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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.10.2007
Aktenzeichen: I-3 Wx 218/07
Rechtsgebiete: AufenthG, AsylVfG, FreihEntzG, FGG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 1 S. 4
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 3
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 5
AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 4
AufenthG § 72 Abs. 4
AufenthG § 87 Abs. 4
AsylVfG § 71 Abs. 8
FreihEntzG § 14 Abs. 3
FreihEntzG § 16 Abs. 1
FreihEntzG § 16 Satz 1
FGG § 13 a
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Betroffene hat die Gerichtskosten für die amtsgerichtliche Haftanordnung zu tragen.

Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat dem Betroffenen die Hälfte seiner ihm im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste am 05.Januar 2003 mit einem bis zum 05. April 2003 gültigen Visum erstmals in das Bundesgebiet ein. Unter dem 10. Januar 2003 stellte er einen Asylantrag, der durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge am 12. März 2003 - bestandskräftig seit dem 28. März 2003 - unter Androhung der Abschiebung als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.

Der Betroffene kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, tauchte unter und wurde am 10. Oktober 2003 nach unbekannt abgemeldet und zur Fahndung ausgeschrieben.

Am 14. Dezember 2003 wurde er in Rostock vorläufig festgenommen. Bei der Ausländerbehörde Kleve erklärte der Betroffene am 18. Dezember 2003, nicht freiwillig in sein Heimatland zurückkehren zu wollen. Nach vorübergehender Duldung wurden Aufenthalts beendende Maßnahmen eingeleitet. Nach Ausstellung eines Passersatzpapiers sollte er, nach schriftlicher Ankündigung am 03. Januar 2005, am 07. Januar 2005 in sein Heimatland abgeschoben werden. Zu diesem Termin erschien er nicht, er tauchte vielmehr erneut unter und wurde wiederum zur Fahndung ausgeschrieben.

Im Rahmen anderweitiger polizeilicher Ermittlungen wurde der Betroffene am 07. August 2007 in Düsseldorf überprüft. Er wies sich dabei zunächst mit einem auf den Namen seines Bruders ausgestellten deutschen Führerschein aus. Der Betroffene wurde festgenommen.

Auf Gesuch des Antragstellers hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 08. August 2007 Sicherungshaft gemäß §§ 62 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 5 AufenthG für längstens drei Monate angeordnet.

Mit der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat der Betroffene im Wesentlichen geltend gemacht, die Abschiebungshaft hätte wegen § 62 Abs. 1 Satz 4 AufenthG mit Blick auf gegen den Betroffenen laufende Ermittlungsverfahren nicht angeordnet werden dürfen, da der Antragsteller die Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 AufenthG nicht eingeholt habe.

Das Landgericht hat das Rechtsmittel am 01. Oktober 2007 zurückgewiesen und zur Begründung u. A. ausgeführt, der Betroffene habe den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AufenthG verwirklicht. Er habe seinen Aufenthaltsort gewechselt, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er zu erreichen war, ferner sei er aus von ihm zu vertretenden Gründen zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen worden. Es bestehe der begründete Verdacht, dass der Betroffene, käme er auf freien Fuß, sich der Abschiebung durch Untertauchen entziehen werde, § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG. So habe er angegeben, nicht freiwillig in sein Heimatland zurückkehren zu wollen. Er habe bereits zwei Jahre in der Illegalität gelebt.

Der Abschiebungshaft stünden auch keine Abschiebehindernisse entgegen. Der unter dem 17. September 2007 gestellte Asylfolgeantrag hindere die Aufrechterhaltung der Haft nicht, § 71 Abs. 8 AsylVfG.

Da der Betroffene im Übrigen die Geldstrafe aus dem Strafbefehl bezahlt habe, habe es einer Zustimmung nach § 72 Abs. 4 AufenthG zur Abschiebung durch die Staatsanwaltschaft Duisburg nicht bedurft. Im Übrigen seien der Ausländerbehörde weitere staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren nicht bekannt, die eine entsprechende Zustimmung erforderlich machen würden.

Die Dauer der Haft sei verhältnismäßig. Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung nicht innerhalb der festgesetzten Frist werde erfolgen können, seien nicht gegeben. Die libanesischen Behörden hätten der Zentralen Ausländerbehörde unter dem 29. August 2007 zugesagt, innerhalb der festgesetzten Frist die Passersatzpapiere auszustellen.

Gegen den landgerichtlichen Beschluss hat sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 08. Oktober 2007 gerichtet, der geltend gemacht hat, die Staatsanwaltschaft Düsseldorf führe gegenwärtig drei Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen, nämlich das Verfahren 20 Js 6475/07 (wegen illegalen Aufenthalts), das Verfahren 20 Js 6666/07 (wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis), ferner ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges (PP Düsseldorf Tagebuchnummer: 5000000-107394-07/6); das staatsanwaltliche Aktenzeichen sei noch nicht bekannt. Die gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG erforderliche Zustimmung der Ermittlungsbehörde zur Aufenthaltsbeendigung habe die Ausländerbehörde nicht eingeholt.

Nachdem die Zentrale Ausländerbehörde noch am 29. August 2007 eine Auskunft der libanesischen Behörden dahin erhalten hatte, dass während der Haftdauer ein neues "Laissez-Passer" ausgestellt werde, wurde der Ausländerbehörde des Kreises Kleve am 12. Oktober 2007 bekannt, dass eine Abschiebung des Betroffenen trotz des "Laissez-Passer" nun doch nicht möglich sei. Diese Nachricht ging dem Antragsteller am Freitag, dem 12. Oktober 2007 um 14.06 Uhr nach Dienstschluss zu. Die Haftentlassung des Betroffene wurde darauf am Montag, dem 15. Oktober 2007, um 7.39 Uhr veranlasst.

Der Betroffene erklärt das Verfahren für erledigt und beantragt, die Kosten der Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen.

Der Antragsteller tritt dem entgegen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

1.

Durch die Haftentlassung am 15. Oktober 2007 ist die Freiheitsentziehung des Betroffenen beendet worden, das Verfahren ist nach Einlegung der weiteren Beschwerde in der Hauptsache erledigt.

2. Nachdem der Betroffene sein Rechtsmittel zulässigerweise auf die Kostenfrage beschränkt hat, muss der Senat nunmehr über die gesamten Verfahrenskosten befinden.

a)

aa)

Der Betroffene hat die Gerichtskosten erster Instanz zu tragen, weil die amtsgerichtliche Haftanordnung zu Recht ergangen ist. Bei dem einen Aufenthaltstitel nicht besitzenden und daher zur Ausreise verpflichteten Betroffenen (§ 50 Abs. 1/2 AufenthG) lagen die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 5 AufentG vor. Es bestand zu dieser Zeit kein Anhalt dafür, dass aus von dem Betroffenen nicht zu vertretenden Gründen die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann, § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG.

bb)

Für das Beschwerdeverfahren sind Gerichtskosten nicht zu erheben, § 14 Abs. 3 FrhEntzG. Das Landgericht hätte nämlich das Rechtsmittel nicht zurückweisen dürfen, weil es keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob aus von dem Betroffenen nicht zu vertretenden Gründen die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann, § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG. Die formelhafte Feststellung, es lägen insoweit keine Anhaltspunkte vor, reichte dazu nicht aus. Denn in Fällen, in denen gegen einen Ausländer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, kann die Abschiebung an dem gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG notwendigen Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft, und damit aus vom Betroffenen nicht zu vertretenden Gründen, scheitern. In diesen Fällen muss daher von Amts wegen (§ 12 FGG) geprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Abschiebung trotz des laufenden Strafverfahrens einverstanden ist oder aus sonstigen Gründen ein kurzfristiger Abschluss des Strafverfahrens nicht ausgeschlossen erscheint (OLG München 34 Wx 64/05 vom 07.06.2005 bei Juris; BayObLG InfAuslR 2002, 314).

Vorliegend sind mehrere Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig, nämlich das Verfahren 20 Js 6475/07 (wegen illegalen Aufenthalts), das Verfahren 20 Js 6666/07 (wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis), ferner ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges (PP Düsseldorf Tagebuchnummer: 5000000-107394-07/6); das staatsanwaltliche Aktenzeichen ist noch nicht bekannt. Ob ein Haftbefehl gegen den Betroffenen besteht und er sich gar deshalb in Untersuchungshaft (Überhaft) befindet, ist nicht festgestellt. Aber auch ohne diese Voraussetzungen hatte das Landgericht mit Rücksicht auf die Regelung in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthaltsG zu prüfen, ob eine Abschiebung bis zum 08. November 2007 grundsätzlich noch möglich ist, sei es, dass die Staatsanwaltschaft einer Abschiebung trotz der laufenden Ermittlungsverfahren zustimmt, sei es, dass ein rechtskräftiger Abschluss dieser Verfahren bis zum Ablauf der Haftanordnung am 08. November 2007 in Betracht kommt.

Hat die Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen mit der Abschiebung des Betroffenen bisher nicht erteilt, besteht für den Tatrichter im Allgemeinen Anlass, genauer zu ermitteln und darzulegen, weshalb die Abschiebung binnen der Dreimonatsfrist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht ausgeschlossen erscheint (OLG München a.a.O.).

Dem genügt der angefochtene Beschluss nicht. Darauf, ob der Ausländerbehörde staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren bekannt sind, kann es nicht ankommen. Entscheidend ist, ob dem Tatgericht solche bekannt geworden sind bzw. deren Sachstand mit Blick auf eine Zustimmung der Ermittlungsbehörde nach § 72 Abs. 4 AufenthG bzw. die Prognose eines kurzfristigen Abschlusses unschwer erfragt werden kann.

Dies war vorliegend zumindest hinsichtlich der Ermittlungsverfahren 20 Js 6475/07 (wegen illegalen Aufenthalts) und 20 Js 6666/07 (wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis) der Fall. Denn der Betroffene hat mit dem am 26. September 2007 eingegangenen Fax seines Verfahrensbevollmächtigten drei Schreiben des Polizeipräsidiums Düsseldorf vom 20. September 2007 eingereicht, in denen die Aktenzeichen und die Ermittlungsgegenstände bezeichnet sind, wodurch die Kammer sich hätte veranlasst sehen müssen, vor ihrer Entscheidung vom 01. Oktober 2007 zwecks Objektivierung einer Prognose im Sinne von § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG bei der Staatsanwaltschaft nachzufragen, ob diese gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG zustimmt oder mit einem zeitnahen Abschluss dieser Verfahren zu rechnen ist.

Dies hätte die Kammer ohne Erledigung der Hauptsache nachzuholen gehabt, weshalb die Erstbeschwerde in diesem Stadium nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen.

cc)

Für die dritte Instanz fallen Gerichtskosten dem Betroffenen nicht zur Last, da insoweit keiner der in § 14 Abs. 3 FreihEntzG vorgesehenen Gebührentatbestände erfüllt ist.

b) Eine Überbürdung der dem Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten auf die Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehört, kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 16 Satz 1 FreihEntzG (vgl. BayObLG a.a.O.; BayObLGZ 1997, 379/380) nicht gegeben sind. Das Verfahren hat nämlich nicht ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags auf Anordnung von Sicherungshaft nicht vorlag.

Zwar regelt die Erstattung außergerichtlicher Auslagen im Freiheitsentziehungsverfahren in Abweichung von § 13 a FGG die Vorschrift des § 16 Abs. 1 FreihEntzG (vgl. Thüringer OLG v. 24.01.2001 bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Der Regelungsgehalt des § 16 Satz 1 FreihEntzG deckt aber im vorliegenden Fall den Verfahrensgegenstand nicht ab.

aa)

Es lässt sich nicht sagen, dass der Antragsteller es in Kenntnis gegen den Betroffenen geführter staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren versäumt habe, mit Blick auf § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG bei der Staatsanwaltschaft nachzufragen, ob diese gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG zustimmt oder mit einem zeitnahen Abschluss dieser Verfahren zu rechnen sei. Die gemäß § 87 Abs. 4 AufenthG zu einer entsprechenden Mitteilung an die Ausländerbehörde verpflichtete Staatsanwaltschaft hatte solches nicht mitgeteilt. Auch steht nicht fest, dass der Antragsteller auf anderem Wege von Aktenzeichen konkreter Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen Kenntnis erlangt hatte.

bb)

Allerdings war der Betroffene seit dem Nachmittag des 12. Oktober 2007 bis zu seiner Haftentlassung am Morgen des 15. Oktober 2007 zu Unrecht inhaftiert.

Die auf Seiten des Antragstellers beteiligten Behörden hätten nämlich sicherstellen müssen, dass die spätestens im Laufe des Vormittags des 12. Oktober 2007 bei der Zentralen Ausländerbehörde vorhandene Information - auch außerhalb der regulären Dienstzeit - einem zur Entscheidung über die Entlassung befugten Mitarbeiter (einer Mitarbeiterin) unverzüglich zur Kenntnis gelangte, der die Haftentlassung umgehend hätte in die Wege leiten können und müssen (vgl. Senat I-3 Wx 135/07 vom 03. August 2007 bei Juris).

Dieses Versäumnis hat - unabhängig von der Verantwortungsstruktur im Innenverhältnis der Behörden - zur Folge, dass wegen der insoweit in den Vordergrund tretenden Bedeutung des § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG (Senat InfAuslR 2004, 210) aus Gründen der Billigkeit die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten dem Betroffenen von dem Antragsteller (Gebietskörperschaft) hälftig zu erstatten sind. Dies rechtfertigt sich daraus, dass der Betroffene ungefähr während der halben Dauer des Verfahren der weiteren Beschwerde zu Unrecht inhaftiert war.

Ende der Entscheidung

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