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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: VII-Verg 26/06
Rechtsgebiete: GWB, VgV, BGB, VOL/A


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 1
GWB § 97 Abs. 3
GWB § 97 Abs. 4
GWB § 97 Abs. 5
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 98 Nr. 2
GWB § 99 Abs. 1
GWB § 99 Abs. 4
GWB §§ 102 ff.
GWB § 107 Abs. 2 S. 1
GWB § 107 Abs. 2 S. 2
GWB § 107 Abs. 3 S. 1
GWB § 124 Abs. 2
VgV § 13
VgV § 13 S. 1
VgV § 13 S. 2
VgV § 13 S. 3
VgV § 13 S. 4
VgV § 13 S. 5
VgV § 13 S. 6
BGB § 242
VOL/A § 8 Nr. 1 Abs. 1
VOL/A § 9 a
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 27.04.2006 - VK-12/2006 - insoweit aufgehoben, als die Antragsgegnerin verpflichtet worden ist, die Wäscheversorgungs- und Wäschepflegeleistungen für die städtischen Kliniken N.-L.- im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens mit vorheriger Vergabebekanntmachung neu zu vergeben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren betreffend die Wäscheversorgungs- und Wäschepflegeleistungen für die städtischen Kliniken N.-L.- vom Stand ab Aufforderung zur Angebotsabgabe und Übersendung der Angebotsunterlagen nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.

Der weitergehende Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird abgelehnt.

Im übrigen werden die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis zu 26.000 €

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, deren alleinige Gesellschafterin die Stadt N. ist, betreibt das L. in N.. Zum 01.06.2002 schloss sie mit der Antragstellerin einen Vertrag über die Wäscheversorgung und Wäschepflege.

Mit Schreiben vom 13.12.2005 forderte die Antragsgegnerin unter Hinweis darauf, dass der Vertrag mit dem jetzigen Vertragspartner am 31.05.2006 ende, insgesamt fünf Unternehmen, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene, auf, ein Angebot für Wäschedienstleistungen ab dem 01.06.2006 abzugeben. Das Schreiben enthielt keine Angaben zu Laufzeit und Umfang des neu abzuschließenden Vertrages sowie zu Eignungs- und Zuschlagskriterien. Auch Eignungsnachweise wurden von den Bietern nicht gefordert. Zum Schlusstermin am 07.02.2006 lagen der Antragsgegnerin Angebote aller angeschriebenen Bieter vor. Sämtliche Angebote überschritten bei einer Laufzeit von 12 Monaten den Wert von 200.000 € erheblich.

Nach Auswertung der Angebote erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen den Zuschlag. Mit Schreiben vom 16.02.2006 erklärte sie gegenüber der Antragsstellerin die fristgemäße Kündigung des Vertrages zum 31.05.2006. Unter dem 17.02.2006 unterzeichneten die Antragsgegnerin und die Beigeladene einen Vertrag über die Wäscheversorgung und Wäschepflege.

Der mit Schreiben vom 20.02.2006 - unter Hinweis auf das Erfordernis einer EU-weiten Ausschreibung - erhobenen Rüge half die Antragsgegnerin nicht ab. Dem darauf hin gestellten Nachprüfungsantrag gab die Vergabekammer statt.

Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, dass der Antrag zulässig sei, insbesondere ein Verstoß gegen die Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB nicht vorliege. Der Antragstellerin sei nicht zu widerlegen, dass sie erst mit Erhalt des Schreibens der Antragsgegnerin vom 16.02.2002 die Überzeugung eines Rechtsverstoßes erlangt habe. Das Vergaberechtsverfahren sei rechtswidrig gewesen, da die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung, ein europaweites Vergabeverfahren nach den Bestimmungen des GWB durchzuführen, nicht nachgekommen sei.

Die Vergabekammer stellte die Nichtigkeit des mit der Beigeladenen geschlossenen Vertrages fest und wies die Antragsgegnerin an, die streitgegenständlichen Leistungen im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens unter Beachtung der einschlägigen Vergabevorschriften neu zu vergeben.

Hiergegen richten sich die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und der Antragsgegnerin.

Sie machen geltend, die Antragstellerin habe bereits aus dem Schreiben vom 13.12.2005 ersehen können, dass die Absicht bestanden habe, die gesamten Wäschedienstleistungen ohne ein geregeltes Vergabeverfahren neu zu vergeben. Ihre Rüge sei somit nicht unverzüglich erfolgt und ihr Nachprüfungsantrag daher unzulässig.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

die Entscheidung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 27.04.2006 - VK 12/2006 - aufzuheben und den Nachprüfungsantrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortigen Beschwerden zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss. Sie vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag, wonach im Rahmen einer De-facto-Vergabe eine Rügeobliegenheit nicht bestehe. Jedenfalls sei die Vergabekammer zu Recht davon ausgegangen, dass sie - die Antragstellerin - erst durch den Erhalt des Kündigungsschreibens vom 16.02.2006 positive Kenntnis von dem den Vergabeverstoß begründenden Sachverhalt erlangt habe. In der Sache wiederholt die Antragstellerin die Beanstandung, wonach das Verfahren der Antragsgegnerin wegen verschiedener Mängel eine ordnungsgemäße, d.h. vor allem an den vergaberechtlichen Prinzipien der Transparenz und Gleichbehandlung, ausgerichtete Angebotswertung nicht zugelassen habe.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

II.

Die sofortigen Beschwerden haben keinen Erfolg.

Anders als von der Vergabekammer angenommen, ist das streitgegenständliche Vergabeverfahren zwar nicht in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen, denn die Antragstellerin ist durch die fehlende europaweite Bekanntmachung nicht in ihren Rechten verletzt worden. Die Antragsgegnerin muss aber die an dem Vergabeverfahren Beteiligten nochmals zur Angebotsabgabe aufzufordern und eine erneute Angebotswertung unter Beachtung der einschlägigen Vergaberechtsbestimmungen durchführen.

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Das Nachprüfungsverfahren ist im vorliegenden Fall eröffnet, obwohl die Antragsgegnerin kein förmliches Vergabeverfahren eingeleitet hat. Zwar gewährleisten die §§ 102 ff. GWB einen Primärrechtsschutz grundsätzlich nur während eines Vergabeverfahrens. Zulässig ist ein Nachprüfungsantrag deshalb unter anderem nur dann, wenn er sich auf ein konkretes Nachprüfungsverfahren bezieht, das begonnen hat und noch nicht abgeschlossen ist. Für einen vorbeugenden Rechtsschutz ist das Nachprüfungsverfahren nicht geschaffen (OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 306/310).

Dies schließt jedoch nicht die Zuständigkeit der Vergabekammern für Auftragsvergaben aus, bei denen die Ausschreibung rechtswidrig unterblieben ist. Um nämlich einen solchen besonders schwerwiegenden Vergabeverstoß zu erfassen, ist ein materielles Verständnis des Vergabeverfahrens erforderlich. Es ist in Abgrenzung zu bloßen Markterkundungen darauf abzustellen, ob und inwieweit der öffentliche Auftraggeber den Beschaffungsvorgang organisatorisch und planerisch bereits eingeleitet und mit potenziellen Anbietern Kontakte mit dem Ziel aufgenommen hat, das Beschaffungsvorhaben mit einer verbindlichen rechtsgeschäftlichen Einigung abzuschließen (OLG Düsseldorf, NZBau 2001, 696; BayObLG, NZBau 2002, 397; OLG Frankfurt, NZBau 2004, 693).

Von einem derart konkreten Beschaffungsvorgang ist im Streitfall auszugehen, da die Antragsgegnerin nicht nur Angebote eingeholt, sondern mit der Beigeladenen bereits einen Vertrag über die Erbringung von Wäscheversorgungsleistungen geschlossen hat.

Die Antragsgegnerin kann auch nicht mit Erfolg einwenden, bei der beabsichtigten Vergabe handele es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 99 Abs. 1 GWB, sondern um eine Dienstleistungskonzession mit der Folge, dass das Vergaberechtsregime des Vierten Teils des GWB nicht gelte und der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht eröffnet sei.

Die Angebote der Bieter sehen die Gestellung und Reinigung von Mietwäsche bzw. die Reinigung klinikeigener Wäsche gegen Stückpreise vor, wobei die Leistungen zugunsten der Antragsgegnerin erbracht werden und von dieser bezahlt werden sollen. Die Gegenleistung für die Ausführung der Dienstleistungen besteht demnach in einem vorher festgelegten Preis und nicht in der Übertragung des Rechts, die zu erbringende eigene Leistung kommerziell zu nutzen, so dass es sich nicht um eine Dienstleistungskonzession, sondern um einen Dienstleistungsauftrag handelt.

Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht schließlich nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene bereits am 17.02.2006 einen Vertrag über die Wäscheversorgung unterzeichnet haben. Zwar kann die Vergabekammer in zulässiger Weise nicht mehr angerufen werden, sobald der Vertrag, an dem ein Antragsteller Interesse zu haben behauptet, wirksam zustande gekommen ist, weil dann zuvor begangene Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen nicht mehr beseitigt werden können (BGHZ 146, 202, 206; BGH, VergabeR 2005, 328, 333). Diese Folge tritt unabhängig davon ein, ob die Einigung unter Beachtung der Vorgaben des § 97 Abs. 1 GWB zustande gekommen ist, so dass ein Nachprüfungsantrag auch dann unzulässig ist, wenn nach einem wirksamen Vertragsschluss der Mangel eines geregelten Vergabeverfahrens gerügt wird (Burgi, NZBau 2003, 16, 20).

Die am 17.02.2006 getroffene Vereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen stellt aber keinen wirksamen Vertrag dar. Entgegen § 13 S. 1, 2 und 5 VgV hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin weder über den Namen des Bieters informiert, der den Zuschlag erhalten sollte, noch die 14-tätige Wartefrist zwischen Information und Vertragsschluss eingehalten.

§ 13 VgV ist eine Regelung, die das Verfahren näher bestimmt, das § 97 Abs. 1 bis 5 GWB für die Beschaffung von Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber vorschreibt. Die Informations - und Wartepflicht gemäß § 13 S. 1 bis 5 VgV sowie im Falle ihrer Missachtung die Unwirksamkeitsfolge gemäß § 13 S. 6 VgV sind Teil eines nach Maßgabe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen eingeleiteten und durchgeführten geregelten Vergabeverfahrens. Hat ein derart geregeltes Vergabeverfahren nicht stattgefunden, ist § 13 VgV nicht unmittelbar anzuwenden (vgl. BGH, NZBau 2004, 229; VergabeR 2005, 328, 323; Dieckmann, NZBau 2001, 481, 482; Hailbronner, NZBau 2002, 474, 479; Schimanek, ZfBR 2003, 39, 41; Delius, ZfBR 2003, 341, 342; Dietlein/Spießhofer, VergabeR 2003, 509, 513; Jasper/Pooth, ZfBR 2004, 543, 546).

Die Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 17.02.2006 folgt jedoch aus einer gebotenen entsprechenden Anwendung von § 13 VgV (vgl. BGH, VergabeR 2005, 328, 333; Byok, NJW 2001, 2295, 2301; Prieß, EuZW 2001, 365; Dreher, NZBau 2001, 244, 245). Die Vorschrift ordnet die Informationspflicht und die Nichtigkeit des Vertrages im Falle ihrer Missachtung im Interesse der übergangenen Bieter an, weil diese anderenfalls zunächst unerkannten Verstößen gegen das Vergaberecht nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg begegnen könnten. Dieses Anliegen ist nicht auf den geregelten Fall beschränkt, sondern in ihm kommt ein Grundprinzip effektiven Rechtsschutzes zum Ausdruck, so dass die Regelung auch bei vergleichbaren Sachverhalten heranzuziehen ist (vgl. BGH aaO). Wenn - wie im Streitfall - die Beschaffung einer Dienstleistung zur Beteiligung mehrerer Unternehmen, zu verschiedenen Angeboten und zu einer Auswahl durch den öffentlichen Auftraggeber geführt hat, kann gegen eine analoge Anwendung des § 13 VgV auch nicht eingewandt werden, dass der Auftraggeber sich einem unbekannten und unabsehbaren Kreis von Interessenten gegenüber sieht und man durch eine analoge Anwendung des § 13 VgV eine gleichsam unmögliche Leistung von ihm verlangt.

Vielmehr ist es bei einer solchen Sachlage dem öffentlichen Auftraggeber möglich und zumutbar, die nicht berücksichtigten Bieter über die anderweitige Zuschlagserteilung und die Gründe für die Nichtberücksichtigung zu informieren sowie die 14-tägige Frist zwischen Information und Vertragsschluss abzuwarten.

Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt.

Gemäß § 107 Abs. 2 S. 1 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Das Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin schon dadurch ausreichend belegt, dass sie auf Anforderung der Antragsgegnerin dieser am 02.02.2006 ein Angebot unterbreitet hat. Sie hat zudem geltend gemacht, dass die von der Antragstellerin unter Missachtung der Vergaberechtsbestimmungen durchgeführte De-facto-Vergabe sie in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletze.

Nach § 107 Abs. 2 S. 2 GWB ist ferner darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Der Schaden besteht darin, dass durch den einzelnen beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten auf den Zuschlag zumindest verschlechtert worden sein können (BVerfG, NZBau 2004, 564; OLG Düsseldorf, VersR 1043, 1044; NZBau 2002, 634, 636; Beschluss vom 25.06.2003 - Verg 26/03, Umdruck Bl. 3). Wegen des verfassungsrechtlichen Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, dürfen an die Darlegung des Schadens im Sinne des § 107 Abs. 2 S. 2 GWB keine hohen Anforderungen gestellt werden. Entscheidend für das Vorliegen einer Antragsbefugnis ist die Eignung der gerügten Vergaberechtsverstöße, eine solche Chancenbeeinträchtigung begründen zu können. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Antragsteller nachweisen kann, er hätte bei korrekter Anwendung der Vergabevorschriften den Auftrag erhalten (BVerfG aaO).

Obgleich die Antragstellerin ein Angebot abgegeben und nicht dargetan hat, sie hätte im Falle der Beachtung der Vergabevorschriften durch die Antragsgegnerin ein anderes, aussichtsreicheres Angebot unterbreitet, ist im Streitfall die Eignung des behaupteten Vergaberechtsverstoßes, die Aussichten auf den Zuschlag zu beeinträchtigen, nicht zweifelhaft. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin in einem geregelten Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hätte. Nur ein solches Verfahren gewährleistet nämlich, dass sämtliche Bewerber um den Auftrag gemäß eindeutiger und erschöpfender Leistungsbeschreibung nach auftragsbezogenen und leistungsorientierten Anforderungen die Chance haben, das wirtschaftlichste Angebot abzugeben und den Zuschlag zu erhalten.

Der Nachprüfungsantrag ist schließlich nicht wegen Verstoßes gegen die Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB unzulässig. Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin bereits aufgrund des Aufforderungsschreibens vom 13.12.2005 Kenntnis von der Absicht der Antragsgegnerin erlangte, die Wäschedienstleistungen ohne förmliches Vergabeverfahren neu zu vergeben oder davon erst mit Zugang des Kündigungsschreibens vom 16.02.2006 erfuhr. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB, der dem Antragsteller zur Vermeidung einer Präklusion auferlegt, einen im Vergabeverfahren erkannten Verstoß gegen Vergabevorschriften unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber zu rügen, ist auf De-facto-Vergaben nicht anzuwenden (vgl. BayObLG, NZBau 2001, 397, 398; NZBau 2003, 632, 634; KG, NZBau 2005, 538; Jaeger, NZBau 2001, 6/11 f.; 289/294). Nicht nur seinem Wortlaut nach ist § 107 Abs. 3 S. 1 GWB auf Verstöße im Vergabeverfahren bezogen und beschränkt (OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 440, 441; OLG Frankfurt, NZBau 2004, 692, 693). Auch Wertungsgesichtspunkte sprechen gegen eine Anwendung der Vorschrift auf De-facto-Vergaben.

Da die unverzügliche Rüge es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglichen soll, einen Fehler im Vergabeverfahren zu korrigieren, kann die Rügeobliegenheit im Sinn einer Mitwirkungspflicht des Bieters verstanden werden. Diese soll dazu beitragen, dass ein zeitaufwändiges Nachprüfungsverfahren unterbleibt, sofern das Vergabeverfahren durch eine Korrektur des Vergaberechtsverstoßes geheilt werden kann. Hat sich aber der Auftraggeber entschieden, überhaupt kein geregeltes Vergabeverfahren durchzuführen, fehlt es an einer verfahrensmäßigen Grundlage dafür, dem Antragsteller eine Mitwirkungspflicht zugunsten des Auftraggebers aufzuerlegen.

Zudem enthält § 107 Abs. 3 S. 1 GWB nach dem gesetzgeberischen Grundgedanken eine auf Treu und Glauben basierende Präklusionsregel, die der Einleitung unnötiger Nachprüfungsverfahren durch Spekulation mit Vergabefehlern entgegenwirken soll. Diese Basis muss aber beidseitig angelegt sein. Sie kann nur gegeben sein, wenn der öffentliche Auftraggeber durch die Einleitung eines regulären Vergabeverfahrens einen Tatbestand geschaffen hat, der ihn erst dazu berechtigt, auf eine Wahrung der Rügeobliegenheit durch die Bieter zu vertrauen. Fehlt es daran - wie im Streitfall -, würde es einen nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch darstellen, den Bieter an der Rügeobliegenheit festzuhalten, während der öffentliche Auftraggeber durch die Einleitung einer De-facto-Vergabe einen besonders schwerwiegenden Vergaberechtsverstoß begangen hat.

Die Antragstellerin hat ihr Antragsrecht auch nicht verwirkt.

Selbst wenn sie bei Angebotsabgabe gewusst oder sich der Erkenntnis verschlossen hat, dass es für die Vergabe der streitgegenständlichen Leistungen eines regulären Vergabeverfahrens bedurfte, begründet das Unterlassen eines entsprechenden Hinweises an die Antragsgegnerin nicht die Rechtsmissbräuchlichkeit des Nachprüfungsbegehrens.

Eine aus § 242 BGB abgeleitete Rügeobliegenheit zu Lasten desjenigen Bieters, der sich in Kenntnis der Erforderlichkeit eines regulären Vergabeverfahrens an einer De-facto-Vergabe beteiligt, ohne den Auftraggeber auf den Rechtsverstoß hinzuweisen, ist zu verneinen. Dadurch würde nicht nur die Nichtanwendbarkeit des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB auf De-facto-Vergaben unterlaufen, sondern eine einseitige Belastung der Bieterseite bei gleichzeitiger Privilegierung des öffentlichen Auftraggebers bewirkt, die schon deswegen nicht gerechtfertigt ist, weil der öffentliche Auftraggeber und nicht der Bieter der verantwortliche Normadressat für die Beachtung des Vergaberechts ist.

Diese Betrachtungsweise steht nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des Bundesgerichtshofes im Beschluss vom 01.02.2005 - X ZB 27/04 - , so dass keine Veranlassung zur Vorlage gemäß § 124 Abs. 2 GWB besteht.

Soweit es in der Entscheidung heißt, dass ein Verstoß gegen Treu und Glauben erst bei Kenntnis des Bieters von der Notwendigkeit eines geregelten Vergabeverfahrens in Betracht komme, hat der Bundesgerichtshof nur eine Grundvoraussetzung für die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens formuliert. Dass allein die Kenntnis des Bieters ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Vorwurf der Treuwidrigkeit zu begründen vermag, ist der Entscheidung dagegen nicht zu entnehmen. Danach ist bei der Prüfung des Bestehens einer aus Treu und Glauben abzuleitenden Rügeobliegenheit vielmehr auch das Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zu würdigen. Bestreitet dieser die Notwendigkeit eines geregelten Vergabeverfahrens noch im Nachprüfungsverfahren kann dem Bieter zugute gehalten werden, hiervon ebenfalls nicht ausgegangen zu sein.

Dem ist zuzustimmen. Stellt sich der öffentliche Auftraggeber auf den Standpunkt, zu einer Direktvergabe berechtigt gewesen zu sein, wäre es ein nicht zu rechtfertigender Wertungswiderspruch, den Nachprüfungsantrag unter Hinweis auf eine Beanstandungsobliegenheit als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen, während der öffentliche Auftraggeber sich gegen die Einhaltung der Vergabevorschriften entschieden hat und von dieser Entscheidung auch im Nachprüfungsverfahren nicht abrückt. Im Streitfall hat die Antragsgegnerin zwar die Notwendigkeit eines geregelten Vergabeverfahrens nicht ausdrücklich in Abrede gestellt. Indem sie aber der Antragstellerin die Verletzung eigener Pflichten vorwirft und die Notwendigkeit eines geregelten Vergabeverfahrens nicht konzediert, verteidigt sie konkludent die Entscheidung zugunsten der De-facto-Vergabe, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine auf § 242 BGB gestützte Rügeobliegenheit der Antragstellerin zu verneinen ist.

Eine Verwirkung des Antragsrechtes kommt schließlich auch nicht deswegen in Betracht, weil die Antragsgegnerin angesichts einer langen Zeitspanne zwischen unbeanstandeter Hinnahme einer Direktvergabe und Rüge sowie zwischen Rüge und Einleitung des Nachprüfungsverfahrens nach Treu und Glauben den Schluss ziehen durfte, die Beanstandung werde nicht mehr erhoben und sie sich darauf eingerichtet hat (vgl. OLG Frankfurt, NZBau 2004, 692, 693; OLG Dresden, NZBau 2004, 352). Die Antragstellerin hat unmittelbar nach Zugang des Schreibens der Antragsgegnerin vom 16.02.2006 Rüge erhoben und zudem nach Ablauf einer von ihr gesetzten Frist mit Schrift vom 16.03.2006 das Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Die kurze Zeitspanne bis zur Rüge vom 20.02.2006 (etwa zwei Monate) und bis zu Einleitung des Nachprüfungsverfahrens war nach den Umständen ungeeignet, bei der Antragsgegnerin ein beachtliches Vertrauen darauf entstehen zu lassen, es werde bei dem von ihr praktizierten, klar vergaberechtswidrigen Verfahren sein Bewenden haben.

2.

Der Nachprüfungsantrag ist in dem tenorierten Umfang begründet.

Aus § 97 Abs. 1 GWB ergibt sich die Pflicht der Antragsgegnerin als öffentlicher Auftraggeberin nach § 98 Nr. 2 GWB, zur Beschaffung der Leistungen ein geregeltes Vergabeverfahren unter Beachtung der einschlägigen Vergaberechtsbestimmungen durchzuführen. Bei der zu vergebenden Leistung handelt es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, 4 GWB, dessen Auftragswert oberhalb des maßgeblichen Schwellenwertes liegt. Diese Pflicht hat nicht allein Ordnungsfunktion, sondern durch die Eröffnung eines Verfahrens mit bestimmten Regeln sollen Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung gewährleistet werden.

Die Antragsgegnerin hat nicht nur formale Anforderungen unbeachtet gelassen, die die Wettbewerbschancen der sich an dem Verfahren beteiligenden Antragstellerin nicht tangierten, sondern wesentliche Prinzipien des geregelten Vergabeverfahrens, die auf die Eignung der beteiligten Unternehmen und die Bewertung der Angebote Einfluss haben konnten, nicht angewendet.

So enthielten die Angebotsunterlagen entgegen § 9 a VOL/A keine Zuschlagskriterien. Eignungsanforderungen sind ebenso wenig aufgestellt wie vorher bekanntgemacht worden. Die Leistungsbeschreibung war entgegen § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A nicht eindeutig und erschöpfend. Eine gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A erforderliche Überprüfung der Bewerber auf ihre Eignung fand auch nicht statt. Daher fehlte es in nahezu jeder Hinsicht an einer Vergleichbarkeit der Angebote, wie sie ein transparentes Vergabeverfahren nach den Vorgaben des europäischen und deutschen Vergaberechts sicherstellen soll (vgl. Boesen § 97 Rn. 1). Diese Vergaberechtsverstöße zwingen zu einer Wiederholung des streitgegenständlichen Beschaffungsverfahrens ab Aufforderung zur Angebotsabgabe.

Dagegen muss das Vergabeverfahren entgegen der von der Vergabekammer geteilten Auffassung der Antragstellerin nicht in den Stand vor einer europaweiten Bekanntgabe zurückversetzt werden. Die Antragstellerin wurde aufgrund Unterbleibens einer europaweiten Bekanntmachung nicht in ihren Zuschlagschancen beeinträchtigt. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass und inwieweit die Antragstellerin im Falle einer solchen Bekanntmachung ein anderes chancenreicheres Angebot abgegeben haben würde oder abgeben könnte, als sie dies im Rahmen des teilweise zu wiederholenden Verfahrens, d.h. nach einer erneuten Angebotsaufforderung unter Übersendung von Verdingungsunterlagen, die eine regelgerechte Leistungsbeschreibung, Eignungskriterien und Zuschlagskriterien sowie deren Gewichtung enthalten, hätte tun können.

3.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO (analog), § 50 Abs. 2 GKG. Mit der teilweisen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist kein Teilunterliegen der Antragstellerin verbunden, da sie das mit dem Nachprüfungsantrag angestrebte Ziel in der Sache erreicht hat.

Ende der Entscheidung

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