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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.07.2005
Aktenzeichen: II-6 UF 169/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 287
ZPO § 538 Abs. 2
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 4
ZPO § 621 e Abs. 3 Satz 2
BGB § 242
BGB § 1408 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird das Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Mettmann vom 07.10.2003 hinsichtlich der Entscheidung zum Versorgungsausgleich (II. des Urteilsausspruchs) aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Mettmann zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.

Gründe:

I. Die am 20.12.1982 geschlossene Ehe der Parteien, aus der die am 09.12.1987 geborene Tochter K. hervorgegangen ist, wurde auf den dem Antragsgegner am 03.07.2003 zugestellten Scheidungsantrag der Antragstellerin durch Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Mettmann vom 07.10.2003 geschieden. Gleichzeitig hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Der Scheidungsausspruch ist seit dem 02.03.2004 rechtskräftig.

Mit Ehevertrag vom 18.12.1982 - UR-Nr. 875/1982 Notar Dr. W. in F. - vereinbarten die Parteien Gütertrennung, setzen sich - mit modifizierter Regelung - gegenseitig zu alleinigen Erben ein und verzichteten auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung war der am 20.12.1952 geborene Antragsgegner Diplom-Ökonom und bereitete sich auf die Steuerberaterprüfung vor. Die Antragstellerin war als Industriekauffrau erwerbstätig. Nach der Geburt der Tochter übernahm sie deren Betreuung und war bis zum Jahre 2000 nicht mehr erwerbstätig. Welche Tätigkeit die Antragstellerin seit ihrer Rückkehr ins Erwerbsleben ausübt, ist nicht vorgetragen.

Das Amtsgericht hat den Ehevertrag als wirksam angesehen und den Versorgungsausgleich nicht durchgeführt. Auskünfte der Versorgungsträger hat es nicht eingeholt.

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie erreichen will, dass der Versorgungsausgleich durchgeführt wird, weil dessen Ausschluss sie einseitig belaste. Wegen der Kinderbetreuung sei es ihr nämlich nicht möglich gewesen, eine angemessene Altersversorgung aufzubauen.

Die Antragstellerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Mettmann vom 07.10.2003 den Versorgungsausgleich durchzuführen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die ehevertragliche Regelung für bindend, zumal die Antragstellerin Begünstigte einer Lebensversicherung gewesen sei, die sie sich im März 2003 habe auszahlen lassen (15.667,20 €). Außerdem habe er während der Zeit, in der die Antragstellerin nicht erwerbstätig gewesen sei (1987 bis 2000), vierteljährlich Beiträge in Höhe von 37,43 € für die Antragstellerin an die BVV gezahlt. Schließlich sei die Antragstellerin gemeinsam mit ihm zu 1/2 Miteigentümerin der Eigentumswohnung in S., K.-straße , deren Unterdeckung von ihm getragen werde.

II. Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Insoweit ist § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO im zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörenden Versorgungsausgleichsverfahren entsprechend anzuwenden, nachdem das Amtsgericht dem Grunde nach die Durchführung des Versorgungsausgleichs abgelehnt und deshalb die Höhe der auszugleichenden Anwartschaften nicht mehr ermittelt hat (vgl. BGH FamRZ 1982, 152, 153 zu § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F.; Zöller/Philippi, 25. Aufl., § 621 e ZPO Rdnr. 78). Eines ausdrücklichen Antrages der Parteien bedarf es insoweit nicht, da § 538 Abs. 2 ZPO gemäß § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO keine unmittelbare Anwendung findet (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, 624; OLG Dresden NJW-RR 2003, 1162; Baumbach/Lauterbach/Albers, 63. Aufl., § 621 e ZPO Rdnr. 24; Musielak/Borth, 4. Aufl., § 621 e ZPO Rdnr. 26).

Die notariell beurkundete Vereinbarung über den Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist allerdings entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht von vornherein sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB). Die Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse der Parteien bei Vertragsabschluss rechtfertigt nicht die Feststellung, dass die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung im Scheidungsfall führen werde, dass ihr - losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse - wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen wäre, dass an ihre Stelle die gesetzliche Regelung tritt (vgl. BGH FamRZ 2004, 601, 606; BGH FamRZ 2005, 185, 186). Die Antragstellerin war damals versicherungspflichtig erwerbstätig und konnte daher eine eigene Altersvorsorge aufbauen. Konkrete Vorstellungen, ob und inwieweit künftige gemeinsame Kinder diese Lebensgestaltung ändern sollten, hatten die Parteien nicht. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war die Antragstellerin nicht schwanger. Ihr Argument, wegen des Vertragsabschlusses zwei Tage vor der Hochzeit habe sie unter Druck gestanden, weil sonst die Hochzeit "geplatzt" wäre, ist auch mit Rücksicht darauf, dass die Parteien bereits seit 1980 zusammenlebten, nicht nachvollziehbar. Die Antragstellerin war zum damaligen Zeitpunkt beruflich eigenständig und nicht auf eine Versorgung durch den Antragsgegner angewiesen.

Dennoch kann der Antragsgegner sich nicht ohne weiteres auf den Ausschluss des Versorgungsausgleichs berufen (§ 242 BGB). Auch wenn die Parteien durch den notariell beurkundeten Verzicht im Rahmen ihrer Privatautonomie von einer in § 1408 Abs. 2 BGB vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben, kommt eine Anpassung des Vertrages an die veränderten Lebensverhältnisse der Parteien in Betracht. Denn der Versorgungsausgleich ist auch als vorweggenommener Altersunterhalt zu verstehen und steht daher einer vertraglichen Abbedingung nicht schrankenlos offen. Er ist wie der Unterhalt wegen Alters Ausdruck ehelicher Solidarität und gehört zum Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts. Ein zunächst wirksam vereinbarter Ausschluss des Versorgungsausgleichs hält nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat sich anschließt, der Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB deshalb dann nicht stand, wenn er dazu führt, dass ein Ehegatte aufgrund einvernehmlicher Änderung der gemeinschaftlichen Lebensumstände über keine hinreichende Altersversorgung verfügt, und dieses Ergebnis mit dem Gebot der ehelichen Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint (vgl. BGH FamRZ 2005, 185, 186).

Das ist hier der Fall, weil sich die Antragstellerin einvernehmlich der Betreuung der gemeinsamen Tochter gewidmet und deshalb auf eine versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit bis zum Jahre 2000 - nach dem Vorbringen des Antragsgegners unbeanstandet zumindest bis zur Jahreswende 1997/1998 - gänzlich verzichtet hat. Dadurch ergibt sich für die Antragstellerin bei Scheitern ihrer Ehe eine unzumutbare einseitige Belastung, die der Versorgungsausgleich durch die gleichmäßige Verteilung der von den Ehegatten während der Ehezeit erworbenen Anrechte gerade vermeiden soll.

Im Rahmen der nach § 242 BGB vorzunehmenden angemessenen und sachgerechten Anpassung können mit Blick auf die Vorstellungen der Parteien bei Vertragsabschluss und das Ziel des Versorgungsausgleichs nur ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden. Mit dem Ausschluss des Versorgungsausgleichs haben die Parteien nämlich zu erkennen gegeben, keine Teilhabe an den von dem jeweils anderen Ehegatten gegebenenfalls erworbenen höherwertigen Versorgungsanrechten beanspruchen zu wollen, sondern jeder Ehegatte sollte - auch im Falle der Scheidung der Ehe - diejenigen Versorgungsanrechte behalten, die er eigenständig mit Hilfe seines jeweiligen Einkommens erwerben würde. Maßstab für den Ausgleich der ehebedingten Nachteile ist daher grundsätzlich diejenige Versorgung, die der berechtigte Ehegatte bei Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit voraussichtlich hätte erzielen können. Dabei sind die fiktiven, im Wege einer Prognose festgestellten Versorgungsanrechte des berechtigten Ehegatten zugrunde zu legen, wobei auch eine überschlägige Schätzung nach § 287 ZPO möglich ist (vgl. BGH FamRZ 2005, 185, 187).

Vorliegend bedeutet dies, dass das Amtsgericht zunächst die tatsächlich ehezeitbezogen erworbenen Versorgungsanrechte beider Parteien und die voraussichtlich bei durchgängiger Erwerbstätigkeit von der Antragstellerin erworbenen Anrechte zu ermitteln haben wird. Bei der Frage, in welcher Höhe die Anpassung vorzunehmen ist, wird das Amtsgericht sodann zu berücksichtigen haben, ob und inwieweit der ehebedingte Nachteil durch die Beitragszahlung von vierteljährlich 37,43 € an die BVV durch den Antragsgegner beeinflusst wird. Die Lebensversicherung, die die Antragstellerin angespart hatte (15.667,20 € im März 2003), kann keine Kompensation für ehebedingte Nachteile im Rahmen des Versorgungsausgleichs darstellen, denn die Parteien haben - zulässigerweise - Gütertrennung vereinbart. Auch der Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung in S. stellt keinen (teilweisen) Ausgleich für die ausgeschlossenen Versorgungsanrechte dar, weil auch der Antragsgegner sich durch seinen hälftigen Anteil eine zusätzliche Altersvorsorge aufgebaut hat, die im Rahmen des Solidaritätsgedankens auch der Antragstellerin zustehen muss.

Ende der Entscheidung

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