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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: I-24 U 105/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 178
ZPO § 345
ZPO § 700
1. Die Ersatzzustellung in der Wohnung setzt voraus, dass der Zustellungsadressat dort lebt und nicht nur eine Kontaktadresse unterhält.

2. Der Erlass eines zweiten Versäumnisurteils nach Einspruch des Beklagten gegen einen Vollstreckungsbescheid ist fehlerhaft, wenn ihm die Anspruchsbegründung nicht nachweislich zugestellt worden ist.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I-24 U 105/04

Verkündet am 23. November 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO durch seine Richter Z, E und T

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das 2. Versäumnisurteil des Amtsgerichts Kleve vom 29. April 2004 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Berufung - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Es wird angeordnet, dass die durch den Erlass des 2. Versäumnisurteils vom 29. April 2004 sowie die im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht entstandenen Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagten rückständigen Mietzins aus einem Mietverhältnis über Wohnraum geltend. Der Kläger ließ den Beklagten an ihrem Wohnort bei G. (Österreich) am 30. April 2003 einen Mahnbescheid über 8.293,95 EUR und am 26. August 2003 einen entsprechenden Vollstreckungsbescheid zustellen. Dagegen haben die Beklagten am 6. September 2003 unter der Adresse "bei M. T., M-Str. 26, K." Einspruch eingelegt. Nachdem der Kläger die Anspruchsbegründung eingereicht und diese Adresse als ladungsfähige Anschrift angegeben hatte, hat das Amtsgericht die Beklagten unter dieser Adresse zu dem auf den 29. April 2004 bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung geladen. In der Zustellungsurkunde fehlt ein Hinweis auf die Übersendung der Anspruchsbegründung. Wenige Tage vor dem Verhandlungstermin teilten die Beklagten dem Amtsgericht mit, sie hätten weder Klageschrift noch Ladung erhalten und vom Termin zufällig erfahren.

Im Termin erließ das Amtsgericht gegen die Beklagten ein zweites Versäumnisurteil. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten u.a. mit dem Antrag, unter Aufhebung des zweiten Versäumnisurteils die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat insofern Erfolg, als sie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Kleve führt.

1.

Die Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung über die Berufung der Beklagten ergibt sich aus § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG.

2.

Die Beklagten haben mit ihrem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache Erfolg, weil das 2. Versäumnisurteil des Amtsgerichts Kleve vom 29. April 2004 nicht hätte ergehen dürfen und die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung nicht gegeben sind.

a)

Die Beklagten sind zur mündlichen Verhandlung vom 29. April 2004 nicht ordnungsgemäß geladen worden, weil die Ladung in K. und nicht am Wohnsitz der Beklagten in Österreich erfolgte. Es kann nicht angenommen werden, dass sie nach Prozessbeginn ihre Wohnung nach K. verlegt haben. Bei einer Wohnung handelt es sich um Räume, in denen der Adressat zur Zeit der Zustellung lebt und insbesondere schläft (BGH, MDR 1978, 558; MDR 92, 809; NJW-RR 1994, 564; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Auflage, § 178 Rn. 4 mit zahlreichen Nachweisen). Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse. Ob sich in den Räumen der Wohnsitz befindet (§ 7 BGB) oder der Adressat dort polizeilich gemeldet ist, ist unwesentlich (BGH, NJW 1978, 1858; Zöller/Stöber, a.a.O.). Auch auf die Abmeldung bei der Meldebehörde kommt es nicht an (BGH, NJW-RR 1986, 1083; NJW-RR 1994, 564 (565); Zöller/Stöber, a.a.O., Rn. 6 m.w.N.). Andererseits begründet die Angabe einer "Kontaktadresse" für Korrespondenz keine Wohnung und ermöglicht deshalb die Ersatzzustellung nicht (BGH MDR 1993, 900).

Für die Annahme einer Wohnung der Beklagten im Sinne von § 178 Abs. 1 ZPO reichen die Angaben des Klägers und die sonstigen Umstände nicht aus. Aus den Mitteilungen der österreichischen Justiz geht lediglich hervor, dass die Beklagten eine Wohnsitzverlegung beabsichtigten und die übersandten Schriftstücke nicht abgeholt haben. Außerdem handelt es sich bei der von dem Kläger mitgeteilten Adresse in K., unter der die Beklagten ihre Schreiben verfasst haben, nur um eine Kontaktadresse, an der sich unstreitig die Wohnung des Sohnes der Beklagten befindet. Dass auch die Beklagten dort wohnen, ist nicht festgestellt.

b)

Die Beklagten sind zudem ausweislich der Zustellungsurkunden ohne Beifügung der Klagebegründung geladen worden, obwohl dies richtigerweise vom Amtsrichter unter dem 17. Februrar 2004 verfügt war. Da zur Vorbereitung auf den Verhandlungstermin notwendige Schriftstücke fehlten, handelte es sich auch aus diesem Grunde um eine nicht ordnungsgemäße, weil unvollständige Ladung zum Verhandlungstermin. Denn gegen die Beklagten hätte gemäß §§ 700 Abs. 6, 345 ZPO ein zweites Versäumnisurteil nicht erlassen werden dürfen, weil die Voraussetzungen von § 331 Abs. 1 und 2 erster Halbsatz ZPO nicht vorlagen. Ob dem Wortlaut des Gesetzes genügt war, weil das tatsächliche mündliche Vorbringen den Klageantrag rechtfertigt, kann dahinstehen. Denn dieses Vorbringen ist den Beklagten nicht nachweislich vor dem Verhandlungstermin mitgeteilt worden. Damit war jedenfalls eine Säumnisentscheidung gegen die Beklagten unzulässig, auch wenn § 335 ZPO in § 700 Abs. 6 ZPO nicht in Bezug genommen ist. Denn nach § 700 Abs. 4 ZPO war ab Eingang der Anspruchsbegründung wie nach Eingang der Klage zu verfahren. Dann hatte aber entsprechend § 274 Abs. 2 ZPO den Beklagten die Anspruchsbegründung des Klägers rechtzeitig vor dem Termin vom 29. April 2004 mitgeteilt sein müssen, wie dies § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor Erlass des ersten Versäumnisurteils für tatsächliches Vorbringen, das der Säumnisentscheidung zu Grunde gelegt werden soll, vorschreibt. Dadurch allein, dass § 700 Abs. 6 ZPO vor der Verwerfung des Einspruchs gegen Vollstreckungsbescheid eine Prüfung der Schlüssigkeit fordert, ist der Schutz des den Einspruch führenden Beklagten nicht hinreichend gewährleistet. Er muss mangels entsprechender Hinweise im Vollstreckungsbescheid rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung von der Existenz und dem Inhalt der Anspruchsbegründung informiert sein, um die Risiken einer Säumnis richtig einschätzen zu können.

c)

Das Amtsgericht hat sich bislang noch nicht mit der Sache selbst auseinander gesetzt und brauchte das aus seiner Sicht folgerichtig auch nicht zu tun. Der Sachverhalt bedarf jedoch in mehreren Punkten eingehender Befassung und wahrscheinlich auch der Aufklärung, so dass die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ZPO an das Amtsgericht zurück zu verweisen ist.

3.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Kostenentscheidung ist der Entscheidung des Amtsgerichts vorzubehalten, jedoch war vom Senat wegen der übersehenen nicht ordnungsgemäßen Ladung die Niederschlagung der hierdurch entstandenen Gerichtskosten anzuordnen (§ 8 GKG, vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 538 Rdnr. 58).

Streitwert für die Berufungsinstanz: 8.293,41 €

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