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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 16.12.2003
Aktenzeichen: III - 3 Ws 460/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1
Werden nach dem Erlass eines Haftbefehls weitere Taten des Beschuldigten im Sinne eines dringenden Tatverdachts bekannt, beginnt mit dem Erlass eines neuen oder eines um diese Taten erweiterten Haftbefehls die 6-Monatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO erneut zu laufen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

III - 3 Ws 460/03

In der Strafsache

wegen Verstoßes gegen die Abgabenordnung

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. und den Richter am Landgericht Dr. P. am

16. Dezember 2003

auf Vorlage gemäß § 122 Abs. 1 StPO nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, der Verteidiger und des Beschuldigten

beschlossen:

Tenor:

Eine Entscheidung des Senats ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Der Beschuldigte befindet sich seit dem 1. April 2003 in Untersuchungshaft. Grundlage dafür war zunächst der Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 26. März 2003 (10 Gs 542-543/03), der durch Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 1. September 2003 (10 GS 6 Js 640/99 - 1554/03) ersetzt worden ist. Jenes Ermittlungsverfahren der StA Kleve richtet sich gegen den Beschuldigten und weitere Mitbeschuldigte wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 1. September 2003 ist durch Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. November 2003 (III - 4 Ws 482/03) aufgehoben worden.

Seitdem befindet sich der Beschuldigte im vorliegenden Verfahren in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom 25. August 2003 (10 Gs 203 Js 199/03 - 1411/03), der durch Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 14. November 2003 (10 Gs 203 Js 199/03 - 1992/03) ersetzt worden ist. Für dieses Verfahren, dem der Verdacht des Verstoßes gegen die Abgabenordnung zu Grunde liegt, war zuvor Überhaft notiert.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat zur Entscheidung gemäß § 122 Abs. 1 StPO vorgelegt und beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

II.

Entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft ist eine Entscheidung des Senats zur Zeit nicht veranlasst.

Der Beschuldigte befindet sich nicht "wegen derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO seit über sechs Monaten in Untersuchungshaft, sondern seit der Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom 1. September 2003 durch das Oberlandesgericht aufgrund des Haftbefehls vom 25. August 2003 in Verbindung mit dem Haftbefehl vom 14. November 2003 wegen einer anderen, neuen Tat, die eine eigene Frist von 6 Monaten in Gang gesetzt hat. Fristbeginn insoweit ist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, der 25. August 2003.

1.

Was unter "derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO zu verstehen ist, hat das Gesetz nicht definiert. In Literatur und Rechtsprechung besteht jedoch heute Einigkeit dahingehend, dass sie nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO gleichgesetzt werden kann. Eine solche Auslegung würde dem Schutzzweck des § 121 StPO nicht gerecht, weil dies die Möglichkeit einer "Reservehaltung" von Tatvorwürfen ermöglichen würde. Bereits bei Erlass eines Haftbefehls bekannte oder später im Laufe der Ermittlungen bekannt werdende weitere Taten des Beschuldigten im Sinne des § 264 StPO könnten zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Frist des § 121 StPO zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Frist von 6 Monaten in Gang zu setzen. Da eine solche Verfahrensweise mit dem Schutzzweck des § 121 Abs. 1 StPO offenkundig nicht zu vereinbaren wäre, besteht Einigkeit, dass eine weitergehende Auslegung des Begriffs "derselben Tat" erforderlich ist (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 152; OLG Karlsruhe StV 2000, 513; OLG Thüringen StV 1999, 329; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 182; OLG Hamm StV 1998, 555; OLG Köln NStZ-RR 1998, 181; OLG Bremen StV 1998, 140; OLG Brandenburg StV 1997, 536; OLG Frankfurt NJW 1990, 2144; OLG Celle StV 1989, 255; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 121 Rn. 11 ff.; Boujong in KK StPO, 5. Auflage, § 121 Rn. 10; Summa NStZ 2002, 69).

Keine Einigkeit besteht jedoch dahingehend, wie eine solche erweiterte Auslegung zu erfolgen hat.

a)

Zum Teil wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Ansicht vertreten, zur Bestimmung der Frist des § 121 Abs. 1 StPO sei eine Zusammenrechnung der jeweiligen Haftzeiten erforderlich, wenn sich der Beschuldigte aufgrund verschiedener (neuer oder erweiterter) Haftbefehle in Untersuchungshaft befindet (OLG Karlsruhe (1. Senat) StV 2003, 517; OLG Köln NStZ-RR 2001, 123 und NStZ-RR 1998, 181; OLG Koblenz (2. Senat) NStZ-RR 2001, 124 und Beschluss vom 20. Oktober 2000 - (2) 4420 BL - III - 44/00; OLG Thüringen StV 1999, 329; OLG Bremen StV 1998, 140; OLG Celle StV 1989, 255; OLG Schleswig StV 1983, 466).

Da eine solche bloße Zusammenrechnung von Haftzeiten jedoch die Gefahr unbilliger Ergebnisse birgt, etwa dann, wenn kurz vor oder unmittelbar nach Ablauf der 6-Monats-Frist eine weitere, unter Umständen sehr viel schwerer wiegende Tat bekannt wird, soll nach den Befürwortern dieser Ansicht die Zusammenrechnung von weiteren Bedingungen abhängig sein, ohne dass insoweit allerdings eine einheitliche Linie festzustellen wäre.

aa)

Zum Teil wird darauf abgestellt, eine Zusammenrechnung habe nur dann zu erfolgen, wenn sich eine Verbindung der den verschiedenen Haftbefehlen zu Grunde liegenden Verfahren wegen des inneren - sachlichen und zeitlichen - Zusammenhangs der Tatvorwürfe tatsächlich anbiete (OLG Köln NStZ-RR 2001,123 und NStZ-RR 1998, 181; OLG Thüringen StV 1999, 329).

bb)

Andere Oberlandesgerichte stellen darauf ab, dass es sich um dasselbe Ermittlungsverfahren bzw. um denselben Ermittlungskomplex handeln müsse (OLG Koblenz (2. Senat) NStZ-RR 2001, 124 und Beschluss vom 20. Oktober 2000 -(2) 4420 BL - III - 44/00; OLG Bremen StV 1998,140; OLG Celle StV 1989, 255; OLG Schleswig StV 1983, 466).

cc)

Schließlich wird vertreten, eine Zusammenrechnung habe jedenfalls dann zu erfolgen, wenn die verschiedenen Verfahren bei der gleichen Ermittlungsbehörde anhängig sind bzw. der Erlass eines gemeinsamen Haftbefehls möglich gewesen wäre (OLG Karlsruhe (1. Senat) StV 2003, 517).

b)

Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur vertritt dagegen die Auffassung, dass grundsätzlich keine Zusammenrechnung der Haftzeiten aus verschiedenen oder erweiternden Haftbefehlen zu erfolgen hat. Vielmehr fallen nach überwiegender Ansicht unter "dieselbe Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (OLG Koblenz (1. Senat) NStZ-RR 2001, 152 und StV 2000, 629 sowie Beschluss vom 14. November 2000 - (1) 4420 BL - III - 83/00; KG Beschluss vom 21. Januar 2002 - (4) 1 HEs 15/02 - 17/02 und Beschluss vom 19. Juli 2000 - (4) 1 HEs 131/00 - 78/00 sowie NStZ-RR 1997, 75; OLG Karlsruhe (3. Senat) StV 2000, 513; OLG Stuttgart StV 1999, 101; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 182; OLG Hamm NStZ-RR 2002, 382 und StV 1998, 555; OLG Brandenburg StV 1997, 536; OLG Düsseldorf (1. Senat) StV 1996, 553 und StV 1996, 557; OLG Düsseldorf (2. Senat) StV 1996, 493; OLG Frankfurt StV 1993, 595 und NJW 1990, 2144; OLG Hamburg StV 1989, 489; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 121 Rn. 16; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 121 Rn. 12 ff.; Boujong, a.a.O. § 121 Rn. 11; Summa NStZ 2002, 69).

Nach dieser Ansicht beginnt die Frist des § 121 Abs. 1 StPO somit nicht erneut zu laufen, sobald die Untersuchungshaft aufgrund eines neuen oder erweiterten Haftbefehls vollzogen wird, wenn dieser lediglich Tatvorwürfe enthält, die bereits bei Erlass des ersten Haftbefehls - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt waren.

Wird dagegen erst nach dem Erlass des ersten Haftbefehls eine neue Tat - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Frist von 6 Monaten in Gang gesetzt. Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzungen für den Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls vorgelegen haben. Dies ist regelmäßig der Tag der neuen Haftbefehlsentscheidung, es sei denn, der neue Haftbefehl bzw. die Haftbefehlserweiterung ist verzögerlich ergangen (OLG Koblenz (1. Senat) NStZ-RR 2001, 152 und Beschluss vom 14. November 2000 - (1) 4420 BL - III - 83/00; OLG Düsseldorf (1. Senat) StV 1996, 553).

2.

Dieser überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur schließt sich der Senat an. Sie führt zu sachgerechten Ergebnissen, ohne den von § 121 Abs. 1 StPO eingeräumten Schutz des Beschuldigten in unzulässiger Weise einzuschränken.

Die Gegenansicht überzeugt nicht.

Die Berechnung der Frist des § 121 Abs. 1 StPO davon abhängig zu machen, ob sich eine Verbindung der den verschiedenen Haftbefehlen zu Grunde liegenden Verfahren wegen des inneren - sachlichen und zeitlichen - Zusammenhangs der Tatvorwürfe tatsächlich anbietet, begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil damit die Fristberechnung weitgehend von einer Ungewissen Verfahrensentwicklung und damit mehr von Zufälligkeiten als von einheitlichen Bestimmungsfaktoren abhängig gemacht würde (so auch OLG Koblenz (1. Senat) NStZ-RR 2001, 152). Auch würde damit dem Oberlandesgericht die letztendliche (faktische) Entscheidung übertragen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verbindung von verschiedenen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft - unter Umständen verschiedener Staatsanwaltschaften - vorzunehmen ist.

Entsprechendes gilt für die Ansicht, die darauf abstellt, ob es sich um die gleiche Staatsanwaltschaft handelt und ein gemeinsamer Haftbefehl möglich gewesen wäre. Auch insoweit würden mehr Zufälligkeiten (z. B. Tatort und Ermittlungsstand) als sachliche Kriterien den Haftprüfungszeitpunkt bestimmen.

Soweit die Gegenansicht darauf abstellt, ob es sich um dasselbe Ermittlungsverfahren handelt, verlagert dies nur die Fragestellung, ohne allerdings in der Sache weiterzuführen. Denn die sich dann stellende Frage, ob es sich im jeweiligen Einzelfall noch um "dasselbe Ermittlungsverfahren" handelt ist letztendlich deckungsgleich mit der Frage nach "derselben Tat".

Die von der Gegenansicht vertretene Zusammenrechnung der Haftzeiten aus verschiedenen Haftbefehlen, gleich unter welchen Voraussetzungen sie erfolgt, hätte darüber hinaus zur Folge, dass die Ermittlungsbehörden wegen des Fortschreitens der Frist nicht nur wegen der Haftbefehlstaten, sondern auch wegen neu bekannt werdender und nur möglich erscheinender weiterer Taten sofort mit Nachdruck ermitteln müssten, weil die Verdachtsmomente sich nachfolgend zu einem dringenden Tatverdacht verdichten und zum Erlass eines weiteren oder erweiternden Haftbefehls mit einer auf die 6-Monats-Frist anzurechnenden Haftzeit führen könnten. Da diese neuen Taten jedoch nicht Gegenstand des Haftbefehls sind, kann sich aus der diesbezüglichen Aufklärungs- und Ermittlungstätigkeit andererseits kein Verlängerungsgrund der in § 121 Abs. 1 StPO genannten Art ergeben (vgl. BVerfG StV 2001, 691 und NJW 1992, 1749). Ein solches Ergebnis wäre wertungswidersprüchlich (so auch OLG Koblenz (1. Senat) NStZ-RR 2001, 152).

Gegen eine Zusammenrechnung der Haftzeiten spricht auch, dass sie trotz der vorgeschlagenen Einschränkungen der Gegenansicht unter Umständen zu unbilligen Ergebnissen führen würde. So wäre zum Beispiel denkbar, dass Ermittlungen verzögerlich betrieben worden sind und deshalb eine Aufhebung des Haftbefehls im Rahmen der Prüfung nach § 121 StPO erfolgen müsste. Werden jetzt kurz vor dem Termin der 6-Monats-Prüfung neue weitere - unter Umständen schwerer wiegende - Taten bekannt, die in einen erweiterten Haftbefehl einbezogen werden, bezüglich derer aber keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind, müsste der (erweiterte) Haftbefehl insgesamt aufgehoben werden. Eine weitere Inhaftierung des Beschuldigten wegen der neuen Taten wäre aufgrund der vorzunehmenden Zusammenrechnung praktisch ausgeschlossen, obwohl bezüglich dieser Taten keine Verzögerung der Ermittlungen vorliegt.

Je nach Spielart der Gegenansicht kann diese unter Umständen auch zu für den Beschuldigten ungünstigen Ergebnissen führen. So wäre etwa bei offenkundig untunlicher Verbindung der Verfahren oder in gänzlich verschiedenen Ermittlungsverfahren gerade die nach allgemeiner Ansicht zu vermeidende "Reservehaltung" von Tatvorwürfen denkbar. Denn bei konsequenter Anwendung müsste die Gegenansicht hier zu dem Ergebnis gelangen, dass die 6-Monats-Fristen erst ab der Vollstreckung der jeweiligen Haftbefehle in Gang gesetzt werden, unabhängig von der Frage, wann ein dringender Tatverdacht erstmals vorgelegen hat und die Haftbefehle erlassen worden sind.

Soweit gegen die hier vertretene Ansicht vorgebracht wird, diese trage dem Normzweck des § 121 StPO nicht hinreichend Rechnung (so OLG Karlsruhe (1. Senat) StV 2003, 517) oder "beraube" den Angeklagten des Schutzes des § 121 StPO (so OLG Koblenz (2. Senat) Beschluss vom 20. Oktober 2000 - (2) 4420 BL - III - 44/00), vermag der Senat dies nicht nachzuvollziehen. Nach Sinn und Zweck des § 121 StPO sollen die Organe der Strafverfolgung in Haftsachen angehalten werden, die Ermittlungen und das weitere Verfahren zu beschleunigen. Anlass dazu haben die Strafverfolgungsorgane jedoch erst dann und nur insoweit, als sie von verfolgbaren Taten Kenntnis erlangen, die zum Erlass (oder zur Erweiterung) eines Haftbefehls führen können. Daraus folgt: Werden erst nachträglich Umstände bekannt, die den Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls rechtfertigen, muss den Verfolgungsorganen auch insoweit die Möglichkeit eingeräumt werden, innerhalb der Frist des § 121 StPO die Ermittlungen durchzuführen. Die Bewilligung einer neuen Frist ist daher nicht nur sachgerecht; sie entspricht auch Sinn und Zweck des § 121 StPO.

Zwar ist der Gegenansicht insoweit zuzugeben, dass der Beschuldigte im Falle einer Haftbefehlserweiterung jedenfalls auch wegen der ersten Tat weiter in Haft gehalten wird. Allein dies rechtfertigt nach Ansicht des Senats jedoch nicht eine an die strengen Voraussetzungen des § 121 StPO gebundene Haftprüfung, denn der erweiterte Haftbefehl erhält erst durch die neue Tat seine konkrete Ausgestaltung. Insoweit denkbaren unbilligen Ergebnissen, etwa bei einer Erweiterung des Haftbefehls um eine geringfügige Tat, kann und muss bereits bei der Frage nach der Erweiterung des Haftbefehls unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begegnet werden.

Soweit der hier vertretenen Ansicht entgegengehalten wird, sie ermögliche bewusste Manipulationen, zum Beispiel durch ein Nichtermitteln des dringenden Tatverdachts bezüglich weiterer Taten (vgl. OLG Koblenz (2. Senat) NStZ-RR 2001, 124), ist dem bereits entgegenzuhalten, dass die Haftprüfung nach § 121 StPO keine Maßnahme der Dienstaufsicht ist. Darüber hinaus kann und muss in einem solchen Fall ohne weiteres auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in dem sich bei ordnungsgemäßem Verlauf der Ermittlungen erstmals der dringende Tatverdacht ergeben hätte (so zutreffend OLG Koblenz (1. Senat) NStZ-RR 2001, 152).

Schließlich geht auch der Hinweis der Gegenansicht fehl, nach der hier vertretenen Ansicht hätte es ein Zeuge in der Hand, durch die Zurückhaltung von Informationen die Frist des § 121 StPO zu bestimmen (vgl. OLG Koblenz (2. Senat) NStZ-RR 2001, 124). Diese Argumentation verkennt nicht nur den Adressaten der Norm des § 121 StPO. Sie ist auch gleichermaßen auf jede andere denkbare Auslegung der Frist des § 121 StPO übertragbar, wenn ein Zeuge nämlich Informationen zurückhält, deren Bekanntwerden erst einen dringenden Tatverdacht begründet, hat dies stets Auswirkungen auf den Erlass eines Haftbefehls und damit die Berechnung der Frist des § 121 StPO.

Insgesamt sprechen somit die besseren Argumente für die Ansicht des Senats, wonach unter dieselbe Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an fallen, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben oder verschiedener Ermittlungsverfahren sind.

3.

Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass die Frist des § 121 Abs. 1 StPO erst am 25. August 2003 in Gang gesetzt worden ist. Denn vor diesem Zeitpunkt waren die Taten, die Gegenstand des Haftbefehls vom 25. August 2003 in Verbindung mit dem Haftbefehl vom 14. November 2003 sind, nicht im Sinne eines dringenden Tatverdachts bekannt geworden und hätten daher auch nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt in den bereits bestehenden Haftbefehl vom 26. März 2003, der durch Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 1. September 2003 ersetzt worden ist, aufgenommen werden können.

Unter dem 11. Juli 2003 hat das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Düsseldorf - Steuerfahndungsstelle - nach Auswertung umfangreicher Geschäftsunterlagen eine vorläufige Zusammenstellung der entstandenen Steuernachzahlungsansprüche an die Staatsanwaltschaft Kleve übersandt. Diese hat unmittelbar nach Eingang der Unterlagen dem Beschuldigten zunächst über seinen Verteidiger rechtliches Gehör gewährt. Sodann hat die Staatsanwaltschaft die umfangreichen Ermittlungsakten ausgewertet und ist dabei zu der Erkenntnis gelangt, dass gegen den Beschuldigten der dringende Verdacht der Steuerhinterziehung besteht und hat diesbezüglich unter dem 22. August 2003 den Erlass eines Haftbefehls beantragt. Das Amtsgericht hat dem Antrag entsprochen und unter dem 25. August 2003 den beantragten Haftbefehl erlassen.

Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass die Taten, die Gegenstand des Haftbefehls vom 25. August 2003 sind, jedenfalls nicht vor dem 25. August 2003 im Sinne eines dringenden Tatverdachts bekannt geworden sind und in den bereits bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können. Vor der Fertigung der vorläufigen Zusammenstellung der Steuernachzahlungssummen konnte bereits nicht mit hinreichender Bestimmtheit angegeben werden, welche Steuern und in welcher Höhe hinterzogen worden sein sollen. Mangels hinreichender Bestimmtheit des Tatvorwurfs war daher bis zu diesem Zeitpunkt der Erlass eines neuen oder erweiternden Haftbefehls von vornherein ausgeschlossen. Angesichts der umfangreichen Unterlagen und des Umstandes, dass sich der Beschuldigte zur Sache nicht eingelassen hatte, ist auch in zeitlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft zunächst dem Beschuldigten rechtliches Gehör gewährt, anschließend die Unterlagen geprüft, sodann das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts bejaht und unter dem 22. August 2003 den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt hat. Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht drei Tage nach Antragstellung unter dem 25. August 2003 den beantragten Haftbefehl erlassen hat.

Da somit eine verzögerliche Entscheidung über die Beantragung und den Erlass des Haftbefehls aus den dargelegten Gründen insgesamt nicht festzustellen ist, beginnt die Frist des § 121 Abs. 1 StPO vorliegend mit dem Erlass des Haftbefehls am 25. August 2003. Haftprüfungstermin durch den Senat steht somit erst am 24. Februar 2004 an.

Ende der Entscheidung

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