Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 05.09.2007
Aktenzeichen: VII-Verg 19/07 (1)
Rechtsgebiete: GWB, VOL/A, VgV


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 1
GWB § 97 Abs. 2
GWB § 107 Abs. 3 S. 1
GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
VOL/A § 25 a Nr. 1 Abs. 2
VgV § 13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 30. Mai 2007 (VK 8/07) aufgehoben.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Vergabeverfahren "Rahmenverträge Schülerbeförderung für sechs Förderschulen (AZ: RAV-039-31-06) hinsichtlich des Loses 3.2 in den Stand vor Aufforderung der am Auftrag interessierten Unternehmen zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der den Antragstellern entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Antragsgegner.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens - einschließlich des Verfahrens über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB - werden zu 50% den Antragstellern sowie zu 50% dem Antragsgegner und der Beigeladenen auferlegt.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 35.000 €

Gründe:

I.

Der Antragsgegner schrieb im Dezember 2006 Rahmenverträge für die Schülerbeförderung in einem offenen Verfahren nach der VOL/A europaweit aus. Den Gegenstand der Ausschreibung bildete die Beförderung von behinderten Schülerinnen und Schülern in dem Zeitraum vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2010 zu insgesamt sechs Förderschulden im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Der Auftrag war aufgeteilt in sechs Lose, wobei eine Vergabe getrennt nach Losen zulässig war.

Unter Ziff. 16. 2 der Vergabebekanntmachung war bestimmt:

"Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot auf Grund der nachstehenden Kriterien (in der Reihenfolge ihrer Priorität) erteilt.

- Preis

- Qualitätssicherungskonzept

Das Zuschlagskriterium Preis geht zu 60 % in die Wertung ein. Das Zuschlagskriterium Qualitätssicherungskonzept (Anlage D.3) geht insgesamt zu 40 % in die Wertung ein und teilt sich in folgende Unterkriterien und Gewichtungen: Fahrdienstorganisation 16 %, Änderungsdienst 8 %, Ausfallkonzept 8 %, Beschwerdemanagement 8 %. "

Die Anlage D der Vergabeunterlagen sah ergänzende Angaben der Bieter zum Qualitätssicherungskonzept vor: Ziff. D.2.1 enthielt einen Fragenkatalog zur Fahrdienstorganisation. Unter Ziff. D.2.2 war eine Beschreibung des Konzeptes für den notwendigen Änderungsdienst vorzunehmen. Als besondere Bewertungskriterien waren der "Ablauf des Änderungsdienstes" und die "Form der Benachrichtigung (Eltern, Schule, LWL) genannt. Unter Ziff. D.2.3 sollten die Bieter darlegen, wie sie die Beförderung der Schüler und Schülerinnen bei Fahrzeug- oder Personalausfällen sicherstellen. Als besondere Bewertungskriterien wurden "Einsatzmöglichkeiten von Ersatzfahrzeugen/-Personal oder Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern" bezeichnet. Ziff. D.2.4 enthielt die Aufforderung an die Bieter, ihr konkretes Konzept für die Durchführung des Beschwerdemanagements zu beschreiben.

Als besondere Bewertungskriterien wurden hervorgehoben:

- Sicherstellung der Erreichbarkeit

- Schulung der MitarbeiterInnen

- Dokumentation der Beschwerden

- Form der Rückmeldung an Eltern, Schule, LWL

Die Antragsteller haben sich mit einem Angebot zu Los 3.2, das sich auf die Beförderung von Schülern und Schülerinnen aus P. und M. zu einer Schule nach B. bezieht, an dem Vergabeverfahren beteiligt. Neben den Antragstellern haben fünf weitere Unternehmen Angebote vorgelegt, darunter die Beigeladene. Preislich am günstigsten war das Angebot der Antragsteller, gefolgt von dem Angebot der Beigeladenen, die nach der Wertung des Antragsgegners den Zuschlag zu Los 3.2 erhalten soll.

Nach Ablauf der Angebotsfrist hat der Antragsgegner den in den in der Anlage D unter Ziff. 2.2 bis 2.4 genannten "Besonderen Wertungskriterien" eine Maximalpunktzahl von 100 Punkten zugeordnet und diese auf weitere Unterkriterien verteilt.

So entfielen auf die unter Ziff. D.2.2 mitgeteilten besonderen Bewertungskriterien für das vorzustellende Änderungsdienstkonzept, nämlich "Ablauf" und "Form der Benachrichtigung" 60 bzw. 40 Punkte, wobei das Kriterium "Ablauf" sich aufspaltete in weitere mit Punktwerten versehene Unterkriterien, wie "Benennung eines Ansprechpartners, klare Zuständigkeit" (10 Punkte), "Beschreibung Planung" (20 Punkte), "Berücksichtigung von Besonderheiten" (15 Punkte), "Erreichbarkeit" (10 Punkte) und EDV-Unterstützung (5 Punkte). Die auf das Kriterium "Form der Benachrichtigung" entfallende Maximalpunktzahl von 40 Punkten verteilte sich auf die Unterkriterien "an LWL und Schule" (20 Punkte), "an Eltern (telefonisch, schriftlich)" (15 Punkte) und "rechtzeitig, vorab" (5 Punkte).

Im Hinblick auf das von den Bietern darzustellende Ausfallkonzept wurden die maximal erreichbaren 100 Punkte wie folgt verteilt:

a) Ausfall von Fahrzeugen (40 Punkte)

- Ersatzfahrzeuge aus eigenem Betrieb/betriebszugehörigem Taxiunternehmen/Autovermietung (20 Punkte)

- Steht entsprechender Bedarf zur Verfügung (z.B. Rollstuhlfahrzeuge) (5 Punkte)

- Benennung des Standortes der Ersatzfahrzeuge (zeitnaher Einsatz möglich ?) (5 Punkte)

- Zusammenarbeit mit Partnerunternehmen (10 Punkte)

- ortsansässigen Unternehmen

- Anmietung von Fahrzeugen

- Mobilitätsgarantie

b) Ausfall von Personal (40 Punkte)

- Betriebseigenes Personal (Stamm-, Ersatzpersonal, Aushilfskräfte, Springer in Bereitschaft) (25 Punkte)

- Kooperation mit ortsansässigen Partnerunternehmen (10 Punkte)

- Zeitnaher Einsatz möglich ? (5 Punkte)

c) Organisation/Dokumentation (20 Punkte)

- Einsatz besonderer EDV/Telematikdienst, Fahrdienstleitung (5 Punkte)

- Kommunikation Personal-Firma über Dienstaufnahme, Verspätung, Erkrankung (5 Punkte)

- Kommunikation Firma-Eltern/Schule (Info über Verspätung) (5 Punkte)

- Schulung des Personals zum Verhalten im Krankheits-fall/Verspätung/Fahrzeugmappe (5 Punkte)

Die für die von den Bietern geforderte Beschreibung des Konzepts zum Beschwerdemanagement mitgeteilten besonderen Bewertungskriterien wurden durch folgende Unterkriterien inhaltlich ausgefüllt und gewichtet:

a. Sicherstellung der Erreichbarkeit (20 Punkte)

- zwischen 6 - 18 Uhr von Mo-Fr erreichbar (10 Punkte)

- ein Ansprechpartner (2 Punkte)

- besonders geschulter Ansprechpartner (2 Punkte)

- außerhalb der Ansprechzeiten zusätzliche Regelung, um telefonische Bereitschaft zu gewährleisten (6 Punkte)

b. Schulung der MitarbeiterInnen (20 Punkte)

- Schulung von MA (10 Punkte)

- Regelmäßige Schulung bzw. Mitarbeitergespräche (5 Punkte)

- Besondere Schulung im Fahrsicherheitstraining oder Umgang mit Menschen mit Behinderung (extern) (5 Punkte)

c) Dokumentation der Beschwerden (35 Punkte)

- Konzept (Aufnahmen, Bearbeitung, Kontrolle) (30 Punkte)

- Besonderes Formular zur Erfassung und Auswertung (5 Punkte)

c. Form der Rückmeldung an Eltern, Schule, LWL (25 Punkte)

- Rückmeldung an die Eltern, Schule (5 Punkte)

- Info an LWL, sofern keine einvernehmliche Regelung getroffen werden kann (5 Punkte)

- Schriftliche/telefonische Rückmeldung (Unterscheidung nach Art des Eingangs) (3 Punkte)

- Unverzügliche Bearbeitung möglich, angestrebter Zeitraum in der Beschwerde bearbeitet sein muss (2 Punkte)

- Besonderheit bei der Schülerbeförderung, Kundenservice (Anerkennung besonderes Klientel) (8 Punkte)

- 1 Bearbeiter/Vertretungsregelung, besondere Regelung (2 Punkte)

Ausweislich des Vergabevermerks erzielte das Angebot der Antragsteller 80 Punkte, das der Beigeladenen 87,4 Punkte. Die Differenzen beruhen auf der Bewertung des Qualitätssicherungskonzeptes. Insoweit schnitt das Angebot der Beigeladenen besser ab. Mit Schreiben vom 27.03.2007 teilte der Antragsgegner den Antragstellern mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne und der Zuschlag an die Beigeladene erteilt werden solle. Ausschlaggebend sei die im Vergleich geringere Bewertung ihres Qualitätssicherungskonzeptes.

Am 03.04.2007 legten die Antragsteller der Vergabekammer eigenhändig einen Nachprüfungsantrag vor. Nachdem sie darauf hingewiesen worden waren, dass eine Zustellung mangels Rüge nicht erfolgen könne, rügten sie mit Schreiben vom gleichen Tag gegenüber dem Antragsgegner die zu geringe Bewertung ihres Angebotes und legten den Nachprüfungsantrag am 04.04.2007 erneut der Vergabekammer vor, die diesen sodann an den Antragsgegner zustellte.

Die Antragsteller begehrten die Nachprüfung der Vergabeentscheidung und beriefen sich darauf, dass ihr Angebot ungerechtfertigt zu gering bewertet worden sei. Aus den ihnen bekannt gewesenen Ausschreibungsunterlagen sei nicht ersichtlich gewesen, wie die Fragen zum Qualitätssicherungskonzept anders hätten beantwortet werden können

Mit Beschluss vom 30.05.2007 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag der Antragsteller zurück. Zur Begründung stellte sie im wesentlichen darauf ab, dass das Vorgehen des Antragsgegners, im Rahmen der Angebotswertung Unterkriterien zur Anwendung zu bringen, die den Bietern zuvor nicht mitgeteilt worden waren, nicht gegen § 25 a Nr. 1 Abs. 2 VOL/A verstoße. Dieses Verfahren bewege sich noch innerhalb des vergaberechtlich zulässigen Rahmens, da weder die bekannt gemachten Zuschlagskriterien noch die besonderen Bewertungskriterien zum Qualitätssicherungskonzept geändert worden seien.

Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer sofortigen Beschwerde.

Ihrem gleichzeitig gestellten Antrag, gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB die auf-schiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern, hat der Senat mit Beschluss vom 12.07.2007 entsprochen.

Mit der sofortigen Beschwerde machen die Antragsteller geltend, dass die vom Antragsgegner erst nach der Abgabe der Angebote entwickelten Beurteilungskriterien erhebliche Abweichungen und Ausweitungen gegenüber den bekannt gemachten Wertungskriterien beinhalteten.

Sie beantragen,

den Antragsgegner unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer zu einer Neuwertung der eingegangenen Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu verpflichten.

Der Antragsgegner und die Beigeladene verteidigen den angefochtenen Beschluss. Eine Bewertung der Angebote anhand neuer, zuvor nicht offengelegter Kriterien habe nicht stattgefunden. Der Antragsgegner habe die Bewertung der Angebote vielmehr so transparent wie möglich gestaltet. Er sei nicht verpflichtet gewesen, vor Angebotsabgabe abschließend und verbindlich anzugeben, welche Bieterangaben er im einzelnen hinsichtlich der Kriterien "Fahrdienstorganisation", "Änderungsdienst", "Ausfallkonzept" und "Beschwerdemanagement" erwartete und wie diese Angaben dann im Verhältnis zueinander gewichtet bzw. bewertet werden sollten.

Die Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Vergabeakte und die Vergabekammerakte verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde hat insoweit Erfolg, als über den von den Antragstellern begehrten Eingriff hinaus in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren nicht nur die Angebotswertung zu wiederholen, sondern dieses in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen ist. Die Antragsteller sind durch die Heranziehung von zuvor nicht bekannt gemachten Wertungskriterien in ihren Rechten verletzt worden, so dass der Antragsgegner die an dem Vergabeverfahren Beteiligten unter Bekanntgabe der für seine Wertung maßgeblichen Gesichtspunkte nochmals zur Angebotsabgabe aufzufordern und eine erneute Angebotswertung unter Beachtung der einschlägigen Vergaberechtsbestimmungen durchzuführen hat.

1. Die sofortige Beschwerde ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags unbegründet. Ein zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags führender Verstoß gegen die Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB liegt nicht vor.

Demzufolge hat ein Unternehmen bereits im Vergabeverfahren erkannte Verstöße gegen Vergabevorschriften unter Berücksichtigung der für Prüfung und Begründung der Rüge notwendigen Zeit sobald gegenüber dem Auftraggeber zu rügen, als es ihm nach den Umständen möglich und zumutbar ist. "Unverzüglich" meint somit nicht "sofort", zumal dem betreffenden Unternehmen außer der eigentlichen Prüfung und Erarbeitung der Rüge auch eine angemessene Über-legungsfrist zuzubilligen ist, ob es überhaupt zum Angriff übergehen möchte. Bei einer Zeitabmessung, die auch die Interessen des Auftraggebers sowie die etwaigen besonderen Verhältnisse des Einzelfalles angemessen zu berücksichtigen hat, sind dem Unternehmen in der Regel zwei Wochen als Obergrenze einzuräumen (vgl. Senat, Beschl. v. 05.12.2001 VII - Verg 32/01; Byok in Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 107 Rdnr. 987)

Nach diesen Grundsätzen erfüllte die von den Antragstellern sechs Tage nach Erhalt des Informationsschreibens gemäß § 13 VgV gegenüber dem Antragsgegner erhobene Beanstandung, das von ihnen vorgelegte Qualitätssicherungskonzept sei im Vergleich zu gering bewertet worden, noch die Voraussetzungen eines Handelns ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB). Da sich dem Informationsschreiben nur entnehmen ließ, dass das Angebot der Antragsteller hinsichtlich des Qualitätssicherungskonzeptes geringer bewertet worden war als das der Beigeladenen, waren die Antragsteller vor Akteneinsicht nicht in der Lage, bestimmte vergaberechtliche Verstöße zu beanstanden. Allerdings war offensichtlich und auf Anhieb erkennbar, dass die Mitteilung vom 27.03.2007 keinerlei näheren, eine inhaltliche Auseinandersetzung erfordernden Angaben zum Grund der Nichtberücksichtigung des Angebots der Antragsteller enthielt. Die von den Antragstellern schließlich erhobene pauschale Beanstandung hätte deshalb durchaus auch in kürzerer Frist erhoben werden können. Unter Berücksichtigung der ihnen zuzubilligenden angemessenen Überlegungsfrist, in der Aufwand und möglicher Ertrag eines Angriffs gegen die Entscheidung des Antragsgegners sachgerecht abgewogen werden konnten, ist der Zeitraum von sechs Tagen aber noch als mit dem das Verfahren vor der Vergabekammer bestimmenden Beschleunigungsgebot anzusehen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall maßgeblich von dem der Entscheidung des Senats vom 19.08.2004 (VII - Verg 54/04) zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem die Obergrenze von maximal zwei Wochen nahezu ausgeschöpft worden war und ein Tätigwerden erst nach 12 Tagen nicht als unverzüglich bewertet werden konnte.

2. Zu Recht rügen die Antragsteller eine Verletzung des Gebots, bei der Wertung der Angebote nach § 25 a Nr. 1 Abs. 2 VOL/A nur solche Kriterien zu berücksichtigen, die in den Verdingungsunterlagen angegeben waren.

Das Vorgehen des Antragsgegners, bei der Bewertung der Qualitätssicherungskonzepte weitere, der inhaltlichen Ausfüllung und Beurteilung dienende, unterschiedlich gewichtete Unterkriterien heranzuziehen, überschreitet die vom EuGH in seinem Urteil vom 24.11.2005 (Rs. C-331/04 (ATI EAC ./. Venezia) VergabeR 2006, 202) ausdrücklich aufgestellten folgenden Zulässigkeitsgrenzen für das nachträgliche Aufstellen und Gewichten von Unterkriterien:

Danach dürfen die bekannt gemachten Hauptkriterien durch die nachträglich gebildeten bzw. gewichteten Unterkriterien nicht geändert werden. Es muss ferner auszuschließen sein, dass das nachträgliche Aufstellen und Gewichten der Unterkriterien - wären die Kriterien und deren Gewichtung schon vor Erstellung der Angebote bekannt gemacht worden - den Inhalt der Angebote beeinflussen kann. Schließlich darf das nachträgliche Vorgehen nicht dazu geeignet sein, einen Bieter zu diskriminieren.

Zwar sind diese Rechtsgrundsätze vom EuGH in einem Rechtsstreit formuliert worden, der eine Sektoren - Auftragsvergabe betraf; sie sind aber gleichermaßen in jenen Vergabeverfahren zu beachten, die nach den Basis - und - wie im Streitfall - den a- Paragraphen der Verdingungsordnungen durchzuführen sind. Die Forderung, dass der öffentliche Auftraggeber den Bietern die für die Wertung maßgeblichen Kriterien bekannt zu geben habe, fußt auf den allgemeinen vergaberechtlichen Geboten der Gleichbehandlung und Transparenz, die in § 97 Abs. 1, 2 GWB Ausdruck gefunden haben und in allen nach dem vierten Teil des GWB durchzuführenden Vergabeverfahren gelten.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist festzustellen, dass die nachträglich aufgestellten und gewichteten Unterkriterien zwar nicht zu einer Änderung der bekannt gegebenen Hauptzuschlagskriterien geführt haben, weil durch sie lediglich eine inhaltliche Ausfüllung und differenzierte Bewertung des Zuschlagskriteriums "Qualitätssicherungskonzept" erreicht werden sollte. Auch sind die in Rede stehenden Unterkriterien nicht geeignet, Bieter zu diskriminieren.

Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die Bekanntgabe der vom Antragsgegner bei der Wertung herangezogenen, nachträglich gebildeten und gewichteten Unterkriterien zum "Änderungsdienst", "Ausfallkonzept" und "Beschwerdemanagement" auf die Erstellung des Angebotes der Antragsteller Einfluss gehabt hätte.

Anders als Antragsteller und Beigeladene meinen, stand der Verpflichtung zur Bekanntgabe derartiger, das Angebot potentiell beeinflussender Wertungsgesichtspunkte nicht entgegen, dass der Antragsteller sich erst nach Ablauf der Angebotsfrist für die Heranziehung von Unterkriterien entschieden hat. Zwar ist die Entscheidung des EuGH vom 12.02.2002 (Rs C - 470/99 Universale Bau) und auch eine spätere Entscheidung dieses Senats (Beschluss vom 16.02.2005, VII - Verg 74/04) oftmals dahingehend gedeutet worden, dass nachträglich aufgestellte Unterkriterien und deren Gewichtung von der Bekanntgabepflicht im Unterschied zu solchen Unterkriterien, die der Auftraggeber von vornherein berücksichtigt wissen wollte und dennoch nicht bekannt gegeben hat, ausgenommen seien. Diese Würdigung beruht auf einem Missverständnis, dem der EuGH durch das Urteil vom 24.11.2005 entgegen getreten ist. Die darin aufgestellten Grenzen für die Bildung und Gewichtung von den Bietern nicht zur Kenntnis gebrachten Unterkriterien gelten unabhängig davon, ob der öffentliche Auftraggeber vor oder nach Ablauf der Angebotsfrist Unterkriterien festgelegt und gewichtet hat.

Entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegner und der Beigeladenen war die Bekanntgabe der nachträglich gebildeten Unterkriterien auch nicht schon deswegen entbehrlich, weil sie auf die Erstellung der Angebote keinen Einfluss gehabt hätten. Durch die weitreichende Formulierung, die nachträgliche Aufstellung und Gewichtung von Unterkriterien sei vergaberechtlich nur zulässig, "sofern die Entscheidung keine Gesichtspunkte enthält, die, wenn sie zum Zeitpunkt der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wären, diese Vorbereitung hätten beeinflussen können" (Rdnr. 32) stellt die Entscheidung des EuGH vom 24.11.2005 allein auf die Eignung der Unterkriterien zur Beeinflussung des Angebots ab. Da die an einem Auftrag interessierten Bieter typischerweise ihre Angebote an die speziellen und aus den Zuschlags- und Unterkriterien sowie deren Gewichtung ersichtlichen Anforderungen anpassen, sind wertungsrelevante Unterkriterien regelmäßig geeignet, den Inhalt von Angeboten zu beeinflussen.

Auch im Streitfall ist davon auszugehen, dass die Bekanntgabe eines Teils der zur Bewertung herangezogenen Unterkriterien und ihrer Gewichtung das Angebot der Antragsteller inhaltlich hätte beeinflussen können. Antragsgegner und Beigeladene können nicht damit gehört werden, dass sämtliche der in die Bewertung der Angebote unter dem Aspekt des Qualitätssicherungskonzepts eingeflossenen Gesichtspunkte entweder in der Anlage D.2 selber angesprochen worden seien oder unmittelbar daraus hätten abgeleitet werden können. Dieses gilt jedenfalls nicht für die im folgenden exemplarisch erörterten Zusatzkriterien, die der Antragsgegner zur Bewertung der von den Bietern darzustellenden Konzepte zum "Änderungsdienst", "Ausfallkonzept" und "Beschwerdemanagement" aufgestellt hat.

Während die konzeptionelle Darstellung des Änderungsdienstes unter dem in Ziff.D.2.2 der Verdingungsunterlagen ausdrücklich genannten besonderen Bewertungskriterium "Ablauf des Änderungsdienstes" für den Bieter erkennbar neben einer allgemeinen Beschreibung der Planung auch Angaben zum Ansprechpartner erforderte, ist die inhaltliche Ausfüllung durch das weitere Unterkriterium "EDV-Unterstützung" nicht mehr selbstverständlich. Auch dem verständigen, um eine ausführliche Darstellung bemühten Bieter erschloss sich nicht ohne weiteres, dass der Auftraggeber eine EDV-Unterstützung erwartete bzw. im Rahmen der Wertung honorieren wollte.

Soweit der Antragsgegner unter dem bekannt gemachten besonderen Bewertungskriterium "Form der Benachrichtigung" auch für die rechtzeitige, wenn möglich vorab erfolgende Information einen Maximalwert von 5 Punkten vorgesehen hatte, war für den Bieter ebenfalls nicht vorhersehbar, dass Angaben zur Frist unter dem ausdrücklich mit "Form der Benachrichtigung" überschriebenen Gesichtspunkt erwartet wurden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das insoweit jeweils mit 0 Punkten bewertete Angebot der Antragsteller bei Bekanntgabe dieser Wertungskriterien - ausreichende - Angaben zur EDV-Unterstützung und zur Frist der Benachrichtigung enthalten hätte.

Die zu der Thematik "Ausfallkonzept" vom Antragsgegner entwickelten Unterkriterien und ihre Gewichtung führen zu einer Verschiebung der Bedeutung der bekannt gegebenen besonderen Wertungskriterien. Während die Formulierung in Ziff. D.2.3 den Eindruck vermittelt, dass die Einsatzmöglichkeiten eigener Ersatzfahrzeuge bzw. eigenen Ersatzpersonals und die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern gleichwertige Alternativen bilden, ergibt sich aus der entsprechenden Bewertungsmatrix, dass der Antragsgegner die Möglichkeit des Einsatzes eigener Fahrzeuge und eigenen Stammpersonals höher bewertete als die Option, auf Material und Personal von Kooperationspartnern zurückzugreifen. Auch das in Ziff. D.2.3 zum Ausdruck kommende Alternativverhältnis spiegelt sich in der Bewertungsmatrix nicht wieder. Dort sind - unterschiedlich hohe - Punktwerte sowohl für die Darstellung betriebseigener Ersatzmöglichkeiten als auch für die Beschreibung der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern vorgesehen. Der vom Antragsgegner des weiteren herangezogene Gesichtspunkt "Organisation/Dokumentation" geht inhaltlich über die bekannt gegebenen besonderen Bewertungskriterien hinaus.

Auch die Unterkriterien für die Bewertung der von den Bietern geforderten Konzepte zum "Beschwerdemanagement" beziehen sich zum Teil auf Umstände, deren Relevanz den bekannt gegebenen besonderen Bewertungskriterien nicht zu entnehmen ist. Dass unter dem Gesichtspunkt "Sicherstellung der Erreichbarkeit" Angaben dazu erwartet und bewertet werden, ob im Unternehmen des Bieters ein besonders geschulter Ansprechpartner die Beschwerden entgegennimmt, ist keineswegs offensichtlich. Dies gilt auch für den Bereich "Schulung der MitarbeiterInnen". Für die Bieter war nicht vorhersehbar, dass nicht nur eine regelmäßige Schulung positiv bewertet werden würde, sondern weitere Punkte für ein besonderes Fahrsicherheitstraining vorgesehen waren. Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass eine Bekanntgabe dieser Unterkriterien das Angebot der Antragsteller hätte beeinflussen können. Weiß der Bieter, auf welche Aspekte der Auftraggeber im Bereich der Mitarbeiterschulung besonderen Wert legt, wird er im Regelfall erläutern, inwieweit und wodurch er derartige Vorgaben erfüllt. Gegebenenfalls wird er sogar den Schulungsaufwand vergrößern, um den Anforderungen gerecht werden zu können.

Indem der Antragsgegner bei der Bewertung der angebotenen Qualitätssicherungskonzepte zum Los 3.2 Unterkriterien herangezogen hat, die er den Bietern weder als solche noch deren Gewichtung bekannt gegeben hatte, obwohl diese zum Teil geeignet waren, den Inhalt der Angebote zu beeinflussen, sind die Antragsteller in ihren Rechten verletzt worden.

3. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Antragsteller, den Antragsgegner zu einer Neuwertung der eingegangenen Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu verpflichten, konnte nicht entsprochen werden. Angesichts des Vorbringens des Antragsgegners, zur inhaltlichen Ausfüllung der Vorgaben der Verdingungsunterlagen sei er weiterhin auf Unterkriterien angewiesen, wobei er die streitgegenständlichen nach wie vor für sachgerecht halte, wäre bei einer Neubewertung der Angebote ein Außerachtbleiben der nachträglich gebildeten und gewichteten Unterkriterien nicht sichergestellt. Demgemäß war das Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Für den Antragsgegner ergeben sich damit zusätzliche Anforderungen an die Planung des Vergabeverfahrens. Er muss antizipieren, welche Qualitäts- und sonstigen Beschaffenheitsmerkmale die zu erbringende Leistung aufweisen soll und ist verpflichtet, diese vollständig bekannt zu geben.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 3 S. 1 GWB, §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. HS.

Die Auferlegung von in der Beschwerdeinstanz entstanden Kosten findet ihre Rechtfertigung in einem Teilunterliegen der Antragsteller. Der von ihnen in dieser Instanz verfolgte Sachantrag ist nicht vollumfänglich erfolgreich. Maßgeblich für die Entscheidung, ob ein Teilunterliegen anzunehmen ist, ist der Vergleich zwischen dem konkreten Rechtsschutzbegehren und dem ausgeurteilten Ergebnis. Während die Antragsteller in dem Verfahren vor der Vergabekammer noch allgemein die Nachprüfung der Vergabeentscheidung begehrten, verfolgten sie in der Beschwerdeinstanz durch den auf eine Neubewertung gerichteten Antrag das Ziel, die Zuschlagschancen durch eine Wiederholung der Angebotswertung zu steigern. Eine weitere Zurückversetzung des Vergabeverfahrens, das nicht nur mit einem erhöhen Zeitaufwand verbunden ist, sondern gegebenenfalls auch weiteren Mitbewerbern die Möglichkeit zu einer Nachbesserung ihrer Angebote vermittelt, wollten sie dagegen verhindern.

Obgleich der Senat objektiv über das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller hinausgegangen ist, indem er nicht nur eine Neubewertung der vorliegenden Angebote sondern eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in ein noch davor liegendes Verfahrensstadium für geboten hält, wurde das mit der Beschwerde verfolgte subjektive Ziel der Antragsteller somit teilweise nicht erreicht, die Beschwerde war insoweit erfolglos.

Ende der Entscheidung

Zurück