 BLG insofern abhebe, als er u.a. die für die Enteignungsentschädigung maßgeblichen Bestimmungen sinngemäß für anwendbar erkläre, dann wird damit nicht gesagt, dass ein solcher Ausgleich nicht stattfindet, sondern im Gegenteil, dass er durch das Regelungskonzept des LBeschG ebenfalls gewährleistet wird.

d)

Der so ermittelte Sinngehalt des § 57 Abs. 4 i.V.m. § 17 Abs. 3 LBeschG verstößt nicht gegen Art. 14 GG und fordert keine Korrektur durch verfassungskonforme Auslegung.

Einer verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit des Abstellens auf den Rückenteignungszeitpunkt in den Fällen, in denen der Enteignungszweck niemals verwirklicht wurde (s.o. a) aa)), ist in solchen Fällen durch geeignete rechtliche Schlussfolgerungen zu begegnen, z.B. einer verfassungskonformen Auslegung. Für Fälle wie den hier interessierenden, in denen das Grundstück dem Enteignungszweck tatsächlich gedient hat, folgt daraus nichts. Darin liegt entgegen der Auffassung der Klägerin kein Wertungswiderspruch. Eine im Lichte neuerer verfassungsrechtlicher Erkenntnisse gebotene verfassungskonforme Auslegung eines älteren Gesetzes hat sich auf das verfassungsrechtlich Erforderliche zu beschränken und führt nicht dazu, dass das Gesetzesverständnis auch in seinen übrigen, unbedenklichen Teilen anzupassen wäre.

In den Fällen, in denen das Grundstück dem Enteignungszweck lange Zeit gedient hat, bestehen gegen die Anknüpfung an den Rückenteignungszeitpunkt keine Bedenken. Der Senat teilt die Zweifel des OLG Köln, ob unter diesen Umständen ein verfassungsrechtliches Bedürfnis auch nur für den Anspruch auf Rückenteignung an sich besteht (18.01.1996, NJW 1996, 2799, 2801; offen gelassen auch von BVerwG 17.09.1998, NJW 1999, 1272, 1274). Jedenfalls besteht keine Notwendigkeit dafür, die Rückenteignungsentschädigung nach den Verhältnissen am ursprünglichen Enteignungsstichtag zu bemessen oder sie darauf zu beschränken. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob es mit dem Landgericht (insoweit in Anlehnung an die Ausführungen des OLG Köln, a.a.O, S. 2800, zu Sinn und Zweck des § 57 Abs. 4 LBeschG) als ausschlaggebend anzusehen ist, dass der Enteignete seinerzeit eine angemessene Entschädigung erhielt und diese nach seiner Wahl gewinnbringend anlegen konnte. Jedenfalls ist dem OLG Köln (a.a.O.) darin zuzustimmen, dass bei nachhaltiger Durchführung des Enteignungszwecks die Enteignung nicht nur formal ordnungsgemäß, sondern auch inhaltlich gerechtfertigt war, so dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einer dennoch erfolgenden Rückenteignung freier ist als im Fall anfänglicher Verfehlung des Enteignungszwecks. Von einer Enteignung aus fiskalischen Gründen oder von einer bloß beabsichtigen, aber nicht ausgeführten Verwendung für das Allgemeinwohl (Gegensatzpaar aus BVerfG 12.11.1974, NJW 1975, 37, 38) kann hier nicht die Rede sein. Vielmehr wurde das Grundstück knapp 28 Jahre lang tatsächlich für Zwecke nach § 1 Abs. 1 LBeschG verwendet.

2.

Maßgeblicher Stichtag für die Wertbemessung ist der 01.06.1992, an dem der Rückenteignungsbeschluss Teil A erlassen wurde, und insbesondere nicht der 31.08.2000, als dieser Beschluss durch die letztinstanzliche Zurückweisung der gegen ihn gerichteten Rechtsbehelfe der Beklagten bestandskräftig wurde.

Das folgt aus § 57 Abs. 4 i.V.m. § 17 Abs. 3 LBeschG, wonach es eben auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der (Rück-) Enteignungsbeschluss erlassen wird. Die Unanfechtbarkeit, auf die die Beklagte statt dessen abstellen will, ist nicht erforderlich. Wie § 49 LBeschG zeigt, war dem Gesetzgeber die Möglichkeit eines zeitlichen Auseinanderfallens von Erlass und Unanfechtbarkeit bewusst; für den Bewertungsstichtag hat er jedoch nur den Erlass für maßgeblich erklärt.

3.

Die Angriffe der Beklagten gegen den vom Landgericht für den 01.06.1992 ermittelten Wert bleiben ohne Erfolg.

a)

Es ist zutreffend, dass das Landgericht den mit Hilfe des Sachverständigen Dr.-Ing. S. ermittelten Verkehrswert der Grundstücke zum Stichtag insoweit, wie die Beklagte diese Grundstücke bzw. die auf ihnen errichteten Häuser nach dem Stichtag vermietete, um 10 % verringert hat, weil - nach Mitteilung des Sachverständigen sowie des Gutachterausschusses der Stadt R. und im übrigen unbeanstandet - vermietete Objekte in der fraglichen Lage einen Kaufpreisabschlag von im Mittel 10 % erleiden.

Das verstößt zunächst nicht gegen das Stichtagsprinzip. Vielmehr trägt es dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte nach dem Stichtag nur noch formal Eigentümerin war und als solche kein Recht mehr hatte, in wertmindernder Weise auf die materiell bereits wieder der Klägerin zustehenden Grundstücke einzuwirken.

Die Vermietung war auch eine rein wertmindernde und keine werterhaltende Maßnahme. Die Beklagte argumentiert ohne Erfolg, dass sich ohne die Vermietung der Erhaltungszustand der Häuser verschlechtert hätte. Maßgeblich ist insofern der Zustand vom 01.06.1992, d.h. unsaniert und unbewohnt. Dass im Vergleich mit diesem Zustand ein Wertverlust durch sein weiteres Andauern zu befürchten gewesen wäre, lässt sich aber nicht feststellen (s. Gutachten vom 07.09.2004, S. 85).

b)

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei der Ermittlung der Bodenwerte mit dem 1. Ergänzungsgutachten des Sachverständigen S. (dort S. 5 sowie Anl. 1) für die Vergleichsbebauung in der K. eine Geschossflächenzahl (GFZ) von 0,4 zugrunde gelegt hat.

In der ersten Instanz war zu diesem Thema lediglich bekannt, dass der Gutachterausschuss für Grundstückswerte in der Stadt R. in seinem Gutachten vom 10.12.2001 (S. 13) den Richtwert für die Lage K. zum 31.12.2000 mit 0,4 angegeben hatte. Hierauf aufmerksam gemacht, hat der Sachverständige S. in dem Sinne Stellung genommen, dass dieser Wert im Hinblick auf die erzielbaren Genauigkeiten ebenso zugrunde gelegt werden könne wie die von ihm, dem Sachverständigen, zuvor geschätzte GFZ 0,3. Dass das Landgericht unter diesen Umständen der Berechnung anhand der GFZ des Gutachterausschusses (0,4) und nicht der bloß geschätzten (0,3) den Vorzug gab, ist überzeugend.

Wenn die Beklagte in der Berufung jetzt behauptet, die GFZ 0,4 habe der Gutachterausschuss erst für die Zeit ab dem 01.01.2000 festgelegt, während vom 31.12.1993 bis zum 31.12.1999 eine GFZ von 0,3 gegolten habe und davor der Bodenrichtwert überhaupt keine GFZ enthalten habe, kann das nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden.

c)

Schließlich verlangt die Beklagte zu Unrecht, dass als zusätzlich mögliche Bebauung größere und damit wertvollere Häuser in die Berechnung einfließen sollen, als sie im 2. Ergänzungsgutachten des Sachverständigen S. dargestellt sind (zeichnerisch in Anl. 2) und nach der Auffassung des Landgerichts am 01.06.1992 nach § 34 BauGB zulässig gewesen wären.

Es ist nicht erkennbar, wie die von der Beklagten vorgestellte zusätzliche Bebauung konkret aussehen soll. Die bloße Angabe von Geschossflächenzahlen leistet das nicht. Hinter identischen Geschossflächenzahlen können sich ganz unterschiedliche Baukörper verbergen, und über die Position auf dem Grundstück sagt die GFZ überhaupt nichts aus.

Klar ist lediglich, dass größere Geschossflächenzahlen ein größeres Gebäude voraussetzen, sei es in der Grundfläche, sei es in der Höhe oder in einer Kombination aus beidem; dies ist gerade das Anliegen der Beklagten. Wenn die links und rechts an die Doppelhaushälften anzubauenden (Reiheneck-) Häuser aber entweder in der Grundfläche größer wären als diese damit zu Reihenmittelhäusern werdenden Doppelhaushälften, oder wenn sie letztere in der Höhe überragten, würde sich dies nicht mehr in die Umgebung einfügen, welche durch die kleinen Doppelhaushälften sowie auf der anderen Seite der Straße die Viererreihen ebenso kleiner Reihenhäuser geprägt wird. Dasselbe gälte für eine andere Anordnung der zusätzlichen Häuser als - größere - Einzelhäuser auf den Grundstücken.

Nach alledem kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte sich in erster Instanz die Beschreibung der denkbaren zusätzlichen Bebauung aus dem 2. Ergänzungsgutachten sogar ausdrücklich zu eigen gemacht hat (§ 531 Abs. 2 ZPO).

II.

Wegen der Verzinsung der Rückenteignungsentschädigung hat es das Landgericht zu Recht bei dem Ausspruch des Rückenteignungsbeschlusses Teil B belassen.

1.

An dieser Stelle ist zuerst über die Anregung zu einer Berichtigung des angefochtenen Urteils gem. § 319 ZPO zu befinden, die die Beklagte auf S. 4 ihrer Berufungsbegründung vom 13.09.2006 (Bl. 434 GA) äußert. Für eine solche Berichtigung wäre der mit der Berufung befasste Senat zwar zuständig. Eine Berichtigung ist jedoch nicht angezeigt, denn das angefochtene Urteil enthält keine offenbare, sondern überhaupt keine Unrichtigkeit i.S.d. § 319 ZPO.

Es ist vielmehr stimmig, dass das Landgericht in den Tenor seines Urteils keinen Ausspruch über Zinsen aufgenommen hat. Der Rückenteignungsbeschluss Teil B setzt die Hauptsumme der Rückenteignungsentschädigung in einer Ziff. (1) fest und die Verzinsung in einer getrennten Ziff. (2) mit dem Wortlaut: "Die Rückenteignungsentschädigung ist vom Tage des Erlasses dieses Rückenteignungsbeschlusses an gemäß § 17 Abs. 4 LBG zu verzinsen." Hiervon ändert der auf die Hauptsumme der Entschädigung beschränkte Tenor des angefochtenen Urteils nur die Hauptsumme (Ziff. (1) des Rückenteignungsbeschlusses Teil B) ab. Wegen der Zinsen bleibt es mangels eines Urteilsspruchs hierüber bei Ziff. (2) des Rückenteignungsbeschlusses Teil B. Dieser Bedeutungsgehalt seines Tenors war vom Landgericht auch gewollt, wie seine Anmerkung zur Zinsfrage in den Entscheidungsgründen (Urteil S. 22 unten, Bl. 374 GA) belegt.

2.

Die Klägerin wendet sich ohne Erfolg gegen die Verzinsungspflicht.

Ihr diesbezüglicher Angriff auf den Teilbeschluss B vom 01.10.2002 ist verfristet. Für Klagen auf abweichende Festsetzung einer Rückenteignungsentschädigung gilt gem. §§ 57 Abs. 4, 61 LBeschG eine 2-Monats-Frist. Auch wenn diese nicht ab dem in § 61 Abs. 2 Satz 2 LBeschG wörtlich genannten Zeitpunkt gerechnet wird, der Zustellung der Mitteilung über die Unanfechtbarkeit des (Rück-) Enteignungsbeschlusses Teil A - d.h. hier der nicht genau bekannten, jedenfalls aber vor dem 01.10.2002 liegenden des Urteils des BVerwG vom 31.08.2000 -, sondern statt dessen ab der Zustellung des Rückenteignungsbeschlusses Teil B am 04.10.2002, so lief sie am 04.12.2002 ab. Bis zu diesem Tag hatte die Klägerin keine Klage auf Abänderung des Rückenteignungsbeschlusses Teil B im Zinspunkt erhoben. Ihre am 04.12.2002 eingereichte Klageschrift in diesem Verfahren kündigte nur zur Hauptsumme ausdrücklich einen Antrag an. Auch der Begründung war nicht zu entnehmen, dass die Klägerin sich über den Antragswortlaut hinaus auch gegen die Zinsfestsetzung wenden wollte; die Begründung befasste sich mit keinem Wort mit der Verzinsung.

Unabhängig hiervon ist es auch materiell richtig, dass ab dem Erlass des Rückenteignungsbeschlusses Zinsen anfallen. So bestimmt es § 57 Abs. 4 i.V.m. § 17 Abs. 4 LBeschG. Dass die Rückübertragung des Eigentums bisher noch nicht stattgefunden hat, ist hierfür unerheblich. § 17 Abs. 4 LBeschG setzt das nicht voraus. Es folgt auch nicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. So ging es in dem von der Klägerin argumentativ herangezogenen Urteil des BGH vom 14.03.1997, BGHZ 135, 92, um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages, bei der es schon keine behördliche Festsetzung der für die Rückübertragung des Eigentums zu erbringenden Gegenleistung und auch keine vertraglich oder gesetzlich angeordnete Zinspflicht gab.

3.

Auf der anderen Seite kann auch nicht die Beklagte gemäß ihrem Hilfsantrag eine Abänderung des Rückenteignungsbeschlusses Teil B dahingehend verlangen, dass ihr Zinsen bereits seit dem 01.06.1992 (Erlass des Rückenteignungsbeschlusses Teil A) statt dem 01.10.2002 (Erlass des Rückenteignungsbeschlusses Teil B) zustehen.

Auch diese Klage ist verfristet nach §§ 57 Abs. 4, 61 LBeschG. Gerechnet ab der Zustellung des Rückenteignungsbeschlusses Teil B an die Beklagte am 07.10.2002, lief die 2-Monats-Frist am Montag, dem 09.12.2002, ab. Die entsprechende Klage wurde aber erstmals mit dem am 13.09.2006 eingereichten Hilfs-Berufungsantrag anhängig gemacht. In erster Instanz hat die Beklagte lediglich beantragt, die Klägerin zur Zahlung einer höheren Hauptsumme "zuzüglich gesetzlicher Zinsen" zu verpflichten. Einen anderen Zinsbeginn oder sonstige Abweichungen von Ziff. (2) des Rückenteignungsbeschlusses Teil B begehrte sie weder im Antrag noch sinngemäß in ihren sonstigen Ausführungen.

Unabhängig hiervon ist der Zinsbeginn mit dem 01.10.2002 materiell richtig angesetzt. Der Wortlaut von § 17 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 LBeschG mit seinem Abstellen auf den Erlass des (hier: Rück-) Enteignungsbeschlusses sagt nichts darüber, ob Teilbeschluss A oder Teilbeschluss B maßgeblich ist, wenn beider Erlasszeitpunkte auseinander fallen. Die Systematik spricht in diesen Fällen für Teil B, mit welchem die zu verzinsende Entschädigung erst festgesetzt wird; die rückwirkende Verzinsung einer nicht einmal betragsmäßig feststehenden Summe wäre eine Ausnahme, die ohne deutliche gesetzliche Anordnung nicht angenommen werden kann. Nicht überzeugend ist demgegenüber das Argument der Beklagten, dass anderenfalls der Rückenteignungsberechtigte die zwischen dem Erlass von Teil A und Teil B eintretende Wertsteigerung des Grundstücks vereinnahmen würde, ohne dafür eine Gegenleistung in Form von Zinsen erbringen zu müssen. Keineswegs erlebt jedes Grundstück in jeder Zeitspanne eine Wertsteigerung, sondern je nach tatsächlicher Entwicklung kann der Wert auch gleich bleiben oder fallen. Die Verzinsung schreibt das Gesetz aber mit festen Sätzen allgemein vor, d.h. gerade nicht als Gegenleistung oder Ausgleich für die Wertentwicklung des Grundstücks. Dieses Ergebnis ist auch unter wertenden Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Sobald der - rechtmäßige - Rückenteignungsbeschluss Teil A erlassen war, gebührte ein anschließender Wertzuwachs des Grundstücks wieder der Klägerin. Eine Gegenleistung hierfür in Form von Zinsen ist nicht angezeigt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht gegeben. Soweit es nicht nur um die Feststellung von Tatsachen im Einzelfall geht (oben I. 3.), stimmt das Urteil mit der Rechtsprechung der anderen Obergerichte überein und steht mit derjenigen des BGH und des BVerfG im Einklang.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 2.086.531 € (davon 826.555 € Berufung der Beklagten und 1.259.976 € Berufung der Klägerin)

Ende der Entscheidung

Zurück