Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.07.2005
Aktenzeichen: I-18 U 40/05
Rechtsgebiete: VVG, HGB, CMR, ZPO


Vorschriften:

VVG § 67
HGB § 425
HGB § 429 Abs. 3 Satz 2
HGB § 435
HGB § 439 Abs. 1 Satz 2
HGB § 452
HGB § 459
CMR Art. 17
CMR Art. 29
CMR Art. 32 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 287
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. Februar 2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts Neuss wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagte hat für den in ihrem Obhutsgewahrsam eingetretenen Warenverlust unbeschränkt einzustehen.

I.

Die Klägerinnen sind aktivlegitimiert.

1.

Die Klägerin zu 1 ist in geltend gemachter Höhe von 1.686,60 € aufgrund einer Abtretung der A. GmbH bzw. aus § 67 VVG aktivlegitimiert.

Die A. GmbH war als Vertragspartner der Beklagten Anspruchsinhaberin. Soweit die Klägerinnen vorgetragen haben, die A. GmbH habe die Beklagte mit dem Transport der einzelnen Frachtsendungen jeweils im Namen und für Rechnung der betroffenen Konzerngesellschaften beauftragt, so dass die Klägerin zu 2 Vertragspartner der Beklagten sei, haben sie für dieses von der Beklagten bestrittene Vorbringen keinerlei Sachvortrag gehalten, der diese Rechtsansicht zu stützen geeignet wäre. Mithin muss davon ausgegangen werden, dass die A. GmbH als dasjenige Unternehmen, welches der Beklagten das Paket mit der Endnummer 1128 übergeben hat, deren Auftraggeber war.

Sollte die von der Klägerin zu 1 als führender Versicherer der A. GmbH und ihrer Konzerngesellschaften auf diesen Schadensfall an die Klägerin zu 2 gezahlte Entschädigung von 1.686,60 € einen Anspruchsübergang nach § 67 VVG bewirkt haben, so wäre die Klägerin zu 1 in dieser Höhe nach dieser Bestimmung aktivlegitimiert. Sollte dem nicht so gewesen sein, ergäbe sich die Aktivlegitimation der Klägerin zu 1 aus einer Abtretung der A. GmbH, die die Klägerin zu 1 konkludent angenommen hat, indem sie hierauf gestützt Klage gegen die Beklagte erhoben hat. Die Klägerinnen haben bereits in der Klageschrift vorgetragen, die A. GmbH habe "sämtliche ihr zustehenden Schadensersatzansprüche an die Klägerin zu 1 abgetreten". Auch in zweiter Instanz heben die Klägerinnen diese Abtretung nochmals hervor. Dem ist die Beklagte weder in erster noch in zweiter Instanz entgegen getreten, weswegen der Senat von einer derartigen Abtretung auszugehen hat.

2.

Auch die Klägerin zu 2 ist in geltend gemachter Höhe von 2.500 € aktivlegitimiert.

Sollte sie Vertragspartner der Beklagten geworden sein, wofür allerdings nichts spricht (siehe oben), wäre sie in Höhe des ihr verbliebenen Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte aus eigenem Recht aktivlegitimiert. Anderenfalls ergäbe sich ihre Aktivlegitimation aus der in nicht verjährter Zeit vorgenommenen, hinreichend bestimmten Abtretung der A. GmbH vom 27.09.2004 (Anl. K 7, Bl. 133 GA). Diese hat die Klägerin zu 2 angenommen, indem sie die in diesem Verfahren geltend gemachten Ansprüche auch hierauf gestützt verfolgt.

Die A. GmbH konnte am 27.09.2004 noch Ansprüche in dieser Höhe an die Klägerin zu 2 abtreten. Zwar datiert die von der A. GmbH an die Klägerin zu 1 vorgenommene Abtretung vor der Abtretung vom 27.09.2004, weil die erstgenannte Abtretung bereits in der Klageschrift vom 27.01.2004 erwähnt wird. Jedoch hat die Klägerin zu 1 die als Anl. K 7 zur Akte gereichte, zeitlich erste, unbeschränkte Abtretungserklärung lediglich in Höhe von 1.686,60 € konkludent angenommen, was sich daraus ergibt, dass sie gestützt auf diese Abtretungserklärung nur in dieser Höhe Klage erhoben hat. Sollte es zu einem Anspruchsübergang nach § 67 VVG gekommen sein, so wäre dieser auf 1.686,60 € beschränkt und würde nicht den Selbstbehalt von 2.500 € erfassen.

II.

Es steht fest, dass die Beklagte von der A. GmbH am 29.04.2002 unter anderem die Pakete mit den Endkontrollnummern 1137 und 1128 übernommen hat. Da die Beklagte die Ablieferung des letztgenannten Pakets nicht beweisen kann, ist von einem Warenverlust in ihrem Obhutsgewahrsam auszugehen.

III.

Für den aus diesem Verlust entstandenen Schaden hat die Beklagte nach §§ 425, 435, 452, 459 HGB bzw. nach Art. 17, 29 CMR, wenn der Transport nach Portugal, was unwahrscheinlich erscheint, per LKW erfolgte, unbeschränkt einzustehen.

Die Beklagte haftet unbeschränkt, § 435 HGB, Art. 29 CMR. Denn sie führt nicht an sämtlichen Umschlagstellen hinreichende Eingangs- und Ausgangskontrollen durch. Das Unterlassen von hinreichenden Schnittstellenkontrollen stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats ein qualifiziertes Verschulden i.S.v. § 435 HGB, Art. 29 CMR dar. Dies führt nach den vorgenannten Bestimmungen zum Wegfall der Haftungsbefreiungen und -begrenzungen.

Darüber hinaus begründet der Umstand, dass die Beklagte außerstande ist, darzulegen, wie es zu dem Verlust der Warensendungen gekommen ist, nach der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommenen Einlassungsobliegenheit des Frachtführers eine Vermutung dahin, dass die Beklagte beziehungsweise ihre Erfüllungsgehilfen die Verlustschäden leichtfertig verursacht haben.

Art. 18 Abs. 1 WA 1955 greift als Anspruchsgrundlage hingegen nicht ein. Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch hiernach ist, dass der Verlust von Gütern während der Luftbeförderung eintritt. Gemäß Art. 18 Abs. 2 und 3 WA 1995 umfasst der Zeitraum der Luftbeförderung grundsätzlich nicht die Beförderung zu Lande außerhalb eines Flughafens. Für einen Verlust des Pakets während der Luftbeförderung fehlt indes jeglicher Anhaltspunkt.

IV.

Die gegen eine unbeschränkte Haftung in der Berufungsbegründung unter I., II., III., IV. und VI zum wiederholten Male vorgebrachten Argumente der Beklagten greifen nicht durch, wie der Senat bereits vielfach entscheiden hat.

Der Senat verbleibt dabei, dass sich Ziffer 2 der Beförderungsbedingungen der Beklagten keine positive Kenntnis des Versenders von den nicht durchgängig durchgeführten Schnittstellenkontrolle entnehmen lässt. Die Bestimmung sagt keineswegs "klar", dass die Beklagte keine Transportwegekontrollen durchführt. Soweit die Beklagte meint, die vom Senat insbesondere unter Berücksichtigung des "insbesondere"-Halbsatzes vorgenommene Auslegung dieser Klausel sei grammatikalisch und logisch unmöglich, verfängt diese Kritik aus Sicht des Senats nicht.

V.

Der Senat hat keine Bedenken, im Rahmen einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO anzunehmen, dass sich in dem in Verlust geratenen Paket mit der Endnr. 1128 insgesamt 30 AMD-Prozessoren (20 B. XP 1700+ und 10 B. XP 1900+) befanden.

Ein Anscheinsbeweis scheitert allerdings daran, dass die Klägerinnen lediglich eine Handelsrechnung, aber keinen Lieferschein vorlegen. Der Bundesgerichtshof macht den Anscheinsbeweis von der Vorlage einer Handelsrechnung und einem hiermit korrespondierenden Lieferschein abhängig.

Gleichwohl ist der Senat vom Paketinhalt mit der für eine Schadensschätzung hinreichenden Sicherheit überzeugt. Zu Recht hat das Amtsgericht in diesem Zusammenhang auf das Paketgewicht abgestellt. Nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen der Klägerinnen wog das in Verlust geratene Paket 12,141 kg. Dies belegt die Seite 10 der Konzernrechnung von 20.04.2002 (Anlage K 2). Unbestritten und belegt durch die Anlagen K 3 und K 4 wiegt 1 AMD-Prozessor des Typs B. XP 1700+ 0,39 kg und 1 AMD-Prozessor des Typs B. XP 1900+ 0,327 kg. Hiernach wogen 20 AMD-Prozessoren des Typs B. XP 1700+ 7,8 kg und 10 des Typs B. XP 1900+ 3,27 kg, so dass die 30 Prozessoren ein Gesamtgewicht von 11,07 kg aufwiesen. Zuzüglich Verpackung ergibt sich damit ein Paketgewicht von ca. 12 Kilogramm. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Paket Nr. 1128 andere Waren enthielt, obgleich sein Gewicht exakt demjenigen entsprach, welches es aufweisen würde, wenn es mit den von den Klägerinnen für dieses Paket vorgesehenen Waren gefüllt worden wäre, ist so gering, dass sie im Rahmen der Schadensschätzung außer Betracht bleiben kann.

Es ist ausgeschlossen, dass die insgesamt 40 für die Empfängerin bestimmten Prozessoren (neben den bereits Erwähnten sollten weitere 10 des Typs B. XP 2000+ übersandt werden) anders verpackt waren als 30 in dem Paket 1128 und 10 in dem weiteren Paket 1137. Letztgenanntes Paket wog 4,407 kg, wie sich aus S. 10 der Konzernrechnung ergibt. Dieses Gewicht stimmt mit zehn AMD-Prozessoren zuzüglich Verpackung überein.

Damit steht mit der für eine Schadensschätzung hinreichenden Wahrscheinlichkeit fest, dass das in Verlust geratene Paket 30 AMD-Prozessoren enthielt. Zwar ist offen, ob sich in dem in Verlust geratenen Paket neben den 20 Prozessoren des Typs B. XP 1700+ 10 B. XP 1900+ oder 10 B. XP 2000+ befanden. Da die Prozessoren des Typs B. XP 1900+ preiswerter sind als die des Typs B. XP 2000+, wird die Beklagte durch die Annahme, es seien 10 B. XP 1900+ in Verlust geraten, aber nicht benachteiligt.

VI.

Da die in Verlust geratenen Waren feststehen, ist hinsichtlich des Wertes der Prozessoren die - vorliegend von der Beklagte nicht widerlegte - Vermutung des § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB einschlägig.

Sollte die Paketbeförderung den Bestimmungen der CMR unterlegen haben, liefert die Handelsrechnung jedenfalls ein Indiz für den Marktwert der Warensendung zum Zeitpunkt der Übernahme der Warensendung beim Absender. Dieses Indiz rechtfertigt es im vorliegenden Fall, den Schaden gemäß § 287 ZPO auf den in der Rechnung ausgewiesenen Kaufpreis zu schätzen, zumal die Beklagte in der Berufungsbegründung den Warenwert lediglich deshalb anzweifelt, weil sie den Paketinhalt nicht für bewiesen hält.

VII.

Der der Klägerin zustehende Schadensersatzanspruch ist nicht aufgrund eines Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklaration gemindert.

Unstreitig ist die A. GmbH ein Großkunde der Beklagten, der an dem sog. EDI- bzw. Online-Verfahren teilnimmt.

Um ein Paket als Wertpaket zu versenden, ist es im sogenannten EDI- bzw. Online Worldship-Verfahren zum einen erforderlich, die Wertdeklaration bei der Eingabe der Paketdaten vorzunehmen. Dies allein gewährleistet jedoch nicht, dass das Paket tatsächlich in diesem Versandverfahren befördert wird. Denn wenn die Absenderin dieses wertdeklarierte Paket zusammen mit den anderen Paketen in den Paketcontainer gibt, wird dieses Paket weiterhin wie eine Standardsendung befördert.

Wie und auf welche Weise die Beklagte sicherstellt, dass auch in diesem Verfahren Wertpakete mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert werden, hat die Beklagte nicht dargetan, worauf das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht abgestellt hat.

Zu Unrecht hält die Beklagte dem entgegen, jedem Versender müsse es sich aufdrängen, dass er ein Wertpaket gesondert zu übergeben habe, wenn er dessen besondere Behandlung wünscht.

Ob und inwieweit die gesonderte Übergabe eines Paketes an den Abholfahrer der Beklagten im Rahmen des Online-Verfahrens für Großversender praktisch durchführbar ist, kann dahin stehen. Wie dem Senat aus einer Vielzahl von anderen Verfahren bekannt ist, beladen die an dem EDI- bzw. OnLine-Verfahren der Beklagten teilnehmenden Großversender üblicherweise selbst den Feeder und stellen ihn dem Abholfahrer der Beklagten beladen zur Abholung bereit.

Jedenfalls ist weder ersichtlich noch dargetan, dass die Beklagte einem Vertreter der A. GmbH jemals schriftlich oder mündlich mitgeteilt hat, dass sie wertdeklarierte Pakete dem Abholfahrer der Beklagten separat als Wertpaket übergeben muss, damit sie die von der Beklagten für Wertpakete vorgesehene besondere Behandlungsweise erfahren. Ebenso fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte auf die Notwendigkeit einer separaten Übergabe eines wertdeklarierten Pakets an den Abholfahrer anderweitig hingewiesen hat, beispielsweise in den der Versenderin übergebenen Unterlagen oder beispielsweise in dem Internet-Auftritt der Beklagten. Ohne derartige Information musste sich der Versenderin die Notwendigkeit einer separaten Übergabe eines Pakets an den Auslieferungsfahrer nicht erschließen. Bei einem Großversender weicht die persönliche Übergabe eines Paketes an den Abholfahrer von dem oben geschilderten Verfahren, welches einvernehmlich mit der Beklagten festgelegt wurde, ganz erheblich ab und liegt keineswegs auf der Hand, sondern ist als ungewöhnlich und fernliegend anzusehen. Wusste aber die Versenderin nichts von der Notwendigkeit einer separaten Übergabe von Wertpaketen an den Abholfahrer der Beklagten und musste sie dies auch nicht wissen, gereicht ihr das Unterlassen einer separaten Übergabe nicht zum Verschulden. Hätte aber die Versenderin mangels derartiger Kenntnis das Paket in nicht vorwerfbarer Weise dem Abholfahrer nicht als Wertpaket übergeben, so wäre es unstreitig auch nicht mit größerer Sorgfalt behandelt worden.

Im übrigen kann der Vortrag der Beklagten nicht zutreffen, sie hätte ein Paket, wenn es ihr separat als Wertpaket übergeben worden wäre, entsprechend dem Vorbringen ihrer Klageerwiderung behandelt. Nach Ziffer 7.2 dieses Schriftsatzes soll im Abholcenter der Einsatzleiter, wenn ihm von einem Abholfahrer ein Wertpaket separat übergeben wird, die Adressinformationen und die Kontrollnummern auf der Versanddokumentation mit den Angaben auf dem Wertpaket vergleichen. Dies ist dem Einsatzleiter im Rahmen des EDI-Verfahrens jedoch nicht möglich, weil ihm dort keine Versanddokumente in Papierform vorliegen; die Versanddaten werden allein per Datenfernübetragung an die Beklagte übertragen. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass der zuständige Einsatzleiter die Angaben auf dem Wertpaket mit den per Datenfernübetragung übertragenen Daten abgleicht.

Entgegen der von der Beklagten in der Berufungsbegründung vertretenen Ansicht können damit nicht nur wenige Kontrollmaßnahmen mangels körperlicher Dokumente im Online-Verfahren nicht durchgeführt werden; vielmehr ist auch auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens nicht ansatzweise ersichtlich, inwiefern wertdeklarierte Pakete im Rahmen eines Online-Verfahrens von der Beklagten überhaupt sorgfältiger behandelt werden.

VIII.

Die geltend gemachten Ansprüche sind auch nicht verjährt, § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB, Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR.

IX.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Streitwert für die Berufung wird festgesetzt auf 4.186,60 €.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück