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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 06.03.2007
Aktenzeichen: III-5 Ss 226/06 - 85/06 I
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 154a
StPO § 353
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1
StGB § 53 Abs. 1
StGB § 54
StGB § 59
StGB § 59 Abs. 1 Satz 1
StGB § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB § 266a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 12. September 2006 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Neuss zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 14 Fällen verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15 € vorbehalten. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge schon deshalb vorläufig Erfolg, weil die Feststellungen zu den Taten lückenhaft sind und es dem Senat nicht ermöglichen, den Schuldspruch auf sachlich-rechtliche Fehler zu überprüfen.

I.

1. Nach den Feststellungen arbeitete der Angeklagte auf der Rennbahn in Neuss als selbständiger Trainer. Auf Antrag der AOK vom 13. September 2005 wurde am 24. November 2005 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. In der "Niedergangsphase" des Unternehmens waren rund 9.750 Euro Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt worden. Die vorenthaltenen Beiträge sind gemäß "dem Geständnis des Angeklagten und dem Inhalt der Akte, soweit er erörtert oder verlesen wurde", in einer 3-spaltigen Tabelle festgestellt: Monate, Kassen (bis April 2005 AOK, ab Mai 2005 AOK und DAK), Arbeitnehmeranteile. Das reicht zur Berechnung der vorenthaltenen Arbeitnehmerbeiträge, die weitestgehend Rechtsanwendung ist (BGH NJW 2005, 3650, 3651), nicht aus. Die Höhe der geschuldeten Beiträge bestimmt sich auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den gesetzlich oder durch Satzung der jeweiligen Krankenkasse festgelegten Beitragssätzen. Deshalb sind grundsätzlich bei der Feststellung der monatlich vorenthaltenen Beiträge für jeden Fälligkeitszeitpunkt gesondert die genaue Anzahl der Arbeitnehmer, ihre Beschäftigungszeiten und Löhne sowie die Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Kasse festzustellen (BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 3, 4, 5; BGH NJW 2002, 2480, 2483; NJW 2005, 3650, 3651; BGH, 5 StR 173/06 vom 13. Juli 2006, Rdnr. 4 <bundesgerichtshof.de>). Das ist nur unvollständig geschehen.

2. Wegen dieses Mangels ist das angefochtene Urteil nach §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Neuss zurückzuverweisen.

II.

Für die neue Entscheidung erteilt der Senat folgende Hinweise:

1. § 266a StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt, bei dem nach allgemeinen Grundsätzen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal hinzutreten muss, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist. Eine unmögliche Leistung darf dem Verpflichteten nicht abverlangt werden. Unmöglichkeit in diesem Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn der Handlungspflichtige zahlungsunfähig ist (BGHSt 47, 318, 320 = NJW 2002, 2480, 2481). Hier drängt sich zwar auf, dass der Angeklagte in den Monaten, in denen er am Monatsende den Nettolohn ausgezahlt hat, auch oder stattdessen den vorher fälligen (niedrigeren) Beitrag zur Sozialversicherung für den Vormonat abführen konnte, also zahlungsfähig war. Für den letzten Monat (November 2005) dürfte das aber zweifelhaft sein. Insoweit liegt - statt aufwändiger Ermittlungen - eine Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO nahe.

2. Zutreffend geht die Anklage hinsichtlich der monatlichen Beitragsvorenthaltung gegenüber mehreren Kassen (ab Mai 2005: AOK und DAK) von jeweils selbständigen Taten im Sinne des § 53 Abs. 1 StGB aus (vgl. BGHSt 48, 307, 314 = NJW 2003, 3787, 3789).

3. Die Gründe des angefochtenen Urteils ergeben nicht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59 StGB in der (im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB milderen) Fassung durch Art. 22 Nr. 5 des 2. Justizmodernisierungsgesetzes vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3416, 3432), vorliegen.

a) Hat jemand Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen verwirkt, so kann das Gericht ihn nach § 59 Abs. 1 Satz 1 StGB verwarnen, die Strafe bestimmen und die Verurteilung zu dieser Strafe vorbehalten, wenn

(1) zu erwarten ist, dass der Täter künftig auch ohne Verurteilung zu Strafe keine Straftaten mehr begehen wird,

(2) nach einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters besondere Umstände vorliegen, die eine Verhängung von Strafe entbehrlich machen, und

(3) die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe nicht gebietet.

b) Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung zu entscheiden. Dabei steht ihm - wie bei der Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) - ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen hat. Es hat jedoch einzugreifen und die Entscheidung als ermessensfehlerhaft aufzuheben, wenn Umstände, die sich aufdrängen und nach der gesetzlichen Regelung in § 59 StGB für oder gegen eine Verwarnung mit Strafvorbehalt sprechen können, im Urteil nicht erörtert oder fehlerhaft gewürdigt worden sind. Letzteres ist hier der Fall:

(1) Die Verwarnung mit Strafvorbehalt hat nach wie vor Ausnahmecharakter. Sie gilt in der Regel nur für den unteren Kriminalitätsbereich, in dem "nicht immer auch eine Bestrafung erforderlich ist" (BT-Drs. 16/3038, S. 58 aE), und setzt auch in dem neugefassten § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB bestimmte besondere Umstände voraus, die die zu beurteilende Tat von den Durchschnittsfällen deutlich abheben und diesen gegenüber das Tatunrecht, die Schuld und die Strafbedürftigkeit so wesentlich mindern, dass eine Bestrafung nicht geboten erscheint (vgl. zur früheren Rechtslage BGH wistra 2002, 22, 23 mwN).

(2) Im Vergleich zu der strafrechtlichen Behandlung anderer Vermögensdelikte lag schon fern, die Taten mit einem festgestellten Gesamtschaden von annähernd 10.000 Euro dem unteren Kriminalitätsbereich zuzuordnen. Jedenfalls waren "die mehr als 50-jährige straffreie Führung" des Angeklagten, sein "unumwundenes und beschönigungsfreies Geständnis" und "die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung" als Mitursache für den Niedergang des Unternehmens keine besonderen Umstände im Sinne von § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, die eine Verhängung von Strafe entbehrlich machten.

4. Eine Gesamtstrafe, die die Einsatzstrafe (hier: 15 Tagessätze) dreifach oder mehr (hier: mehr als sechsfach) erhöht, überschreitet in aller Regel den Strafrahmen, den § 54 StGB dem Tatrichter zur Verfügung stellt (vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 8, 10, 12; BGH NStZ-RR 2003, 9; NStZ-RR 2005, 374, 375 aE; 4 StR 203/02 vom 25. Juni 2002; 2 StR 266/05 vom 21. September 2005; 5 StR 439/05 vom 15. Dezember 2005; 4 StR 21/06 vom 21. März 2006; 1 StR 61/06 vom selben Tag <bundesgerichtshof.de>).

Ende der Entscheidung

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