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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.09.2006
Aktenzeichen: VII-Verg 36/06
Rechtsgebiete: GWB, VOL/A


Vorschriften:

GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
GWB § 128 Abs. 3 S. 1
GWB § 128 Abs. 3 S. 2
VOL/A § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1
VOL/A § 21 Nr. 1 Abs. 3
VOL/A § 25 Nr. 1 Abs. 2
VOL/A § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 01. August 2006, VK VOL 17/2006, aufgehoben.

Die Antragsgegner werden verpflichtet, die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu werten.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden der Antragstellerin zu 50% sowie den Antragsgegnern und der Beigeladenen zu 50% auferlegt.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen tragen die Verfahrensbeteiligten selbst.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens - einschließlich des Verfahrens über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB - werden zu 50% der Antragstellerin sowie zu 50% den Antragsgegnern und der Beigeladenen auferlegt.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Streitwert: bis zu 4.100.000 €

Gründe:

I.

Die Antragsgegner schrieben im August 2005 in einem europaweiten offenen Vergabeverfahren die Auswahl eines Dienstleisters für die Erbringung von Leistungen zur Personenbeförderung im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) für die Zeit von Ende 2008 bis Ende 2023 aus. Die Gesamtleistung wurde in zwei Lose aufgeteilt, wobei Los 1 die Kursbuchstrecke 470 (K. /K. - K.) und Los 2 die Kursbuchstrecke 471 (K. - M.) umfasst. Die Bieter durften Angebote für das Los 1, das Los 2 und ein rabattiertes Kombinationsangebot für beide Lose abgeben.

Die formalen und inhaltlichen Anforderungen an die Angebote wurden in einem von der R... GmbH (R... GmbH) verfassten Bieterschreiben festgelegt. Die Leistungsbeschreibung enthielt detaillierte Regelungen hinsichtlich der Anforderungen an das einzusetzende Material, Personal und die Fahrpläne. Gefordert war u.a., dass der erfolgreiche Bieter sich in die beteiligten Verkehrsverbünde S... GmbH (S), M... GmbH (M) und N... GmbH (N) integrieren und deren jeweils geltende Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen einhalten solle.

Insoweit bestimmte Ziff. 4.1 der Leistungsbeschreibung:

"Das E... verpflichtet sich insbesondere dazu, auf der .... im S...-relevanten Bereich den S...-Gemeinschaftstarif in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden.

...

Für die Integration eines E... in den S... ist ein Kooperationsvertrag und der Einnahmenaufteilungsvertrag abzuschließen. Der Leistungsbeschreibung sind ein Kooperationsvertrag (Anlage 15) und der Einnahmenaufteilungsvertrag in der derzeit gültigen Fassung sowie etwaige ergänzende begriffliche Erläuterungen beigefügt (Anlage 15)."

Im Hinblick auf die Integration in den M... und den N... sahen Ziff. 4.2, 4.3 ebenfalls den Abschluss der in Anlage 15 beigefügten Verträge vor.

Insgesamt gaben vier Bieter Angebote ab, darunter auch die Antragstellerin und die Beigeladene.

In der Präambel zu ihrem Angebot sagte die Antragstellerin zu:

"..., dass sämtliche Mindestanforderungen der Ausschreibung von ihr erfüllt werden. Das gilt auch dann, wenn im folgenden nicht explizit auf eine Mindestanforderung eingegangen wird.

Die den Verdingungsunterlagen beiliegenden Verkehrsvertragsentwürfe werden unter Berücksichtigung der dazu in Bieterinformationen veröffentlichten Änderungen von der D... AG in vollem Umfang akzeptiert."

Die Antragstellerin hatte ferner ihrem individuellen Angebot, das spiegelbildlich zum Leistungsverzeichnis aufgebaut war und konkrete Angaben zu dessen Vorgaben enthielt, das von den Antragsgegnern vorformulierten Einleitungsschreiben vorangestellt. In diesem hieß es:

"Grundlagen meines/unseres Angebots sind die Aufforderungen zur Angebotsabgabe und die mir vorliegenden Verdingungsunterlagen, bestehend aus

- Leistungsbeschreibung,

- Verkehrsvertrag und

- Anlagen

sowie die allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VL-B) in der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der oben genannten Ausschreibung gültigen Fassung.

Alle in den Verdingungsunterlagen formulierten Anforderungen werden von mir/uns akzeptiert und erfüllt. Die von mir/uns gemachten Angaben hierzu sind verbindlich."

Bezüglich der Vorgabe in Ziff. 4.1 der Leistungsbeschreibung führte die Antragstellerin unter Ziff. B 4.1 auf Seite 66 ihres Angebotes zur Integration in den S... u.a. aus:

"Die voll umfängliche Integration in den S... ist bereits vollzogen, ein entsprechender Kooperationsvertrag und Einnahmenaufteilungsvertrag existieren. Eventuell nötige Änderungen werden in Abstimmung mit den SPNV-Aufgabenträgern vorgenommen."

Den Angebotsunterlagen der Antragstellerin waren unter Ziff. B 3.3.2.5.1 und 3.3.2.5.2 die Fahrplantestate der DN... AG vom 9. November 2005 (Los 2) und vom 17. November 2005 (Los 1) beigefügt. Die DN... AG bescheinigte jeweils für die angebotene Zugkonfiguration die Fahrbarkeit

"... auf Grundlage des der Leistungsbeschreibung unterstellten Betriebsprogramms".

Nach erfolgter Angebotswertung teilten die Antragsgegner der Antragstellerin unter dem 4. Mai 2006 mit, dass ihr Angebot nicht für den Zuschlag in Betracht komme. Zur Begründung führten sie aus, dass die vorgelegten Fahrplantestate sich nicht auf den angebotenen, sondern auf den Musterfahrplan der Leistungsbeschreibung bezögen. Zudem habe sich die Antragstellerin nicht bereit erklärt, den den Ausschreibungsunterlagen beigefügten Kooperationsvertrag für den Verbundtarif S... vorbehaltlos abzuschließen. Insoweit liege eine unzulässige Abweichung von den Verdingungsunterlagen vor. Ferner sei das Angebot der Antragstellerin nicht das wirtschaftlichste.

Mit Schreiben vom 5. Mai 2006 rügte die Antragstellerin die vorgesehene Zuschlagserteilung an die Beigeladene als vergaberechtswidrig. Nachdem die Antragsgegner die Rügen der Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Mai 2006 zurückgewiesen hatten, leitete diese ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln ein.

Mit Beschluss vom 1. August 2006 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück. Zur Begründung stellte sie im Wesentlichen darauf ab, dass die Antragstellerin entgegen den Vorgaben der Leistungsbeschreibung nicht ihre vorbehaltlose Bereitschaft zur vollumfänglichen Integration in den S... erklärt und damit Änderungen an den Verdingungsunterlagen im Sinne des § 25 Nr.1 Abs.1 lit. d VOL/A vorgenommen habe.

Mit der sofortigen Beschwerde hat die Antragstellerin zunächst nicht nur die Neubewertung ihrer eigenen Angebote, sondern darüber hinaus einen Ausschluss der Angebote der Beigeladenen begehrt. Sie hat beanstandet, dass die von der Beigeladenen vorgelegten Testate sich nicht auf die angebotene Fahrzeugkonfiguration bezögen und für die Strecke zwischen R. und K. nur die Fahrbarkeit einer Einfach - anstelle der vorgesehenen Doppeltraktion bestätigt werde. Darüber hinaus sei das vorgesehene Betriebsprogramm mit der von der Beigeladenen angebotenen Zugkonfiguration nicht fahrbar.

Nach Durchführung der Beweisaufnahme und Würdigung der Beweisergebnisse hat die Antragstellerin auf einen entsprechenden Hinweis des Senates von dem auf den Ausschluss der Angebote der Beigeladenen gerichteten Begehren Abstand genommen. Ihre Beschwerde richtet sich nunmehr noch gegen den Ausschluss ihrer Angebote von der Wertung.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Einbeziehung ihrer, der Antragstellerin, Angebote und unter Berücksichtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bewerten, hilfsweise, die Ausschreibung aufzuheben.

Die Antragsgegner und die Beigeladene verteidigen den angefochtenen Beschluss. Die Vergabekammer habe die Angebote der Antragstellerin zu Los 1 und Los 2 aus zutreffenden Erwägungen der Vergabekammer für zwingend auszuschließen gehalten.

Die Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Vergabeakte und die Vergabekammerakte verwiesen.

II.

Soweit die Antragstellerin nach der Aufgabe des weitergehenden Begehrens nunmehr nur noch eine erneute Bewertung ihrer Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates anstrebt, hat die zulässige Beschwerde Erfolg.

Die Angebote der Antragstellerin sind nicht zwingend von der Wertung auszuschließen.

1. Mit ihren Angaben zur Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde hat die Antragstellerin keine Änderungen an den Verdingungsunterlagen im Sinne des § 25 Nr.1 Abs.1 lit. d VOL/A in Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A vorgenommen.

Gemäß Ziffer 4.1, 4.2 und 4.3 der Leistungsbeschreibung war zur Leistungserbringung die Integration des oder der ausgewählten Bieter in die beteiligten S... GmbH, M... GmbH und N... GmbH erforderlich. Danach bestand eine Verpflichtung, auf den betreffenden Strecken die jeweiligen Tarife der Verkehrsverbünde zu akzeptieren und die in Anlage 15 der Vergabeunterlagen enthaltenen Kooperations- und Einnahmenaufteilungsverträge abzuschließen.

Die Vergabekammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass damit von den Bietern gefordert war, mit dem Angebot vorbehaltlos ihre Bereitschaft zu erklären, die in Anlage 15 enthaltenen Vertragsentwürfe vollumfänglich zu akzeptieren. Wortlaut, Systematik und Zweck der Leistungsbeschreibung belegen, dass die in Anlage 15 enthaltenen Kooperations- und Einnahmenaufteilungsverträge so unterschrieben werden sollten, wie sie sich dort als Muster präsentierten.

Für diese Wertung spricht zunächst die Formulierung in Ziffer 4 der Leistungsbeschreibung, in der es heißt, dass der Verkehrsvertrag und die für die Einbindung in die Verkehrsverbünde erforderlichen Verträge nach Möglichkeit zeitgleich unterschrieben werden sollen. Schon daraus folgt, dass die Auftraggeber Bezug nehmen auf bereits vorliegende Vertragsentwürfe. Würden sie im Hinblick auf den Inhalt der noch abzuschließenden Verträge Verhandlungsbedarf erkennen, wäre die Prämisse der möglichst zeitgleichen Unterschriftsleistung praktisch kaum umsetzbar und damit wenig sinnvoll. Da des weiteren in Ziff. 4 ausdrücklich vorgesehen ist, dass die Unterzeichnung des Verkehrsvertrages und der übrigen Verträge unverzüglich nach der Versendung des Zuschlagschreibens erfolgen soll, ist ein Zeitraum für weitere Vertragsverhandlungen ersichtlich nicht einkalkuliert. Dem deutlich zum Ausdruck gebrachten Interesse der Antragsgegner an einer zeitnahen Umsetzung der Verkehrsverträge, deren Voraussetzung die Integration des ausgewählten Bieters in die beteiligten Verkehrsverbünde ist, konnte demnach nur Genüge getan werden, wenn die Bieter ihre Bereitschaft zur Integration in die Verkehrsverbünde schon mit der Abgabe des Angebots vorbehaltlos erklärten. Den Auftraggebern, die auf der Grundlage der einschlägigen landesrechtlichen Rechtsvorschriften zuständige Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr sind, kam es ersichtlich darauf an, dass eine unbedingte Bereitschaft der Bieter zur Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde besteht. Nachverhandlungen mit den Verkehrsverbünden sollten vermieden werden, damit eine zeitnahe Unterzeichnung und Umsetzung der Verkehrsverträge und der der Einbindung in die Verkehrsverbünde dienenden Verträge erfolgen konnte. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin war diese Anforderung der Leistungsbeschreibung nicht ungewöhnlich und damit für den Bieter schwer durchschaubar. Es war vielmehr offensichtlich, dass die Antragsgegner genaue Vorstellungen darüber hatten, welche vertraglichen Vorgaben zwecks Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde zu erfüllen waren und dass sie ihre Zuschlagsentscheidung von der Bereitschaft zum Vertragsschluss mit diesen Dritten abhängig machen wollten.

Gegen diese Bewertung spricht auch nicht das im 1. Absatz von Ziffer 4 vorgesehene außerordentliche Kündigungsrecht. Die Argumentation der Antragstellerin, die Einräumung des Kündigungsrechtes mache keinen Sinn, wenn das bietende Unternehmen bereits mit der Angebotsabgabe alle zur vollständigen Integration erforderlichen vertraglichen Regelungen akzeptieren müsse, überzeugt nicht. Vielmehr ist das außerordentliche Kündigungsrecht für den Fall vorgesehen, dass die vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt werden. Die Antragsgegner verlangten von den Bietern, dass sie die Bereitschaft zur Integration erklären und behielten sich ein Kündigungsrecht für den Fall vor, dass trotz dieser vorgegebenen Bereitschaft die Vertragspflichten schlecht oder gar nicht erfüllt würden.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin enthält auch Ziffer 5.3.2 Abs. 2 der Leistungsbeschreibung keinen Hinweis auf die Unverbindlichkeit der in Anlage 15 enthaltenen Vertragsentwürfe. Soweit es dort heißt, dass die Antragsgegner den bietenden Unternehmen nachrichtlich und unverbindlich die in Anlage 15 enthaltenen Einnahmenaufteilungsverträge als Kalkulationsgrundlage zur Verfügung stellten, erschöpft sich darin die Funktion der Einnahmenaufteilungsverträge nicht. Vielmehr weist die Aufnahme der Einnahmenaufteilungsverträge in Anlage 15 eine Doppelfunktion auf. Sie geben zum einen Aufschluss über den Inhalt der mit den Verkehrsverbünden zu schließenden Verträge und sollen zum anderen dem bietenden Unternehmen als Kalkulationsgrundlage dienen. Der Hinweis auf die Unverbindlichkeit besagt dabei nur, dass die Auftraggeber nicht das Risiko für eine zutreffende und rechnerisch richtige Kalkulation der Anbieter übernehmen wollen.

Die Auslegung des Angebots ergibt, dass die Antragstellerin die geforderte vorbehaltlose und unbedingte Erklärung, zum Abschluss der in Anlage 15 enthaltenen Verträge bereit zu sein, abgegeben hat.

Im Hinblick auf die für die Leistungserbringung zu Los 1 erforderliche Integration in die S... GmbH und M... GmbH hat die Antragstellerin unter Ziff. B. 4.1 und 4.2 des Angebots erklärt, dass die vollumfängliche Integration bereits vollzogen sei und eventuell nötige Änderungen in Abstimmung mit den SPNV-Aufgabenträgern vorgenommen würden. Die Antragsgegner haben in der mündlichen Verhandlung am 27. September unwidersprochen gelassen, dass die auf den M... bezogenen Angaben der Antragstellerin zutreffend sind. Insoweit ist nicht veranlasst, weitere Absichtserklärungen zu verlangen. Der Hinweis auf die bereits abgeschlossene Integration in den M... enthält somit keine Änderung der Verdingungsunterlagen, sondern eine korrekte Beschreibung des Vertragsstatus.

Dagegen sind die Angaben der Antragstellerin in Ziff. B.4.1 zur bereits vollzogenen Integration in den S... unzutreffend. Die Antragstellerin ist nicht vollumfänglich in den S... integriert. Vielmehr wurden entsprechende Verträge im Jahre 2003 zwischen dem S... und der heutigen D... N... GmbH, einem Tochter- oder Schwesterunternehmen der Antragstellerin, abgeschlossen. Aus diesen Verträgen sind keinerlei Rechte bzw. Pflichten der Antragstellerin herzuleiten.

Infolgedessen fehlt im Angebot der Antragstellerin eine ausdrückliche Absichtserklärung bezüglich der zukünftigen Integration in den S.... Da auch das Angebot im Übrigen weder die ausdrückliche Erklärung enthält, die Antragstellerin sei zum Abschluss der in Anlage 15 genannten Verträge bereit, noch sich dem Angebot in eindeutiger Weise das Gegenteil entnehmen lässt, waren die Antragsgegner zur Ermittlung des wahren Willens der Antragstellerin durch Auslegung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet (vgl. Beschluss des Senats vom 06.12.2004, Verg 79/04, Bl. 6 des Umdrucks).

Maßstab der Auslegung ist, wie ein mit den Umständen des Einzelfalles vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte (BayObLG, VergabeR 2002, 77). Die Antragsgegner, denen bekannt war, dass die Integration der Antragstellerin in den S... tatsächlich noch nicht stattgefunden hatte, mussten erkennen, dass die zum Ausdruck gebrachte Absicht der Antragstellerin, die bestehenden Verträge in Abstimmung mit ihnen ändern zu wollen, "ins Leere" ging. Ihnen musste somit zugleich bewusst sein, dass sich die Antragstellerin in einem Irrtum befand und ihre Angaben unter Ziffer B.4.1 auf diesem Irrtum beruhten. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin von falschen Tatsachen ausging, rechtfertigte aber nicht den Schluss, dass sie bei zutreffender Würdigung des Sachverhaltes zum Abschluss des vorgesehenen Kooperationsvertrages nicht bereit sei, sondern sich Nachverhandlungen vorbehalten wolle.

Die Auslegung der Erklärung durch die Vergabekammer, die einen solchen Verhandlungsvorbehalt der Antragstellerin angenommen hat, berücksichtigt den offensichtlichen und auch für die Antragsgegner erkennbaren Irrtum, auf dem die Angaben in Ziff.B.4.1 basierten, nicht in hinreichender Weise. Die Erklärung der Antragstellerin ist dahingehend zu verstehen, dass sie das - in den Verdingungsunterlagen vorausgesetzte - Bedürfnis für den Abschluss von Kooperations - und Einnahmenaufteilungsverträgen irrtumsbedingt verneinte, die erforderlichen und von den Auftraggebern gewünschten vertraglichen Anpassungen der - nach ihrer Auffassung - bestehenden Verträge aber vornehmen würde.

Die Antragstellerin wollte erkennbar zum Ausdruck bringen, dass sie nicht nur zum Abschluss der erforderlichen Verträge bereit sei, sondern diese sogar schon abgeschlossen habe. Es kam ihr nicht darauf an, sich Nachverhandlungen über den Inhalt der der Integration dienenden Verträge vorzubehalten; der Hinweis, die erforderlichen Änderungen vornehmen zu wollen, ist vielmehr ausschließlich vor dem Hintergrund der irrtumsbedingten Aussage zum Vertragsstatus zu verstehen. Schon die Formulierung "in Abstimmung" belegt, dass die Antragstellerin nicht eigene Änderungswünsche verfolgte, sondern alle vom S... für erforderlich gehaltenen Änderungen akzeptieren würde.

Da die Angaben zu Ziff. B. 4.1 auf dem Irrtum der Antragstellerin über den bestehenden Vertragsstatus beruhen, vermitteln sie allein keine hinreichende Erkenntnis bezüglich ihrer Bereitschaft, die in Anlage 15 enthaltenen Verträge noch abzuschließen. Für die Ermittlung des rechtlich maßgebenden Sinnes ihres Angebotes sind vielmehr auch die Angaben der Antragstellerin in der von ihr verfassten Präambel und in dem - von den Antragsgegnern vorformulierten - Formblatt heranzuziehen. Dem Rückgriff auf die dort enthaltenen Aussagen steht nicht entgegen, dass es sich bei diesen Angaben um solche allgemeiner Natur handelt, denen die konkreten Erläuterungen unter Ziff. B. 4.1 vorgehen. Da den spezifischen Erklärungen unter Ziff. B.4.1 wegen des offensichtlichen Irrtums auf denen sie beruhen, kein eindeutiger Erklärungsinhalt zukommt, besteht insoweit eine ausfüllungsbedürftige Lücke.

Die Erklärungen in dem Einleitungsschreiben zum Angebot und in der Präambel belegen, dass die Antragstellerin bereits im Zeitpunkt der Angebotsunterbreitung die Absicht hatte, die in Anlage 15 enthaltenen und der Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde dienenden Verträge abzuschließen. So hat die Antragstellerin das vorformulierte (und im tatbestandlichen Teil, S. 5, wiedergegebene) Einleitungsschreiben ohne Einschränkungen und Bedingungen unterzeichnet und ihrem Angebot beigefügt. Indem der Verkehrsvertrag und die Anlagen dort als Grundlagen des Angebotes bezeichnet werden und die Versicherung enthalten ist, dass alle Anforderungen der Verdingungsunterlagen erfüllt werden, hat die Antragstellerin erklärt, auch mit den spezifischen Anforderungen zur Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde einverstanden zu sein. Die Bereitschaft zur Erfüllung aller in der Leistungsbeschreibung enthaltenen Mindestanforderungen wird auch in der Präambel zum Angebot nochmals ausdrücklich von der Antragstellerin formuliert. Soweit dort darüber hinaus darauf hingewiesen wird, dass diese Bereitschaft auch dann bestehe, wenn in dem konkreten Teil des Angebotes auf eine Mindestanforderung nicht explizit eingegangen werde, wollte die Antragstellerin erkennbar einen Maßstab für den Umgang mit etwaigen Lücken ihres Angebots vorgeben und sicherstellen, dass für den Fall fehlender oder unvollständiger Angaben Klarheit bezüglich ihrer unbedingten und vorbehaltlosen Erfüllungsbereitschaft besteht. Da die Antragstellerin als erfahrene Bieterin wusste, dass die Zuschlagschancen von der bedingungslosen Einhaltung der Anforderungen der Leistungsbeschreibung abhängen, hätte es ihrem erkennbaren Interesse am Auftrag widersprochen, hinsichtlich der Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde und damit in Bezug auf eine wesentliche Anforderung einen Vorbehalt und eine Ausnahme von ihrer ausdrücklich und mehrfach zum Ausdruck gebrachten allgemeinen Erfüllungsbereitschaft zu erklären. Eine verständige Auslegung unter Heranziehung und Würdigung der Gesamtheit der Aussagen des Angebotes und unter Beachtung der allgemein anerkannten Auslegungsregel, wonach die Parteien im Zweifel vernünftige Ziele und redliche Absichten verfolgen (BGHZ 79, 18; BGH NJW 1993, 1978; 1994, 1538), musste demnach zu dem Schluss kommen, dass die Antragstellerin den Zuschlag für den ausgeschriebenen Dienstleistungsauftrag erhalten wollte und aus diesem Grund sämtliche für die Zuschlagserteilung erforderlichen Voraussetzungen zu akzeptieren bereit war.

Ein Ausschluss des Angebots zu Los 2 gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A in Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A scheidet aus. Ebenso wie die Angaben zur bereits vollzogenen Integration in den M... unter Ziff. 4.2. des Angebots ist auch der Hinweis unter Ziff. 4.3 auf die vollumfängliche Integration in den N... zutreffend.

2. Die Angebote der Antragstellerin sind auch nicht gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A in Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A wegen Fehlens der geforderten Angaben und Erklärungen in den vorzulegenden Testaten der DN... AG auszuschließen. Gemäß Ziff. 3.3.2 Abs. 5 der Leistungsbeschreibung war zur Vermeidung von Trassenkonflikten sowie zur Bestätigung der Fahrbarkeit des angebotenen Fahrplans vom Bieter eine schriftliche Bestätigung der DN... AG beizubringen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die zugunsten der Antragstellerin ausgestellten Testate den Anforderungen der Leistungsbeschreibung entsprechen. Ausweislich der insoweit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen W... und K..., an deren Glaubhaftigkeit keine Zweifel bestehen, war Grundlage der Prüfung für jeden Bieter zunächst, ob die Vorgaben des Musterfahrplans, den die DN... AG für die das Los 2 umfassende Strecke selbst entwickelt hatte und der für die das Los 1 betreffende Strecke dem aktuellen Fahrpan entspricht, von der jeweils angebotenen Zugkonfiguration eingehalten werden konnten. Untersuchungsgegenstand war danach, ob mit dem vom Bieter vorgesehenen Zug die Zeitvorgaben des Musterfahrplans, von denen nur innerhalb der gemäß Ziff. 3.2 der Leistungsbeschreibung bestimmten Toleranzen abgewichen werden durfte, bewältigt werden konnten. Beide Zeugen haben betont, dass sich weitere Prüfungen erübrigten, wenn dieses der Fall gewesen sei und der Fahrplan des Bieters lediglich Fahrzeitunterschiede im Toleranzbereich, aber keine weiteren Abweichungen von den Vorgaben des Musterfahrplans aufgewiesen habe. Abhängig von der eingesetzten Fahrzeugkonfiguration hätten sich dabei unterschiedliche und den individuellen Fahrplan bildende Fahrzeitberechnungen ergeben, deren Fahrbarkeit sich aus den Testaten ergebe.

Der mit der eigentlichen Prüfung betraute Zeuge K... hat darüber hinaus plausibel und nachvollziehbar erläutert, dass bei denjenigen Bietern, unter ihnen auch die Antragstellerin, die den Musterfahrplan ohne Abweichungen fahren wollten, keine Trassenkonflikte hätten entstehen können und festgestanden habe, dass der Bieter die Fahrplanvorgaben des Leistungsverzeichnisses einhalten würde. Dieses sei den Bietern - u.a. der Antragstellerin - mit den Testaten bestätigt worden.

Habe ein Bieter dagegen - so wie u.a. die Beigeladene - andere als die Fahrtzeit betreffende Abweichungen in den Angebotsfahrplan aufgenommen - der Zeuge K... nannte das Beispiel eines im Musterfahrplans nicht vorgesehenen Wendens - seien diese Besonderheiten einer genauen Überprüfung auf ihre Fahrbarkeit hin unterzogen worden.

In diesem Zusammenhang betonte der Zeuge W..., dass die von ihm für die Testate der Beigeladenen gewählte Formulierung "auf der Grundlage des ...angebotenen Betriebsprogramms"" im Unterschied zu der in den Testaten der Antragstellerin verwandten Formulierung "auf der Grundlage des in der Leistungsbeschreibung enthaltenen Betriebsprogramms" lediglich einen Hinweis an die Antragsgegner habe enthalten sollen, dass der Fahrplan des Bieters derartige Besonderheiten enthalte.

Auf der Grundlage der Zeugensaussagen steht demnach fest, dass trotz der unterschiedlichen und in der Sache auch missverständlichen Formulierung der für die Antragstellerin und Beigeladene ausgestellten Testate beiden Bietern bescheinigt wurde, dass sie mit der angebotenen Zugkonfiguration die Fahrzeit- und Fahrplanvorgaben der Leistungsbeschreibung ohne Trassenkonfikte einhalten würden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128 Abs. 3 S. 1 und 2 GWB sowie aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 100 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. HS, 516 Abs. 3 ZPO (analog).

Die Auferlegung von Kosten findet abweichend von der mit Schriftsatz vom 6.10.2006 vorgetragenen Rechtsansicht der Antragstellerin ihre Rechtfertigung nicht in einem Teilunterliegen in der Beschwerdeinstanz. Der von der Antragstellerin in dieser Instanz noch verfolgte Sachantrag ist vollumfänglich erfolgreich. Die Überbürdung von Kosten ist die gesetzliche Folge der teilweisen Beschwerderücknahme. Soweit die Antragstellerin das ursprünglich vor der Vergabekammer und zunächst auch in der Beschwerdeinstanz verfolgte Begehren, den Ausschluss der Angebote der Beigeladenen zu erreichen, nach einem Hinweis des Senates auf die insoweit fehlende Erfolgsaussicht nicht mehr aufrechterhalten hat, handelt es sich um eine sachliche Beschränkung des gestellten Antrages, auch wenn dieser in der Formulierung unverändert geblieben ist. Die diesbezügliche Erklärung des Vertreters der Antragstellerin im Senatstermin ist als eine Teilrücknahme des prozessualen Anspruchs zu werten.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat sie nicht nur in Verfolgung des ausschließlich auf die Neubewertung ihrer Angebote gerichteten Rechtsschutzzieles zur Begründung u.a. auch darauf abgestellt, dass die Angebote der Beigeladenen zwingend auszuschließen seien. Vielmehr folgt schon aus dem Aufbau der Antragsschrift vor der Vergabekammer und der Beschwerdeschrift, dass die Antragstellerin in beiden Instanzen zwei voneinander unabhängige Angriffe gegen die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung unternommen hat. Sie hielt nicht nur den Ausschluss ihrer Angebote für rechtswidrig, sondern machte darüber hinaus geltend, dass die Angebote der Beigeladenen zwingend auszuschließen seien. Die Begründetheit sowohl ihres Nachprüfungsantrages als auch ihrer Beschwerde stützte sie gleichrangig auf beide Angriffspunkte, die sie folgerichtig auch auf derselben Gliederungsebene anordnete. Dieser Betrachtung steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin ausweislich der Formulierung ihres Antrages lediglich eine Neubewertung unter Einschluss ihrer Angebote angestrebt hat. Zur Bestimmung des prozessualen Anspruchs ist nicht nur auf die Formulierung des Antrages sondern auch auf dessen Begründung abzustellen. Aus der Begründung hat sich ergeben, dass die Antragstellerin zwei selbständige Angriffsziele verfolgte: die Wiederaufnahme ihrer Angebote in die Wertung und einen Ausschluss der Angebote der Beigeladenen aus der Wertung. Im Erfolgsfall wäre die Angebotswertung unter beiden Gesichtspunkten zu wiederholen gewesen.

Da die Antragstellerin die Beschwerde auf die Überprüfung des Ausschlusses ihrer Angebote beschränkt hat, hat sie einen Teil, und zwar einem sehr gewichtigen Teil, des ursprünglichen prozessualen Anspruchs fallengelassen. Die vom Senat ausgesprochene Kostenfolge ist in § 516 Abs.3 ZPO zwingend vorgesehen, so dass die Kostenentscheidung kein Überraschungselement enthält.

4. Die Festsetzung des Gegenstandeswertes beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

Maßgeblich für die Streitwertbemessung ist die Angebotssumme. Von der Streitwertberechnung auszunehmen sind aber die aus Rechtsgründen, nämlich nach § 2 Abs. 3 oder § 14 Abs. 4 AEG anfallenden Infrastrukturentgelte. Diese entstehen beim Betrieb des Schienenverkehrs und sind nicht "angebotsbedingt" (vgl. Beschluss des Senats vom 20.01.2006, Verg 79/04, Bl.2).

Ende der Entscheidung

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