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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.11.2006
Aktenzeichen: I-18 U 79/06
Rechtsgebiete: HGB, CMR, ZPO, BGB


Vorschriften:

HGB §§ 407 ff.
HGB § 425
HGB § 425 Abs. 2
HGB § 429 Abs. 3 Satz 2
HGB §§ 452 ff.
HGB § 452 S. 1
HGB § 452 a
CMR Art. 17
ZPO § 287
ZPO § 295
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 254
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird auf die Berufung der Beklagten das am 23. März 2006 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1. 23.356,48 € und an die Klägerin zu 2. 2.500 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2003 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt: Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben die Beklagte 86 % und die Klägerin zu 1. 14 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1. hat diese zu 15 % und die Beklagte zu 85 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

Die Klägerin zu 1 ist führender Transportversicherer der Fa. A. A. C. GmbH in N., nunmehr A. T. S. GmbH (im Folgenden: A. GmbH) und ihrer Konzerngesellschaften, zu denen u.a. die Klägerin zu 2. gehört. Die Klägerinnen nehmen die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der A. GmbH wegen des Verlustes von Paketen in 2 Fällen auf Schadensersatz in Anspruch.

Die A. GmbH betreibt das zentrale Auslieferungslager des Konzerns, die im Ausland ansässigen Konzerngesellschaften handeln mit Elektronikartikeln.

Die Klägerin zu 2 veräußerte Ende Januar und Anfang Februar 2002 zwei Warensendungen mit Mikroprozessoren an die Fa. M. Group Ltd. in N./Großbritannien (im folgenden: Fa. M.).

Im Fall 1 übergab die A. GmbH der Beklagten am 30.01.2002 eine für die Fa. M. bestimmte Warensendung mit der Paketendnummer 6976. Im Fall 2 übergab die A. GmbH der Beklagten am 14.02.2002 wiederum eine für die Fa. M. bestimmte Warensendung, die diesmal die Paketendnummer 7977 trug.

Die Klägerin zu 1 entschädigte die Klägerin zu 2 in Höhe von 27.531,14 € und berücksichtigte hierbei einen Selbstbehalt von 2.500 €.

Die Klägerinnen haben behauptet, beide Sendungen hätten die in den Handelsrechnungen Anl. K 2 und K 4 aufgeführten Mikroprozessoren enthalten, die den dort aufgeführten Wert aufgewiesen hätten. Beide Sendungen hätten die Empfängerin nicht erreicht. Durch den Verlust der Sendungen sei ein Schaden von 11.115 GBP bzw. 7.210,50 GBP, insgesamt mithin 18.325,50 GBP bzw. umgerechnet 30.031,14 € entstanden.

Die Klägerinnen haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1 27.531,14 € und an die Klägerin zu 2 2.500 € jeweils nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Aktivlegitimation der Klägerinnen, dem von ihnen behaupteten Paketinhalt und dem von den Klägerinnen angegebenen Wert der Waren entgegengetreten. Sie hat behauptet, in beiden Fällen hätten die Pakete die Empfängerin erreicht. Im Fall 1 sei das Paket im Rahmen einer "Ersatzzustellung" bei der Fa. C. P. I. in N. ordnungsgemäß ausgeliefert worden; später sei das Paket dann an die benachbarte Fa. M. weitergegeben worden. Im Fall 2 sei das Paket ordnungsgemäß bei der Empfängerin ausgeliefert und dort ohne jeden Vorbehalt von Herrn oder Frau D. entgegengenommen worden. Zumindest im Fall 2 sei gem. § 452a HGB britisches Recht einschlägig, weil das Paket sowohl am Abflughafen K. wie am Zielflughafen in E. M. wie auch später beim Beladen des Auslieferungsfahrzeugs in der Umschlagbasis der Beklagten in N. R. (dort mit einem sog. Delivery Scan) körperlich erfasst worden sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben über die Zustellung des Pakets im Fall 2 durch Vernehmung von Zeugen im Wege der internationalen Rechtshilfe. Sodann hat es der Klage nach Art. 17 CMR stattgegeben. Es sei von einem Warenverlust im Obhutsgewahrsam der Beklagten auszugehen. Im Fall 1 genüge das Vorbringen der Beklagten dazu, wie die Sendung die Empfängerin erreicht haben soll, nicht den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag. Im Fall 2 habe die beweisbelastete Beklagte den ihr obliegenden Beweis nicht geführt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie bestreitet weiterhin die Aktivlegitimation der Klägerinnen, den Paketinhalt und den Warenwert. Sie meint, anwendbar sei ausschließlich englisches Recht. Im Fall 1 habe sie hinreichend substantiiert vorgetragen, dass sie das Paket bei einer Nachbarfirma der Empfängerin angeliefert habe und dass das Paket später an die vorgesehene Empfängerin weitergeleitet worden sei. Im Fall 2 sei die Beweisaufnahme unzureichend, weil sie mit der Anl. B 2 eine von dem Zeugen D. persönlich unterzeichnete Empfangsquittung vorgelegt habe und nunmehr die Klägerinnen die Beweislast dafür trügen, dass das Paket nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Jedenfalls wäre es erforderlich gewesen, den Zeugen diese Anlage vorzuhalten. Im Übrigen sei ein eventueller Schadenersatzanspruch wegen eines Mitverschuldens mangels Wertangabe und eines Mitverschuldens wegen der Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens gemindert.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen des Sachverhaltes im übrigen und der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil verwiesen sowie auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt im Hinblick auf die Klägerin zu 2 ohne Erfolg. Begründet ist die Berufung hingegen zu einem geringen Teil gegenüber der Klägerin zu 1.; der ihr zustehende Schadensersatzanspruch ist gemindert, weil der Versender die Beklagte nicht darauf hingewiesen hat, dass der Wert der ihr übergebenen Sendungen 5.000 € übersteigt.

I.

Die Klägerinnen sind aktivlegitimiert.

1.

Die Klägerin zu 1 ist als Transportversicherer der A. GmbH jedenfalls aufgrund der ihr überlassenen Schadensunterlagen aktivlegitimiert, weil hierin eine konkludente Abtretung zu sehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2005, I ZR 85/04). Die Schadensunterlagen wurden der Klägerin zu 1 von der A. GmbH, der Vertragspartnerin der Beklagten, überlassen, wie die Klägerinnen in ihrer Berufungserwiderung unwidersprochen und in deshalb zu berücksichtigender Weise vorgetragen haben.

2.

Die Aktivlegitimation der Klägerin zu 2 ergibt sich aus der hinreichend bestimmten Abtretungserklärung der A. GmbH vom 20.10.2004 (Anl. K 5, Blatt 76 GA). Der A. GmbH waren zum Zeitpunkt dieser Abtretung Schadensersatzansprüche in Höhe des mit der Klägerin zu 1 vereinbarten Selbstbehalts, also in Höhe des von der Klägerin zu 2 mit der Klage geltend gemachten Anspruchs, verblieben. Denn die A. GmbH wollte mit den der Klägerin zu 1 zeitlich vor der Abtretung vom 20.10.2004 überlassenen Schadensunterlagen die der A. GmbH zustehenden Ansprüche nur in der Höhe an die Klägerin zu 1 abtreten, in welcher der A. GmbH Ansprüche aus der Transportversicherung gegen die Klägerin zu 1 zustehen.

II.

Beide Schadensfälle beurteilen sich nach entweder nach der CMR oder nach deutschem Frachtrecht, Art. 28 Abs. 4 EGBGB, §§ 452 ff. HGB.

Sofern die Beklagte die Pakete durchgehend per LKW von Deutschland nach Großbritannien beförderte bzw. befördern wollte und die Seestrecke im Huckepack-Verkehr absolvierte bzw. absolvieren wollte, wofür jedoch nichts ersichtlich ist, würde gem. Art. 2 CMR die CMR Anwendung finden. Die Beklagte ist als Fixkostenspediteurin anzusehen und unterliegt als solche der Haftung nach der CMR.

Bei einem Lufttransport von K. nach Großbritannien, von dem nach Urkundslage hier auszugehen ist, würde deutsches Recht Anwendung finden, weil sich die Hauptniederlassungen sowohl des Versenders, der A. GmbH, wie des Frachtführers in Deutschland befinden.

Die Vorschriften der §§ 452 ff. HGB sind anwendbar, weil ein multimodaler Frachtvertrag vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn bei einem einheitlichen Frachtvertrag verschiedene Beförderungsmittel zum Einsatz gelangen und verschiedene Haftungsregime eingreifen würden, wenn über jede Teilstrecke des Frachtvertrages ein eigener Frachtvertrag geschlossen worden wäre. Ein solcher Vertrag ist im vorliegenden Fall gegeben, da das Transportgut aufgrund eines einheitlichen Vertrages sowohl mit Lastkraftwagen als auch mit einem Flugzeug befördert wurde bzw. werden sollte und die Beförderungen jeweils unterschiedlichem Haftungsrecht unterliegen.

Sollte der Verlustort unbekannt sein, so käme deutsches Frachtrecht gemäß § 452 S. 1 HGB zur Anwendung.

Sollten die Pakete in Großbritannien verloren gegangen sein, wovon auszugehen ist, wie unten unter V. dargelegt ist, würde § 452 a HGB eingreifen.

Anzuwenden ist nach ständiger Senatsrechtsprechung im Rahmen des § 452 a HGB dasjenige Teilstreckenrecht, das auf einen hypothetischen Vertrag zwischen dem Absender und dem Frachtführer (dem Mulitimodalbeförderer, nicht dem Unterfrachtführer) über die Beförderung auf dieser Teilstrecke anzuwenden wäre, wenn diese Parteien fiktiv einen unimodalen Frachtvertrag für diese Teilstrecke geschlossen hätten (so auch OLG Dresden, TranspR 2002, 246; Fremuth/Thume, Transportrecht, § 452a HGB Rnrn. 8 und 9). Dies ist gemäß Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB deutsches Recht (so auch für den früheren Rechtszustand OLG Düsseldorf, TranspR 1995, 77, 79; Herber TranspR 1990, 4, 11; zum heutigen Recht OLG Dresden, a.a.O., und Fremuth/Thume, a. a. O., § 452 a Rdnr. 11), und zwar Frachtrecht nach den §§ 407 ff. HGB. Soweit die Beklagte dem entgegen hält, es erscheine vollkommen abwegig anzunehmen, sie hätte sich darauf eingelassen, einen Transport in England nach deutschem Recht durchzuführen, ist dem entgegen zu halten, dass es einem deutschen Versender, der einen deutschen Frachtführer mit dem Transport über die gesamte Strecke beauftragt, erst recht nicht anzusinnen ist, sich für eine im Ausland liegende Teilstrecke auf ausländisches Recht einzulassen.

III.

Die beiden unstreitig von der Beklagten übernommenen Pakete sind in ihrem Obhutsgewahrsam in Verlust geraten.

1.

Im Fall 1 ist das Gut im Sinne von § 425 HGB, Art. 17 CMR in Verlust geraten. Die Beklagte hat es nicht abgeliefert. Ablieferung ist der Vorgang, durch den der Frachtführer die zur Beförderung erlangte Obhut über das Gut mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Verfügungsberechtigten wieder aufgibt und diesen in die Lage versetzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben (BGH NJW 1982, 1284 und NJW-RR 1997, 222, 223). Die Beklagte hat nach ihrer eigenen Darstellung das Paket nicht an den frachtbriefmäßigen Empfänger, die Fa. M., zugestellt, sondern bei der Fa. C. P. I. abgegeben.

Obwohl es Sache des Frachtführers ist, die ordnungsgemäße Ablieferung des Gutes darzulegen und zu beweisen, hat die Beklagte nicht dargetan, dass die Fa. C. P. I. von der Fa. M. zur Entgegennahme von Sendungen bevollmächtigt oder ermächtigt war. Die Ablieferung des Gutes an einen Nichtberechtigten führt zum Verlust des Gutes (vgl. BGH NJW 1979, 2473; OLG München, TranspR 1993, 348, 349; Gass, in: Ebenroth/Boujong, HGB, § 425 HGB Rdnr. 35; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., § 425 Rdnr. 11 sowie Art. 17 CMR Rdnr. 7). Die Beklagte hat das Gut auch später nicht an den berechtigten Empfänger ausgeliefert. Dem aus der Ablieferung an einen Nichtberechtigten folgenden Verlust des Gutes stehen die Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten (Anl. B 3, Bl. 31 GA) nicht entgegen. Gem. der dortigen Ziff. 10 erster Absatz erfolgt die Zustellung von Sendungen gegen Unterschrift des Empfängers oder sonstiger Personen, von denen nach den Umständen angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind; hierzu zählen insbesondere in den Räumen des Empfängers anwesende Personen und Nachbarn. Zum einen hat die Beklagte nicht substantiiert aufgezeigt, dass die Firmen M. und C. P. I. Nachbarn im Sinne der Beförderungsbedingungen der Beklagten sind. Zum anderen kann ein für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen maßgeblicher durchschnittlicher Empfänger den Nachbarn-Passus nur dahin verstehen, dass die Beklagte sich hiermit das Recht ausbedingt, eine Sendung einem Nachbarn des frachtbriefmäßigen Empfängers dann auszuhändigen, wenn der frachtbriefmäßige Empfänger die Sendung nicht entgegennehmen kann, weil er zum Beispiel beim Zustellversuch nicht erreichbar ist. Die Beklagte hat nicht ansatzweise dargetan, dass diese Voraussetzung erfüllt waren, als ihr Zustellfahrer das Paket am 31. Januar 2002 zur Mittagszeit bei der Fa. C. P. I. abgegeben hat.

An dem hiernach gegebenen Verlust des Pakets ändert die Behauptung der Beklagten nichts, "später (sei) das Paket dann an die benachbarte Fa. M. weitergegeben" worden.

Dieses Vorbringen ist, worauf das Landgericht die Beklagte unter dem 29.07.2004 zu Recht hingewiesen hat, unsubstantiiert. Auf der Grundlage dieses Beklagtenvorbringens vermag auch der Senat nicht festzustellen, dass das Paket, nachdem es, wie ausgeführt, zunächst in Verlust geraten war, nicht mehr als in Verlust gegangen anzusehen ist. Voraussetzung dafür, einer derartigen "Weitergabe" des Pakets Ablieferungswirkung zuzumessen, ist zunächst, dass das Paket einem zur Entgegennahme von Paketen bevollmächtigten oder als bevollmächtigt anzusehenden Mitarbeiter der Fa. M. übergeben wurde; hiervon kann nicht ausgegangen werden, weil die Beklagte nicht mitteilt, welchem Mitarbeiter das Paket übergeben worden sein soll. Voraussetzung für eine Ablieferung im frachtrechtlichen Sinne ist weiterhin, dass das Paket der Fa. M. zu einem Zeitpunkt übergeben wurde, als deren aus dem Transportvertrag ursprünglich folgende Empfangsberechtigung noch bestand. Eine Empfangsberechtigung der Fa. M. wäre beispielsweise nach dem Erhalt einer hier nahe liegenden zeitnahen Ersatzlieferung erloschen. Da die Beklagte den Zeitpunkt der vermeintlichen "Weitergabe" trotz des landgerichtlichen Hinweises auch nicht ansatzweise eingrenzt, kann von einer Empfangsberechtigung der Fa. M. bei der Paketweitergabe nicht ausgegangen werden.

Unter diesen Umständen ist dem Beweisantritt der Beklagten durch Vernehmung des Zeugen H. nicht nachzugehen. Dieser Beweisantritt ist auf unzulässige Ausforschung ausgerichtet, weil diejenigen Tatsachen, aus denen sich eine Ablieferung im frachtrechtlichen Sinne ergeben könnten, erst im Wege der Ausforschung von dem Zeugen erfragt werden sollen.

Einer Vorteilsausgleichung steht entgegen, dass sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen lässt, in welcher Höhe der Fa. M./der Versenderin aus dem späteren (vermeintlichen) Erhalt des Pakets ein Vorteil entstanden ist. Gerichtsbekannt unterliegen Computerbauteile, speziell die hier in Rede stehenden Prozessoren, einem rasanten Preisverfall. Da die Beklagte trotz des landgerichtlichen Hinweises nicht vorträgt, wann das Paket die Fa. M. erreicht hat, und deswegen ein Erhalt erst geraume Zeit nach dem vorgesehenen, üblichen Ablieferungstermin nicht ausgeschlossen ist, lässt sich die Höhe des aus dem vermeintlichen späteren Paketerhalt folgenden Vorteils nicht bestimmen.

2.

Auch im Fall 2 ist die der Beklagten übergebene Sendung in Verlust geraten.

Die vom Landgericht durchgeführte ausländische Rechtshilfevernehmung hat, was auch die Beklagte nicht anzweifelt, nicht den Beweis erbracht, dass die Beklagte das von ihr übernommene Paket dem bestimmungsgemäßen Empfänger abgeliefert hat. Beide Zeugen haben eine Ablieferung nicht bestätigt. Die Beklagte zeigt keine konkreten Anhaltspunkte im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen landgerichtlichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche sind auch anderweitig nicht ersichtlich. Unbegründet sind die erstmalig in der Berufungsbegründung von der Beklagten erhobenen Bedenken gegen die Durchführung der Beweisaufnahme und die Annahme des Landgerichts, die Beklagte trage die Beweislast für eine Ablieferung. Die zur Akte gereichte "Empfangsquittung", ein gemeinsamer Ausdruck elektronisch aufgezeichneter Daten und einer elektronisch aufgezeichneten, auf einem DIAD-Board abgegebenen Unterschrift (Anl. B 2, Bl. 30 GA), deutet nicht darauf hin, dass die Beklagte das übernommene Paket dem bestimmungsgemäßen Empfänger abgeliefert hat. Denn die Klägerinnen haben zu Recht und von der Beklagten unwidersprochen darauf hingewiesen, dass die Anschrift, unter der der Zustellfahrer gemäß der Quittung das Paket abgegeben haben will, "P. I. E. N. S... " lautet, während nach Rechnung und Lieferschein das Paket an ".. R. Road, R. B. Park, N.-U.-L., S ..." geliefert werden sollte. Es ist weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen, dass die Fa. M. (auch) unter der Anschrift "P. I. E. N. ST...." ansässig ist. Hiernach wurde auch im Fall 2 das Paket nach der Urkundslage nicht dem bestimmungsgemäßen Empfänger, sondern einem nicht empfangsberechtigten Dritten zugestellt; hierauf hat der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Mithin bestand für das Landgericht keine Veranlassung, dem Rechtshilfeersuchen die "Empfangsquittung" beizufügen und hiermit die Bitte zu verbinden, den Zeugen diese Quittung vorzuhalten. Im Übrigen hätte die Beklagte diese Rüge bereits erstinstanzlich erheben müssen. Indem sie nach der Durchführung der Beweisaufnahme im anschließenden Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 16.02.2006 den vermeintlichen Verfahrensfehler des Landgerichts nicht gerügt hat, obwohl ihr der vermeintliche Mangel bekannt war bzw. hätte bekannt sein müssen, ist ein etwaiger Verfahrensmangel des Landgerichts nach § 295 ZPO geheilt.

IV.

Auf Grund der zur Akte gereichten korrespondierenden Rechnungen und Lieferscheine besteht in beiden Fällen ein von der Beklagten nicht erschütterter Anscheinsbeweis dafür, dass die beiden Pakete den Inhalt der Handelsrechnungen Anl. K 2 und 4 aufwiesen.

Die unterschiedlichen Daten von Rechnung und Lieferschein im Fall 1 stehen deren Korrrespondenz nicht entgegen. Dieser Umstand erklärt sich aus dem dem Senat aus einer Vielzahl von Fällen (beispielsweise I-18 U 176/05) mit Beteiligung der Beklagten bekannten Umstand, dass ein Lieferschein beim erneuten Ausdruck oftmals das Datum des Ausdrucktages erhält.

Der von der Beklagten vermisste Bezug zwischen Lieferschein und korrespondierender Rechnung einerseits und dem in Verlust gegangenen Paket ist gegeben, weil in den Lieferscheinen die jeweilige U.-Paketnummer aufgeführt ist.

V.

Da die in Verlust geratenen Waren feststehen, besteht gem. § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB die - vorliegend von der Beklagte nicht widerlegte - Vermutung, dass der in den Handelsrechungen ausgewiesene Kaufpreis der Prozessoren deren Marktpreis ist.

Soweit die Paketbeförderung den Bestimmungen der CMR unterlegen haben sollte, liefert nach der CMR die Handelsrechnung ein Indiz für den Marktwert der Warensendung zum Zeitpunkt der Übernahme der Warensendung beim Absender. Dieses Indiz rechtfertigt es im vorliegenden Fall, den Schaden gemäß § 287 ZPO auf den in der Rechnung ausgewiesenen Kaufpreis zu schätzen, zumal die Beklagte in der Berufungsbegründung den Warenwert lediglich deshalb anzweifelt, weil sie den Paketinhalt nicht für bewiesen hält.

VI.

Der der Klägerin zustehende Anspruch ist nicht aufgrund eines Mitverschuldens wegen fehlender Wertdeklaration gemindert. Bei Auslandtransporten beschränkt sich die besondere Behandlung, welche die Beklagte ihrer Behauptung nach wertdeklarierten Paketen angedeihen lässt, nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten in ihrer Klageerwiderung unter 9.2 auf den Beginn des Transports, und zwar auf die Strecke vom Versender bis zum Einlieferungscenter und die dortige Behandlung. Hiernach hat sich, auch wenn man zugunsten der Beklagten ihr Vorbringen als zutreffend unterstellt, die unterbliebene Wertdeklaration vorliegend nicht ausgewirkt, weil beide Pakete Großbritannien erreicht haben. Dies ist im Fall 1 unstreitig; im Fall 2 ergibt sich dies u.a. aus dem "Tracking Detail"-Ausdruck (Anl. B 5, Bl. 34 GA), wonach die Sendung in Großbritannien mehrfach gescannt, also körperlich erfasst wurde.

VII.

Der der Klägerin zu 1 zustehende Anspruch ist indes gemindert, weil der Versender die Beklagte nicht darauf hingewiesen hat, dass der Wert der ihr übergebenen Sendungen in beiden Fällen 5.000 € übersteigt.

Gemäß § 425 Abs. 2 HGB hängen die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes davon ab, inwieweit bei der Entstehung des Schadens ein Verhalten des Absenders mitgewirkt hat. Die Vorschrift des § 425 Abs. 2 HGB greift den Rechtsgedanken des § 254 BGB auf und fasst alle Fälle mitwirkenden Verhaltens des Ersatzberechtigten in einer Vorschrift zusammen. Ein mitwirkender Schadensbeitrag des Versenders kann sich u.a. daraus ergeben, dass er von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens abgesehen hat. Die vom Bundesgerichtshof zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. 7. 1998 zu § 254 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB ergangenen Entscheidungen sind ohne inhaltliche Änderungen auf § 425 Abs. 2 HGB übertragbar (BGH, Urteil vom 01.12.2005, Az. I ZR 108/04).

Bei dem Mitverschuldenseinwand nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte oder hätte wissen müssen, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um seinem Vertragpartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird.

Nach den Entscheidungen des BGH vom 1.12.2005 (Az. I ZR 4/04, I ZR 31/04, I ZR 46/04 und I ZR 265/03) ist die Gefahr eines besonders hohen Schadens i.S. des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB bei der Beklagten grundsätzlich dann anzunehmen, wenn der Wert der Sendung 5.000 € übersteigt. Diese Grenze war in beiden Fällen überschritten. Hierauf hat die Versenderin die Beklagte nicht hingewiesen. Im übrigen war der Beklagten der Warenwert der Sendungen auch nicht anderweitig bekannt.

Ein Mitverschulden wegen Absehens von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) setzt nicht die Feststellung voraus, dass der Frachtführer Wertsendungen generell sicherer befördert. Die Kausalität des Mitverschuldenseinwands nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte (BGH, Urteil vom 1.12.2005, Az. I ZR 265/03). Hierzu hat die insoweit darlegungspflichtige Klägerin allein behauptet, dass die Beklagte auch nach Hinweis keine besonderen Maßnahmen zur Sicherung ergriffen hätte. Dies schließt aber eine Kausalität nicht aus, weil die Beklagte beispielsweise die Annahme der Sendung hätte verweigern können.

Im Rahmen der Haftungsabwägung berücksichtigt der Senat beim Mitverschulden wegen Absehens von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens, dass der Versender der Beklagten durch den unterlassenen Hinweis auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes die Möglichkeit genommen hat, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Dieses Verschulden wiegt weniger schwer, als wenn der Versender in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis vom Bestehen zusätzlicher Sicherungsmaßnahmen für Wertpakete davon absieht, für die Beförderung seiner Güter die sicherste Transportart zu wählen. Denn hier geht es allein um den Verstoß gegen eine allgemeine Obliegenheit, während der Versender in dem anderen Fall gleichsam sehenden Auges darauf verzichtet, die sicherste Beförderungsart auszusuchen.

Bei der Bemessung der Höhe des Mitverschuldens beachtet der Senat ferner, dass nach der Rechsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls in Schadensfällen, in denen der Wert der Sendung sich in dem Rahmen bewegt, für den die Beklagte von der Möglichkeit einer vertraglichen Disposition Gebrauch gemacht hat, Haftungsrisiken von vornherein auszuschließen, das Mitverschulden des Versenders wegen Nichtversendung als Wertpaket nicht mehr als 50 % betragen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2004, Az.: I ZR 120/02).

Von Bedeutung ist schließlich der Wert der transportierten Ware. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Mitverschulden des Versenders, für die Beförderung des Pakets nicht die sicherste Transportart in Auftrag gegeben zu haben, umso schwerer wiegt, je wertvoller die Ware im Paket gewesen ist. Diese Überlegung muss nach Auffassung des Senats auch für den hier in Rede stehenden Mitverschuldenseinwand wegen unterlassenen Hinweises auf einen drohenden ungewöhnlich hohen Schaden gelten. Denn diese unterlassene Warnung der Beklagten wiegt umso schwerer, je höher der Warenwert der Sendung ist.

In der Gesamtschau dieser einzelnen Umstände erachtet der Senat es als angemessen, das Mitverschulden des Versenders durch eine stufenweise Kürzung des Schadensersatzanspruches zu berücksichtigen, wobei der Sendungswert bis 5.000 € außer Betracht bleibt. Sofern der Fall keine weiteren, für die Abwägung bedeutsamen Besonderheiten aufweist, erscheint es dem Senat angemessen, den Schadensersatzanspruch für den zwischen 5.000,01 € und 10.000 € liegenden Warenwert der Sendung um 20 % zu kürzen. Bei darüber hinausgehenden Warenwerten wird der Kürzungsprozentsatz für jede angefangenen weiteren 5.000 € um einen Prozentpunkt erhöht.

Im Fall 1 betrug der Sendungswert 11.115 GBP, umgerechnet 18.167 €. Die Beklagte schuldet unter Anwendung obiger Grundsätze hier 15.420,26 €. Bei einem Sendungswert von 7.210,50 GBP im Fall 2, umgerechnet 11.818 €, hat die Beklagte 10.436,22 € Schadensersatz zu leisten, insgesamt mithin 25.856,48 €.

Aufgrund des Quotenvorrechts des Versicherungsnehmers, welches auch im Transportversicherungsrecht einschlägig ist (vgl. Thume/de la Motte, Transportversicherungsrecht, § 67 VVG Rdnr. 119), ist allein der Anspruch der Klägerin zu 1 zu kürzen.

Ohne Mitverschulden stünden der Klägerin bei einem Gesamtschaden von 29.985 € 27.485 € (29.985 € - 2.500 €) zu. Zieht man hiervon den Kürzungsbetrag von 4.128,52 € (29.985 € Gesamtschaden abzüglich des in Höhe von 25.856,48 € geschuldeten Schadensersatzes) ab, verbleibt ein der Klägerin zu 1 zustehender Schadensersatzanspruch von 23.356,48 €.

VIII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für die Berufung wird festgesetzt auf 30.031,14 €.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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