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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: I-18 U 37/04
Rechtsgebiete: HGB, BGB


Vorschriften:

HGB § 425 Abs. 2
BGB § 254
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 2
BGB § 254 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8. Januar 2004 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf (31 O 177/01) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 28.985,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.256,41 € seit dem 14. April 2001, aus 6.033,57 € seit dem 18. April 2001, aus 12.949,43 € seit dem 2. Mai 2001, aus 4.098,- € seit dem 11. Mai 2001 sowie aus weiteren 2.648,49 € seit dem 16. Mai 2001 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens (BGH I ZR 86/04) tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils von ihr zu vollstreckenden Betrages leistet.

Wegen des Sach- und Streitstandes wird zunächst auf den Tatbestand des Senatsurteils vom 2. Juni 2004 verwiesen.

Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof auf die Revision der Beklagten durch Urteil vom 1. Dezember 2005 aufgehoben, weil der Senat rechtsfehlerhaft einen mitwirkenden Schadensbeitrag der Versenderin wegen Unterlassens der Wertdeklaration sowie ein Mitverschulden der Versenderin wegen unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines drohenden ungewöhnlich hohen Schadens verneint habe.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt auch bei Anwendung der im Urteil des Bundesgerichtshofs niedergelegten Rechtsgrundsätze weitgehend erfolglos. Im Einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen:

A.

Die Klägerin muss sich im Ergebnis keinen mitwirkenden Schadensbeitrag der Versenderin wegen unterlassener Wertdeklaration gemäß §§ 425 Abs. 2 HGB, 254 Abs. 1 BGB zurechnen lassen.

Zwar ist es mittlerweile gerichtsbekannt, dass die Betriebsorganisation der Beklagten zu 1. bei Versendung als Wertpaket für einzelne Transportabschnitte einen gegenüber Standardsendungen gesteigerten Kontroll- und Transportaufwand vorsieht. Wie der Bundesgerichtshof im Revisionsurteil ausgeführt hat, ist auch davon auszugehen, dass der Versenderin dieser Umstand bekannt gewesen ist, weil Ziffer 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten zu 1. für wertdeklarierte Pakete eine Höherhaftung vorsieht.

Dieser Mitverschuldenseinwand greift jedoch nicht durch, weil mittlerweile auch gerichtsbekannt feststeht, dass die Beklagte zu 1. die besonderen Kontrollmaßnahmen tatsächlich nicht durchführt, wenn ein Versender, der - wie die Firma V. - EDI- Kunde der Beklagten zu 1. ist, die Wertdeklaration vornimmt, indem er den Warenwert des Pakets in der für die Angabe des Haftungswerts vorgesehenen Rubrik EDV-mäßig eingibt. Denn wenn der Versender sich darauf beschränkt, in der elektronischen Auftragserteilung die Versendung als Wertpaket zu bestellen, wird das Paket gleichwohl nur wie ein Paket im Standardtarif transportiert.

Um ein Paket als Wertpaket zu versenden, ist es im sogenannten EDI-Verfahren zum einen erforderlich, die Wertdeklaration bei der Eingabe der Paketdaten vorzunehmen. Dies allein gewährleistet jedoch noch nicht, dass das Paket tatsächlich auch in diesem Versandverfahren befördert wird. Wenn der Versender nämlich das Paket nach der EDV-mäßigen Wertdeklaration zusammen mit den anderen Paketen in den Feeder gibt, wird dieses Paket - wie die Beklagte zu 1. in einer Vielzahl anderer Berufungsverfahren eingeräumt hat - trotz erfolgter Wertdeklaration weiterhin wie eine Standardsendung befördert. Dies beruht letztendlich darauf, dass nach der Betriebsorganisation der Beklagten zu 1. der Wertpakettransport dadurch in Gang gesetzt wird, dass der Abholfahrer dem Centerleiter des Eingangsdepots das wertdeklarierte Paket mit dem Hinweis auf die erfolgte Wertdeklaration übergibt. Da der Fahrer bei Wertdeklarationen, die rein elektronisch per EDV erfolgen, keine Möglichkeit hat, die erfolgte Wertdeklaration des Pakets zu erkennen, kann er ein wertdeklariertes Paket, das sich im Feeder befindet, nicht aus dem Feeder heraussuchen und dem Centerleiter gesondert unter Hinweis auf die erfolgte Wertdeklaration übergeben.

Dass und gegebenenfalls wie die Beklagte zu 1. ansonsten sicherstellt, dass auch im EDI-Verfahren Wertpakete mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert werden, haben die Beklagten darüber hinaus ebenfalls nicht dargetan. Die von ihnen über die Beförderung von Wertpaketen vorgetragenen Kontrollen können jedenfalls bei Kunden, die am EDI-Verfahren teilnehmen, nicht umgesetzt werden. So kann zum Beispiel der Einsatzleiter den Abgleich zwischen den Adressaufkleberinformationen und den Versanddokumenten nicht vornehmen, weil es im EDI-Versandverfahren gar keine Versanddokumente mehr gibt. Folglich kann der Fahrer auch nicht den Empfang des Wertpaketes auf dem Absendebeleg quittieren. Schließlich kann der Einsatzleiter auch nicht die Plombennummer und die Containernummer auf dem (nicht vorhandenen) Frachtbrief eintragen.

Die Beklagten haben nicht dargelegt, dass und wie die Beklagte zu 1. die Firma V. darüber belehrt hat, was sie, die Firma V., gegebenenfalls tun muss, um im EDI-Verfahren den mit der Wertdeklaration einhergehenden besseren Schutz tatsächlich zu erhalten, so dass der Senat davon ausgehen muss, dass die Firma V. sich tatsächlich darauf beschränkt hätte, die Wertdeklaration lediglich EDV-mäßig in die Versanddaten aufzunehmen, wenn sie das Paket als Wertpaket hätten versenden wollen.

Auf diesen Mangel im Sachvortrag hat der Senat die Beklagten bereits in einer Vielzahl vorausgegangener Verfahren hingewiesen, so dass den Beklagten dieser Umstand bekannt ist.

Der hiergegen von der den Beklagten erhobene Einwand, die Versenderin müsse das Paket dem Fahrer gesondert unter Hinweis auf den bestellten Wertpakettransport übergeben, verfängt nicht, weil die Versenderin dies nicht weiß. Nachdem die Beklagte zu 1. ihren Großkunden eine Software zur Verfügung gestellt hat, die eine Rubrik für den einzutragenden Haftungswert und damit zugleich auch für die Bestellung eines Wertpakettransports enthält, dürfen die EDI-Kunden davon ausgehen, mit der EDV-mäßigen Eintragung des Warenwertes alles Erforderliche getan zu haben, um die bestellte Wertpaketbeförderung tatsächlich auch zu erhalten (vgl. BGH Urteil vom 1. Dezember 2005, Az.: I ZR 117/04).

B.

Die Beklagten wenden jedoch im Ausgangspunkt zu Recht ein, dass die Schadensersatzansprüche der Firma V. wegen eines Mitverschuldens an der Schadensentstehung wegen unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines drohenden ungewöhnlich hohen Schadens gemindert sind, soweit die Warensendungen einen Wert von mehr als 5.000,- € hatten. Hierauf beruht der geringe Teilerfolg der Berufung. Im Einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen:

Gemäß § 425 Abs. 2 HGB hängen die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes davon ab, inwieweit bei der Entstehung des Schadens ein Verhalten des Absenders mitgewirkt hat. Die Vorschrift des 425 Abs. 2 HGB greift den Rechtsgedanken des § 254 BGB auf und fasst alle Fälle mitwirkenden Verhaltens des Ersatzberechtigten in einer Vorschrift zusammen. Ein mitwirkender Schadensbeitrag des Versenders kann sich daher auch daraus ergeben, dass er von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens abgesehen hat. Die vom Bundesgerichtshof zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 zu § 254 Abs. 1 und 2 BGB ergangenen Entscheidungen sind somit ohne inhaltliche Änderungen auf § 425 Abs. 2 HGB übertragbar (BGH Urteil vom 1. Dezember 2005, Az. I ZR 108/04).

Den Auftraggeber trifft gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB die allgemeine Obliegenheit, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um dem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird.

In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte oder hätte wissen müssen, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Ein Mitverschulden wegen Absehens von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) setzt auch nicht die Feststellung voraus, dass der Frachtführer Wertsendungen generell sicherer befördert. Die Kausalität des Mitverschuldenseinwands nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte (BGH, Urteil vom 1.12.2005, Az. I ZR 265/03).

Die Voraussetzung einer ungewöhnlichen Höhe des Schadens lässt sich nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten Wertrelation angeben. Die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, kann vielmehr regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, welche Höhe Schäden erfahrungsgemäß - also nicht nur selten - erreichen. Weil die Sicht des Schädigers maßgeblich ist, ist namentlich zu berücksichtigen, in welcher Höhe dieser, soweit für ihn die Möglichkeit einer vertraglichen Disposition besteht, Haftungsrisiken einerseits vertraglich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist. Angesichts dessen, dass nach den Geschäftsbedingungen der Beklagten in ersterer Hinsicht Beträge bis zu 510,- € und in letzterer Hinsicht 50.000,- US $ im Raum stehen, liegt es nahe, die Gefahr eines besonders hohen Schadens im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert der Sendung 5.000,- € übersteigt.

Im Rahmen der Haftungsabwägung berücksichtigt der Senat beim Mitverschulden wegen Absehens von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens zum einen, dass der Versender der Beklagten durch den unterlassenen Hinweis auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes die Möglichkeit genommen hat, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Dieses den Versendern anzulastende Verschulden nach § 254 Abs. 2 BGB ist nach Auffassung des Senats geringer einzustufen als das einem Versender nach § 254 Abs. 1 BGB anzulastende Verschulden, die Waren nicht als Wertpaket versandt zu haben. Denn der Vorwurf, für das Transportgut nicht die sicherste Beförderung gewählt zu haben, wiegt schwerer als die Verletzung der allgemeinen Obliegenheit, nicht auf die Gefahr eines drohenden ungewöhnlich hohen Schadens hingewiesen zu haben.

Bei der Bemessung der Höhe des Mitverschuldens hat der Senat ferner berücksichtigt, dass nach der Rechsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls in Schadensfällen, in denen der Wert der Sendung sich in dem Rahmen bewegt, für den die Beklagte von der Möglichkeit einer vertraglichen Disposition Gebrauch gemacht hat, Haftungsrisiken von vornherein auszuschließen, das Mitverschulden des Versenders wegen Nichtversendung als Wertpaket nicht höher als 50 % betragen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2004, Az.: I ZR 120/02).

Für die Höhe des Mitverschuldens ist ferner der Wert der transportierten Ware von Bedeutung. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Mitverschulden des Versenders, für die Beförderung des Pakets nicht die sicherste Transportart in Auftrag gegeben zu haben, umso schwerer wiegt, je wertvoller die Ware im Paket gewesen ist. Diese Überlegung muss nach Auffassung des Senats auch für den hier in Rede stehenden Mitverschuldenseinwand wegen unterlassenen Hinweises auf einen drohenden ungewöhnlich hohen Schaden gelten. Denn diese unterlassene Warnung der Beklagten wiegt umso schwerer, je höher der Warenwert der Sendung ist.

In der Gesamtschau dieser einzelnen Gesichtspunkte kommt der Senat nach umfassender Abwägung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis, das Mitverschulden des Versenders durch eine stufenweise Kürzung des Schadensersatzanspruches zu berücksichtigen. Sofern der Fall keine weiteren, für die Abwägung bedeutsamen Besonderheiten aufweist, erachtet der Senat es als angemessen, den Schadensersatzanspruch für die ersten 5.000,- € des Warenwertes ungekürzt zu lassen. Für den zwischen 5.000,01 € und 10.000,- € liegenden Warenwert der Sendung wird der Schadensersatzanspruch um 20 % gekürzt. Bei den darüber hinausgehenden Warenwerten wird der Kürzungsprozentsatz stufenweise für jede angefangenen weiteren 5.000,- € um einen Prozentpunkt erhöht. Mithin ist beispielsweise ein Schadensersatzanspruch für eine Warensendung im Wert von 15.000,- € wegen Mitverschuldens nach § 254 II 1 BGB um 2.050,- € (nämlich um 20 % von 5.000,- € plus 21 % von 5.000,- €) zu kürzen, so dass ein Anspruch in Höhe von 12.950,- € verbleibt.

In den Schadensfällen 1 bis 5 lag der Wert der Warensendungen unter 5.000,- €, so dass sich die Klägerin insoweit kein Mitverschulden wegen unterlassener Warnung vor einem ungewöhnlich hohen Schaden entgegen halten lassen muss.

Im Schadensfall 6 betrug der Wert der Warensendung 13.555,99 DM, also 6.931,07 €. Dieser Schadensersatzanspruch ist gemäß den obigen Ausführungen wegen des unterlassenen Hinweises auf den drohenden ungewöhnlich hohen Schaden um 20 % von 1.931,07 € gleich 386,21 € zu kürzen.

Im Schadensfall 7 lag der Sendungswert bei 10.551,33 DM gleich 5.394,81 €. Hieraus errechnet sich eine Kürzung wegen des Mitverschuldens in Höhe von 78,96 €.

C.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs.2, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Ein Anlass, zugunsten der Beklagten die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 543 Abs. 2 ZPO.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 29.451,08 €.

Ende der Entscheidung

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