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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.12.2005
Aktenzeichen: II-1 UF 129/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 93 a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Duisburg-Hamborn vom 15.03.2005 abgeändert und der Scheidungsantrag abgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Tatbestand

und

Entscheidungsgründe:

I.

Die Parteien sind türkische Staatsangehörige; sie haben am 08.04.1971 in der Türkei geheiratet und drei erwachsene Söhne. Auf Antrag des Ehemannes hat das Amtsgericht die Ehe geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Ehemann zu nachehelichem Unterhalt verurteilt. In der Berufungsinstanz streiten die Parteien über die Frage, ob die Ehefrau dem Scheidungsantrag nach türkischem Recht mit Erfolg widersprechen kann, und über die Höhe des Unterhalts.

Unstreitig hat der Ehemann schon im März 2001 eine eigene Wohnung gemietet neben der Ehewohnung, die weiter von der Ehefrau, zunächst zusammen mit anderen Familienangehörigen, bewohnt wurde und wird. Die Ehefrau hat unter anderem behauptet, der Ehemann habe in der Türkei bereits eine neue Partnerin, und dem Scheidungsbegehren widersprochen.

Das Amtsgericht hat zur Begründung der Scheidung ausgeführt, die Fortsetzung der Ehe sei den Ehegatten nicht zuzumuten und der Ehefrau stehe ein Widerspruchsrecht nicht zu. Die Ehe sei zerrüttet, weil die Parteien seit vier Jahren getrennt lebten und der persönliche Kontakt, der wegen der gemeinsamen Kinder zunächst noch bestanden habe, seit Juni 2003 gänzlich abgebrochen sei. Ein überwiegendes Verschulden des Antragstellers lasse sich nicht feststellen, die Behauptung, der Antragsteller habe sich einer anderen Frau zugewandt, sei bloße Vermutung. Den nachehelichen Unterhalt hat das Amtsgericht mit 800 € ermittelt und festgesetzt.

Gegen diese Entscheidung richten sich die form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen der Antragsgegnerin, die an ihrem Widerspruch festhält, und des Antragstellers, der nicht mehr als 400 € Unterhalt zahlen möchte.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Scheidungsantrag abzuweisen sowie die Berufung des Antragstellers zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit er zu einem höheren Unterhalt als 400 € verurteilt worden ist, sowie die Berufung der Antragstellerin zurückzuweisen.

Der Senat hat die Parteien in der Sitzung vom 22.11.2005 erneut angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bl. 222 bis 225 d.A. verwiesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist abzuändern und der Scheidungsantrag ist zurückzuweisen, da nach dem anzuwendenden türkischen Recht die Voraussetzungen für eine Ehescheidung jedenfalls derzeit nicht erfüllt sind.

Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt die Scheidung dem Recht, das im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgeblich ist. Die allgemeinen Wirkungen der Ehe wiederum richten sich gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB nach dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören, hier also nach türkischem Recht. Das türkische Recht verweist den vorliegenden Fall auch nicht auf das deutsche Recht zurück, weil Art. 13 Abs. 1 des türkischen Gesetzes Nr. 2675 (über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht) Gründe und Folgen von Trennung und Scheidung dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten, also türkischem Recht, unterwirft. Innerhalb des türkischen Sachrechts findet das Gesetz Nr. 4721 vom 22.11.2001, das Türkische Zivilgesetzbuch (ZGB), Anwendung, das am 01.01.2002 in Kraft getreten ist, konkret Art. 166 Abs. 1 und 2 ZGB (Zerrüttung), denn dass die Antragsgegnerin durch schuldhaftes Verhalten im Sinne der Art. 161 bis 164 ZGB Veranlassung zur Erhebung der Scheidungsklage gegeben hätte, ist vom Antragsteller nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.

Nach Art. 166 Abs. 1 und 2 ZGB kann eine Ehe geschieden werden, wenn die eheliche Gemeinschaft so grundlegend zerrüttet ist, dass den Eheleuten deren Fortsetzung nicht zugemutet werden kann, und der Beklagte nicht wirksam von dem Recht, dem Scheidungsantrag zu widersprechen, Gebrauch macht. Die Wirksamkeit des Widerspruchs setzt voraus, dass das Verschulden des Klägers überwiegt, der Widerspruch nicht missbräuchlich ist und an der Aufrechterhaltung der Ehe ein Interesse besteht. Entgegen dem Wortlaut des Art. 166 Abs. 1 ZGB in seiner deutschen Übersetzung (`zerrüttetŽ), auf den sich auch der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Senatstermin berufen hat, herrscht im türkischen Scheidungsrecht weiterhin das Verschuldensprinzip (vgl. Rumpf, Einführung in das türkische Recht, § 16 Rdn. 3, allerdings auch Rdn. 32: Zerrüttung als Auffangtatbestand). Da die Bestimmung des Art. 166 ZGB mit der des Art. 134 ZGB a.F. wortgleich ist, zieht der Senat zu ihrer Auslegung gegebenenfalls die alte Rechtsprechung des türkischen Kassationshofes heran.

Auch der Senat ist aufgrund der Erörterungen im Senatstermin zu der Überzeugung gelangt, dass die eheliche Gemeinschaft der Parteien inzwischen grundlegend zerrüttet ist. Die Parteien leben seit März 2001 getrennt und haben seit Juni 2003 praktisch keinen Kontakt mehr, der über die Durchführung dieses Scheidungsverfahrens und die damit zusammenhängenden Gerichtsverfahren hinausginge. Obwohl die Antragsgegnerin im Senatstermin erklärt hat, ihre Tür stehe für den Antragsteller immer offen, damit also wohl ihre Bereitschaft, wieder mit dem Antragsteller zusammenzuleben, ist eine Annäherung der Parteien nicht erkennbar, denn der Antragsteller, der sich vom Verhalten der Antragsgegnerin `genervtŽ fühlt, hat daran erklärtermaßen keinerlei Interesse.

Gleichwohl bleibt die Scheidungsklage des Antragstellers ohne Erfolg, weil die Antragsgegnerin zum Widerspruch berechtigt ist. Das Widerspruchsrecht ist nach Auffassung des Senats auch dann eröffnet, wenn die eheliche Gemeinschaft nicht mehr besteht und voraussichtlich nicht mehr hergestellt werden kann. Da nach Art. 166 ZGB in den ?im vorstehenden Absatz aufgeführten Fällen? ein Widerspruchsrecht bestehen kann, also in den Fällen einer grundlegenden Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft, nimmt es das türkische ZGB also hin, dass eine Ehe auch ohne Lebensgemeinschaft der Ehe fortgeführt wird, und hält es für möglich, dass trotz grundlegender Zerrüttung ein Interesse daran bestehen kann, eine derartige Ehe aufrecht zu erhalten. Diese Entscheidung des türkischen Gesetzgebers haben auch die deutschen Gerichte zu beachten. Im übrigen schafft Art. 166 Abs. 4 ZGB die Möglichkeit, drei Jahre nach rechtskräftiger Abweisung der Scheidungsklage ein neues Scheidungsverfahren einzuleiten, in dem es auf Widersprüche des Beklagten nicht mehr ankommt.

Der Senat ist davon überzeugt, dass den Antragsteller das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe der Parteien trifft. Die abweichende Einschätzung des Amtsgerichts wird vom Senat nicht geteilt. Die Antragsgegnerin mag durch ihr vom Antragsteller als `nervendŽ empfundenes Verhalten zu Störungen beigetragen haben. Eine entscheidende Wende ist aber dadurch eingetreten, dass sich der Antragsteller im März 2001 eine eigene Einzimmerwohnung gesucht und diese wenig später auch bezogen hat. Dieses - unstreitige - einseitige Verhalten des Antragstellers stellt sich für den Senat als Verletzung der Pflicht zum Zusammenleben, zur Treue und zum Beistand aus Art. 185 Abs. 3 ZGB dar. Können danach an dem überwiegenden Verschulden des Antragstellers und dem Widerspruchsrecht der Antragsgegnerin keine Zweifel bestehen, hindert der von der Antragsgegnerin erhobene nicht missbräuchliche Widerspruch die Scheidung. Nach der Rechtsprechung des Türkischen Kassationshofes (vgl. Urteil vom 14.10.1998, FamRZ 2001, 91 f.) handelt missbräuchlich, wer der Scheidung lediglich deshalb widerspricht, um den Kläger zu bestrafen oder zu quälen. Dafür gibt es im vorliegenden Fall indes keine Anhaltspunkte. Auch sonst hat der Antragsteller nichts für einen anders begründeten Missbrauch durch die Antragsgegnerin vorgetragen, ebenso wenig für das Fehlen des Interesses der Antragsgegnerin an der Aufrechterhaltung der Ehe (ohne Lebensgemeinschaft).

III.

Da der Scheidungsantrag zurückgewiesen wird, hat der Antragsteller insoweit die Kosten beider Rechtszüge zu tragen (§ 91 ZPO).

Eines Ausspruches zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es nicht (§ 704 Abs. 2 ZPO).

Der Verbund von Scheidungs-, Versorgungsausgleichs- und Unterhaltsverfahren endet mit der rechtskräftigen Abweisung des Scheidungsantrags. Einer Entscheidung über die gegenstandslos gewordenen Folgesachen bedarf es insoweit in keinem Fall (KK-FamR-Bäumel, § 623 ZPO Rdn. 48). Gemäß § 93 a Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller indes auch die Kosten dieser gegenstandslos gewordenen Folgesachen zu tragen.

Wert für das Berufungsverfahren: Scheidung 7.500 € Folgesache Unterhalt 4.800 € insgesamt 12.300 €.

Ende der Entscheidung

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