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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 03.02.2006
Aktenzeichen: I-3 W 23/06
Rechtsgebiete: Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973, EuGVVO, AVAG


Vorschriften:

Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl 1986 II, 826 - Haager Unterhaltsübereinkommen) Art. 4
Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl 1986 II, 826 - Haager Unterhaltsübereinkommen) Art. 5
Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl 1986 II, 826 - Haager Unterhaltsübereinkommen) Art. 17
Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl 1986 II, 826 - Haager Unterhaltsübereinkommen) Art. 23
EuGVVO Art. 38
EuGVVO Art. 43
EuGVVO Art. 45
AVAG § 1 Abs. 1 Nr. 1c
AVAG § 12 Abs. 1
Der Vollstreckbarerklärung einer in 2004 durch ein polnisches Gericht titulierten Unterhaltsforderung seiner minderjährigen Tochter kann der Schuldner wegen der mit Blick auf Art. 45 Abs. 1 EuGVVO gebotenen gemeinschaftskonformen Auslegung des § 12 Abs. 1 AVAG nicht erfolgreich mit dem - bestrittenen - Einwand begegnen, er habe den gesamten ausstehenden Unterhalt in einem Betrag in 2005 beglichen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

I-3 W 23/06

In dem Verfahren

auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 19. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 28. Oktober 2005 unter Mitwirkung der Richter am Oberlandesgericht G., B. und von W.

am 3. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Das Rechtsmittel des Antragsgegners wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Gesuch des Antragsgegners um Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Gregor Goniwiecha in 40667 Meerbusch bewilligt.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 8.000,- Euro.

Gründe:

I.

Die Vorsitzende der 19. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal hat durch Beschluss vom 28. Oktober 2005 auf Gesuch der Antragstellerin u. A. angeordnet:

"Das Urteil des Bezirksgerichts in Opole/Polen vom 23.07.2004 - Aktenzeichen: IRC 470/03 - zu Ziffer 3, durch das der Beklagte verurteilt wird, zugunsten der minderjährigen A.G.B., geboren am XX1992, Unterhaltsgeld monatlich in Höhe von 400,00 PLN im Voraus bis zum 15. jeden Monats zu Händen der Mutter der Minderjährigen zu zahlen mit gesetzlichen Zinsen im Falle der Zahlungsverzögerung einer der monatlichen Raten, wird für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar zu erklärt.

Das Urteil des Berufungsgerichts Wroclaw/ Polen vom 20.12.2004 - Aktenzeichen I A Ca 1330/04 - zu Ziffer 2, durch das der Antragsgegner verurteilt wird, die Prozesskosten der Berufung in Höhe von 1.270,00 PLN an die Antragstellerin zu zahlen, wird für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärt."

Gegen diesen Beschluss vom 28. Oktober 2005 wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er die Änderung des angefochtenen Beschlusses dahin, dass das Urteil des Bezirksgerichts in Opole/Polen vom 23. Juli 2004 nicht für vollstreckbar erklärt wird, bzw. die Unzulässigerklärung der Vollstreckungsklausel des Landgerichts begehrt.

Er begründet sein Rechtsmittel dahin, dass die rechtskräftig festgestellte Forderung durch Zahlung erloschen sei. In diesem Zusammenhang verweist er auf die eingereichte Ablichtung einer in polnischer Sprache verfassten Quittung vom 4. April 2005 nebst Übersetzung. Nach der hieraus sich ergebenden Vereinbarung der Beteiligten habe er, der Antragsgegner, seine Unterhaltspflicht durch Übergabe von 30.800 PLN an die Antragstellerin zugunsten der gemeinsamen minderjährigen Tochter A. für den Zeitraum August 2004 bis Dezember 2010, dem Eintritt der Volljährigkeit, erfüllt.

Im Übrigen bittet der Antragsgegner, ihm für seine Rechtsverteidigung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen.

Die Antragstellerin, die ihrerseits um Prozesskostenhilfe sowie Beiordnung ihres Rechtsanwalts nachsucht, tritt dem entgegen und bestreitet unter Beweisantritt, die Zahlung am 4. April 2005 oder zu einem anderen Zeitpunkt erhalten oder quittiert zu haben. Am 4. April 2005 sei sie von 9.30 Uhr bis 18.30 nicht zu Hause gewesen; abends sei sie mit ihrer Tochter zusammen gewesen, die bezeugen könne, dass der Antragsgegner mit ihr, der Antragstellerin, nicht in Kontakt getreten sei, insbesondere keine Zahlungen an sie geleistet habe. Sie habe den Antragsgegner im Jahre 2005 nicht gesehen. Sie vermute, dass der Antragsgegner eines der von ihr im Zusammenhang mit der gemeinsam bis Juni 1999 geführten Abfallentsorgungsfirma P. ("G.") blanko unterschriebenen karierten leeren Blätter zur Erstellung der Quittung verwendet habe. Bereits im Jahr 2001 habe der Antragsgegner in Aussicht gestellt, keinen Unterhalt für die Tochter zahlen und ggf. zum Zwecke der Abwehr des Anspruchs eine "Quittung" vorlegen zu wollen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts eingegangene Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AVAG), aber nicht begründet.

1.

Auf den vorliegenden Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung ist das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl 1986 II, 826 - Haager Unterhaltsübereinkommen) anzuwenden (vgl. Art. 71 EuGVVO; Hüßtege in Thomas-Putzo Rdz. 2). Dieses ist für die Bundesrepublik Deutschland am 26. Juli 1986, für die Republik Polen am 1. Juli 1996 (BGBl 1996 II, 1073) in Kraft getreten.

Das Abkommen geht vom Günstigkeitsprinzip (Art. 23) aus, schließt also die Anwendung anerkennungsfreundlicherer Regelungen, etwa aus der EuGVVO, nicht aus. Für das Haager Unterhaltsübereinkommen gilt darüber hinaus auch das AVAG (§ 1 Abs. 1 Nr. 1c AVAG).

2.

a)

Es ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin erstinstanzlich, wie Artikel 17 des Haager Unterhaltsübereinkommens dies erfordert, eine Ausfertigung der ausländischen Entscheidung mit Übersetzung vorgelegt, sowie Rechtskraft und Vollstreckbarkeit der Entscheidung urkundlich nachgewiesen hat.

Der Nachweis der Zustellung ist nach dem Haager Unterhaltsübereinkommen nicht erforderlich.

Der Antragsgegner hat das Vorliegen der formalen Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nicht in Abrede gestellt.

b)

Die Vollstreckbarkeitserklärung darf nur aus den in Artikel 4 und 5 des Haager Unterhaltsübereinkommens genannten Gründen versagt werden. Im Übrigen darf die ausländische Entscheidung nicht auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft werden (Artikel 12 Haager Unterhaltsübereinkommen).

Artikel 5 Nr. 1 des Haager Unterhaltsübereinkommens bestimmt, dass die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung versagt werden darf, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung mit der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates offensichtlich unvereinbar ist. Dies ist vorliegend weder geltend gemacht noch ersichtlich.

3.

Der Quittung vom 4. April 2005 beurkundete - streitige - Zahlungsvorgang ist nicht geeignet, die Vollstreckbarerklärung des titulierten Unterhaltsanspruchs zu versagen.

a)

§ 12 Abs. 1 AVAG bestimmt, dass der Verpflichtete mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen kann, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind.

aa)

Die Anwendbarkeit des § 12 Abs. 1 AVAG, der es dem Schuldner ermöglicht, dem titulierten Anspruch nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen entgegenzuhalten, wird für Vollstreckbarerklärungen aufgrund des Art. 38 EuGVVO allerdings in der Literatur von einigen mit dem Argument verneint, § 12 AVAG werde durch Art. 45 EuGVVO verdrängt, weil hierin ausdrücklich bestimmt sei, dass auf einen Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVVO die Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in den Art. 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt werden dürfe. Hierzu gehörten nach Urteilserlass entstandene Einwendungen materiell-rechtlicher Art aber gerade nicht (Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 3; MünchKomm-ZPO- Gottwald, 2. Auflage, Aktualisierungsband, Art. 45 EuGVVO Rn. 4; Hub NJW 2001, 3145, 3147). Das OLG Koblenz (OLGR 2005, 276) meint in diesem Zusammenhang, auch wenn § 12 AVAG in § 55 AVAG (Vollzug der EuGVVO) nicht für unanwendbar erklärt sei, vermöge das innerstaatliche (Durchführungs-) Recht nicht Vorschriften des - höherrangigen - Gemeinschaftsrechts zu derogieren.

Die Gegenmeinung hingegen geht davon aus, dass, da die Behandlung nachträglich entstandener materiell-rechtlicher Einwendungen gegen einen Titel in der EuGVVO nicht geregelt sei, es dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleibe, eigenständig zu regeln, wie diese Lücke zu füllen sei. Daher könne der Schuldner vor deutschen Gerichten solche Einwände weiterhin nach § 12 AVAG im Rechtsbehelfsverfahren geltend machen (Wagner IPRax 2002, 75, 82).

Zum Teil wird auch angenommen, dass es der Beschleunigungseffekt, dem Art. 45 EuGVVO diene, erfordere, § 12 AVAG gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass materiell-rechtliche Einwendungen nur zuzulassen seien, wenn sie unbestritten oder rechtskräftig festgestellt worden seien. Nur andere Einwendungen müsste der Antragsgegner mit der Vollstreckungsgegenklage geltend machen (Zöller-Geimer, ZPO, 25. A., Art. 45 EuGVVO Rn. 1; ders. in Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. A., Rn. 3152 a).

bb)

Der Senat (Beschluss vom 1. März 2005 - 3 Wx 335/04, NJW-RR 2005, 933) hat sich der letztgenannten Auffassung insoweit angeschlossen, als zumindest eine unstreitige Erfüllung nach Erlass des ausländischen Urteils vom Schuldner im Rahmen des § 12 AVAG auch nach Inkrafttreten der EUGVVO dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung entgegen gehalten werden kann. Er ist hierbei davon ausgegangen, dass eine Beschränkung der Einwendungen nach Artikel 45 Abs. 1 EuGVVO dazu dienen soll, das Verfahren der Vollstreckbarerklärung zu beschleunigen und dem Gläubiger die Möglichkeit zu geben, einen bereits erwirkten Titel rasch auch im EU-Ausland zu vollstrecken, ohne sich auf langwierige Auseinandersetzungen mit dem Schuldner einlassen zu müssen. Dieser Schutzzweck erfordere es nicht, nachträglich entstandene Einwendungen, die ohne jede zeitliche Verzögerung berücksichtigt werden können, weil der Gläubiger selbst sie zugesteht, in dem Beschwerdeverfahren gemäß Art. 43 EuGVVO, §§ 11 ff. AVAG auszuschließen. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, auch bei solchen Einwendungen den Schuldner auf die Möglichkeit eines Vollstreckungsschutzantrags zu verweisen, bis über einen anderen Rechtsbehelf, etwa eine Vollstreckungsgegenklage, entschieden ist. Denn es stehe ja bereits fest, dass die titulierte Forderung endgültig nicht mehr beigetrieben werden dürfe. Somit sei in den Fällen einer unstreitig nachträglich entstandenen Einwendung gegen den titulierten Anspruch selbst die gebotene gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 12 AVAG in der dargestellten Art ausreichend, um den Regelungen der EuGVVO Rechnung zu tragen.

b)

aa)

Abgesehen davon, dass auch das Haager Unterhaltsübereinkommen andere Versagungsgründe als dort in Art. 5 aufgezählt, nicht vorsieht, und insbesondere nicht zwischen vor und nach Erlass der Entscheidung entstandenen Versagungsgründen differenziert, gilt dort das sog. Günstigkeitsprinzip (Art. 23; vgl. auch Linke, Internationales Privatrecht, Rdz. 339), weshalb die vorangegangenen Ausführungen unter a) bb) auch bei vorrangiger Anwendung des Haager Übereinkommens - und auch unter Berücksichtigung des Art. 13 des Haager Unterhaltsübereinkommens - gelten.

Er ist also davon auszugehen, dass eine - strikte ("nur") - Beschränkung der Einwendungen durch Artikel 45 Abs. 1 EuGVVO dazu dienen soll, das Verfahren der Vollstreckbarerklärung zu beschleunigen (vgl. auch. Art. 45 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO "unverzüglich"), um dem Gläubiger die Möglichkeit zu geben, einen bereits erwirkten Titel rasch auch im EU-Ausland zu vollstrecken, ohne sich auf langwierige Auseinandersetzungen mit dem Schuldner einlassen zu müssen (Senat a.a.O.).

bb)

Dies vorausgeschickt kann der Antragsgegner der Antragstellerin vorliegend nicht entgegenhalten, die zu ihren Händen in 2004 titulierte Unterhaltsforderung der gemeinsamen Tochter sei durch Erfüllung am 4. April 2005 erloschen. Würde man diesen Einwand zulassen, so wäre der Unterhaltstitel der Antragstellerin zugunsten der gemeinsamen Tochter der Beteiligten für unabsehbare Zeit nicht vollstreckbar, was dem mit der restriktiven Formulierung der Versagungsgründe in Art. 45 Abs. 1 EuGVVO verfolgten Bestreben, "den Verkehr der Urteile innerhalb des Binnenmarkts zu verbessern" (vgl. Kommisionsbericht Drucksache 534/99 zu Art. 41) zuwiderlaufen würde.

Denn das Erfüllungsvorbringen ist vorliegend streitig, weil die Antragstellerin dem unter Vorlage einer angeblichen Quittung seitens des Antragsgegners vorgetragenen Erfüllungseinwand mit substantiiertem und daher erheblichem Vorbringen (unter Beweisantritt) entgegengetreten ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Prozesskostenhilfe war dem Antragsgegner mangels Erfolgsaussicht seiner Rechtsverteidigung zu versagen, § 114 ZPO.

Ende der Entscheidung

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