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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 03.02.2006
Aktenzeichen: VII-Verg 19/05
Rechtsgebiete: ZPO, GWB, RVG, RpflG


Vorschriften:

ZPO § 104 Abs. 2 Satz 3
GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
GWB § 128 Abs. 4
RVG § 14 Abs. 1
RpflG § 11 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Erinnerung der Antragsgegnerin wird unter Zurückweisung des Rechtsbehelfs der Antragstellerin der Kostenfestsetzungsbeschluss I des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. November 2005 aufgehoben und werden die der Antragstellerin zu erstattenden Kosten wie folgt neu festgesetzt.

Aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 13. Juli 2005 sind von der Antragsgegnerin Kosten in Höhe von 2.646,68 € an die Antragstellerin zu erstatten.

Der weitergehende Kostenfestsetzungs- und -ausgleichungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

Die gegen die im Ausspruch genannte Kostenfestsetzung gerichtete Erinnerung der Antragsgegnerin (vgl. §§ 573 Abs. 1, 104 Abs. 1 ZPO, §§ 21 Nr. 1, 11 Abs. 1,2 RPflG) ist begründet; die Erinnerung der Antragstellerin ist unbegründet.

A.I. Die Erinnerung der Antragsgegnerin ist begründet, soweit sie mit ihr die Berücksichtigung der von ihr auf die Kosten in Höhe von 6.142,80 € zu entrichtenden Umsatzsteuer in Höhe von 16% (= 982,85 €) begehrt. Analog § 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO genügt zur Berücksichtigung von Umsatzsteuerbeträgen die Erklärung des Antragstellers, dass er die Beträge nicht als Vorsteuer abziehen kann. Die Antragsgegnerin hat mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag erklärt, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Mithin sind der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren ausgleichsfähige Kosten in Höhe von 7.125,65 € entstanden, von denen die Antragstellerin nach der Kostengrundentscheidung des Senats vom 13. Juli 2005 50% zu tragen hat.

II. Die Erinnerung der Antragsgegnerin ist ferner begründet, soweit sie sich gegen die Anordnung der Erstattung der der Antragstellerin im erst- und zweitinstanzlichen Nachprüfungsverfahren entstandenen Reisekosten ihres Verfahrensbevollmächtigten zur Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln und vor dem Senat richtet. Mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag begehrte die Antragstellerin, u. a. die von ihrem Verfahrensbevollmächtigten entrichteten Flugkosten als erstattungsfähige Kosten gegen die Antragsgegnerin bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen.

Die Reisekosten des auswärtigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin in erster und zweiter Instanz des vorliegenden Nachprüfungsverfahren sind nicht erstattungsfähig. Es handelt sich um einen Mehraufwand, der für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung nicht notwendig war. Aufwendungen sind zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nach § 128 Abs. 4 GWB nur dann notwendig und damit erstattungsfähig, wenn sie ein verständiger Beteiligter unter Berücksichtigung der Bedeutung und rechtlichen oder sachlichen Schwierigkeit der Sache, die Gegenstand des Verfahrens ist, zur Durchsetzung seines Standpunktes vernünftigerweise für erforderlich halten durfte. Dabei ist jeder Verfahrenbeteiligte verpflichtet, die Kosten nach Möglichkeit niedrig zu halten. Um diesen Maßstäben zu genügen, beauftragt ein kostenbewusster Beteiligter eines Vergabenachprüfungsverfahrens in der Regel einen im Bezirk der angerufenen Nachprüfungsinstanz oder einen an seinem Wohn- bzw. Geschäftsitz ansässigen Verfahrensbevollmächtigten, um unnötige Reisekosten zu sparen (vgl. Senat, Beschl. v. 15.12.2005, Verg 74/05, Umdruck S. 3; BayObLG, Beschluss vom 20.1.2003, Verg 28/02; vom 16.2.2005, VergabeR 2005, 406, 407/408; aus der zivilrechtlichen Rechtsprechung: BGH, Beschl. vom 12.2.2002, NJW 2003, 901, 902/903; vom 18.2.2004, NJW-RR 2004; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 8.9.2005, I-10 W 64/05).

Im Streitfall hat die in Köln ansässige Antragstellerin, die ihren Nachprüfungsantrag in erster Instanz an die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln zu richten hatte, einen Rechtsanwalt aus München mit ihrer Vertretung beauftragt. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts an einem "dritten Ort" kann in Nachprüfungsverfahren zwar ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn ein vergleichbar spezialisierter ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann, oder wenn ein besonderes, in der konkreten Sache selbst begründetes Vertrauensverhältnis zu einem bestimmten auswärtigen Rechtsanwalt besteht.

Keiner der beiden Ausnahmefälle ist im Streitfall jedoch gegeben. Die Antragstellerin hat zwar geltend gemacht, dass es bundesweit nur noch bis zu zwei Sozietäten gebe, die mit der Kombination der Rechtsmaterien Vergaberecht, Transportrecht sowie Postrecht vertraut seien. Dieser Vortrag reicht jedoch nicht aus, um davon auszugehen, dass ein im Vergaberecht spezialisierter Rechtsanwalt im Raum Köln, Bonn oder Düsseldorf nicht im konkreten Vergabeverfahren hätte beauftragt werden können. Die im Streitfall aufgeworfenen Rechtsfragen berührten das Postrecht nur am Rande, während sich über das Vergaberecht hinaus nur noch Fragen zur Haftung des Frachtführers stellten. Diese nicht schwierigen Rechtsfragen hätten von einem im Vergaberecht kundigen Rechtsanwalt mit behandelt und beantwortet werden können. Auch die Antragsgegnerin hat sich durch einen in Köln ansässigen, auf dem Gebiet des Vergaberechts spezialisierten Rechtsanwalt vertreten lassen.

Der Umstand, dass die Antragstellerin mit ihrem Münchener Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen anderer Vergabenachprüfungsverfahren, z.B. vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht, dem Kammergericht Berlin und vor verschiedenen Vergabekammern schon mehrfach zusammengearbeitet hat, rechtfertigt kein Abweichen von der Regel. Das besondere Vertrauensverhältnis muss sich aus der konkreten Sache selbst ergeben. Hiervon abgesehen sind im Raum Düsseldorf Köln mehrere Anwaltskanzleien ansässig, die (auch) im Vergaberecht spezialisiert sind.

Die Notwendigkeit der Beauftragung eines Münchener Anwalts lässt sich auch nicht damit begründen, dass zur vergaberechtlichen Beurteilung des Angebots der Antragstellerin und des Konkurrenzangebotes der Beigeladenen eine Kenntnis von den betrieblichen Abläufen der Antragstellerin und der Beigeladenen, der Deutschen Post AG, erforderlich war. Dieses Wissen um die tatsächlichen Betriebsabläufe bei der Antragsgegnerin und der Beigeladenen besaß der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zwar auf Grund der Vertretung der Antragstellerin in vorausgegangenen Nachprüfungsverfahren. Dies rechtfertigte aber nicht schon die Einschaltung eines Anwalts an einem "dritten Ort", denn die Antragstellerin konnte einem im Raum Düsseldorf oder Köln ansässigen, im Vergaberecht spezialisierten Rechtsanwalt die erforderlichen Kenntnisse über die Betriebsabläufe vermitteln. Etwaige Kosten für Informationsfahrten und Verdienstausfälle des Geschäftsführers oder eines Mitarbeiters der Antragstellerin wären als notwendige Kosten nach den Sätzen des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes zu erstatten gewesen.

Im Ergebnis könnte daher allenfalls der Ansatz von Reisekosten bis zur Höhe fiktiver Reisekosten eines ortsnahen Rechtsanwalts anerkannt werden. Fiktive Reisekosten hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht.

B. Die Erinnerung der Antragstellerin ist unbegründet. Sie richtet sich dagegen, dass der Rechtspfleger die vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin angesetzte 2,5-fache Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG um fünf Zehntel gekürzt hat.

Die Beanspruchung einer 2,5-fachen Gebühr durch den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ist als unbillig zu beanstanden. In Bezug auf die Anwaltskosten ist das RVG anzuwenden, dass seit dem 1.7.2004 Gültigkeit hat. Einschlägig ist die 0,5 - 2,5-fache Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG. Da es sich um eine Rahmengebühr handelt, gilt § 14 Abs. 1 RVG. Nach dieser Bestimmung hat der Rechtsanwalt die Gebühr nach billigem Ermessen zu bestimmen. Dabei ist ungeachtet der in Nr. 2400 VV enthaltenen Kappungsgrenze die dem billigen Ermessen entsprechende Gebühr zunächst gemäß § 14 Abs. 1 RVG nach allen Umständen des Einzelfalls aus dem vollen Gebührensatzrahmen zu ermitteln. Liegt die so bestimmte Gebühr über dem 1,3-fachen Gebührensatz, kann der Anwalt die höhere Gebühr fordern, wenn die Tätigkeit im Sinne der Anmerkung zu Nr. 2400 VV "umfangreich oder schwierig" war (vgl. Otto, NJW 2004, 1420, 1421; Rojahn, VergabeR 2004, 454, 456; Schneider, IBR 2004, 725; abw.: Diemer/Maier, NZBau 2004, 526, 542; Braun, Gebührenberechnung nach dem neuen RVG, 2004, S. 62).

Im Allgemeinen sind Vergabenachprüfungsverfahren allerdings "umfangreich oder schwierig", so dass die Kappungsgrenze gemäß Nr. 2400 VV in vielen Fällen keine Rolle spielt (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.2.2005, Verg 028/04; Rojahn, VergabeR 2004, 454, 456; OLG München, Beschl. v. 23.1.2006, Verg 22/05, Umdruck 6). Das Vergaberecht ist eine von Haus aus unübersichtliche und schwierige Rechtsmaterie. Ungeachtet einer Beiladung anderer Bieter oder Bewerber durch die Vergabekammer sind in einem Nachprüfungsverfahren von Beginn an die Interessen der Mitbewerber und deren Angebote betroffen und ist deren tatsächliche und rechtliche Argumentation von den Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen. Besondere Schwierigkeiten treten bei der Klärung des Sachverhalts auf, weil ein Geheimwettbewerb stattfindet und fremde Geschäftsgeheimnisse gewahrt werden müssen. Dennoch ist in der Regel umfangreich und umfassend (vgl. § 113 Abs. 2 GWB) sowie stets unter einem erheblichen Zeitdruck vorzutragen. Im Regelfall erscheint es daher im Sinne von § 14 Abs. 1 RVG nicht unbillig, wenn der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Verfahren vor der Vergabekammer mit mündlicher Verhandlung eine 2,0-fache Geschäftsgebühr ansetzt. Andererseits bedarf die volle Ausschöpfung des nach Nr. 2400 VV eröffneten Gebührenrahmens der näheren Begründung. Eine solche ist im Streitfall durch das Vorbringen der Antragstellerin und durch den Akteninhalt nicht nahegelegt.

Im konkreten Fall ist der Ansatz einer 2,5-fachen Geschäftsgebühr durch den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin unbillig und daher nicht verbindlich. Für die Bedeutung der Angelegenheit kommt es unter anderem auf das an einer Auftragserteilung bestehende wirtschaftliche Interesse der Beteiligten des Verfahrens an. Im Streitfall hebt das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an dem konkret zu vergebenden Beschaffungsvorhaben das Verfahren nicht entscheidend aus dem Durchschnitt vorkommender Nachprüfungsverfahren heraus. Das Auftragsvolumen lag bei ca. 5 Millionen €/Jahr. Vor der Vergabekammer hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Das streitgegenständliche Nachprüfungsverfahren beinhaltete die als schwierig einzustufende Auslegung der Verdingungsunterlagen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt ihrer Änderung durch das Angebot der Antragstellerin und verlangte die Auslegung der von der Antragstellerin abgegebenen Erklärungen zur Adressrecherche sowie zum Nachunternehmereinsatz. Das Verfahren war auch in tatsächlicher Hinsicht mit Blick auf die Betriebsabläufe bei der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nicht einfach gelagert, allerdings nicht als überdurchschnittlich schwierig anzusehen. Streitgegenstand des Verfahrens war außerdem der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen von der Wertung wegen unzulässiger Änderung der Verdingungsunterlagen. In diesem Rahmen stellten sich Rechtsfragen zur handelsrechtlichen Haftung von Frachtführern und eine weitere Auslegungsfrage zu der von der Antragsgegnerin abgegebenen Erklärung. Diese Umstände rechtfertigen es indes nicht, das vorliegende Verfahren als besonders schwierig anzusehen. Die auftretenden Rechtsfragen waren zwar nicht einfach gelagert, waren nach ihrer Art und Zahl aber nicht geeignet, das konkrete Verfahren über den Durchschnitt der insgesamt als "von Haus aus" schwierig anzusehenden Vergabeverfahren hinauszuheben. Auslegungsfragen zu den Verdingungsunterlagen und zu den abgegebenen Erklärungen der Bieter stellen sich in vielen Nachprüfungsverfahren. Die handelsrechtlichen Fragen verlangten keine vertieften Kenntnisse der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur.

Die zweite notwendige Voraussetzung im Sinne der Anmerkung zu Nr. 2400 VV, die die Anhebung des 2,0-fachen Gebührensatzes erfordern könnte, liegt ebenfalls nicht vor. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren war im Hinblick auf die Vergabeakten und Vergabekammerakten und die im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätze nicht besonders umfangreich.

C. Der Ausgleichsanspruch der Antragstellerin berechnet sich wie folgt:

 Kosten der Antragstellerin in der ersten Instanz : Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB der Antragstellerin4.360,00 € + 5.011,00 €
Summe, davon trägt die Beigeladene 50%9.371,00 € =4.685,50 €
Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, davon trägt die Beigeladene 25%6.096,00 €, = 1.524,00 €
Zwischensumme:6.209,50 €
abzüglich Gegenanspruch der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren, davon trägt die Antragstellerin 50%6.142,80 + 982,85 € (MWSt.) = 7.125,65 €, = 3.562,83 €
Erstattungsbetrag:2.646,68 €

IV. Die Kostenfolgen ergeben sich aus § 11 Abs. 4 RpflG.

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