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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: VI-Kart 9/07 (V)
Rechtsgebiete: GWB, VerpackV


Vorschriften:

GWB § 1
GWB § 65 Abs. 3 Satz 2
GWB § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
GWB § 65 Abs. 4 Satz 1
VerpackV § 6
VerpackV § 6 Abs. 1 Satz 1
VerpackV § 6 Abs. 2 Satz 1
VerpackV § 6 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Anträge der Antragstellerinnen, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerden gegen den Beschluss des Bundeskartellamts vom 31. Mai 2007 (B 4 - 1006/06) anzuordnen, werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen zu 2. bis zu 16. sind die bundesdeutschen Behälterglashersteller (nachfolgend: Gesellschafter). Sie haben sich in der im Jahre 1993 gegründeten und als Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebenen Antragstellerin zu 1. (nachfolgend: G.) zusammengeschlossen, um die in der haushaltsnahen Sammlung erfassten Verkaufsverpackungen aus Glas möglichst vollständig wiederzuverwerten. Die geschäftliche Betätigung der G. stellt sich in diesem Zusammenhang wie folgt dar: Die G. kauft vom Entsorger die im Auftrag dualer Systeme gesammelten Altglasmengen und veranlasst die Weiterleitung der Mengen zu einer Glasaufbereitungsanlage. Das aufbereitete Glas veräußert die G. sodann an ihre Gesellschafter zur Verwertung, d.h. zu dem Zweck, aus dem aufbereiteten Altglas neues Behälterglas herzustellen. Der Abgabepreis der G. umfasst die Kosten des Altglases sowie die Kosten des Transports vom Sammelgebiet zur Aufbereitungsanlage und von dort zum jeweiligen Behälterglashersteller, nicht jedoch die Aufbereitungskosten selbst. Für die Lieferung des aufbereiteten Altglases berechnet die G. ihren Gesellschaftern Tonnagenpreise. Darüber hinaus muss jeder Gesellschafter eine "Grundgebühr" zahlen, die sich an der Produktionsmenge des Vorjahres orientiert.

Das Bundeskartellamt ist der Ansicht, dass sich die G. beim gemeinsamen Einkauf von Altglas für die im Inland tätigen Behälterglashersteller unter Verstoß gegen Art. 81 EG und § 1 GWB als ein verbotenes Einkaufskartell betätige. Das Kartell verhindere, dass sich ein freier Markt für Altglas aus haushaltsnahen Sammlungen entwickeln könne. Mit der angefochtenen Verfügung hat es deshalb die Kartellrechtswidrigkeit des Gesellschaftsvertrages der G. und ihrer im Zusammenhang mit der gemeinsamen Beschaffung von unaufbereitetem oder aufbereitetem Altsglas gefassten Gesellschafter- und Beiratsbeschlüsse festgestellt, sowie der G. und den Gesellschaftern untersagt, den gemeinsamen Einkauf fortzusetzen, soweit nicht Altglasmengen betroffen sind, die Gegenstand von Ausschreibungen der "D. G. P. - D. S. D. GmbH" (nachfolgend: D.) aus der Zeit vor dem 1. Januar 2006 waren. Von der Möglichkeit, die Vollziehung seiner Verfügung nach § 65 Abs. 3 Satz 2 GWB auszusetzen, hat das Amt nach Abwägung der beiderseitigen Interessen keinen Gebrauch gemacht.

Dagegen wenden sich die G. und ihre Gesellschafter mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer - zwischenzeitlich eingelegten - Beschwerden anzuordnen. Sie sind der Auffassung, dass die sofortige Vollziehung der angefochtenen Entscheidung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge habe. Die Befolgung der Untersagungsverfügung führe - so trägt die Beschwerde vor - stufenweise zu einem vollständigen Betätigungsverbot der G. und ziehe damit zwangsläufig die Liquidation und Auflösung der Gesellschaft nach sich. Diese gravierenden Folgen seien nicht durch überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt. Die in der Verpackungsverordnung vorgesehene Glasrecyclingquote von 75 % könne nur durch den gemeinsamen Einkauf der Behälterglashersteller gewährleistet werden. Die Gesellschafter der G. stünden aus diesem Grunde in einen Normenkonflikt zwischen den Anforderungen der Verpackungsverordnung auf der einen Seite und den Bestimmungen des Kartellrechts auf der anderen Seite. Wie dieser Normenkonflikt zu lösen sei, sei bislang weder höchstrichterlich noch obergerichtlich geklärt. Es führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Belastung der G., wenn bereits vor einer Klärung dieser Rechtsfrage der gemeinsame Glaseinkauf untersagt und hierdurch vollendete Tatsachen geschaffen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 GWB zulässigen Anträge haben keinen Erfolg. Weder die G. noch ihre Gesellschafter haben nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht (vgl. § 65 Abs. 4 Satz 2 GWB), dass die Vollziehung der kartellbehördlichen Verfügung für sie eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat.

A. Eine Härte im Sinne des Gesetzes ist nur anzunehmen, wenn schwerwiegende Eingriffe vorgenommen werden, deren Folgen nach einer erfolgreichen Durchführung des Beschwerdeverfahrens nicht ohne weiteres beseitigt werden können (vgl. Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Kommentar zum Kartellgesetz, 3. Aufl., § 65 Rdnr. 14; Kollmorgen in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 10. Aufl., § 65 Rn. 20). In Fällen der vorliegenden Art, in denen die Beschwerde kraft Gesetzes keinen Suspensiveffekt besitzt, ist außerdem erforderlich, dass Nachteile geltend gemacht werden, die über den eigentlichen Zweck der Verfügung hinausgehen (Birmanns, Frankfurter Kommentar Kartellrecht, § 65 Rdnr. 40, 45). Die dem Betroffenen drohenden Nachteile müssen schließlich unbillig, d.h. nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse hinzunehmen sein. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung der beiderseitigen Belange und Interessen. Existenzbedrohungen brauchen im Allgemeinen nicht hingenommen werden. Auch irreparable Folgen stellen regelmäßig eine unbillige Härte dar, sofern sie nicht ausnahmsweise durch öffentliche Interessen aufgewogen werden (vgl. Karsten Schmidt, a.a.O.).

B. Nach diesen Rechtsgrundsätzen wird der G. und ihren Gesellschaftern dadurch, dass die gegen sie ergangene Untersagungsverfügung kraft Gesetzes sofort zu befolgen ist und ihre Beschwerden keine aufschiebende Wirkung haben, keine unbillige Härte aufgebürdet.

1. Die Befolgung der kartellbehördlichen Verfügung führt nicht zu einer Existenzbedrohung.

Die G. und ihre Gesellschafter machen geltend, dass das vom Amt ausgesprochene Verbot in naher Zukunft zur Liquidation und Auflösung der G. zwinge. Die G. dürfe lediglich noch den gemeinsamen Glaseinkauf aus solchen Ausschreibungen durchführen, die D. vor dem 1. Januar 2006 durchgeführt habe. Die Teilnahme an künftigen Ausschreibungen zum Erwerb von Altglas sei demgegenüber verboten. Die G. sei insbesondere gehindert, sich an der derzeit laufenden Ausschreibungen der D. zum Erwerb von Altsglasmengen ab Januar 2008 zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund müsse die G. ihre geschäftliche Tätigkeit auf kurz oder lang einstellen und aufgelöst werden, falls nicht - wie beantragt - die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet werde.

Mit Recht ist das Bundeskartellamt dieser Argumentation nicht gefolgt. Zutreffend ist es bei der rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen, dass die G. ihr unternehmerisches Interesse ausschließlich von dem wirtschaftlichen Interesse ihrer Gesellschafter ableitet, den Einkauf von Altglas gemeinsam durchzuführen. Für die Frage einer unbilligen Härte ist dementsprechend nicht entscheidend, ob die G. als zentrale Einkaufsstelle der bundesdeutschen Behälterglashersteller ihren Betrieb aufgeben muss. Maßgeblich ist vielmehr, dass den in der G. zusammengeschlossenen Behälterglashersteller für die Dauer der Vollziehbarkeit der kartellbehördlichen Verfügung der gemeinsame Glaseinkauf verwehrt wird und sie die finanziellen Nachteile zu tragen haben, die sich aus der Einstellung des Geschäftsbetriebs der G. ergeben können. Dass die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile irgendeinen der Gesellschafter der G. in seiner Existenz bedroht, ist weder nachvollziehbar dargelegt noch glaubhaft gemacht.

2. Den Gesellschaftern der G. drohen auch keine Konsequenzen, die im Falle einer Aufhebung der angefochtenen Untersagungsverfügung nicht wiedergutgemacht werden können. Die vorübergehende Einstellung des Geschäftsbetriebs der G. und die Tatsache, dass die Gesellschafter ihren gemeinsamen Glaseinkauf eine zeitlang aufgeben müssten, mag zu finanziellen Nachteile und Einbußen der Gesellschafter führen, zieht aber keine irreparablen Folgen nach sich.

3. Eine unbillige Härte ist ebenso wenig mit der Behauptung dargelegt, dass die in Nummer 1 Abs. 1 und 2 des Anhangs I zu § 6 der Verpackungsverordnung (VerpackV) vorgesehene Wiederverwertungsquote von mindestens 75 % ohne einen gemeinsamen Altglaseinkauf über die G. nicht erreicht werden könne. Die gesetzlich geforderte Wiederverwertungsquote beziehe sich - so meint die Beschwerde - auf die gesamte Branche der Behälterglasherstellung und könne daher auch nur kollektiv erfüllt werden. Sei die Recyclingquote fortan nicht mehr zu erfüllen, gerate man in einem unlösbaren Normenkonflikt zwischen den Forderungen des Verpackungsrechts einerseits und den Geboten des Kartellrechts andererseits.

Dem ist nicht zuzustimmen.

a) Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VerpackV ist der Vertreiber verpflichtet, vom Endverbraucher gebrauchte, restentleerte Verkaufsverpackungen unentgeltlich zurückzunehmen. Hersteller von Verkaufsverpackungen ihrerseits müssen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 VerpackV vom Vertreiber die zurückerhaltenen Verkaufsverpackungen am Ort der tatsächlichen Übergabe unentgeltlich zurücknehmen und einer Verwertung zuführen. Die gesetzlichen Anforderungen an diese Wiederverwertung ergeben sich aus Nummer 1 des Anhangs I zu § 6 VerpackV. Danach haben die zur Verpackungsrücknahme verpflichteten Hersteller (und Vertreiber) hinsichtlich der von ihnen im Kalenderjahr in Verkehr gebrachten Verpackungen die in der genannten Vorschrift näher geregelten Anforderungen an die Verwertung zu erfüllen. Zu diesen Anforderungen gehört für Verkaufsverpackungen aus Glas eine Wiederverwertungsquote von 75 % (Nummer 1 Abs. 2 Satz 1 des Anhangs I zu § 6 VerpackV). Haben sich der Hersteller oder der Vertreiber einem dualen System angeschlossen, das flächendeckend im Einzugsgebiet des Vertreibers eine regelmäßige Abholung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim privaten Endverbraucher oder in dessen Nähe in ausreichender Weise gewährleistet und die im Anhang I zu § 6 VerpackV genannten Anforderungen erfüllt, entfallen gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV die Rücknahme- und Verwertungspflichten des Herstellers (und des Vertreibers).

b) Bei dieser rechtlichen Ausgangslage müssen die Gesellschafter nicht befürchten, zukünftig ihren Verpflichtungen aus der Verpackungsverordnung nicht mehr erfüllen zu können. Mit Recht hat das Bundeskartellamt bereits in der angefochtenen Entscheidung (Randzeichen 79 bis 82) darauf abgestellt, dass sich zwar die Gesellschafter selbst keinem dualen System angeschlossen haben, dass aber über die Teilnahme der Vertreiber von Glasverpackungen an solchen Systemen rund 80 % der insgesamt in Verkehr gebrachten Verkaufsverpackungen aus Glas über haushaltsnahe Sammelsysteme entsorgt werden. Im Umfang dieser Glasmengen werden unmittelbar auch die Gesellschafter als Hersteller jener Glasverpackungen von ihren Rücknahme- und Verwertungspflichten befreit (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV). Allenfalls für die verbleibende Glasmenge kann sich deshalb die von der Beschwerde aufgeworfene Frage stellen, ob die Behälterglashersteller ohne einen gemeinsamen Altglaseinkauf über die G. gehindert sind, ihren verpackungsrechtlich bestehenden Verwertungspflichten nachzukommen. Das ist im Ergebnis nicht der Fall. Die in Nummer 1 Abs. 2 des Anhangs I zu § 6 VerpackV festgelegte Wiederverwertungsquote von 75 % verpflichtet nämlich - entgegen der Annahme der Beschwerde - nicht die Branche der Behälterglashersteller als Ganzes, sondern nur jeden einzelnen Glasproduzenten in Bezug auf die von ihm kalenderjährlich in Verkehr gebrachten Verpackungen. Das bestimmt Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 des Anhangs I zu § 6 VerpackV ausdrücklich. Eine Verwertungsquote von 75 % der von ihm selbst hergestellten und in Verkehr gebrachten Glasverkaufsverpackungen kann jeder Gesellschafter für sich ermitteln und erreichen. Eines gemeinsamen Altglaseinkaufs bedarf es hierzu nicht.

Vor diesem Hintergrund ist auch das weitere Argument der Beschwerde nicht stichhaltig, dass die Verpackungsverordnung in Nummer 1 Abs. 5 Satz 1 des Anhangs I zu § 6 VerpackV über die Mindestquote von 75 % hinaus eine Wiederverwertung fordert, soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist. Auch insoweit werden an die Gesellschafter nur Anforderungen gestellt, denen sie auch ohne die Einkaufskooperation nachkommen können.

4. Nicht nachvollziehbar ist ebenso der Einwand, der von der G. eingeführte Qualitätsstandard für Altglas werde verwässert, falls die Möglichkeit der gemeinsamen Altglasbeschaffung beseitigt werde, weshalb fortan Altglas nur noch nach einer nochmaligen Überprüfung als Sekundärrohstoff eingesetzt werden könne, was wiederum zu einer Verteuerung des Rohstoffs wie des Endprodukts führe. Es ist nicht im Ansatz dargelegt oder sonst zu erkennen, aus welchem Grund die für erforderliche gehaltene Qualität des Altglases nur durch einen gemeinsamen Einkauf und nicht gleichermaßen auch bei einer Beschaffung durch jede einzelne Glashütte erreicht werden kann. Mangels jedweder näherer Angaben ist ebenso die Befürchtung, dass bei einem Wegfall der Einkaufskooperation Recyclingglas durch einen anderen Rohstoff ersetzt werden müsse, was erhebliche Investitionen in die Produktionslinien erforderlich mache, nicht nachvollziehbar. Im Übrigen ist das diesbezügliche Vorbringen auch nicht glaubhaft gemacht.

5. Gegenüber dem - nach allem nur wirtschaftlichen - Interesse der G. und ihrer Gesellschafter, den gemeinsamen Altglaseinkauf unverändert fortführen zu dürfen, überwiegt das öffentliche Interesse an einer Marktöffnung. Mit Recht hat das Bundeskartellamt angenommen, dass die Einkaufskooperation einen funktionsfähigen Wettbewerb beim Absatz von Altglas bislang verhindert habe und es im öffentlichen Interesse liege, den gemeinsamen Altglaseinkauf umgehend zu beenden. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die diesbezüglichen Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (Randzeichen 239 bis 241) Bezug, denen er beitritt.

Ende der Entscheidung

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