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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.03.2007
Aktenzeichen: VI-3 Kart 289/06 (V) (1)
Rechtsgebiete: EnWG


Vorschriften:

EnWG § 84 Abs. 2 S. 4
EnWG § 84 Abs. 3
1. Auch Betreiber von Energieversorgungsnetzen, die in ihrem Netz ein Monopol auf dem Markt der Netzüberlassung haben, können im Rahmen eines Verfahrens auf Genehmigung der Netzentgelte gegenüber Dritten die Wahrung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beanspruchen, soweit sie daran ein berechtigtes Interesse haben.

2. Beantragt ein zu einem Entgeltgenehmigungsverfahren einfach Beigeladener Einsicht in die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Verwaltungsvorgänge, ist bei der nach § 84 Abs. 3, Abs. 2 S. 4 EnWG vorzunehmenden Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, dass das Energiewirtschaftsgesetz die Verfahrensrechte des einfach Beigeladenen prinzipiell geringer gewichtet.


Tenor:

Der Beigeladenen zu 2 wird die mit Schriftsatz vom 15. September 2006 nachgesuchte Akteneinsicht in die Verwaltungsakte nur insoweit gewährt, als die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 1. September 2006 eine um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bereinigte Fassung der Verwaltungsakte vorgelegt hat

Gründe:

I. Die Antragstellerin hat die Genehmigung der kostenorientierten Entgelte für den Stromnetzzugang gemäß § 23 a EnWG beantragt. Die Antragsgegnerin hat dem Genehmigungsantrag durch Beschluss vom 6.6.2006 nur teilweise entsprochen. Dagegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Auf Anforderung des Senats hat die Antragsgegnerin am 1.9.2006 eine Kopie der vollständigen Verwaltungsakte und sowie eine um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bereinigte Fassung dem Gericht übersandt. Eine Auflistung der entnommenen Unterlagen hat sie als Anlage beigefügt. Die im Verwaltungsverfahren Beigeladene zu 2, ein Verband der Energie- und Kraftwirtschaft, hat mit Schriftsatz vom 15.9.2006 Einsicht in die gesamte Verwaltungsakte einschließlich der entnommenen Unterlagen beantragt.

II. Die nachgesuchte Akteneinsicht kann der Beigeladenen zu 2 nur im tenorierten Umfang bewilligt werden.

Gemäß § 84 Abs. 2 S. 4, Abs. 1 EnWG kann das Beschwerdegericht für den Beschwerdeführer bzw. die Regulierungsbehörde (§ 79 Abs. 1 Nr. 1, 2 EnWG) die Offenlegung von Tatsachen oder Beweismitteln, deren Geheimhaltung aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, verlangt wird, nach Anhörung des von der Offenlegung Betroffenen durch Beschluss anordnen, soweit es für die Entscheidung auf diese Tatsachen oder Beweismittel ankommt, andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen und nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles die Bedeutung der Sache das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung überwiegt. Den nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 EnWG Beigeladenen kann das Beschwerdegericht Akteneinsicht in gleichem Umfang gewähren. Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts (vgl. Salje, Energiewirtschaftsgesetz, § 84 Rn. 19; zum GWB: Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 72 Rn. 10).

Im vorliegenden Fall sieht der Senat von der Anordnung einer Offenlegung der entnommenen bzw. geschwärzten Aktenteile gegenüber der nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 EnWG (einfach) Beigeladenen zu 2 ab, weil sie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zum Gegenstand haben und die Interessen der Beigeladenen zu 2 bei der nach § 84 Abs. 2 S. 4, Abs. 3 EnWG gebotenen Abwägung die berührten Geheimhaltungsinteressen nicht überwiegen.

1. Der Begriff der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist gesetzlich nicht bestimmt. In Rechtsprechung und Schrifttum werden als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu den Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldung und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können (vgl. BVerfG vom 14.3.2006, 1 BvR 2087/03 und 2111/03 Tz. 87, 89; OLG Düsseldorf, WuW/E OLG 1881, 1887 - Anzeigenpreise; KG, WuW/E OLG 3908, 3911; Mees in Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, Bd. 2: GWB, § 72 Rn. 8; Sura in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2, 10. Aufl., VO Nr. 1/2003 Rn. 36; Kiecker in: Langen/Bunte a.a.O. Bd. 1, § 56 Rn. 16). Die Auslegung des Begriffs der Geschäftgeheimnisse hat nach objektiven Kriterien zu erfolgen; der Begriff ist im Übrigen im Lichte des Art. 12 GG weit auszulegen (Kiecker a.a.O.; Sura a.a.O. jeweils mit weiteren Nachweisen).

Daran gemessen haben die von der Antragsgegnerin geschwärzten bzw. der Verwaltungsakte entnommenen Unterlagen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zum Gegenstand. Sie sind in der Aufstellung der Antragsgegnerin bezeichnet und betreffen zusammengefasst Geschäftsbeziehungen, Beschaffungs- und Preisstrategien, Kostenansätze, Kalkulationen und Kalkulationsmethoden der Antragstellerin bzw. (in geringem Umfang) auch dritter Unternehmen, die für die Betriebsführung von Bedeutung und geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit zu beeinflussen.

Die Beigeladene zu 2 meint demgegenüber, nur solche Umstände seien als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anzuerkennen, deren Offenlegung konkrete Wettbewerbsnachteile für die Antragstellerin hervorrufen könnten. Daran fehle es, weil die Antragsgegnerin als Stromnetzbetreiber ein natürliches Monopol besitze und deshalb auf dem Markt der Netzüberlassung keinem Wettbewerb ausgesetzt sei. Diese eingeschränkte Betrachtung teilt der Senat nicht. Die Entgeltregulierung nach dem EnWG will unmittelbar Wettbewerb schaffen, so dass auch vom rechtlichen Ansatz der Beigeladenen zu 2 der potentielle Wettbewerb in den Blick zu nehmen ist. Ferner kommt es für die Einstufung als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis grundsätzlich darauf an, ob die Daten geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beeinflussen (vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG 1881, 1887). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reicht es dementsprechend aus, wenn der Rechtsträger ein "berechtigtes Interesse" an der Nichtverbreitung der Umstände und Vorgänge hat, weshalb zu den Geheimnissen ganz allgemein Umstände gehören, durch welche die "wirtschaftlichen Verhältnisse" eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden. Sie umfassen Informationen, die ein Unternehmen nicht nur einem Wettbewerber, sondern auch Lieferanten, Abnehmern oder Verbrauchern in der Regel nicht zugänglich macht, und deren Kenntnis für mögliche Empfänger (nicht nur für Wettbewerber) einen Vorteil in der Geschäftsbeziehung darstellt (vgl. BVerfG a..a.O.; Barthelmeß in: Loewenheim/Meessen, a.a.O., Art. 28 VerfVO Rn. 25 m.w.N.). Auch ein Monopolist, der in seinem operativen Geschäft keinem Wettbewerb ausgesetzt ist, hat somit einen Anspruch auf Wahrung seiner Geschäftsgeheimnisse, soweit er daran ein berechtigtes Interesse hat. Im vorliegenden Fall kommt es für die Einordnung als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse daher auch nicht darauf an, ob - wie von den Beteiligten kontrovers erörtert - Netzbetreiber bei der Vergabe von Konzessionsgebieten gemäß § 46 EnWG im Wettbewerb stehen.

Die Beigeladene zu 2 meint, dass es sich bei einem Teil der Informationen um Tatsachen handele, die gegenüber anderen Unternehmen bereits offen gelegt worden seien und schon deshalb keinem Geheimnisschutz mehr unterlägen. Dies gelte insbesondere für Daten, die im Rahmen eines Vergleichs mit anderen Übertragungsnetzbetreibern der Entgeltregulierung zugrunde gelegt und jeweils gegenüber den anderen Netzbetreibern offen gelegt worden seien. Auch dem folgt der Senat nicht. Eine Information behält ihre Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis so lange, wie sie nicht offenkundig geworden ist. Tatsachen sind nicht offenkundig, wenn sie nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und nicht ohne weiteres aus zulässigen und erreichbaren Quellen entnommen werden können (vgl. KG WuW/E OLG 3908, 3911; Mees a. a. O. § 72 Rn. 8; Werner in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 54 Rn. 105). Um eine solche nur beschränkte Offenlegung handelt es sich hier.

2. Die nach § 84 Abs. 3, Abs. 2 Satz 4 EnWG vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Die Interessen der Beigeladenen zu 2 überwiegen nach derzeitiger Einschätzung des Senats das Geheimhaltungsinteresse der Antragstellerin bzw. dritter Unternehmen nicht.

Das vorliegende Verfahren ist allerdings für die Netzentgeltregulierung von erheblicher Bedeutung. Es geht um die Entgeltregulierung in einem der vier großen Elektrizitäts-Übertragungsnetze. An einem richtigen Verfahrensergebnis besteht somit ein hohes öffentliches Interesse. Dieses Interesse wird vonseiten der Beteiligten allerdings bereits durch die Antragsgegnerin, die über den Sachverhalt vollständig informiert ist, fachkundig und mit den ihr zu Gebote stehenden Ermittlungsbefugnissen von Amts wegen wahrgenommen. So weit ersichtlich sind verfahrensgegenständlich keine Umstände, welche die Antragsgegnerin nicht aufklären und sachgerecht beurteilen könnte. Eine durchgreifende Förderung des Verfahrens durch den Einblick der Beigeladenen zu 2 in die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist somit nicht zu erwarten. Zwar hat die Beigeladene zu 2 für ihre Verbandsmitglieder ein beachtliches wirtschaftliches Interesse an dem Verfahrensausgang und in diesem Zusammenhang auch ein rechtliches Interesse an einer effektiven Verfahrensbeteiligung einschließlich des Rechts auf Gehör. Diese Interessen überwiegen aber nicht die berührten Geheimhaltungsinteressen, auch nicht hinsichtlich solcher Umstände, die einige Jahre zurückliegen und/oder in anderem Zusammenhang bereits (beschränkt) offengelegt worden sind. Bei der Gewichtung der betroffenen Interessen ist auch der aktuelle Streitstand des Verfahrens in den Blick zu nehmen. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 8.2.2007 ihre Beschwerde bzw. ihre bislang erhobenen Rügen gegen den angefochtenen Genehmigungsbescheid mit Zustimmung der Antragsgegnerin teilweise zurückgenommen. Dies war, soweit ersichtlich, sachgerecht. Es zeichnet sich ab, dass im wesentlichen nur noch folgende Rechtsfragen zu klären sein werden: Sind bei der Eigenkapitalverzinsung nach § 7 StromNEV bzw. dem Ansatz der Pachtentgelte nach § 4 Abs. 5 StromNEV Gründstücke, grundstücksgleiche Rechte, Anzahlungen und Anlagen im Bau sowie aktive Rechnungsabgrenzungsposten bei der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung anzusetzen ? Wie ist die Verzinsung zu berechnen (Stichwort: Rechtmäßigkeit einer "doppelten Quotierung") ? Sind für die kalkulatorische Gewerbesteuer Kürzungen und Hinzurechnungen nach §§ 8, 9 GewStG sowie Scheingewinne und Scheinverluste zu berücksichtigen ? Wie ist der Abzug der Gewerbesteuer nach § 8 S. 2 StromNEV durchzuführen ? Ist die sog. Mehrerlösabschöpfung rechtmäßig ?. Dass die Beigeladene zu 2 zur Diskussion dieser Fragen auf die Kenntnis der in Rede stehenden Geschäftsgeheimnisse angewiesen wäre, legt sie weder dar noch ist dies ersichtlich. Auch sonst gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass es für die Entscheidung auf die Kenntnis der geheimnisgeschützten Tatsachen ankommen wird. Dabei wird nicht übersehen, dass die Beigeladene zu 2 zumindest theoretisch - zum Zwecke der Kompensation - zu anderen kalkulatorischen Ansätzen vortragen könnte, was wiederum ihre Kenntnis von den Geheimnissen voraussetzen würde. Insoweit mag die partielle Versagung der Akteneinsicht die denkbaren Handlungsalternativen der Beigeladenen zu 2 beschränken. Letzteres ist nach der Wertung des EnWG jedoch im Ergebnis hinzunehmen. Das Gesetz unterscheidet bewusst zwischen den Verfahrensrechten der Beteiligten und gibt ihnen ein unterschiedliches Gewicht. Während nach § 83 Abs. 1 S. 2 EnWG die Beschwerdeentscheidung nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten, kann einfach Beigeladenen nach § 83 Abs. 1 S. 3 EnWG entscheidungsrelevanter Streitstoff vorenthalten werden. Nach der Wertung des Gesetzes treten die Verfahrensrechte und das wirtschaftliche Interesse des (einfach) beigeladenen Dritten einschließlich seines Rechts auf eine effektive Verfahrensbeteiligung gegenüber einem nicht unerheblichen Geheimhaltungsinteresse des Geheimnisbesitzers selbst dann zurück, wenn die Geheimnisschutz genießenden Tatsachen den Streit entscheiden. Erst Recht muss diese Wertung zu Gunsten des Geheimnisbesitzers ausfallen, wenn - wie hier z. Zt. - nicht ersichtlich ist, dass geheimhaltungsbedürftige Tatsachen entscheidungsrelevant werden. Die Schaffung vollendeter Tatsachen in Form der Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ohne jegliche Verfahrensrelevanz kann hierdurch vermieden werden. Die im Rahmen der Entgeltregulierung grundsätzlich gewünschte Transparenz findet für Dritte hier eine Grenze.

Ende der Entscheidung

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