Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 06.03.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 53/07
Rechtsgebiete: SGB III, GWB, VOL/A


Vorschriften:

SGB III § 102
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 107 Abs. 2
GWB § 107 Abs. 2 Satz 2
GWB § 107 Abs. 3
GWB § 107 Abs. 3 Satz 1
GWB § 128 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4
VOL/A § 8
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 1
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 2
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 20. November 2007 (VK 3-127/07) wird aufgehoben.

Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, ohne dass sie die fachliche Wertung der Angebotskonzepte der Antragstellerin und der Beigeladenen durch eine neue Prüfergruppe wiederholt hat.

Die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens vor der Vergabekammer werden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen als Gesamtschuldnern auferlegt. Sie haben außerdem die im Verfahren vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten des Antragstellers je zur Hälfte zu tragen.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 22.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb die Vergabe von Dienstleistungen im Bereich der Beruflichen Reintegration psychisch Kranker durch Training im betrieblichen Umfeld nach § 102 SGB III für das Jahr 2007 (Vergabe-Nr. 201-07-30890) aus. Den Auftragswert schätzte die Antragstellerin bei einer Teilnehmerzahl von 40 Teilnehmern über die Vertraglaufzeit von 35 Monaten (360 Teilnehmermonate) auf einen Betrag, der ca. 35% über dem Angebotspreis der Beigeladenen lag.

Nach der Bekanntmachung und den Verdingungsunterlagen sollte von den Bietern mit dem Angebot nachgewiesen werden, ob die ausgeschriebene Leistung oder vergleichbare Leistungen innerhalb der letzten drei Jahre durchgeführt wurden. Bezüglich der Vergleichbarkeit der Leistungen hieß es in den Verdingungsunterlagen unter "A.3 Darlegung der Bietereignung": "Vergleichbare Leistungen sind z. B. Maßnahmen für psychisch behinderte Menschen zur Erst- und Wiedereingliederung (SGB IX), die eine Mindestdauer von 6 Monaten aufgewiesen haben." Die Verdingungsunterlagen enthielten einen Vordruck "D.3 Erklärungen zur Bietereignung". In diesen war vom Bieter einzutragen, ob er die ausgeschriebene oder eine vergleichbare Leistung in der Vergangenheit ausgeführt hatte. Ferner waren in einen weiteren Vordruck "D.3.1 Referenzen/Nachweis der Fachkunde" die Leistungen der letzten drei Jahre, ggf. die Vergabenummer, Durchführungsjahr/Zeitraum, Durchführungsort, Teilnehmerzahl, Auftraggeber einschließlich Telefonnummer einzutragen. Angaben dazu, ob es sich bei den Leistungen um eine Einzel- oder Gruppenmaßnahme handelte, waren von den Bietern nicht verlangt.

Mit dem Angebot war von den Bietern zudem ein Konzept für die Maßnahme auszuarbeiten und einzureichen. Das Konzept sollte entsprechend der in der Bewertungsmatrix vorgegebenen Reihenfolge der Wertungskriterien innerhalb der Wertungsbereiche gegliedert werden. Der Inhalt des von den Bietern auszuarbeitenden Konzeptes sollte anhand der in der Bewertungsmatrix B.4 festgelegten Kriterien durch Punktvergabe (Null bis drei Punkte) bewertet werden. Kein Punkt wurde vergeben, wenn das Leistungsangebot nicht den Anforderungen entsprach; ein Wertungspunkt wurde erteilt, wenn das Angebot mit Einschränkungen den Anforderungen entsprach. Entsprach das Angebot den Anforderungen, sollte es zwei Wertungspunkte erhalten. War das Angebot der Zielerreichung in besonderer Weise dienlich, erhielt es drei Wertungspunkte.

Neben der Antragstellerin und der Beigeladenen gaben zehn weitere Bieter Angebote ab. Nach dem Submissionstermin am 5. September 2007 lag das Angebot der Beigeladenen mit dem niedrigsten Preis auf dem ersten Rang. Das Angebot der Antragstellerin erreichte in preislicher Hinsicht nur den sechsten Platz.

In der fachlichen Wertung erhielt das Angebotskonzept der Antragstellerin von beiden Prüfern 21 Wertungspunkte, das Angebot der Beigeladenen 18 Wertungspunkte. Das Angebot der Beigeladenen erlangte bei zwei Wertungskriterien nur einen Punkt, bei den übrigen Wertungskriterien je zwei Wertungspunkte. Es erreichte eine Kennzahl für das Preisleistungs-Verhältnis von 6,18. Das Angebot der Antragstellerin lag mit einer Kennzahl von 5,30 außerhalb des Wertungskorridors.

Mit Schreiben vom 20. September 2007 forderte die Vergabestelle die Beigeladene zur Vorlage ihrer Kalkulation auf. Die Beigeladene übersandte eine einen Gewinn ausweisende Kalkulation. Aufgrund einer telefonisch von der Beigeladenen eingeholten Erläuterung zu den Unterrichtsräumen sowie zu den Kosten für Arbeitskleidung und Bewerbungskosten gelangte die Vergabestelle zu der Einschätzung, es sei nicht davon auszugehen, dass die Leistung von der Beigeladenen nicht ordnungsgemäß erbracht werden könne.

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, ihr Angebot sei nicht das wirtschaftlichste. Der Zuschlag solle der Beigeladenen erteilt werden.

Der Geschäftsführer der Antragstellerin rügte die beabsichtigte Auftragsvergabe unter dem 9. Oktober 2007 in einem Telefonat gegenüber der Vergabestelle als vergaberechtsfehlerhaft, da nach der fachlichen Bewertung das Konzept der Antragstellerin als das Beste bewertet worden sei. Ferner rügte er, der Angebotspreis der Beigeladenen unterschreite den Schätzpreis der Ausschreibung um 20 %.

Danach stellte die Antragstellerin einen auf Untersagung der Zuschlagserteilung gerichteten Nachprüfungsantrag. Gleichzeitig übersandte sie der Antragsgegnerin ein Rügeschreiben. Die Vergabestelle der Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab.

Mit Beschluss vom 20. November 2007 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Sie führte aus, die Beigeladene sei fachlich geeignet, ihr Angebotspreis nicht unauskömmlich. Sie vermochte ferner Fehler bei der fachlichen Wertung der Angebotskonzepte der Antragstellerin und der Beigeladenen nicht festzustellen.

Mit der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie trägt im Wesentlichen vor: Bieter, die wie die Beigeladene überwiegend nur Gruppenmaßnahmen durchgeführt hätten, seien nicht als fachkundig anzusehen. Nur derjenige sei zur Maßnahmedurchführung geeignet, der in der Vergangenheit individuelle Maßnahmen mit individualisierten Betreuungen von Rehabilitanden durchgeführt habe. Der Angebotspreis der Beigeladenen liege um die Hälfte unter den von der Antragsgegnerin kalkulierten voraussichtlichen Kosten. Die fachliche Wertung sei fehlerhaft. Ihr Angebot habe eine bessere Bewertung verdient. Dasjenige der Beigeladenen sei zu gut bewertet worden.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, die Prüfung und Wertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats zu wiederholen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Beschwerdebegehren entgegen. Sie verteidigen die Entscheidung der Vergabekammer.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen, die Vergabeakten und die Verfahrensakten der Vergabekammer Bezug genommen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Das Interesse am Erhalt des Auftrags hat sie durch die Abgabe eines Angebots ausreichend dokumentiert. Sie hat zudem geltend gemacht, in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt zu sein. Dabei kann offen bleiben, ob § 25 Nr. 2 Abs. 2 und 3 VOL/A bieterschützenden Charakter hat. Die Antragstellerin hat nicht nur eine Verletzung dieser Vorschriften gerügt, sondern daneben auch eine fehlerhafte fachliche Bewertung ihres Angebotskonzeptes dargelegt, die sie in Bieterrechten verletzt. Nach § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ist zudem darzulegen, dass dem antragstellenden Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Dem ist die Antragstellerin nachgekommen. Schaden droht insoweit, als durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten auf den Zuschlag verschlechtert werden. Da die Antragstellerin nach Abschluss der fachlichen Wertung unmittelbar hinter der Beigeladenen liegt, deren Ausschluss vom Vergabeverfahren sie begehrt, ist eine Beeinträchtigung der Zuschlagschancen zu bejahen.

b) Die Antragstellerin ist ihrer Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB rechtzeitig nachgekommen. Eine mündliche Rüge genügt. § 107 Abs. 3 GWB verlangt für die Rüge keine Schriftform (vgl. Senat, Beschl. v. 31.10.2007, VII-Verg 24/07, Umdruck S. 7). Die Antragstellerin hat nach Zugang des Bieterinformationsschreibens vom 4. Oktober 2007 telefonisch am 9. Oktober 2007 die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung gegenüber der Vergabestelle als vergaberechtsfehlerhaft gerügt und konkrete Beanstandungen erhoben. Dies ist in der Vergabeakte dokumentiert.

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

a) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht von der Wertung auszuschließen.

aa) Die Beigeladene ist nicht mangels Fachkunde in Bezug auf die ausgeschriebene Maßnahme vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die Eignungsprüfung hat sich gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A 2006 darauf zu erstrecken, ob die Bieter die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen.

Nach den Verdingungsunterlagen unter A.3 "Darlegung der Bietereignung" war vorgesehen:

"Der Nachweis der Fachkunde ist erbracht, wenn die ausgeschriebene Leistung oder vergleichbare Leistungen innerhalb der letzten drei Jahre durchgeführt wurden. Vergleichbare Leistungen sind z.B. Maßnahmen für psychisch behinderte Menschen zur Erst- und Wiedereingliederung (SGB IX), die eine Mindestdauer von sechs Monaten aufgewiesen haben."

Schon nach dem Wortlaut der Anforderung sind "vergleichbare Leistungen" nicht solche Leistungen, die mit der ausgeschriebenen Leistung identisch sind. Vergleichbar (oder gleichartig) ist eine Leistung bereits dann, wenn sie der ausgeschriebenen Leistung nahe kommt und ihr ähnelt (vgl. OLG Frankfurt am Main, NZBau 2007, 468, 469). Die Anforderung "vergleichbare Leistungen" ist nicht unklar im Sinne des § 8 VOL/A. Es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Auslegung fähig ist. Den Verdingungsunterlagen ist zu entnehmen, dass beispielsweise Maßnahmen zur Erst- und Wiedereingliederung psychisch kranker Menschen nach dem SGB IX als gleichwertig angesehen werden.

Der Begriff der Fachkunde verlangt eine objektiv erforderliche Eignung zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Auftrags. Die innere Rechtfertigung für das Abstellen auf vergleichbare Maßnahmen ist darin zu sehen, dass auch Neueinsteiger bei der Durchführung von Maßnahmen der beruflichen Reintegration psychisch Kranker durch Training im betrieblichen Umfeld nach § 102 SGB III eine Chance auf den Zuschlag erhalten sollen. Im Hinblick auf das Wettbewerbsprinzip und die Berücksichtigung auch von newcomern hat der Auftraggeber dabei eine Abwägung zwischen einer möglichst großen Auswahl von Angeboten, verbunden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für ein günstiges wirtschaftliches Angebot, und der Gefahr einer nicht ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrags im konkreten Fall vorzunehmen (vgl. OLG Frankfurt a.M., NZBau 2007, 468, 469). Im Streitfall wäre es nur einem einzigen Bieter möglich gewesen, ein Angebot abzugeben, nämlich der Antragstellerin, wenn ausschließlich Erfahrungen mit der ausgeschriebenen Leistung verlangt worden wären.

Aus den Anforderungen in den Verdingungsunterlagen Teil A.3. lässt sich ferner nicht ablesen, dass als vergleichbare Leistungen nur Maßnahmen mit teilnehmerindividuell zugeschnittenem Betreuungsinhalt statt Gruppenmaßnahmen verlangt sind. Die Verdingungsunterlagen schweigen darüber, was als Gruppenmaßnahme und was als individuelle Maßnahme anzusehen ist. Aus dem Schweigen ist eine Anforderung "Maßnahme mit teilnehmerindividuellem Betreuungsinhalt" nicht zu entnehmen. Der Umstand, dass es sich - wie die Antragstellerin geltend macht - bei der ausgeschriebenen Leistung um eine Maßnahme mit teilnehmerindividueller Betreuung handeln soll, verlangt nicht, dass es sich bei vergleichbaren Leistungen ebenfalls um derartige Maßnahmen handeln muss. Es bestehen ohnehin Zweifel daran, ob es sich bei der ausgeschriebenen Leistung tatsächlich um eine reine Individualmaßnahme handelt. Den Verdingungsunterlagen ist nur zu entnehmen, dass ein individueller Förderplan und Einzelgespräche zur Feststellung des individuellen Förderbedarfs geführt werden sollen. Das allein macht die ausgeschriebene Leistung, die für 40 Teilnehmer vorgesehen ist, aber nicht zu einer Einzelmaßnahme, sondern enthält nur Elemente einer Individualbetreuung, ohne dass eine gruppenmäßige Betreuung ausgeschlossen ist.

Ihre fachliche Qualifikation hat die Beigeladene nachgewiesen. Sie hat - wie unstreitig ist - zwei Mal Gruppenmaßnahmen für psychisch behinderte Menschen in der Vergangenheit durchgeführt und zwar für eine Dauer von mehr als 6 Monaten. Ausweislich eines Vermerks der Vergabestelle vom 10. September 2007 hat die Beigeladene für die Antragsgegnerin die Maßnahme "Job & Co." (Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt mit psychosozialer Begleitung) seit 2001 durchgeführt.

bb) Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Vergabestelle habe ihre Pflicht, ungewöhnlich niedrige Angebote auf ihre Auskömmlichkeit zu überprüfen, verletzt. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A sieht vor, dass der Auftraggeber die Einzelposten des Angebotes vor der Vergabe überprüft, wenn das Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich erscheint. Die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers ein auf erste Sicht ungewöhnlich niedrig erscheinendes Angebot zu überprüfen, hat zwar bieterschützenden Charakter. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A entfaltet diese Wirkung aber nicht zugunsten des Antragstellers, sondern nur zugunsten desjenigen Bieters, dessen Angebot wegen Unauskömmlichkeit des Preise von einem Ausschluss bedroht ist. Unterlässt der Auftraggeber eine Prüfung, kann nur der vom Ausschluss seines Angebots betroffene Bieter im Nachprüfungsverfahren erzwingen, dass das Vergabeverfahren in den Stand zurückversetzt wird, in dem der Auftraggeber diese Prüfung nachholen kann. Aufgrund der Beschwerde des Antragstellers kann die Auskömmlichkeit der Kalkulation des Beigeladenen dagegen nicht Gegenstand einer Überprüfung werden (vgl. Senat, Beschl. v. 28.9.2006, VII-Verg 49/06, Umdruck S. 5). Im Übrigen hat die Vergabestelle eine Überprüfung der Auskömmlichkeit des Angebotspreises der Beigeladenen anhand der Einzelpositionen der Kalkulation vorgenommen.

Das Angebot der Beigeladenen ist auch nicht wegen eines Missverhältnisses zwischen dem von der Beigeladenen angebotenen Preis und der zu erbringenden Leistung gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A auszuschließen. Nach § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A darf auf ein Angebot, dessen Preis in einem offenbaren Missverhältnis zu der angebotenen Leistung steht, der Zuschlag nicht erteilt werden. Die Vorschrift soll in erster Linie den Auftraggeber davor schützen, einen Auftragnehmer zu beauftragen, der die Leistung nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erbringen kann. In welchen Fällen § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A bieterschützenden Charakter aufweist, kann im Streitfall offen bleiben. Ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Angebotspreis der Beigeladenen und der Leistung kann nicht festgestellt werden. Der Angebotspreis der Beigeladenen ist zwar niedrig und unterschreitet auch die Kostenschätzung der Vergabestelle, er ist aber kostendeckend. Alle nach der Erfahrung der Vergabestelle notwendigen und regelmäßig anfallenden Kostenpositionen wurden in die Kalkulation einbezogen. Die Kalkulation weist sogar einen Gewinnanteil aus. Nach den stichhaltigen Feststellungen der Vergabestelle zur Kostendeckung der Kalkulation des Angebotspreises der Beigeladenen ist weder wahrscheinlich noch anzunehmen, dass die Beigeladene wegen einer Unterkostenkalkulation voraussichtlich gezwungen sein wird, die Auftragsdurchführung abzubrechen. Da die Beigeladene keine Unterkostenpreise anbietet, ist auch keine Absicht festzustellen, den Antragsteller mittels (nicht feststellbarer) Unterkostenpreise gezielt vom einschlägigen Markt fernzuhalten.

b) Die fachlichen Wertungen der Angebotskonzepte der Antragstellerin wie auch der Beigeladenen sind jedoch ausweislich der dokumentierten Begründungen bei der Vergabe von zwei Wertungspunkten fehlerhaft. Der Vergabestelle ist bei der Prüfung, ob das Angebotskonzept nach seinem Inhalt den durch die Bewertungsmatrix aufgestellten Einzelvorgaben entspricht, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Bei der Vergabe von Wertungspunkten ist ihr darüber hinaus ein Ermessen (bei der vorliegenden Ausschreibung null bis drei Punkte) zuzuerkennen, das heißt, es sind innerhalb einer Bandbreite vertretbarer Beurteilungen auch unterschiedliche Wertungen hinzunehmen. Der Antragstellerin steht dabei nicht zu, eine eigene Beurteilung und eigenes Ermessen an die Stelle einer Betätigung von Beurteilungsspielraum und Ermessen der Vergabestelle zu setzen. Der durch den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB) gebotenen gleichförmigen Bewertung der Angebotskonzepte hat die Vergabestelle im Übrigen dadurch entsprochen, dass die zu einem bestimmten Los eingegangenen Bieterangebote von ein und derselben Prüfergruppe bewertet worden sind.

aa) Die Bewertung des Angebots der Beigeladenen mit zwei Wertungspunkten in den Wertungskriterien B.4.1.2. und B.4.3.4. wird aber von den in der Bewertungsbogen vermerkten Begründungen nicht getragen. Beim Wertungskriterium B.4.1.2. im Wertungsbereich B.4.1. "Integrationsstrategie" sollte das von einem "Newcomer" erarbeitende Betreuungskonzept unter anderem darstellen, wie der Bieter die Verankerung/Vernetzung kurzfristig bis zum Beginn der Maßnahme erreichen wird, wenn eine Verankerung und Vernetzung noch nicht besteht oder wesentliche Änderungen beabsichtigt sind. Ferner sollten von anderen Bietern Verankerung und Vernetzung im regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sowie Art und Umfang der Zusammenarbeit mit den Betrieben und sonstigen für die Integration maßgeblichen Stellen am Maßnahmeort beschrieben werden. Diese Differenzierung des Wertungskriteriums B.4.1.2. ist sachgerecht und nicht als fehlerhaft zu beanstanden.

Im Bewertungsbogen hat die Prüferin zur Rechtfertigung der Vergabe von zwei Wertungspunkten beim Wertungskriterium 4.1.2. zu den Konzeptausführungen vermerkt: "Sehr allgemein gehalten. Art und Umfang der Zusammenarbeit ist nicht erkennbar." Diese negative Begründung trägt die Vergabe von zwei Wertungspunkten nicht. Die Begründung lässt nicht erkennen, ob die Beigeladene von den Prüfern als eine "Newcomerin" eingestuft wurde oder ob sie aus Sicht der Prüfer aufgrund ihrer bisherigen Befassung mit Gruppenmaßnahmen schon über eine gewisse Verankerung oder Vernetzung im regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verfügt, die in Bezug auf die konkret auszuführende Maßnahme noch ausgebaut werden soll. Die Bemerkungen lassen nur erkennen, dass das Angebotskonzept der Beigeladenen die Anforderungen an die Darstellung der vorhandenen und noch auszubauenden Verankerung und Vernetzung nicht erfüllt hat ("sehr allgemein gehalten"). Auch die schon bestehende und noch weiter zu vertiefende Zusammenarbeit mit den Betrieben ist nach Auffassung des Prüfers im Konzept nicht ausreichend beschrieben worden ("Art und Umfang der Zusammenarbeit nicht erkennbar"). Damit stellt sich die unbeantwortet gebliebene Frage, weshalb angesichts dieser Begründung nicht eine Bewertung mit nur einem Wertungspunkt oder null Punkten erfolgt ist.

Beim Wertungskriterium B.4.3.4 sollte das Angebotskonzept Folgendes aufweisen:

"Beschreiben Sie Ihr Vorgehen, wenn bei einem Teilnehmer zum Ende der Vorbereitungsphase noch deutliche Problemstellungen bei der Stress- und Konfliktbewältigung im Rahmen der arbeitsalltäglichen Abläufe erkennbar sind."

Die Prüferin hat für die Vergabe von zwei Wertungspunkten vermerkt: "Überprüfung der Zielerreichbarkeit wird nicht genannt." Die dokumentierte Begründung lässt für die Vergabe von zwei Wertungspunkten nicht deutlich werden, ob mit ihr nur zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass die Voraussetzungen für die Vergabe von drei Wertungspunkten nicht vorliegen, weil der Zielerreichung nicht in besonderer Weise dienlich, die Vergabe von zwei Wertungspunkten aber gerechtfertigt ist. Die ausschließlich negative Begründung rechtfertigt aber ebenso wenig die Vergabe von zwei Wertungspunkten. Sie lässt nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Bewertung des Angebotskonzepts mit einem Wertungspunkt oder null Punkten geboten gewesen sein kann.

Die Antragsgegnerin kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, nicht verpflichtet gewesen zu sein, die Vergabe von zwei Wertungspunkten zu begründen, deshalb sei unerheblich, mit welcher Begründung im Streitfall zwei Wertungspunkte vergeben worden seien. Im Streitfall ist allein ausschlaggebend, dass Begründungen dokumentiert sind, die die Bewertung des Angebotskonzepts der Beigeladenen mit zwei Wertungspunkten nicht rechtfertigen.

Allerdings hat der Senat mit Beschluss vom 23. November 2005 (VII-Verg 66/05, Umdruck S. 17) und mit Beschluss vom 22. Juni 2006 (VII-Verg 2/06, Umdruck S. 12) entschieden, dass der Antragsteller nicht in Rechten verletzt wird, wenn die Gründe für die Zuteilung von zwei Wertungspunkten nicht oder nur unzureichend dokumentiert sind. Diese Rechtsprechung des Senats ist nicht dahin misszuverstehen, dass für die Bewertung mit zwei Wertungspunkten die Angabe einer Begründung generell nicht erforderlich sei. Dazu ist zu bemerken: Der öffentliche Auftraggeber ist, wenn er eine Begründung nicht dokumentiert hat, auf den Angriff des Antragstellers gegen die Wertung im Nachprüfungsverfahren nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast gehalten, die Wertung nachvollziehbar darzulegen. Inhaltslose oder formelhafte Begründungen genügen nicht. Im Streitfall hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Bewertung des Angebotskonzepts der Beigeladenen mit zwei Wertungspunkten gerechtfertigt sein kann.

bb) Nach diesen Maßstäben stellt sich auch die Punktbewertung des Angebotskonzepts der Antragstellerin als fehlerhaft dar. Die im Wertungsbogen dokumentierten Begründungen rechtfertigen die Bewertung mit nur zwei Wertungspunkten bei fast allen Teilwertungen nicht. Sie heben ausschließlich positive Aspekte des Betreuungskonzeptes der Antragstellerin hervor, und es stellt sich daher die Frage, weshalb bei den Wertungskriterien der Wertungsbereiche Integrationsstrategie, Akquise und Organisations- und Durchführungsqualität nicht ebenfalls je drei Wertungspunkte vergeben worden sind.

c) Die Fehlerhaftigkeit der fachlichen Wertung der Angebotskonzepte der Antragstellerin und der Beigeladenen hat zur Folge, dass der Antragsgegnerin zu untersagen ist, einen Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragsgegnerin hat Ermessen zu entscheiden, wie sie weiter verfahren will. Bei der gegebenen Sachlage kann angeraten erscheinen, die fachliche Wertung der Angebote von zwei neuen Prüfern wiederholen zu lassen.

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung für das Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3, Abs. 4 GWB. Da die Antragsgegnerin mit ihrem Begehren, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen, unterlegen ist und die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer Stellung genommen hat, haben sie als Gesamtschuldner die Gebühren und Auslagen der Vergabekammer zu tragen. Hinsichtlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin haften sie als Teilschuldner.

Für das Beschwerdeverfahren stützt sich die Kostenentscheidung auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO analog. Da die Beigeladene unterlegen ist, ist sie auch an den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu beteiligen. Ein Beigeladener ist kostenrechtlich wie der Antragsteller oder Antragsgegner zu behandeln, wenn er die durch die Beiladung begründete Stellung im Beschwerdeverfahren nutzt, indem er sich an diesem Verfahren beteiligt (vgl. BGHZ 158, 43, 59; vgl. BGH, Urt. v. 26.9.2006, X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 70). Die Beigeladene hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, und sie hat schriftsätzlich Stellung genommen.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 50 Abs. 2 GKG analog.

Ende der Entscheidung

Zurück