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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 10.12.2009
Aktenzeichen: II-8 WF 204/09
Rechtsgebiete: FamFG


Vorschriften:

FamFG § 151 Nr. 1
FamFG § 151 Nr. 2
FamFG § 78 Abs. 2
1. In selbständigen Sorge- und Umgangsrechtssachen (§ 151 Nr. 1 und 2 FamFG) lässt sich dem Gesetz ein Regel- /Ausnahmeverhältnis für die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht entnehmen (wie BGH FamRZ 2009, 857 f.).

2. Für die Beiordnung nach § 78 Abs. 2 FamFG reicht es aus, dass die Sach- oder die Rechtslage Schwierigkeiten aufweist.


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Oberhausen vom 03.11.2009 teilweise aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die beantragte Beiordnung der Rechtsanwältin T., Bottrop, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

In der vorliegenden Sache, die durch Schriftsatz vom 05.10.2009 eingeleitet worden ist, streiten die Kindeseltern um die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob ihnen für diese Angelegenheit eine Rechtsanwältin beizuordnen ist.

Aus der geschiedenen Ehe der Parteien stammt die Tochter S., die am 24.11.1995 geboren wurde. Das Mädchen lebte nach der Trennung zunächst mehrere Jahre bei seiner Mutter, ehe es spätestens im Sommer 2008 in den Haushalt seines Vaters wechselte, der mit einer neuen Partnerin zusammenlebt. Im September 2009 besuchte S. für einige Tage ihre Mutter. Danach äußerte sie, wieder zu ihrer Mutter zurückkehren zu wollen. Seither streiten die Beteiligten darüber, wo ihr Kind in Zukunft leben soll.

Nachdem Gespräche mit dem Jugendamt erfolglos verlaufen sind, hat die Kindesmutter am 05.10.2009 beantragt, ihr Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen und sodann das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen.

Der Kindesvater hat seinerseits am 21. und 23.10.2009 einen Gegenantrag gestellt und ebenfalls um Verfahrenskostenhilfe gebeten.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Parteien Verfahrenskostenhilfe gewährt, die Beiordnung eines Anwalts aber abgelehnt. Gegen diesen Teil der Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und führt zu einem vorläufigen Erfolg.

Der Antragstellerin ist ein Rechtsanwalt beizuordnen. Die Prüfung der Frage, ob Rechtsanwältin T. aus Bottrop beigeordnet werden kann, wird dem Amtsrichter übertragen.

1. Das Verfahren richtet sich im vorliegenden Fall nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), das zum 01.09.2009 in Kraft getreten ist und das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) abgelöst hat. Damit haben sich auch die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten geändert. Nach wie vor wird danach unterschieden, ob eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben ist oder nicht. In den Angelegenheiten, in denen Anwaltszwang herrscht, ist dem jeweiligen Beteiligten grundsätzlich ein Rechtsanwalt seiner Wahl beizuordnen, §§ 78 Abs. 1 FamFG, 121 Abs. 1 ZPO. Ist dagegen eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, ist eine zusätzliche Prüfung vorzunehmen. Während früher nach §§ 14 FGG, 114 f., 121 Abs. 2 ZPO für eine Beiordnung genügte, dass "die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist", ist jetzt nach § 78 Abs. 2 FamFG eine Beiordnung nur auszusprechen "wenn wegen der Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint". Damit hat der Gesetzgeber die Anforderungen in den selbständigen Besuchs- und Sorgerechtsverfahren erhöht. Sie zählen nicht zu den sog. Familienstreitsachen und unterliegen folglich nicht dem Anwaltszwang, vgl. § 114 Abs. 1 i. V. m. §§ 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 und 2 FamFG.

Unter der Geltung des alten Prozessrechts konnten die Parteien eines Sorgerechtsverfahrens im Allgemeinen mit einer Beiordnung rechnen (vgl. die Nachweise bei Zöller ZPO 27. Aufl. § 121 Rn 7). Auch für Umgangsrechtsverfahren wurde im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass wegen der besonderen Bedeutung und Auswirkung auf die Lebensumstände der Betroffenen "in aller Regel" die Beiordnung erforderlich sei (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe 4. Aufl. Rn 555 m. w. N.). Allerdings hat der Bundesgerichtshof am 18.02.2009 entschieden, dass es eine derartige Regel nicht gebe und stattdessen im Einzelfall zu prüfen sei, ob das Besuchsrechtsverfahren rechtlich und tatsächlich schwierig sei (FamRZ 2009, 857 f. = NJW-RR 2009, 794 f.); geboten sei eine konkrete, an den objektiven wie subjektiven Gegebenheiten des jeweiligen Falles orientierte Bewertung (Rn 11 zu XII ZB 137/08).

Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 78 Abs. 2 FamFG gebieten es nach Auffassung des Senats, die zum FGG ergangene Rechtsprechung zu modifizieren. Indem das Gesetz auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage abstellt, zwingt es dazu, zwischen schwierigen und einfachen Fällen zu unterscheiden. Es lässt sich nicht leugnen, dass es auch im Bereich der Kindschaftssachen Fälle gibt, die eindeutig sind. Keineswegs kann aus dem Rang dieser Rechte und ihrer Verbürgung durch höherrangige Normen (Art. 6 GG, 8 EMRK) auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage bei der verfahrensrechtlichen Wahrnehmung geschlossen werden. Ebenso wenig geht es an, aus dem Eingriff in diese Rechte und der verfassungsrechtlichen Dimension dieses Eingriffs eine schwierige Sach- und Rechtslage abzuleiten (BGH a. a. O. Rn 10).

In ersten Veröffentlichungen zum FamFG wird ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorgeschlagen, wobei die Autoren von gegensätzlichen Annahmen ausgehen. So soll die Beiordnung nur noch in Ausnahmefällen (so Götsche FamRZ 2009, 383/386) oder wie bisher im Regelfall (so z. B. Musielak/Borth FamFG § 78 Rn 4 und Geißler im Handbuch des Fachanwalts Familienrecht Rn XVI 222) vorzunehmen sein. Aus Sicht des Senats ist dieser Weg nicht gangbar. Das Gesetz erfordert die Feststellung, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, weil die Sach- und Rechtslage schwierig ist. Diese Feststellung lässt sich nicht generell, sondern nur nach einer Abwägung im Einzelfall treffen. Allerdings ist Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung zu bewilligen und deswegen nach einer Prognose, also ohne eingehende Ermittlungen, zu gewähren. Das kommt unter anderem in der Formulierung "erforderlich erscheint" zum Ausdruck.

Im Übrigen ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Entscheidend ist nicht der Kenntnisstand eines erfahrenen Familienrichters, sondern die Perspektive eines juristischen Laien, der ohne besondere Vorkenntnisse um Rechtsschutz nachsucht und sich unter Umständen nach Trennung oder Scheidung in einer schwierigen Lebensphase befindet. Außerdem muss es nach dem Verständnis des Senats ausreichen, dass die Sach- oder die Rechtslage schwierig ist (ebenso Schürmann FamRB 2009, 58/60; Thomas/Putzo/ Reichold ZPO 30. Aufl. § 78 FamFG Rn 3). Denn die Schwierigkeiten liegen in Kindschaftssachen weit häufiger auf tatsächlichem als auf rechtlichem Gebiet. Wollte man nebeneinander tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten verlangen, wäre eine Beiordnung in vielen Fällen ausgeschlossen. Dass dies mit der Gesetzesänderung beabsichtigt gewesen wäre, lässt sich der Begründung (BT DrS 16/6308 S. 213 f.) nicht entnehmen. Sie geht auf die Frage, ob der Fall sowohl tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweisen muss oder ob es genügt, dass er in einer Richtung Probleme aufwirft, nicht ein. Die sorgfältige Feststellung der relevanten Fakten ist aber Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidung und deshalb auch verfassungsrechtlich geboten. Eine Partei, die das Verfahren auf eigene Kosten betreiben muss, würde bei einer komplizierten Sachlage kaum auf anwaltliche Unterstützung verzichten. Dann wäre aber die Chancengleichheit verletzt, wenn dem hilfebedürftigen Beteiligten zugemutet würde, das Verfahren ohne juristischen Beistand zu betreiben. Dass das Familiengericht den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln muss, steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Denn das Gericht kann seiner Pflicht nur genügen, wenn es von den Beteiligten, wie es ihnen durch § 27 FamFG vorgegeben wird, Hinweise auf relevante Tatsachen erhält. Unabhängig davon können oftmals aus tatsächlichen Schwierigkeiten rechtliche Probleme verfahrens- oder materiell-rechtlicher Natur erwachsen. In diesen Fällen sind die Voraussetzungen des § 78 Abs. 2 FamFG ohnehin erfüllt, und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt "erscheint" erforderlich.

2. Nach diesen Maßstäben ist der Kindesmutter ein Rechtsanwalt beizuordnen. Bereits jetzt ist abzusehen, dass die Sache in tatsächlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist. Schon der wiederholte Wechsel des Kindes zwischen den Haushalten der Eltern und die bislang fehlgeschlagenen Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes lassen überdurchschnittliche Schwierigkeiten erwarten. Es kommt hinzu, dass das 14jährige Mädchen mittlerweile möglicherweise psychische Störungen entwickelt. Nach den Angaben der Antragstellerin hat es seit seinem Umzug zum Vater massiv zugenommen und wiegt bei einer Größe von 1,65 m rund 100 kg. Der Antragsgegner wollte S. seinerseits einem Psychologen vorstellen, womit die Antragstellerin nicht einverstanden war. Außerdem sind die Parteien in weitere Auseinandersetzungen verstrickt. Als Vertreter der Tochter hat der Antragsgegner gegen die arbeitslose Antragstellerin im letzten Jahr ein Unterhaltsverfahren angestrengt und, nachdem der Kindesunterhalt in einer Urkunde des Jugendamts tituliert worden war, die Vollstreckung betrieben (AG Oberhausen 40 F 812/08 und 14 M 3376/09). Es ist nicht auszuschließen, dass die Unterhaltsfrage den Streit um das Sorgerecht beeinflusst.

3. Diese tatsächlichen Schwierigkeiten (die nach Auffassung des Senats ausreichen) lassen eine Beiordnung erforderlich erscheinen. Die Beiordnung der von der Kindesmutter benannten Rechtsanwältin T. kommt allerdings nicht ohne Weiteres in Betracht. Sie ist in einer Kanzlei in Bottrop tätig und damit nicht im Bezirk des für das Verfahren zuständigen Amtsgerichts Oberhausen niedergelassen. Sofern sie für die Wahrnehmung des nach §§ 159, 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG vorgeschriebenen Anhörungstermins Reisekosten im Sinne des 7. Teils des Vergütungsverzeichnisses zum RVG geltend machen will, entstehen besondere Kosten nach § 78 Abs. 3 FamFG, die ein im Bezirk des Amtsgerichts Oberhausen niedergelassener Rechtsanwalt nicht beanspruchen kann. Da dieser Punkt nicht geklärt ist, überträgt der Senat die abschließende Entscheidung über die Beiordnung dem Familiengericht, das ohnehin mit der weiteren Bearbeitung befasst ist.

Bei dieser Verfahrensweise wird die Antragstellerin durch den vorliegenden Beschluss zur Zeit nicht beschwert. Infolgedessen erübrigt sich eine Rechtsbehelfsbelehrung.



Ende der Entscheidung

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