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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.03.2008
Aktenzeichen: I-24 U 166/07
Rechtsgebiete: HeimG, BGB


Vorschriften:

HeimG § 2
HeimG § 3
BGB § 280
BGB § 611
BGB § 823
BGB § 831
Kommt ein Heimbewohner innerhalb des Heims unfallbedingt zu Schaden, so hat sich der Betreiber des Heims zu entlasten, wenn sich der Unfall während einer konkreten Pflegemaßnahme ereignet hat (Anschluss an BGH NJW 2005, 1937; hier verneint für das ungeklärte Lösen eines Sicherheitsgurtes an einem Rollstuhl).
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

I-24 U 166/07

In Sachen

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch seine Richter Z. und S. am 20.03.2008 beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gem. § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussverfahren zurückzuweisen. Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den Gründen binnen einer Frist von zwei Wochen schriftsätzlich Stellung zu nehmen.

2. Der Senat weist darauf hin, dass die Berufungsrücknahme vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO kostenrechtlich privilegiert ist.

3. Der für den 06.05.2008 vorgesehene Verhandlungstermin entfällt.

Gründe:

A.

Die Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg. Zu Recht und in zutreffender Würdigung der Beweise hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Grund übergegangenen Rechts der Heimbewohnerin K. (im folgenden: Versicherte) aus §§ 611, 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 116 Abs. 1 SGB X verneint und die Klage abgewiesen. Das Berufungsvorbringen vermag eine für die Berufungsführerin günstigere Entscheidung nicht zu rechtfertigen:

I.

Zwar ist es richtig, dass der Beklagten aus dem Heimvertrag Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Versicherten erwuchsen, deren schuldhafte Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen konnte. Ebenso bestand eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutze der Bewohner vor Schädigungen, die diesen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohten. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten war daher geeignet, sowohl einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Heimvertrages als auch einen damit konkurrierenden deliktischen Anspruch aus §§ 823, 831 BGB zu begründen (vgl. BGH NJW 2005, 1937; 2005, 2613; OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867, 868).

Diese Pflichten waren aber begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind das Erforderliche sowie das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Insbesondere ist auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (BGH NJW 2005, 1937 unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG i.d.F. vom 5. November 2001 BGBl. I S. 2970). Die zu erbringenden Leistungen haben sich hierbei nach dem jeweils allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu richten (§ 3 Abs. 1 HeimG; BGH NJW 2005, 2613).

II.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall der Versicherten vom 10.08.2002 auf einer Pflichtverletzung der Beklagten oder ihrer Mitarbeiter beruht:

1.

Eine unsachgemäße Handhabung des Bauchgurtes bei dessen Anlegen durch den damit befassten Pfleger ist nicht bewiesen. Gegen einen solchen Handhabungsfehler, der - läge er vor - fraglos eine Haftung der Beklagten begründen würde, spricht bereits der Umstand, dass zwischen dem Anlegen des Bauchgurtes und dem Unfall ein zeitlicher Abstand von mehr als 4 Stunden lag. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht die Bekundungen des in erster Instanz vernommenen Zeugen D., er sei sich hinsichtlich des ordnungsgemäßen Verschließens des Gurtes 100%-ig sicher, als glaubhaft erachtet; der Senat schließt sich dieser Würdigung an. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. E. liegen aus ärztlicher Sicht keine konkreten Anhaltspunkte für eine unsachgemäße Handhabung des Gurtes durch den Pfleger vor. Weitere Aufklärung ist nicht möglich.

2.

Als allein in Betracht kommende Ursachen für das unstreitige Lösen des Gurtes - auch hierin folgt der Senat dem Sachverständigen - verbleiben danach:

a) die Möglichkeit eines Defektes des Klettverschlusses durch Verschleiß

und

b) die Möglichkeit eines Öffnens des Verschlusses durch einen anderen Heimbewohner in einem nicht beaufsichtigten Augenblick.

Eine Feststellung dazu, welche dieser beiden alternativen Ursachen zu dem Unfall geführt hat, hat der Sachverständige nicht treffen können; weitere Aufklärungsmöglichkeiten hierzu sind nicht gegeben. Während für die Möglichkeit a) eine Pflichtverletzung, nämlich das Verwenden ungeeigneten (weil verbrauchten) Materials, unfallursächlich geworden wäre, ist dies für die Möglichkeit b) nicht der Fall. Denn die Beklagte war nicht verpflichtet, diese Möglichkeit einer unzulässigen Öffnung des Bauchgurtes durch andere Heimbewohner dauerhaft zu unterbinden.

Zwar wäre ihr dies im Grundsatz möglich gewesen durch eine fortlaufende und ununterbrochene Überwachung der Versicherten sowie der mit ihr in Kontakt tretenden anderen Heimbewohner. Eine solche Überwachung durch das Pflegepersonal hätte allerdings den Rahmen üblicher und mit einem vernünftigen personellen Einsatz realisierbarer Maßnahmen deutlich überschritten (vgl. OLG Frankfurt/M. OLGR 2005, 904). Unstreitig war es vor dem 10.08.2002 zu keinem Zeitpunkt dazu gekommen, dass andere Heimbewohner den Bauchgurt der Versicherten unbefugt geöffnet hatten. Schon deswegen bestand für eine dauernde Überwachung der Versicherten kein Anlass. Der Hinweis der Berufungsbegründung auf mehrere Vorfälle in der Zeit zwischen dem 28.06. und dem 09.08.2002, zu welchen die Pflegedokumentation ein Aufstehen der Versicherten aus dem Rollstuhl vermerkt hat, geht fehl, da jener Dokumentation nichts zu einer Fixierung an jenen Tagen zu entnehmen ist. Die Versicherte wurde, wie die Zeugin P. bekundet hat, nur sporadisch fixiert, da sie sich zeitabhängig in einer sehr unterschiedlich guten Verfassung befand. Der von der Klägerin aus den Angaben der Pflegedokumentation gezogene Schluss, es sei schon früher zu einem unbefugten Lösen des Gurtes gekommen, entbehrt einer Tatsachengrundlage.

Alternativ hätte der Einsatz eines abschließbaren Fixiermittels, insbesondere eines Bauchgurtes mit Magnetverschluss, eine Öffnung des Bauchgurtes durch Unbefugte verhindern können. Einen solchen nicht verwendet zu haben, kann der Beklagten aber ebenfalls nicht als pflichtwidrig vorgeworfen werden. Im Gegensatz zu einer solchen Fixierungshilfe hatte der von der Beklagten verwendete Gurt mit Klettverschluss, wie mit Schriftsatz vom 29.03.2007 von ihr vorgetragen und von der Klägerin nicht bestritten, den für das Wohlergehen der Versicherten durchaus relevanten Vorzug, besonders weich und bequem zu sein und die Versicherte nicht einzuengen. Da es in der vorangegangenen Zeit nicht - jedenfalls nicht feststellbar - zu einem unbefugten Lösen des Gurtes gekommen war, bestand für die Beklagte kein ihr pflegerisches Ermessen reduzierender Grund, von der Verwendung des Gurtes mit Klettverschluss abzusehen. Überdies wäre jedenfalls die Fixierung der Versicherten durch einen nur mit (Magnet-)Schlüssel zu öffnenden Gurt mit einer Freiheitsentziehung verbunden gewesen. Die hierfür erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung (vgl. OLG Hamm FamRZ 1993, 1490; Jürgens/Maschner, Betreuungsrecht, 3.Aufl., § 1906 BGB Rn. 37 m.w.N.) lag nicht vor. Der Beschluss des Amtsgerichts Moers vom 02.10.2001 enthielt ausdrücklich keine Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB.

3.

Die Unaufklärbarkeit der Unfallursache wirkt sich im Ergebnis zu Lasten der Klägerin aus. Als Anspruchstellerin trägt sie die Beweislast für eine mögliche Pflichtverletzung der Mitarbeiter der Beklagten. Der Umstand, dass die Versicherte im Bereich des von der Beklagten betriebenen Pflegeheims gestürzt ist und sich dabei verletzt hat, rechtfertigt nicht den Schluss auf eine Pflichtverletzung des Pflegepersonals. Die Versicherte befand sich im Unfallzeitpunkt auch nicht in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte Obhutspflichten ausgelöst und im Schadensfall zu einer Umkehr der Beweislast geführt hätte. Eine konkrete Pflegemaßnahme (wie etwa eine Bewegungs- oder Transportmaßnahme, vgl. BGH NJW 1991, 1540) wurde nicht durchgeführt. Die Versicherte saß im Rollstuhl in der Küche des Pflegeheims und wartete gemeinsam mit anderen Heimbewohnern auf das Abendessen - sie befand sich mithin in einer ganz alltäglichen, ungefährlichen Situation, für die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2005, 1937) eine Umkehr der Beweislast nicht gerechtfertigt ist.

II.

Auch die weiteren in § 522 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen der Berufungszurückweisung im Beschlussverfahren liegen vor.

Ende der Entscheidung

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