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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 21.07.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 40/08
Rechtsgebiete: GWB, VwVfG, ZPO, VwGO, VgV


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 3 S. 2
GWB § 128 Abs. 3 S. 3
GWB § 128 Abs. 4 S. 1
GWB § 128 Abs. 4 S. 3
VwVfG § 80
VwVfG § 128 Abs. 4 Satz 3
ZPO § 91a Abs. 1
VwGO § 161 Abs. 2
VgV § 13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 21. Mai 2008 (VK 3-62/08) unter 2. und 3. aufgehoben.

Jeder Verfahrensbeteiligte trägt seine Auslagen im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer selbst.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb zur Vergabe im Offenen Verfahren "Rechenzentrumsleistung für die Vereinigte IKK - Betrieb der GKV-Kernsoftware" aus. U.a. verlangte sie den Nachweis eines Qualitätssicherungsmanagements nach DIN EN ISO 9001 sowie nach IT IL sowie den Nachweis einer Zertifizierung Informationssicherheits-Mangementsystem entsprechend ISO/IEC 27001.

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 21. April 2008 die Forderung von Zertifikatien nach DIN EN ISO 9001 und ISO/IEC 27001, weil dies den Wettbewert in unzulässiger Form einschränke. Unter dem 24. April 2008 informierte die Antragsgegnerin alle Bieter darüber, dass die Zertifikate nicht bereits mit den Angeboten, sondern bis spätestens zum 31. Dezember 2009 nachzuweisen seien; dies gelte allerdings nicht für die Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001.

Die Antragstellerin rügte das aufrechterhaltene Verlangen einer Vorlage der Zertifzierung nach DIN EN ISO 9001 mit Schreiben vom 30. April 2008 und gab der Antragsgegnerin Zeit zur Überprüfung bis 16.00 Uhr des Tages. Vor 16.00 Uhr gab die Antragsgegnerin allen Bietern - darunter der Antragstellerin gegen 15.00 Uhr - per Fax bekannt, dass auch der Nachweis eines Qualitätssicherungsmanagements nach DIN EN ISO 9001 erst bis zum 31. Dezember 2009 vorzulegen sei. Gegen 14.00 Uhr hatte die Antragstellerin jedoch bereits ein Vergabenachprüfungsverfahren eingeleitet, das sie mit Schriftsatz vom 15. Mai 2008 im Hinblick auf die Erklärung der Antragsgegnerin für erledigt erklärt hat.

Die Vergabekammer hat durch den angefochtenen Beschluss u.a. der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin auferlegt und die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für notwendig erklärt.

Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der Begründung, dies sei mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 128 Abs. 4 S. 1 GWB nicht vereinbar. Zudem sei das Nachprüfungsverfahren verfrüht eingeleitet worden. Der Nachprüfungsantrag sei auch nicht begründet gewesen.

Die Antragstellerin ist dem entgegen getreten. Sie ist der Auffassung, sie habe dem vergaberechtswidrigen Verhalten der Antragsgegnerin nur mit der Einreichung eines Vergabenachprüfungsantrages bereits am 30. April 2008 entgegen treten können.

II.

Die beim Vergabesenat eingereichte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig.

Zwar hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 22. April 2008 (B 1 SF 1/08 R) angenommen, für die Anfechtung von Vergabekammerentscheidungen seien die Sozialgerichte zuständig, wenn es um Vergabeentscheidungen gesetzlicher Krankenkassen gehe. Wie sich aus Rdnrn. 49 ff., insbesondere Rdnr. 54 ergibt, soll dies aber wegen des engen Zusammenhangs mit dem Leistungserbringungsrecht nur die Vergabe von Aufträgen der gesetzlichen Krankenkassen an Leistungserbringer (§ 69 SGB V), nicht aber für "fiskalische Hifsgeschäfte" gelten, zu denen das Bundessozialgericht z.B. den Kauf von Büromaterial, Büroeinrichtungen, Gebäuden, Fahrzeugen, Telekommunikation usw. zählt.

III.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht hat die Vergabekammer die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin angeordnet.

Die Antragsgegnerin ist nicht im Sinne des § 128 Abs. 4 S. 1 GWB "unterlegen" gewesen, des Weiteren rechtfertigt § 128 Abs. 4 S. 3 GWB i.V.m. § 80 VwVfG die getroffene Entscheidung nicht. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (NZBau 2004, 285) ausgeführt:

Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften (gemeint sind § 91a Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO) setzt eine planwidrige Gesetzeslücke voraus. Aus § 128 Abs. 3 Sätze 2und 3 GWB ist zu ersehen, dass der Gesetzgeber den Fall der Verfahrensbeendigung durch Rücknahme oder anderweitige Erledigung gesehen hat. Gleichwohl hat er darauf verzichtet, für diesen Fall eine den § 91a Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO entsprechende Regelung zu treffen, und hat sich statt dessen - wie der Verweisung in § 128 Abs. 4 Satz 3 VwVfG, aber auch der Begründung des Regierungsentwurfs eines Vergaberechtsänderungsgesetzes zu entnehmen ist (BT-Drucks. 13/9340, S. 23, zu § 137) - an der Kostenregelung für das verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren orientiert. Eine Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsführers bzw. der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, ist danach nur für Fälle vorgesehen, in denen sich der Widerspruch als erfolgreich bzw. als erfolglos erweist (§ 80 Abs 1 VwVfG). Dies setzt eine behördliche Entscheidung voraus, sei es eine Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde (§ 82 VwGO), sei es eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde (§ 73 VwGO)...

Als "Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde (§ 72 VwGO)" sieht die Vergabekammer das gegen 15.00 Uhr versandte Schreiben der Antragsgegnerin vom 30. April 2008 an, welches das bereits seit 14.00 Uhr rechtshängige (BGH VergabeR 2004, 201) Vergabenachprüfungsverfahren durch Abhilfe erledigt habe. Bei der Übertragung der von dem BVerwG (s. auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., § 80 Rdnr. 25 m.w.N.) zu § 80 VwVfG entwickelten Grundsätze auf das Vergabenachprüfungsverfahren sind jedoch zwei Punkte zu berücksichtigen:

Das Widerspruchsverfahren beginnt bereits mit der Erhebung des Widerspruchs bei der Ausgangsbehörde (§§ 69, 72 VwGO). Hält sie ihn für begründet, hilft sie dem Widerspruch ab (§ 72 VwGO), andernfalls legt sie die Sache der Widerspruchsbehörde vor, die entscheidet (§ 73 VwGO). Dies bedeutet, dass der Widerspruch bereits dann erfolgreich ist, wenn entweder die Ausgangsbehörde oder die Widerspruchsbehörde den Widerspruch für zulässig und begründet hält; in beiden Fällen gilt die Kostenerstattungsvorschrift des § 80 VwVfG.

Demgegenüber hat zwar der Antragsteller bei der Vergabestelle Vergaberechtsfehler zu rügen (§ 107 Abs. 3 GWB). Dies leitet aber nicht das Vergabenachprüfungsverfahren ein, dies erfolgt vielmehr auf alleinige Initiative des Antragstellers durch Einreichen eines Nachprüfungsantrages bei der Vergabekammer. Nach § 128 Abs. 4 S. 3 GWB i.V.m. § 80 VwVfG findet eine Kostenerstattung erst für das Vergabenachprüfungsverfahren, nicht bereits für das Rügeverfahren statt.

Dies bedeutet, dass ein Erfolg des Antragstellers bereits im Rügeverfahren - anders als dies bei Abhilfe eines Widerspruchs durch die Ausgangsbehörde der Fall wäre - die Rechtsfolgen des § 80 VwVfG nicht auszulösen vermag. Die Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 GWB soll es der Vergabestelle ermöglichen, einen Vergabefehler selbst zu beseitigen, ohne dass eine Kostenerstattungspflicht bestünde. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage von derjenigen im Widerspruchsverfahren.

Ob § 128 Abs. 4 S. 3 GWB i.V.m. § 80 VwVfG in denjenigen Fallgestaltungen anzuwenden ist, in denen eine Rüge nach § 107 Abs. 3 GWB - zunächst - erfolglos war, der Antragsteller danach berechtigterweise den Vergabenachprüfungsantrag eingereicht und die Vergabestelle sodann verspätet der Rüge abgeholfen hat, kann offen bleiben (vgl. auch Beschluss des Senats vom 25.07.2006 - VII-Verg 91/05, Bl. 5 BA). Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat selber am 30. April 2008 eine Rüge im Hinblick auf die Notwendigkeit zur Vorlage des Zertifikats nach DIN EN ISO 9001 für notwendig erachtet und der Vergabestelle eine Frist zur Abhilfe bis 16.00 Uhr gesetzt; daran muss sie sich festhalten lassen. Die Antragsgegnerin hat sodann innerhalb dieser Frist der Rüge abgeholfen und dies den Bietern, u.a. der Antragstellerin, bekannt gegeben.

Die Anrufung der Vergabekammer war auch nicht - wie die Antragstellerin meint - im Hinblick auf die am 05. Mai 2008 ablaufende Angebotsfrist und die dazwischen liegenden Sonn- und Feiertage notwendig. Ein Zuschlag, der durch Zustellung eines Nachprüfungsantrages (§ 115 Abs. 1 GWB) hätte verhindert werden müssen, drohte unmittelbar noch nicht. Bieterinformationen nach § 13 VgV waren noch nicht versandt worden. Klarheit darüber, ob die gerügte Anforderung vergaberechtskonform war oder nicht, konnte bis zum Ablauf der Angebotsfrist ersichtlich nicht mehr geschaffen werden.

IV.

Die Kostenentscheidung zum Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Beschwerdewert: rund 3.350, 00 Euro

Ende der Entscheidung

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