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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: VII-Verg 50/06
Rechtsgebiete: SGB V, GWB, VOL/A, SGG, VgV


Vorschriften:

SGB V § 1
SGB V § 3
SGB V § 4 Abs. 1
SGB V § 69
SGB V § 127
SGB V § 130a Abs. 9
SGB V §§ 140a ff.
SGB V § 140a Abs. 2 Satz 1
SGB V § 140d Abs. 1 S. 1
GWB §§ 97 ff.
GWB § 97 Abs. 6
GWB §§ 98 ff.
GWB § 98 Nr. 2
GWB § 99 Abs. 2
GWB § 99 Abs. 4
GWB § 99 Abs. 6 S. 1
GWB § 100 Abs. 1
GWB § 104
GWB § 107 Abs. 3
GWB § 116
GWB § 127 Nr. 1
SGB IV § 88 Abs. 2
VOL/A § 1a Nr. 2 Abs. 2
VOL/A § 9 Nr. 2
SGG § 51
VgV § 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. EG L 134 S. 114 vom 30.04.2004 - zukünftig nur Richtlinie genannt) gemäß Art. 234 Abs. 1 EG folgende Fragen vorgelegt:

1.

a) Ist das Tatbestandsmerkmal der "Finanzierung durch den Staat" des Art. 1 Absatz 9, 2. Unterabsatz, lit. c), 1. Alternative der Richtlinie dahin auszulegen, dass der Staat die Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung sowie die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen - deren Höhe vom Einkommen abhängig ist - an die jeweilige Krankenkasse anordnet, wobei die Krankenkasse den Beitragssatz festlegt, die Krankenkassen aber durch ein in den Gründen näher geschildertes System der solidarischen Finanzierung miteinander verbunden sind und die Erfüllung der Verbindlichkeiten jeder einzelnen Krankenkasse gesichert ist ?

b) Ist das Tatbestandsmerkmal in Art. 1 Absatz 9, 2. Unterabsatz, lit. c) 2. Alternative, demzufolge die Einrichtung "hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt", dahin auszulegen, dass eine staatliche Rechtsaufsicht, die auch noch laufende oder zukünftige Geschäfte betrifft, - gegebenenfalls zuzüglich weiterer in den Gründen geschilderter Eingriffsmöglichkeiten des Staates - für die Erfüllung des Merkmals ausreicht ?

2. Falls die erste Vorlagefrage - in a) oder b) - mit "ja" zu beantworten ist, sind die lit. c) und lit. d) von Art. 1 Absatz 2 der Richtlinie dahin auszulegen, dass die Zurverfügungstellung von Waren, die in ihrer Form individuell nach den Erfordernissen des jeweiligen Kunden hergestellt und angepasst sowie über deren Nutzung die jeweiligen Kunden individuell zu beraten sind, als "Lieferaufträge" oder als "Dienstleistungsaufträge" einzustufen sind ? Ist dabei nur der Wert der jeweiligen Leistungen zu berücksichtigen ?

3. Falls die in Frage 2 genannte Zurverfügungstellung als "Dienstleistung" einzustufen ist oder sein könnte, ist Art. 1 Absatz 4 der Richtlinie - in Abgrenzung zu einer Rahmenvereinbarung im Sinne des Art. 1 Absatz 5 der Richtlinie - dahin auszulegen, dass unter einer "Dienstleistungskonzession" auch eine Auftragserteilung in der Form zu verstehen ist, bei der

- die Entscheidung darüber, ob und in welchen Fällen der Auftragnehmer mit Einzelaufträgen beauftragt wird, nicht vom Auftraggeber, sondern von Dritten getroffen wird,

- die Bezahlung des Auftragnehmers durch den Auftraggeber erfolgt, weil allein Letzterer kraft Gesetzes alleiniger Vergütungsschuldner und den Dritten gegenüber zur Erbringung der Dienstleistung verpflichtet ist, und

- der Auftragnehmer vor Inanspruchnahme durch den Dritten keine Leistungen irgendwelcher Art erbringen oder vorhalten muss ?

Gründe:

I.

Die mit der A. H. zur Antragsgegnerin verschmolzene A. R., eine gesetzliche Krankenkasse, forderte durch Bekanntmachung in der Zeitschrift "Orthopädie-Schuhtechnik" im Juni 2006 Orthopädie-Schuhtechniker zur Abgabe von Angeboten über die Anfertigung und Lieferung von Schuhwerk zur integrierten Versorgung i.S.v. §§ 140 a H. SGB V bei diabetischem Fußsyndrom für den Zeitraum vom 01.09.2006 bis zum 31.12.2006 auf.

Nach den "Besonderen Vertragsbedingungen" war vorgesehen, dass sich der Patient mit einer Krankenversicherungskarte und einer entsprechenden ärztlichen Verordnung unmittelbar bei dem entsprechenden Orthopädie-Schuhtechnikermeister melden sollte; eine Kostenübernahmeerklärung der Antragsgegnerin war überflüssig. Die Aufgabe des Vertragspartners bestand in der Herstellung und Kontrolle eines individuell angepassten orthopädischen Schuhs, wobei vor dem Ausmessen, bei der Auslieferung und bei den vorgeschriebenen Kontrollen jeweils ausführliche Beratungen stattzufinden hatten. Die zu erbringenden Leistungen waren je nach Aufwand in unterschiedliche Pauschalgruppen eingeteilt, für die der Bieter Preise einzutragen hatte. Die Zahlungen sollten - abgesehen von Zuzahlungen der Patienten - durch die Antragsgegnerin erfolgen.

Die Antragstellerin, ein Orthopädie-Schuhmacherbetrieb, reichte ein Angebot ein und rügte zwei Tage später Vergaberechtsverstöße. Die Beanstandungen wurden von der Antragsgegnerin mit der Begründung zurückgewiesen, die vergaberechtlichen Vorschriften seien nicht einschlägig.

Die Antragstellerin leitete daraufhin ein Vergabenachprüfungsverfahren ein. Die angerufene Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Sie ist zwar davon ausgegangen, dass es sich bei der Antragsgegnerin um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) handele. Ihre Ausschreibung betreffe einen Dienstleistungsauftrag, weil die Aufklärung und Wissensvermittlung an den Patienten den Auftrag präge. Als Dienstleistungskonzession sei der Auftrag jedoch nicht einzuordnen, weil der Auftragnehmer das Entgelt im Wesentlichen von der Antragsgegnerin und nicht von den Patienten erhalten solle. Als Dienstleistung im Bereich des Gesundheitswesens nach Anhang II Teil B Kategorie 25 der Richtlinie (= Anhang I Teil B Kategorie 25 des Anhanges zur Verdingungsordnung für Leistungen Teil A [VOL/A]) unterliege er jedoch lediglich bestimmten Vorschriften der VOL/A. Soweit danach Verstöße vorlägen, seien sie nicht rechtzeitig gerügt oder wirkten sich nicht zu Lasten der Antragstellerin aus.

Dagegen hat sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde gewandt. Nachdem der Senat mit Beschluss vom 05. Oktober 2006 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde verlängert hat, hat die Antragsgegnerin am 13. Oktober 2006 das Vergabeverfahren "eingestellt" bzw. aufgehoben, weil ein rechtzeitiger Vertragsschluss vor Ablauf der vorgesehenen Vertragslaufzeit nicht mehr möglich sei.

Die Antragstellerin begehrt nunmehr noch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens und der hierdurch verursachten Verletzung ihrer Rechte. Sie macht geltend:

Bei der Antragsgegnerin handele es sich um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Krankenkassen seien in Anlage III der Richtlinie als "Einrichtung des öffentlichen Rechts" im Sinne des Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie aufgeführt. Dies sei auch zu Recht geschehen. Zum einen würden Krankenkassen dadurch staatlich finanziert, dass sie kraft Gesetzes bei den Versicherten und ihren Arbeitgebern Versicherungsbeiträge erhöben. Zum anderen führe der Staat eine intensive Aufsicht über die Krankenkassen. Der fragliche Auftrag, den die Antragstellerin vor der Vergabekammer als "Lieferauftrag" qualifiziert hat, sei auch bereits deswegen nicht als "Dienstleistungskonzession" anzusehen, weil der Auftragnehmer vom Auftraggeber - und nicht von Dritten - vergütet werde und zudem vor der konkreten Bestellung keine Leistungen vorhalten müsse, die er dann verwerten könne. Bei dem ausgeschriebenen Auftrag handele es sich um einen Rahmenvertrag. Auch seien die Schwellenwerte überschritten. Es bestünden mehrere Verstöße gegen Vergaberecht (u.a. unzureichende Bekanntmachung, Unklarheiten über Zahl und Bezeichnung der am Auftrag beteiligten Krankenkassen, Unklarheit über die durch die Ausschreibung zu ermittelnden Auftragnehmer, Verbot der Vergabe von Unteraufträgen, unzulässiges Nachverhandeln von Preisen).

Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen. Sie ist der Auffassung, gesetzliche Krankenkassen seien nicht öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Bei den von ihnen erhobenen Beiträgen handele es sich nicht um eine staatliche Finanzierung, auch sei die vom Staat durchgeführte Aufsicht nicht ausreichend. Der Auftrag sei auch als Dienstleistungskonzession anzusehen; es liege allein in der freien Entscheidung der Ärzte und Patienten, ob sie an der integrierten Versorgung teilnehmen, und wenn ja, welchen Orthopädie-Schuhtechniker sie in Anspruch nehmen wollten. Das wirtschaftliche Risiko trage daher allein der Orthopädie-Schuhtechniker. Im Übrigen schlössen die maßgeblichen Vorschriften des nationalen Rechts (§§ 69, 140a ff. des Sozialgesetzbuches Buch 5 [SGB V]) die Anwendung der Vergabevorschriften der §§ 97 ff. GWB und insbesondere die Zuständigkeit von Vergabekammer und Vergabesenat aus.

II.

1.

In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob gesetzliche Krankenkassen trotz ihrer Benennung in Anhang III der Richtlinie unter III. Kategorie 1.1 als "Einrichtung des öffentlichen Rechts" im Sinne der Richtlinie bzw. als "öffentlicher Auftraggeber" im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB anzusehen sind.

Art. 1 Absatz 9 Unterabsatz 2 der Richtlinie lautet wie folgt:

Als "Einrichtung des öffentlichen Rechts" gilt jede Einrichtung, die

a) zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,

b) Rechtspersönlichkeit besitzt und

c) überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.

Diese Vorschrift ist in § 98 Nr. 2 GWB wie folgt umgesetzt worden:

Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind ... andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 oder 3 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organs bestimmt haben. ...

a) Die ersten beiden Merkmale sind unproblematisch (vgl. auch Heßhaus, VergabeR 2007, 333, 336). Gesetzliche Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 4 Abs. 1 SGB V, § 29 Abs. 1 SGB IV) und nach §§ 1, 3 SGB V als Solidargemeinschaft zu dem besonderen Zweck gegründet worden, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wieder herzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Gesetzliche Krankenkassen sind auch nicht gewerblich tätig; sie erbringen ihre Leistungen nicht in Gewinnerzielungsabsicht, vielmehr beruht ihre Finanzierung im Wesentlichen auf einer solidarischen, nicht risikobezogenen Finanzierung durch an die Entlohnung der Versicherten anknüpfende Versicherungsbeiträge. Zwar besteht ein gewisser Wettbewerb zwischen den einzelnen Krankenkassen, dieser ist aber dadurch stark eingeschränkt, dass der Großteil der Leistungen gesetzlich vorgeschrieben ist und zudem durch die unterschiedliche Struktur der Versicherten sich ergebende Kostenrisiken durch einen Risikostrukturausgleich weitgehend vermindert werden. Überschüsse und Unterdeckungen sind durch Senkung bzw. Anhebung der Beiträge auszugleichen. Krankenkassen sind zwar theoretisch insolvenzfähig, die Erfüllung der Verbindlichkeiten wird aber durch die Möglichkeit der Beitragserhöhung sowie schlimmstenfalls - im Falle einer Schließung - durch Rückgriff auf Verbände (§ 146a, § 155 Abs. 4 SGB V) sichergestellt.

b) Im Mittelpunkt der Diskussion steht das dritte Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Staatsnähe (vgl. EuGH, Urteil vom 01.02.2001, C-237/99, Rdnrn. 44), wie sie in Art. 1 Abs. 9 lit. c) der Richtlinie näher definiert wird. Dabei wird darüber gestritten, ob eine Krankenkasse "vom Staat ... finanziert wird" (1. Alternative, dazu aa) und/oder "hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch" den Staat unterliegt (2. Alternative, dazu bb)). Diese Merkmale sind durch die bisherige Rechtsprechung des EuGH noch nicht derart geklärt, dass sie ohne eine erneute Vorlage an den Gerichtshof hinreichend sicher auf gesetzliche Krankenkassen angewendet werden können (zu der kontroversen Diskussion in Deutschland siehe nur BayObLG Beschluss vom 24.05.2004, Verg 006/04 = VergR 2004, 629 = NZS 2005, 26; s. aber auch BayObLG Beschluss vom 21.10.2004, Verg 17/04 = NZBau 2005, 173 für eine Landesversicherungsanstalt; Beschluss des Senats vom 06.07.2005 , VII-Verg 22/05 für den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung; zur Literatur s. Koenig/Busch, NZS 2003, 461; Gaßner/Braun NZS 2005,28; Jaeger, ZWeR 2005, 31; Byok/Jansen, NVwZ 2005, 53; Dreher NZBau 2005, 297; Boldt NJW 2005, 3757; Heßhaus, VergabeR 2007, 333; Otting, in Bechtold, GWB, 4. Aufl., § 98 Rdnrn. 37/38; zur Rechtsaufsicht s. auch Werner in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2 Aufl., § 98 GWB Rdnrn. 364 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen).

aa) Im Mittelpunkt der Erörterung zu 1. Alternative steht die Frage, ob und unter welchen Umständen nicht nur eine unmittelbare Finanzierung durch den Staat, sondern auch eine mittelbare Finanzierung zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals ausreicht. Diese Problematik hat der Senat bereits mit Beschluss vom 21.07.2006 - VII-Verg 13/06) dem Gerichtshof (C-337/06) vorgelegt. Auf die Ausführungen in dem dortigen Beschluss wird Bezug genommen. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung in Deutschland (etwa 90 %) ist kraft Gesetzes bei einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen wird durch die für die meisten Versicherten kraft Gesetzes bestehende Zwangsmitgliedschaft und die Beiträge sichergestellt (§ 5 Abs. 1 SGB V). Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die gesetzlichen Krankenkassen sich durch die Beiträge der Zwangsversicherten und der Arbeitgeber auch überwiegend, d.h. zu mehr als der Hälfte, finanzieren. Die Höhe der - im Allgemeinen vom Versicherten und seinem Arbeitgeber zu entrichtenden - Beiträge richtet sich - bis zur Beitragsbemessungsgrenze - allein nach dem Einkommen des Versicherten. Andere Gesichtspunkte (etwa Alter, Vorerkrankungen, Zahl der mitversicherten Personen) spielen keine Rolle. Die Pflicht zur Leistungserbringung ist auch von der tatsächlichen Zahlung der Versicherungsbeiträge unabhängig. Es handelt sich dabei nicht um eine spezifische Gegenleistung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 03.10.2000, C-380/98 Rdnr. 21).

Im Gegensatz zu Rundfunkgebühren, deren Charakter im vorgenannten Vorlageverfahren zu beurteilen ist, wird (nach der zum Zeitpunkt der geplanten Auftragserteilung geltenden Rechtslage) der Beitragssatz allerdings nicht durch den Staat, sondern durch die gesetzliche Krankenkasse festgesetzt. Abgesehen davon, dass die Festsetzung der Genehmigung durch die staatliche Aufsichtsbehörde bedarf, ist die Höhe der Beiträge in gewissem Umfange aber rechtlich vorgegeben. Sie ist so festzusetzen, dass die sich daraus ergebenden Einnahmen die Ausgaben nicht unterschreiten oder übersteigen. Da die zu erbringenden Leistungen zum weit überwiegenden Teil gesetzlich festgeschrieben sind, lässt sich die Ausgabenhöhe von der jeweiligen Krankenkasse weitgehend nicht unmittelbar beeinflussen. Ausgabenunterschiede infolge unterschiedlicher Risikostruktur bei den Versicherten werden weitgehend durch den Risikostrukturausgleich abgemildert. Hinzu kommt, dass zur Vermeidung der Insolvenz einer Krankenkasse entweder mehrere Krankenkassen zusammengeschlossen werden können oder die insolvenzbedrohte Krankenkasse geschlossen werden kann, wobei etwaige Unterdeckungen von den entsprechenden - von den einzelnen Krankenkassen finanzierten - Krankenkassenverbänden auszugleichen sind; auch insoweit besteht eine gewisse Solidaritätsverpflichtung der Krankenkassen untereinander. Auf diese Art und Weise gewährleistet der Staat indirekt eine Erfüllung der Verbindlichkeiten der einzelnen Krankenkassen.

Gegen eine Unterscheidung nach unmittelbarer oder nur mittelbarer staatlicher Finanzierung spricht die Tatsache, dass im Zuge geplanter Reformen (zwecks Vereinfachung des Beitragseinzugs und des Risikostrukturausgleichs) erörtert wurde, die Beitragseinziehung einer bundesweiten zentralen Einheit (Gesundheitsfonds) zu überlassen, die dann den Krankenkassen - risikogewichtete - Beträge pro Mitglied zukommen lassen sollte.

bb) (1) Was die "Staatsnähe" durch Aufsicht betrifft, ist zunächst streitig, ob nicht eine Rechtsaufsicht nach deutschem Recht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "Aufsicht" ausreicht. Vielfach wird geltend gemacht, wegen einer Beschränkung der Aufsicht auf Rechtsfehler weise sie nicht die notwendige Intensität für eine Zurechnung der Tätigkeit der beaufsichtigten Einrichtung, die ein Selbstverwaltungsrecht für sich in Anspruch nehmen könne, zum Staat auf. Dabei ist auf Folgendes hinzuweisen:

Die Rechtsaufsicht ist im deutschen Gesundheitswesen nicht - was in verschiedenen Stellungnahmen zu diesem Problemkreis anklingt - auf eine bloß nachprüfende Kontrolle im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.02.2003, C-373/00 Rdnr. 70) beschränkt. Stellt die staatliche Aufsichtsbehörde fest, dass die Krankenkasse Rechtsverletzungen begeht, kann die Aufsichtsbehörde die Krankenkasse anweisen, diese Rechtsverletzung zu beheben; dies ist mit Hilfe des Verwaltungszwangs durchsetzbar (§ 89 Abs. 1 SGB IV). Dies bedeutet, dass die staatliche Aufsichtsbehörde bei drohenden Verstößen gegen das Vergaberecht die Einhaltung der Rechtsvorschriften verlangen kann. Das betrifft nicht nur die Einhaltung nationaler Rechtsvorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie ergangen sind (sollten die Krankenkassen der Richtlinie und der Umsetzungsgesetzgebung unterfallen), sondern auch von Art. 43 EG und Art. 49 EG (die nach der Rechtsprechung des EuGH auch bei nicht unter die Richtlinie fallenden Aufträgen bei einer Binnenmarktrelevanz eine Auftragsvergabe nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz verlangen), von Ausschreibungspflichten nach dem SGB V oder haushaltsrechtlichen Ausschreibungspflichten. Bei Verdacht auf vergangene oder drohende Rechtsverstöße kann die staatliche Aufsichtsbehörde nach § 88 Abs. 2 SGB IV die Vorlage von Unterlagen und die Erteilung von Auskünften verlangen.

Diese Befugnisse betreffen zwar nur die Überprüfung auf die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Krankenkasse bei der Auftragsvergabe, nicht auch weitergehende Aspekte. Da die von der Krankenkasse zu erbringenden Leistungen und auch ihre sonstigen Tätigkeiten (z.B. die Datenverarbeitung) aber weitgehend gesetzlich - oder durch von der Krankenkasse nicht unmittelbar zu beeinflussende sogenannte Richtlinien - determiniert sind, hat das Bundesverfassungsgericht (DVBl. 2004, 1161, 1163) festgestellt, dass den Krankenkassen "Selbstverwaltung im Sinne eines Freiraums für eigenverantwortliches Handeln nur in außerordentlich bescheidenem Umfang eingeräumt" und "eine eigenverantwortliche Gestaltung des Satzungs-, Organisations-, Beitrags- und Leistungsrechts weitgehend verwehrt ist".

(2) Darüber hinaus wird streitig diskutiert, ob nicht in Anlehnung an die Äußerungen des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 27.02.2004 (C-373/00 unter Rdnrn. 71 ff.) zumindest die Rechtsaufsicht in Zusammenschau mit weiteren Eingriffsbefugnissen der Aufsichtsbehörden eine hinreichende Aufsicht im Sinne der Richtlinie gewährleistet. Bestimmte Maßnahmen der gesetzlichen Krankenkassen bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörden; dies betrifft Satzungsänderungen (einschließlich der Bestimmung des Beitragssatzes, §§ 195 Abs. 1, 220 Abs. 2, 241 SGB V), Bau- und Grundstücksgeschäfte und die Beschaffung von Datenverarbeitungsunterlagen. Die Krankenkasse unterliegt einer periodischen (§ 274 SGB V), aber auch sonst möglichen (§ 88 Abs. 1 SGB IV) Prüfung der Geschäfts- und Rechnungsführung auch auf die Wirtschaftlichkeit der Tätigkeit hin (§§ 69 Abs. 2 SGB IV, 274 Abs. 1 S. 4 SGB V), außerdem ist der staatlichen Aufsichtsbehörde rechtzeitig der Haushaltsplan vorzulegen (§ 70 Abs. 5 SGB IV). Dadurch kann die Aufsichtsbehörde einen umfassenden Einblick in die Tätigkeit und die finanzielle Ausstattung der Krankenkasse und somit Ansatzpunkte für aufsichtsrechtliche Maßnahmen gewinnen. Im Extremfall kann die Aufsichtsbehörde bei Nichteinsetzung von Organen oder Verweigerung satzungsgemäßen Tätigwerdens die Geschäftsführung selbst oder durch Beauftragte übernehmen (§§ 89 Abs. 3, 37 SGB IV). Nicht lebensfähige Krankenkassen kann sie mit anderen Krankenkassen verschmelzen oder schließen (§§ 146a, 153 S. 1 Nr. 3, 156, 163 S. 1 Nr. 3, 167 S. 2, 170 SGB V).

Die Maßgeblichkeit einer Gesamtschau aller möglicher Aufsichtsmaßnahmen wird mit der Begründung angegriffen, dass dann eine Einschätzung, ob ein Auftraggeber als "öffentlicher Auftraggeber" gilt oder nicht, nicht mehr rechtssicher erfolgen kann. Das gelte erst recht, wenn die einschlägigen Vorschriften vielfach geändert würden. Dazu ist zu bemerken, dass die Intensität der Aufsicht nur mittels einer Gesamtschau beurteilt werden kann. Die vielfache Änderung der maßgeblichen Vorschriften zeigt, wie eng der Gesetzgeber den - verfassungsrechtlich im Übrigen nicht abgesicherten - Spielraum der Selbstverwaltung der Krankenkassen sieht.

2.

Sollte die Frage in Teil a) und/oder b) bejaht werden, stellt sich im Folgenden die Frage, ob der fragliche Auftrag als "Lieferauftrag" oder als "Dienstleistungsauftrag" zu qualifizieren ist.

Die Antragstellerin hat den Auftrag ohne nähere Analyse als "Lieferauftrag" angesehen. Demgegenüber bezeichnet die Antragsgegnerin den Gegenstand des Auftrages als "Dienstleistung" mit der Begründung, die Pflicht zur Herstellung einer individuellen Sache und zur umfassenden Beratung stünden im Vordergrund. Die Vergabekammer hat gemeint, die zu erbringende Leistung werde durch die verlangte Aufklärung und Wissensvermittlung an den Patienten geprägt.

Der Senat bemerkt dazu Folgendes:

a) Die Abgrenzung zwischen "Lieferauftrag" einerseits und "Dienstleistungsauftrag" andererseits ist nicht nach nationalen Rechtsvorstellungen vorzunehmen. Art. 1 Abs. 2 lit. c) und d) enthalten vielmehr abschließende Definitionen, wobei lit. d) Absatz 2 eine Abgrenzung zwischen ihnen vornimmt. Diese lautet wie folgt:

Ein öffentlicher Auftrag, der sowohl Waren als auch Dienstleistungen im Sinne von Anhang II umfasst, gilt als "öffentlicher Dienstleistungsauftrag", wenn der Wert der betreffenden Dienstleistungen den Wert der in den Auftrag einbezogenen Waren übersteigt.

Das nationale Recht hat diese Abgrenzung in § 99 Abs. 6 S. 1 GWB wie folgt übernommen:

Ein öffentlicher Auftrag, der sowohl den Einkauf von Waren als auch die Beschaffung von Dienstleistungen zum Gegenstand hat, gilt als Dienstleistungsauftrag, wenn der Wert der Dienstleistungen den Wert der Waren übersteigt.

b) Nach dem Wortlaut der Richtlinie wie auch der entsprechenden nationalen Vorschrift kommt es allein auf das Wertverhältnis von Warenlieferung und Dienstleistung an. Legt man dies zugrunde, ist entscheidend, wie die Erzeugung des individuell angepassten Schuhs im Rahmen der Gesamtleistung, bestehend aus Beschaffung der Rohmaterialien - Herstellung - Beratung und Aufklärung, einzuordnen ist. Sollte die Erzeugung des individuellen Schuhs als Bestandteil der Lieferung anzusehen sein, wäre nach vorläufiger Einschätzung des Senats der Wert der Lieferung des Schuhs trotz der umfangreichen Beratungspflichten höher als der Wert der Dienstleistungen. Sollte demgegenüber der Wert der Lieferung lediglich in den Rohmaterialien bestehen, überwöge der Wert der Dienstleistungen denjenigen der Lieferung.

Nach Ansicht des Senats kann von Bedeutung sein, dass Art. 1 Absatz 4 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171 S. 12) "Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter" Kaufverträgen gleichstellt, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um standardisierte oder individuell auf den konkreten Beschaffungsvorgang angepasste (nach dem nationalen Sprachgebrauch sogenannte unvertretbare) Sachen handelt. Das würde dafür sprechen, allein auf das Verhältnis des Werts des hergestellten Schuhs zum Wert der Beratung abzustellen.

c) Der Rechtsprechung des EuGH kann allerdings möglicherweise entnommen werden, dass auch qualitative Aspekte eine Rolle spielen. In seiner Entscheidung vom 18.01.2007 (C-220/05, Rdnr. 46, allerdings zur Abgrenzung von Bauvertrag und Dienstleistungsauftrag) hat der Gerichtshof darauf abgestellt, dass die Dienstleistungselemente allein dem den Hauptgegenstand des Auftrages bildenden Bauauftrag dienten.

Im vorliegenden Fall sollte sich die Tätigkeit des Auftragnehmers nicht nur in einer Beratung über die Produktauswahl und die Nutzung des Schuhs erschöpfen. Vielmehr sollte der Auftragnehmer umfassend über die Erhaltung der Fußgesundheit durch das Tragen orthopädischer Schuhe aufklären und im Rahmen der Gespräche sogar psychischen Hemmnissen des Patienten, die Schuhe sachgerecht zu tragen und zu pflegen, entgegen wirken.

d) Diese Abgrenzung ist im Hinblick auf folgende Gesichtspunkte von Belang:

aa) Nach der Richtlinie führt eine Einordnung als "Lieferauftrag" dazu, dass die Vorschriften der Richtlinie in vollem Umfange anzuwenden sind. Dazu zählen neben den Vorschriften über die Bekanntmachung (aus der u.a. der/die Auftraggeber eindeutig zu erkennen sein müssen) auch die Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3, die entsprechend der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 14.04.1994 - C-389/92; Urteil vom 18.12.1997 - C-5/97; Urteil vom 02.12.1999 - C-176/98; Urteil vom 18.03.2004 - C-314/01) die Untervergabe des Auftrages oder eines Teiles desselben durch den Bieter grundsätzlich zulassen und das Verbot der Untervergabe, welches in den Verdingungsunterlagen enthalten war, also ausschließen würden.

Eine Einordnung als "Dienstleistung" würde nach der Richtlinie

- entweder zur Qualifizierung als "Dienstleistungskonzession" (dazu Frage 3) und damit gemäß Art. 17 zur vollständigen Unanwendbarkeit der Richtlinie

- oder gemäß Art. 21 (im Hinblick auf den Charakter als Dienstleistung im Gesundheitswesen nach Anhang II Teil B Kategorie 25) nur zur Anwendung der Artikel 23 und des Artikels 35 Absatz 4 der Richtlinie führen; eine Verletzung dieser Vorschriften steht von vornherein nicht in Rede.

bb) Auch nach nationalem Recht ist diese Frage entscheidungserheblich.

Zwar ist die Einordnung nach § 4 Absatz 1 Satz 1 der auf der Grundlage von § 97 Abs. 6 GWB ergangenen Vergabeverordnung ("Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen haben bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen .... die Bestimmungen des 2. Abschnittes des Teiles A der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) .... anzuwenden ... .") zunächst scheinbar irrelevant. § 1a Nummer 2 Absatz 2 VOL/A sieht jedoch Folgendes vor (die darin in Bezug genommene Anlage ist mit der Anlage II Teil B zur Richtlinie identisch):

Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen nach Anhang I B sind, werden nach den Bestimmungen der Basisparagraphen und der §§ 8a und 28a vergeben.

Dies bedeutet, dass von den sogenannten a-Paragraphen nur die §§ 8a und 28a (die die hier nicht streitgegenständlichen Art. 23 und Art. 35 Absatz 4 der Richtlinie umsetzen) anwendbar sind. Über den Inhalt der Richtlinie hinaus bleiben zwar die sogenannten Basisparagraphen anwendbar (nach Auffassung einiger Oberlandesgerichte soll dies entgegen dem klaren Wortlaut zwar anders sein, der vorlegende Senat teilt jedoch nicht diese Auffassung), die u.a. Vorschriften über den Inhalt der Ausschreibung und ein Verbot der Nachverhandlung von Preisen nach Angebotseinreichung vorsehen. Abgesehen davon, dass diese Anforderungen nicht mit denjenigen übereinstimmen, die für einen Lieferauftrag gelten, ist zu berücksichtigen, dass mangels einer zwingenden Richtlinienbestimmung das maßgebliche Fachrecht (hier das Sozialgesetzbuch Buch 5 [SGB V]) von den Basisparagraphen der VOL/A abweichende Vorschriften enthalten kann. Diese Unterschiede wirken sich nach vorläufiger Auffassung des Senates jedenfalls hinsichtlich des Umfangs der festzustellenden Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen aus.

Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung und Lehre "Dienstleistungskonzessionen" von der Geltung der §§ 97 ff. GWB, der Vergabeverordnung und der VOL/A von vornherein vollständig ausnimmt, obwohl eine ausdrückliche Vorschrift zur Umsetzung von Art. 1 Absatz 4 und Art. 17 der Richtlinie im nationalen Recht fehlt. Das führte nach nationalem Recht zu der Unzulässigkeit einer Anrufung von Vergabekammer und Vergabesenat. Etwaige Verstöße gegen Bestimmungen des EGV, die nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 21.07.2005 - C-231/03; vom 13.10.2005 - C-458/03; vom 27.10.2005 - C-234/03) vom erfolglosen Bieter geltend gemacht werden können, sind in diesem Verfahren bisher nicht vorgetragen worden. Rügen können insoweit auch nicht vor der Vergabekammer und dem Vergabesenat, sondern vor anderen Gerichten angebracht werden.

3.

Sollte der Gegenstand des Auftrages nach der Antwort zu Frage 2 als "Dienstleistung" einzuordnen sein oder dies zumindest möglich erscheinen, ist die Frage zu beantworten, ob es sich dabei um einen "Dienstleistungsauftrag" im Sinne des Art. 1 Absatz 2 lit. d) der Richtlinie oder um eine "Dienstleistungskonzession" im Sinne des Art. 1 Absatz 4 der Richtlinie handelt. Die Abgrenzung wird auch im Zusammenhang mit anderen sozialrechtlichen Dienstleistungen diskutiert (vgl. Senat, Beschluss vom 08.09.2004 - VII-Verg 35/04 = NZBau 2005, 650; Kingreen, VergabeR 2007, 354, 357/358; Schröder, VergabeR 2007, 418, 426).

a) Nach der zuvor genannten Vorschrift wird eine Dienstleistungskonzession dadurch definiert,

dass sie als Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.

Antragstellerin und Vergabekammer meinen, dem stünde bereits die Tatsache entgegen, dass die Antragsgegnerin - und nicht, von geringen Zuzahlungen abgesehen, der Patient - die Vergütung schulde. Damit knüpfen sie an Bemerkungen des EuGH in seinem Urteil vom 13.10.2005 (C-458/03, Rdnr. 40) an, die maßgeblich auf die Frage abstellen, wer - der Auftraggeber oder der nutzende Dritte - das Entgelt zahle.

Der Senat hegt Zweifel daran, ob allein diese Erwägung eine Qualifizierung als "Dienstleistungskonzession" ausschließen kann. Der EuGH hat die Frage, wer Vergütungsschuldner ist, im Rahmen der Erörterung geprüft, wer das Geschäftsrisiko trägt. Maßgeblich ist mithin, wer das geschäftliche Risiko trägt.

Dadurch, dass Vergütungsschuldner - im Wesentlichen - die Antragsgegnerin und nicht der Patient sein sollte, wird dem Auftragnehmer allerdings das Beitreibungs- und Insolvenzrisiko abgenommen. Mit der Antragsgegnerin steht dem Auftraggeber ein zahlungsfähiger und zahlungswilliger Schuldner zur Verfügung, der Auftragnehmer ist mithin nicht auf die - oft mühsame und manchmal ergebnislose - Beitreibung beim Patienten angewiesen.

Was dem Auftragnehmer jedoch nicht abgenommen wird, ist das Risiko, ob überhaupt und in welchem Umfange er in Anspruch genommen wird. Das allein reicht zwar noch nicht aus, den Auftrag als Dienstleistungskonzession zu qualifizieren, weil auch bei einem Rahmenvertrag noch offen bleibt, ob und in welchem Umfange dem Auftragnehmer Einzelaufträge erteilt werden. Dennoch unterwirft Art. 32 der Richtlinie Rahmenverträge grundsätzlich den für die vorgesehenen Einzelverträge vorgeschriebenen Vergabeverfahren. Was diesen Fall von einem "normalen" Rahmenvertrag unterscheidet, ist jedoch die Tatsache, dass der Auftraggeber keinen Einfluss darauf hat, ob und in welchem Umfange der Auftragnehmer in Anspruch genommen wird. Ob der Patient an integrierten Versorgungsformen teilnimmt, ist nach § 140a Absatz 2 Satz 1 SGB V allein seine Entscheidung. Selbst wenn er daran teilnimmt, benötigt er für die Inanspruchnahme eines Orthopädie-Schuhtechnikers nur die Verordnung eines sogenannten "Netzarztes", einer Kostenübernahmeerklärung durch den Auftraggeber (die Antragsgegnerin) bedarf es nicht. Es ist auch allein Sache des Patienten zu entscheiden, welchen der mehreren Orthopädie-Schuhtechniker er in Anspruch nimmt.

Nach Ansicht des Senats ist entscheidend, dass es an einem "Recht zur Nutzung der Dienstleistung" fehlt. In dem Urteil vom 07.12.2000 (C-324/98) (zur Vorgängerrichtlinie 93/38) hat der EuGH dies als "Recht zur Verwertung seiner eigenen Dienstleistung" definiert. Der Auftragnehmer muss in dem vorliegenden Fall keine kostenträchtigen Strukturen (Räume, Personal, Geräte) aufbauen und vorhalten, deren Amortisation durch die Vergütung für die Einzelaufträge erfolgen müsste.

b) Diese Frage ist zwar unter Zugrundelegung nur der Richtlinie für die Entscheidung des Verfahrens irrelevant, weil - wie bereits unter 2.d) dargelegt - ein Verstoß gegen Bestimmungen der Richtlinie sowohl bei einer Einordnung als "Dienstleistungsauftrag" als auch bei einer Qualifizierung als "Dienstleistungskonzession" ausscheidet.

Aus den Ausführungen unter 2.d) geht aber gleichfalls hervor, dass eine Charakterisierung als "Dienstleistungsvertrag" auf Grund nationalen Rechts zur Anwendung bestimmter vergaberechtlicher Vorschriften führt, so dass der Antrag der Antragstellerin dann zumindest teilweise erfolgreich wäre, während er bei einer Einordnung als "Dienstleistungskonzession" von vornherein abzuweisen wäre. Das nationale Recht knüpft bei seiner Abgrenzung zwischen "Lieferauftrag" und "Dienstleistungsauftrag" einerseits und "Dienstleistungsauftrag" und "Dienstleistungskonzession" andererseits jedoch an die Definitionen der Richtlinie an. Nach der Rechtsprechung des EuGH (zuletzt Urteil vom 14.12.2006 - C-217/05, Rdnr. 19) ist unter diesen Umständen eine Vorlage zur Auslegung von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften zulässig.

III.

Das Verfahren ist nicht ohne Beantwortung der vorgelegten Fragen aus anderen Gründen entscheidungsreif. Da sich wegen der weiteren Punkte keine dem Europäischen Gerichtshof vorzulegenden Fragen ergeben, sei in diesem Verfahrensstadium nur auf Folgendes hingewiesen:

1.

Das angerufene Gericht ist entgegen der Meinung der Antragsgegnerin jedenfalls dann zuständig, wenn die Antragsgegnerin als "öffentlicher Auftraggeber" im Sinne des Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie bzw. § 98 GWB und der Auftrag als "öffentlicher Liefer- bzw. Dienstleistungsauftrag" im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. c)/d) der Richtlinie bzw. § 99 Abs. 2, 4 GWB anzusehen ist.

a) In diesem Falle wären die Vorschriften der die Zuständigkeit der Vergabekammern und -senate bei den Oberlandesgerichten begründenden §§ 104, 116 GWB gegenüber § 51 SGG, welche allgemein eine Zuständigkeit der Sozialgerichte in Angelegenheiten der öffentlich-rechtlichen Krankenversicherung vorsehen, jedenfalls als "leges speciales" anzusehen. § 69 SGB V schlösse in diesem Falle - jedenfalls auf Grund richtlinienkonformer Auslegung - die Anwendung der §§ 98 ff. GWB nicht aus (vgl. Heßhaus, VergabeR 2007, 333, 335 m.w.N.). Ob § 130a Abs. 9 SGB V die Zuständigkeit der Sozialgerichte für Vergabestreitigkeiten begründet (so die Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium Karlsruhe vom 19.01.2007 - 1 - VK 82/06), kann offen bleiben, da diese Vorschrift für die fragliche Vergabe nicht einschlägig ist.

b) Der maßgebliche Schwellenwert des § 2 Nr. 3 VgV, der gemäß § 100 Abs. 1, § 127 Nr. 1 GWB in Umsetzung der Schwellenwerte gemäß Art. 7, 78 der Richtlinie festgesetzt wurde, ist nach derzeitiger Auffassung des Senats überschritten. In Ergänzung zu den Ausführungen der Vergabekammer sei darauf hingewiesen, dass die Zuzahlung der Patienten bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil des EuGH vom 18.01.2007 - C-220/05, Rdnrn. 48 ff.). Hinzu kommt, dass in dem Fall, dass der Auftrag nicht nur von der Antragsgegnerin, sondern auch von weiteren Krankenkassen erteilt werden sollte, nicht nur auf die prognostizierte Zahl der Abgaben für Mitglieder der Antragsgegnerin, sondern auch auf die für Mitglieder der weiteren Krankenkassen abzustellen ist.

c) Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, es handele sich deswegen nicht um einen "öffentlichen Auftrag", weil kein eigener Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerin bestehe, trifft dies nicht zu.

Dabei kann offen bleiben, ob dem bereits entgegen steht - so die Antragstellerin -, dass die Antragsgegnerin mit der Erteilung von Aufträgen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Erbringung von Sachleistungen an ihre Mitglieder nachkommen will.

Ein eigener Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerin ist nämlich von vornherein kein Tatbestandsmerkmal eines "öffentlichen Auftrages".

Allerdings ist die Rechtsprechung in früheren Entscheidungen von dieser Annahme ausgegangen (vgl. BayObLG NZBau 2002, 108 für einen Durchführungsvertrag nach § 12 BauGB; vgl. auch Senat VergabeR 2004, 624 für einen Vertrag zur Durchführung einer außerhalb der eigenen Aufgabe liegenden eingegangenen vertraglichen Verpflichtung).

Dem ist der Europäische Gerichtshof jedoch bereits in seiner Entscheidung vom 18. November 2004 (C-126/03, VergabeR 2005, 57) entgegen getreten. Danach unterscheidet die Richtlinie nicht zwischen Aufträgen, die der öffentliche Auftraggeber zur Deckung seiner im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben eingeht, und anderen Aufträgen. Es reicht vielmehr aus, dass der öffentliche Auftraggeber überhaupt Aufträge vergibt, zu welchen Zwecken auch immer (Rdnr. 18).

Diese Rechtsprechung hat der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung präzisiert. Seiner Entscheidung vom 18. Januar 2007 (C-220/05) zufolge ist es unerheblich, ob der öffentliche Auftraggeber die zu errichtenden Bauwerke selber erwerben oder nutzen will (Rdnrn. 42 ff.). Es reicht danach vielmehr aus, dass die Bauwerke entsprechend den Erfordernissen des Auftraggebers erstellt werden, und zwar auch dann, wenn - wie in der der Entscheidung zugrunde liegenden Fallgestaltung - der Auftragnehmer die Bauwerke sodann an einen Dritten veräußern soll (Rdnr. 42).

Gleichfalls ist durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass die Frage, ob der Vertrag nach nationalem Recht öffentlich-rechtlicher oder privat-rechtlicher Natur ist, für die Einordnung als "Auftrag" unerheblich ist (Urteil vom 18.01.2007 - C-220/05, Rdnr. 40; Urteil vom 20.Oktober 2005 - C-264/03, Rdnr. 36; vgl. auch schon Urteil vom 12. Juli 2001 - C-399/98, Rdnr. 73, ZfBR 2002, 286). Die entgegenstehende Entscheidung des OLG Celle NZBau 2000, 299) ist damit überholt (vgl. auch Beschluss des Senats vom 05.04.2006 - VII-Verg 7/06 - Rettungsdienst).

2.

Die Antragstellerin ist nicht deswegen mit Beanstandungen präkludiert, weil sie es entgegen § 107 Abs. 3 GWB unterlassen hätte, Vergaberechtsfehler rechtzeitig zu rügen.

Allerdings hat das OLG Bremen (Beschluss vom 18.05.2006 - Verg 3/05, VergabeR 2006, 502) die Auffassung vertreten, bei Nichtbeachtung der Rügeobliegenheit im Fall einer erkennbar unzutreffenden Wahl des Vergabeverfahrens sei der Antragsteller nach nationalem Recht nicht nur hinsichtlich dieses Vergabefehlers, sondern mit allen weiteren Beanstandungen präkludiert, die mit der Verfahrenswahl bestimmungsgemäß zusammenhängen. Im Hinblick auf die Folgen dieser Auffassung, die dem Antragsteller praktisch die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens verwehrt, hat das Oberlandesgericht Bremen dem Gerichtshof Fragen zur Vereinbarkeit dieser Auslegung mit der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. EG L 395 vom 30.12.1989, S. 33) gestellt.

Der Senat tritt dem schon im Ansatzpunkt nicht bei. Ein Auftraggeber, der sich - wie hier spätestens aus der Antwort der Antragsgegnerin vom 29.06.2006 unter Frage 29 hervorgeht - bewusst außerhalb der Vorschriften der §§ 97 ff. GWB über ein geregeltes Vergabeverfahren bewegen will und insoweit jede Verpflichtung, ein solches Vergabeverfahren durchzuführen, ablehnt, kann sich nicht mit Erfolg auf die Verletzung von Obliegenheiten durch den Bieter berufen, die nur bei einer Anwendung gerade dieser Vorschriften gelten (vgl. Heuvels in Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 107 GWB Rdnr. 22 m.w.N.; so auch Senat, Beschluss vom 19.06.2006 - VII-Verg 26/06, Umdruck Bl. 9/10 m.w.N.; Senat, Beschluss vom 18.10.2006 - VII-Verg 35/06, VergabeR 2007, 200).

3.

Es besteht auch ein Interesse der Antragstellerin an der Feststellung von Verletzungen ihrer Rechte durch die Verfahrensweise der Antragsgegnerin.

Abgesehen davon, dass Schadensersatzansprüche der Antragstellerin nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, besteht die Gefahr der Wiederholung durch die Antragsgegnerin. Sie ist weiterhin der Auffassung, bei der Vergabe von Aufträgen an Orthopädie-Schuhmacherbetriebe auch bei Überschreitung der maßgeblichen Schwellenwerte nicht an die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB gebunden zu sein. Dass die Anschubfinanzierung für den Abschluss von Verträgen im Bereich der integrierten Versorgung nach § 140d Abs. 1 S. 1 SGB V möglicherweise im Jahre 2006 ausgelaufen ist (vgl. aber die Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung), ist unerheblich, da der Abschluss derartiger Verträge weiterhin möglich bleibt.

4.

Sollte der fragliche Auftrag der Richtlinie sowie den Vorschriften der §§ 97 ff. GWB und den darauf beruhenden nationalen Vorschriften unterliegen, lägen Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften, je nach Einordnung als Dienstleistungsauftrag oder als Lieferauftrag gegebenenfalls in unterschiedlichem Umfange, vor. Wie bereits ausgeführt, schließt die Regelung des § 69 SGB V in diesem Falle die Anwendung der §§ 97 ff. GWB und der darauf beruhenden weitergehenden Vorschriften nicht grundsätzlich aus. Möglich erscheint es dem Senat allenfalls, dass - soweit die Richtlinie dies zulässt - die §§ 69, 127, 140a ff. SGB V bestimmten untergesetzlichen Vorschriften der VgV und der VOL/A vorgehen. So wäre es z.B. denkbar, dass wegen der abschließenden Bestimmung des § 69 SGB V die VOL/B entgegen § 9 Nr. 2 VOL/A nicht Vertragsbestandteil werden kann. Auch mag ein Verbot der Vergabe von Unteraufträgen - soweit nicht die Richtlinie eingreift - nach den Regeln des SGB V zulässig sein.

Ende der Entscheidung

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