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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.03.2007
Aktenzeichen: I-9 U 46/07
Rechtsgebiete: BGB, SGB V


Vorschriften:

BGB § 138
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 242
BGB § 723 Abs. 3
SGB V § 103 Abs. 4 S. 3
SGB V § 103 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das am 4. Januar 2007 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Verfügungskläger.

Dieses Urteil ist hinsichtlich der Entscheidung über die Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte weder einen Anspruch auf Unterlassung der Ausübung einer Tätigkeit als Ärztin in freier Praxis auf dem Gebiet der Stadt O..., noch auf den Verzicht auf ihre Zulassung als Vertragsärztin der Fachgruppe Orthopädie für den Zulassungsbezirk O.... Auch der Hilfsantrag ist unbegründet.

Das in § 19 des Gesellschaftsvertrages vom 19.06.1998 vereinbarte Rückkehrverbot, welches als Wettbewerbsverbot zu qualifizieren ist, ist auch nach Auffassung des Senats gemäß § 138 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG sittenwidrig und daher nichtig.

Nachvertragliche Wettbewerbseinschränkungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, mit Rücksicht auf die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit nur dann gerechtfertigt und nicht gemäß § 138 BGB sittenwidrig, wenn und soweit sie notwendig sind, um die Partner des ausgeschiedenen Gesellschafters vor einer illoyalen Verwertung der Erfolge der gemeinsamen Arbeit oder vor einem Missbrauch der Ausübung der Berufsfreiheit zu schützen. Sie dürfen insbesondere nicht dazu eingesetzt werden, den früheren Mitgesellschafter als Wettbewerber auszuschalten. Ihre Wirksamkeit hängt davon ab, dass sie in räumlicher, gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreiten (vgl. BGH NJW 1984, 2366; NJW 1986, 2944; NJW 1991, 1241 NJW 2000, 2584 und NJW 2005, 3061).

Das von den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot hält der nach diesen Maßstäben anzustellenden Prüfung nicht stand.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass auch der Kläger ein berechtigtes, ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse an der Fortführung der Praxis als Gemeinschaftspraxis hat (vgl. dazu BGH NJW 2002, 3536):

"Art. 12 Abs. 1 GG enthält ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit, das sich dem Grunde nach auf die Berufswahl wie die Berufsausübung erstreckt (BVerfGE 7, 377 [402] = NJW 1958, 1035, st. Rspr.). Wird die Tätigkeit als Kassenarzt in zulässiger Weise in einer Gemeinschaftspraxis ausgeübt, so stellt die Wahl einer solchen Praxisform eine Entscheidung für eine bestimmte Art der Berufsausübung dar und ist ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Diesem Schutz ist immanent, dass die Gemeinschaftspraxis in der Form und mit der Anzahl von Vertragsärzten grundsätzlich weiter betrieben werden kann, die für sie vorgesehen ist. Deshalb hat der Gesetzgeber die Verkleinerung einer Gemeinschaftspraxis durch das Ausscheiden eines Vertragsarztes in § 103 VI SGB V erschwerten Bedingungen unterworfen. Das Bundessozialgericht hat aus dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung für die Ärzte einer Gemeinschaftspraxis ein eigenes Recht hergeleitet, nach dem Ausscheiden eines Vertragsarztes ein Ausschreibungsverfahren für dessen Nachfolge einzuleiten, obwohl das Gesetz ursprünglich nur dem Ausscheidenden ein derartiges Recht einräumen wollte (BSG, NZS 1999, 470). Zudem hat es entschieden, dass im Nachbesetzungsverfahren Ärzten, welche die Tätigkeit des ausgeschiedenen Arztes in der Gemeinschaftspraxis nicht fortsetzen wollen, auf der Grundlage des § 103 Abs. 4 S. 3 SGB V keine Zulassung erteilt werden darf (BSGE 85, 1)" (BGH a.a.O.).

Es erscheint auch plausibel, wenn der Kläger geltend macht, dass die Auflösung der Gemeinschaftspraxis für ihn einen dauerhaften finanziellen Verlust zur Folge hat.

Diesen schützenswerten Interessen des Klägers steht aber das ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der Beklagten auf Berufsfreiheit gleichwertig gegenüber. Dieser Konflikt ist nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (BVerfGE 93, 1 [21] = NJW 1995, 2477 m.w. Nachw.; BGH a.a.O) Die schwächere Position darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muss in jedem Fall respektiert werden (BVerfGE 28, 243 [261] = NJW 1970, 1729).

Das ist hier jedoch nicht der Fall.

Das von den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot berücksichtigt zu einseitig die Interessen des verbleibenden Gesellschafters an der Fortführung einer Gemeinschaftspraxis. Konsequenz des Verbots ist es, dass der ausscheidende Gesellschafter als Konkurrent ausgeschaltet und ihm eine realistische Perspektive für eine Tätigkeit als Orthopäde - seinem Wortlaut nach sogar als Vertragsarzt überhaupt - im Zulassungsbezirk O..., unter Umständen sogar in anderen Zulassungsbezirken genommen wird. Dies ist von dem berechtigten Anliegen des Verfügungsklägers als verbleibender Gesellschafter, sich auf Zeit vor illoyaler Ausnutzung der in der Gemeinschaftspraxis erworbenen Kenntnisse und Verbindungen zu schützen, nicht gedeckt und begegnet obendrein Bedenken im Hinblick auf § 723 Abs. 3 BGB, weil diese Gestaltung des Wettbewerbsverbots geeignet wäre, ein Mitglied der Praxis von der Ausübung seines Kündigungsrechts der gesetzlichen Regelung zuwider abzuhalten (vgl. dazu BGH NJW 1997, 3089).

Es kann offen bleiben, ob bei einem Facharzt die Dauer des Niederlassungsverbots in einem Zulassungsbezirk von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden aus einer Gemeinschaftspraxis für sich gesehen das Wettbewerbsverbot sittenwidrig erscheinen lässt (verneinend OLG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 24.09.1993, AZ.: 10 U 20/93). Jedenfalls gilt dies hier aber angesichts der Folgen, die sich für die Verfügungsbeklagte daraus weiter ergeben. Denn nach dem übereinstimmendem Vortrag der Parteien verliert sie auf "unabsehbare Zeit" - so der Verfügungskläger bereits in der Antragsschrift - die kassenärztlichen Zulassung im Bezirk O..., weil es "völlig unabsehbar" ist - so ebenfalls der Verfügungskläger - , ob und wann sie wieder eine Zulassung im gesperrten Zulassungsbezirk erhalten könnte. Sie wäre folglich gezwungen, den Bezirk zu verlassen und sich örtlich neu zu orientieren, wobei aber auch dann ungewiss wäre, ob und gegebenenfalls wann sie in einem anderen Bezirk eine Zulassung erhalten würde.

Hinzu kommt, dass die Rückkehrklausel, wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, auch in gegenständlicher Hinsicht das Maß des Zulässigen überschreitet.

Es heißt dort, dem ausscheidenden Gesellschafter sei es untersagt, sich im Bezirk O... "als Arzt in freier Praxis" zur Ausübung "privat- und/oder kassenärztlicher Tätigkeit" niederzulassen. Erfasst ist somit auch eine privatärztliche Tätigkeit, im Übrigen aber auch jede andere freiberufliche Tätigkeit sogar als Allgemeinarzt. Auch wenn man - wofür Vieles spricht - das Verbot auf eine Facharzttätigkeit beschränkt, führt es im Ergebnis zu einem Berufsverbot zu Lasten der Verfügungsbeklagten, während der Verfügungskläger seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben kann und unter Umständen sogar die Möglichkeit hat, die Praxis mit einem schon zugelassenen Kollegen als Gemeinschaftspraxis fortzuführen, so dass ein Verbleib der kassenärztlichen Zulassung in der Praxis dann nicht erforderlich wäre.

Soweit der Verfügungskläger in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.07.2002, abgedruckt in NJW 2002, 3536 verweist, übersieht er die besonderen tatsächlichen Umstände, die jener Entscheidung zugrunde lagen.

Der Bundesgerichtshof hat in zwei Grundsatzentscheidungen vom selben Tage (vgl. auch NJW 2002, 3538) eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die einem ausscheidenden Gesellschafter eine Verpflichtung zum Zulassungsverzicht auferlegt, in solchen Fällen als wirksam angesehen, in denen das Ausscheiden aus der Gesellschaft nach relativ kurzer Zeit der Mitarbeit erfolgte. Im einem Fall bestand die Mitgliedschaft des ausgeschiedenen Vertragsarztes ein Jahr und neun Monate; im anderen sogar nur knapp neun Monate. Jedenfalls bei einem solchen Sachverhalt, so der Bundesgerichtshof, sei das Interesse der verbleibenden Ärzte an der Fortführung der Praxis im bisherigen Umfang höher zu bewerten als das Interesse des Arztes an der Eröffnung einer neuen Praxis im selben Zulassungsbezirk.

Hier jedoch hat die Verfügungsbeklagte die Praxis gegründet, zunächst auch alleine geführt und sodann über Jahre der Zusammenarbeit mit dem Verfügungskläger zumindest weiter mitgeprägt. Anders als in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden Fällen ist es hier also gerade nicht so, dass die Verfügungsbeklagte nach dem Ausscheiden aus der Praxis lediglich wieder dort steht, wo sie wenige Monate vorher gestanden hat. Sie hat hier vielmehr eine Position in der Praxis innegehabt, die gegenüber derjenigen des Verfügungsklägers mindestens gleichwertig ist.

Auch der Einwand des Verfügungsklägers, es sei der Verfügungsbeklagten unbenommen, eine Stelle in einem Krankenhaus als orthopädische Fachärztin anzunehmen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.

Abgesehen davon, dass die Verfügungsbeklagte auch eine solche Anstellung erst einmal finden müsste, wäre diese sowohl in finanzieller Hinsicht als auch bezüglich des Status mit der Position einer langjährig freiberuflich selbstständig tätigen Ärztin schwerlich vergleichbar.

An der Beurteilung des Rückkehrverbots als sittenwidrig ändert auch die Abfindungsregelung des § 18 des Gesellschaftsvertrages nichts. Sie gewährt keinen hinreichenden Ausgleich für die beruflichen Nachteile des ausscheidenden Gesellschafters.

Denn es heißt dort zwar, für den Fall, dass der verbleibende Gesellschafter den Patientenstamm des ausscheidenden Gesellschafters übernehme, sei als Abfindung ab dem 01.01.2000 ein Betrag von 12,5 % des Durchschnitts der Jahresumsätze der Gemeinschaftspraxis in den letzten beiden vollständigen Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Ausscheidens zu zahlen. Damit mag das Verbleiben der Patienten des ausscheidenden Gesellschafters in der Praxis hinreichend entschädigt sein, nicht aber die Tatsache, dass er auch seine Zulassung verliert und in eine beruflich völlig ungewisse Lage gerät.

Mit zutreffenden Gründen hat das Landgericht auch die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion des Rückkehrverbots verneint.

Es kann auch hier offen bleiben, ob die zeitliche Ausdehnung des in jener Klausel enthaltenen Wettbewerbsverbots für sich gesehen schon dessen Nichtigkeit begründet. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs findet eine geltungserhaltende Reduktion ihre Grenzen dort, wo die Sittenwidrigkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Regelung nicht allein in der zeitlichen Ausdehnung liegt, sondern weitere zur Anwendbarkeit des § 138 BGB führende Gründe hinzutreten (BGH, NJW 1997, 3089; s. auch OLG Düsseldorf, ZIP 1999, 311). Dann geht es nicht mehr nur um die Reduzierung einer bloß quantitativ zu weitgehenden, im übrigen aber von dem anzuerkennenden Willen der Parteien getragenen Regelung. Vorliegend überschreiten jedenfalls auch die örtliche und gegenständliche Ausdehnung den notwendigen und damit zulässigen Umfang eines Wettbewerbsverbots. Eine Rückführung der vertraglichen Vereinbarungen auf das zulässige Maß, um den Einklang mit der Rechtsordnung herzustellen, würde daher, wie das Landgericht bereits ausgeführt hat, ein rechtsgestaltendes Eingreifen des Gerichts auf den übrigen Inhalt des sittenwidrigen Geschäfts bedeuten. Dies überschreitet nicht nur den richterlichen Gestaltungsspielraum, sondern widerspricht auch dem mit der Regelung des § 138 BGB verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko zuzuweisen, dass eine zwischen ihnen getroffene Vereinbarung sittenwidrig und somit nichtig ist.

Die Verfügungsbeklagte kann hier schließlich auch die Nichtigkeit des Rückkehrverbots geltend machen, obwohl sie dieses selbst in den Gesellschaftsvertrag eingeführt hat.

Zwar gilt der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) grundsätzlich auch im Rahmen nichtiger Rechtsgeschäfte (BGH NJW 1981, 1440). Danach kann sich auch die Berufung auf eine Nichtigkeit nach § 138 BGB ausnahmsweise als unzulässige Rechtsausübung darstellen. Dies muss jedoch, so der Bundesgerichtshof a.a.O., auf besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, damit nicht sittenwidrige Geschäfte auf dem Umweg über § 242 BGB im Ergebnis wieder Wirksamkeit erlangen.

Ein besonders gelagerter Ausnahmefall liegt hier aber nicht allein deshalb vor, weil die Verfügungsbeklagte das Rückkehrverbot in den Gesellschaftsvertrag eingeführt hat. Es ist nicht erkennbar und wird auch nicht vorgetragen, dass die Verfügungsbeklagte in irgend einer Form eine "missliche" Situation des Verfügungsklägers ausgenutzt hat. Auch war sie diejenige, die die Praxis bereits betrieb. Insofern ist es nachvollziehbar, dass sie sich schützen wollte. Im übrigen war von vornherein klar, dass sich die Klausel gegen beide Gesellschafter gleichermaßen richtete.

Der Verfügungsantrag zu 2), mit dem der Verfügungskläger die Verurteilung der Verfügungsbeklagten zum Verzicht auf ihre Zulassung als Vertragsärztin der Fachgruppe Orthopädie für den Zulassungsbezirk O... und auf ihr Recht auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes erreichen möchte, hat, abgesehen von den vom Landgericht zur Sache gemachten Ausführungen schon deshalb keinen Erfolg, weil er das Ergebnis in der Hauptsache vorwegnehmen und bereits zu einer Erfüllung der Forderung des Verfügungsklägers mit irreparablen Folgen für die Verfügungsbeklagte führen würde.

Aber auch den Hilfsantrag zu 3) hat das Landgericht zu Recht abgewiesen. Denn mangels Erfolgsaussichten der Anträge des Verfügungsklägers in der Hauptsache kann der Verfügungsbeklagten aufgrund der damit verbundenen Nachteile nicht untersagt werden, auf Auflösung der Gemeinschaftspraxis mit dem Verfügungskläger der auf Verlegung des Vertragsarztsitzes gerichtete Erklärungen gegenüber dem Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein abzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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