Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 17.03.2003
Aktenzeichen: III - 2a Ss 28/03 - 16/03 II
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StGB § 230 Abs. 1
StGB § 223 Abs. 1
1.

Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann konkludent (z.B. durch Anklageerhebung oder durch Antrag auf Erlass eines Strafbefehls) erfolgen.

2.

Ist die Anklage wegen des Vorwurfs eines Offizialdelikts (hier: wegen gefährlicher Körperverletzung) erhoben worden, kann die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eines Antragsdelikts darin liegen, dass die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung (nach Hinweis des Gerichts) im Rahmen des Schlussvortrags beantragt, den Angeklagten wegen des Antragsdelikts (hier: wegen vorsätzlicher Körperverletzung) zu verurteilen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

III - 2a Ss 28/03 - 16/03 II III - 2 Ws 54/03

In der Strafsache

wegen Körperverletzung

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S., den Richter am Oberlandesgericht B. und die Richterin am Oberlandesgericht H.-R.

am 17. März 2003

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 8. kleinen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 18. September 2002 und auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung in diesem Urteil - zu 1. nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO und zu 2. auf deren Antrag nach Anhörung des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 und 3 StPO - einstimmig

beschlossen:

Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Damit ist die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung gegenstandslos.

2. Im übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

Gründe:

Mit der unverändert zugelassenen Anklageschrift warf die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. Der Geschädigte hatte keinen Strafantrag gestellt. Wegen dieses Deliktes hat das Amtsgericht den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht - nach entsprechendem Hinweis in der Hauptverhandlung - das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Gleichzeitig hat der Angeklagte gegen die in dem Urteil der Strafkammer enthaltene Kosten- und Auslagenentscheidung sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zumindest vorläufigen Erfolg.

1. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung nach § 223 StGB steht ein Verfahrenshindernis (§ 206a StPO) infolge des fehlenden Strafantrages des Geschädigten nicht entgegen, weil die Staatsanwaltschaft hier das Strafverfolgungsinteresse in der Berufungshauptverhandlung formlos zum Ausdruck gebracht hat.

Gemäß § 230 StGB wird die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB nur auf Antrag, der hier nicht gestellt wurde, verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Die Erklärung der Staatsanwaltschaft benötigt grundsätzlich keine besondere Form, die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann vielmehr auch konkludent (z.B.) durch Anklageerhebung oder Antrag auf Erlass eines Strafbefehls erfolgen (LK-Hirsch, StGB, 10. Aufl., § 232 a.F. Rdnr. 19; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 230 Rdnr. 4). Im vorliegenden Fall ist die Anklageerhebung wegen eines Offizialdeliktes erfolgt, so dass für eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 230 StGB zunächst kein Raum war.

Eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes ergab sich erst in der Berufungshauptverhandlung. Der Angeklagte wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls darauf hingewiesen, dass er auch "wegen einfacher Körperverletzung gemäß § 223 StGB" verurteilt werden könne. Weist der Tatrichter in der Hauptverhandlung darauf hin, dass abweichend von dem angefochtenen Schuldspruch eine Verurteilung des Angeklagten wegen "einfacher Körperverletzung gemäß § 223 StGB" in Betracht kommt, kann die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft darin liegen, dass der Sitzungsvertreter von der dem Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils zugrunde liegenden Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Offizialdelikt (hier: § 224 Abs.1 Nr. 2 StGB) abrückt und, obwohl ein entsprechender Strafantrag von dem Geschädigten nicht gestellt worden war, im Rahmen des Schlussvortrages beantragt, den Angeklagten wegen des Antragsdeliktes zu verurteilen (vgl. BGHR, StGB § 323 öffentliches Interesse 1; BayObLG NJW 1990,461,462).

Diese verfahrensrechtliche Situation liegt hier vor. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hat in der Berufungshauptverhandlung nach rechtlichem Hinweis (§ 265 StPO) die der Anklageschrift und dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung (Offizialdelikt) nicht aufrecht erhalten, sondern sich der Auffassung der Strafkammer angeschlossen und beantragt, den Angeklagten "wegen vorsätzlicher Körperverletzung" zu einer Freiheitsstrafe zu verurteilen. Unter diesen Umständen liegt hier in dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft stillschweigend die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung des dem Angeklagten zur Last gelegten Vergehens.

2. Soweit der Schuldspruch betroffen ist, ist die Revision unbegründet, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO).

3. Der Rechtsfolgenausspruch hat indessen keinen Bestand, weil die Strafkammer eine Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt hat, ohne die Voraussetzungen des § 47 StGB zu erörtern.

Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen (§ 47 StGB). Die Vorschrift bezweckt, die kurze Freiheitsstrafe zur Ausnahme zu machen. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Strafaussetzung nach § 56 StGB in Betracht kommt (vgl. OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, VRS 80,13,14 mwN.) Die Urteilsausführungen genügen hier angesichts des straffreien Vorlebens des Angeklagten nicht den an die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zu stellenden Mindestanforderungen gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO, weil lediglich die Strafzumessungstatsachen mitgeteilt werden, nicht jedoch die Gründe, die zur Ablehnung einer Geldstrafe geführt haben (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 47 Rdnr. 15).

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Zurückverweisung der Sache - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts. Damit ist die von dem Angeklagten eingelegte sofortige Beschwerde gegen die in dem angefochtenen Urteil enthaltene Kosten- und Auslagenentscheidung gegenstandslos.

Ende der Entscheidung

Zurück