Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 06.06.2007
Aktenzeichen: VII-Verg 8/07
Rechtsgebiete: GWB, VOB/A, VOL/B, VOB/B, VOL/A


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 5
GWB § 98 Nr. 1
GWB § 98 Nr. 2
GWB § 107 Abs. 2 S. 1
GWB § 128 Abs. 3 S. 2
VOB/A § 8 Nr. 3 Abs. 1 lit. a
VOB/A § 8 Nr. 3 Abs. 4
VOB/A § 8 Nr. 4
VOB/A § 17 Nr. 1 Abs. 2 lit. s
VOB/A § 21 Nr. 1 Satz 2 a.F.
VOB/A § 24 Abs. 1 Nr. 1
VOB/A § 25 Nr. 1
VOB/A § 25 Nr. 3 Absatz 1
VOL/B § 25 Nr. 2 Abs. 1
VOB/B § 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 2
VOB/B § 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 3
VOL/A § 7a Nr. 5 a.F.
VOL/A § 7a Nr. 5 Abs. 2 Unterabsatz 1
VOL/A § 7a Nr. 5 Abs. 2 Unterabsatz 2 n.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zu 1. wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 19. März 2007, VK- 3/007-B insoweit aufgehoben, als der Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen worden ist.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, in dem mit Bekanntmachung 2006/S 187-198518 eingeleiteten Vergabeverfahren den Zuschlag nicht auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

Die Gebühren und Auslagen der Vergabekammer tragen die Antragsgegnerin, des weiteren zu 20 % die Antragstellerin zu 2. und zu 40 % die frühere Beigeladene. Soweit sie danach auf gemeinsame Prozentsätze haften, haften sie als Gesamtschuldner.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragstellerin zu 1. vor der Vergabekammer tragen die Antragstellerin zu 2. zu 20 %, die Antragsgegnerin und die frühere Beigeladene zu je 40 %. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragstellerin zu 2. vor der Vergabekammer tragen sie zu 20 % selbst, die Antragsgegnerin und die frühere Beigeladene zu je 40 %.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu 1. tragen die Antragstellerin zu 2. und die Antragsgegnerin.

Gründe:

Die Antragsgegnerin schrieb im Offenen Verfahren die Baumaßnahme E., Bau eines Abwasserkanals einschließlich Regenwasserbehandlung von km 58,0 bis km 68,02 in D., Bauabschnitt 2.1 aus. In der Vergabebekanntmachung waren unter der Überschrift "III.2.1) Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers sowie Auflagen hinsichtlich der Eintragung in einem Berufs- oder Handelsregister - Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen: Der Bieter hat seine Eignung (Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit) nachzuweisen. Hierzu hat der Bieter Angaben zu machen über" bestimmte Angaben und Nachweise genannt, jedoch ohne einen Zeitpunkt, bis zu dem sie einzureichen waren. In den Verdingungsunterlagen hieß es dazu auf dem Formblatt "Ans-B 3": "Folgende Nachweise sollen mit Abgabe des Angebotes eingereicht werden: ...".

Neben der Antragstellerin zu 1. beteiligten sich die frühere Antragstellerin zu 2. und jetzige Beigeladene und die - am Vergabenachprüfungsverfahren als Beigeladene beteiligte - Bietergemeinschaft G../I.. sowie weitere Unternehmen an dem Vergabeverfahren.

Das Angebot der Antragstellerin zu 1. enthielt zumindest teilweise die geforderten Angaben und Unterlagen.

Dem Angebot der früheren Antragstellerin zu 2. waren lediglich eine "Eigenerklärung gemäß Ziffer 3.2 des Runderlasses des Innenministeriums NRW vom 26.04.2005", eine Urkunde zur Verleihung des Gütezeichens Kanalbau und eine Versicherungsbestätigung beigefügt. Weitere Unterlagen wurden nach Ablauf der Angebotsfrist auf Aufforderung nachgereicht.

Am 16. Januar 2007 informierte die Antragsgegnerin die Bieter, dass eine Auftragsvergabe an die Bietergemeinschaft G../I.. beabsichtigt sei.

Dagegen wandten sich die Antragstellerin zu 1. und 2. mit Rügen und einem Nachprüfungsantrag. Sie begehrten die Neubewertung der Angebote unter Ausschluss der Bietergemeinschaft G../I... Die Antragstellerin zu 1. begehrte darüber hinaus den Ausschluss der Antragstellerin zu 2., weil deren Angebot die geforderten Angaben und Unterlagen nicht beigefügt gewesen seien.

Die Vergabekammer hat das Angebot der Bietergemeinschaft G../I.. auf den Antrag der beiden Antragstellerinnen hin von der Bewertung ausgeschlossen, weil sie keine Referenzliste für Arbeiten im Druckluftvortrieb eingereicht habe; insoweit ist die Entscheidung bestandskräftig. Den weitergehenden Antrag der Antragstellerin zu 1. auf Ausschluss auch der Antragstellerin zu 2. wies sie jedoch zurück. Die geforderten Erklärungen und Nachweise hätten nicht innerhalb der Angebotsfrist eingereicht werden müssen. Die Vergabebekanntmachung, die zum Zeitpunkt der Einreichung keine ausdrücklichen Angaben enthalte, sei zwar so auszulegen, dass sie die Einreichung innerhalb der Angebotsfrist verlange. Die Antragsgegnerin habe diese Anforderung aber nachträglich dadurch verunklart, dass sie keine klare Ausschlussfrist angeordnet, sondern nur gefordert haben, dass die Angaben und Nachweise innerhalb der Angebotsfrist eingereicht werden "soll[t]en".

Gegen diese Entscheidung, soweit ihr nachteilig, wendet sich die Antragstellerin zu 1. Sie ist weiterhin der Auffassung, bereits die Bekanntmachung, aber auch die Verdingungsunterlagen selbst verlangten eindeutig eine Einreichung innerhalb der Angebotsfrist. Das Wort "sollen" sei in diesem Zusammenhang als "müssen" zu verstehen gewesen. Sie beantragt daher,

1. die Entscheidung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 19. März 2007, soweit sie von ihr beschwert sei, aufzuheben,

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der W... GmbH & Co. KG vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen.

3. hilfsweise, die Vergabekammer unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie halten die Auslegung der Verdingungsunterlagen durch die Vergabekammer für richtig.

Im Übrigen meint die Antragsgegnerin, die Antragstellerin zu 1. selbst habe die verlangten Angaben nicht ordnungsgemäß erbracht. Die Angaben der Mitglieder der Bietergemeinschaft E... über den Umsatz der letzten fünf Jahre bezögen sich nicht - wie verlangt - auf vergleichbare Leistungen. D... habe keine Angaben zu Kontaktpersonen und Leistungsanteilen für die Referenzobjekte genannt. Des Weiteren sei das Angebot der Antragstellerin zu 1. überhöht. Schließlich hat sie angekündigt, wegen hervorgetretener Unklarheiten bei der Ausschreibung zu den verlangten Eignungsangaben und -nachweisen aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Akten Bezug genommen.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zu 1. hat Erfolg.

1.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu 1. ist zulässig, § 107 Abs. 2 S. 1 GWB. Sie hat ersichtlich ein Interesse am Auftrag und macht eine Verletzung ihrer Rechte geltend. Durch die beanstandete Rechtsverletzung (Zulassung der Antragstellerin zu 2. und Beigeladenen) werden ihre Chancen als Bieterin beeinträchtigt. Die Auffassung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin zu 1. sei durch die Entscheidung der Vergabekammer nicht beschwert, trifft somit nicht zu.

Dass ihr - der Antragstellerin zu 1. - Angebot - so die Antragsgegnerin - aus anderen Gründen auszuschließen sei, beeinträchtigt die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nicht (BGH NZBau 2004, 457, 458).

2.

Dass die Antragsgegnerin "öffentliche Auftraggeberin" im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB ist, steht nicht im Streit. Nach dem Emschergenossenschaftsgesetz ist sie zu einem im Allgemeininteresse liegenden besonderen Zweck nicht gewerblicher Art gegründet worden und wird von ihren Mitgliedern, hauptsächlich Gebietskörperschaften im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB, überwiegend finanziert (§§ 5, 24 des Gesetzes). Ob sie darüber hinaus auch im Sinne des Nr. 2, 2. Alt. GWB der Aufsicht des Staates unterliegt, kann daher dahin gestellt bleiben.

Auch die übrigen Voraussetzungen eines über dem Schwellenwert liegenden öffentlichen Auftrags liegen ersichtlich vor.

3.

Zu Recht beanstandet die Antragstellerin zu 1., dass das Angebot der Antragstellerin zu 2. und Beigeladenen nicht ausgeschlossen worden ist, obwohl letztere unstreitig die notwendigen Unterlagen zur Darlegung der Eignung bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht eingereicht hat.

a) Soweit allerdings die Vergabekammer annimmt, mangels besonderer Angaben seien Eignungsangaben und -nachweise bis zum Ende der Angebotsfrist einzureichen, trifft dies nicht zu.

Die Richtlinie 2004/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge enthält in Art. 44 Abs. 2, Art. 47 ff. zum Zeitpunkt, bis zu dem die Unterlagen einzureichen sind, keine Vorschriften. Nach Art. 51 kann der Auftraggeber den Bieter zwar auffordern, Bescheinigungen und Dokumente zu vervollständigen oder zu erläutern, was erst nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgen kann, besagt aber nichts zu der Frage, ob die Bescheinigungen und Dokumente - die dann vervollständigt oder erläutert werden können - bereits in der Zeit bis zum Ablauf der Angebotsfrist eingereicht sein müssen oder nicht.

Die VOB/A verhält sich in § 17 Nr. 1 Abs. 2 lit. s) gleichfalls nicht zu diesem Punkt. Eine Regelung enthält nur § 8 Nr. 3 Abs. 4 VOB/A: S. 1 der Vorschrift überlässt es bei Öffentlicher Ausschreibung - wie sie hier vorliegt - der Vergabestelle, ob sie mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe die Vorlage mit dem Angebot verlangt oder sich deren spätere Anforderung vorbehält (anders S. 2 bei beschränkter ausschreibung nach Öffentlichem Teilnahmewettbewerb, wo sie mit dem Teilnahmeantrag vorgelegt werden müssen, vgl. auch § 8 Nr. 4).

b) Die Vergabestelle hat jedoch - anders als die Vergabekammer meint - in ihrer Aufforderung zur Abgabe eines Angebots hinreichend deutlich vorgeschrieben, dass die Eignungsnachweise mit dem Angebot vorzulegen sind.

aa) Wie bereits unter a) dargelegt, kann der Zeitpunkt der Vorlage als Konkretisierung der Angaben in der Vergabebekanntmachung noch in dem Aufforderungsschreiben erfolgen.

bb) Entgegen der Auffassung der Vergabekammer ergibt sich aus der Formulierung "Folgende Nachweise sollen mit Abgabe des Angebotes eingereicht werden: ..." hinreichend deutlich, dass die Angaben mit dem Angebot einzureichen waren. Die Formulierung entspricht § 21 Nr. 1 Satz 2 VOB/A a.F. (= § 21 Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 VOB/A n.F.), wonach die Angebote "die Preise und die geforderten Erklärungen enthalten [sollen]". Dennoch wird die Vorschrift so ausgelegt, dass das Angebot bei Nichterfüllung zwingend auszuschließen ist (BGH NZBau 2003, 293). Grund dafür ist, dass eine Rechtspflicht des Bieters zur Vorlage nicht besteht; es steht ihm frei, ob er ein Angebot einreicht und welche Angaben er dabei macht (BGH, a.a.O.). Folge eines mangelhaften Angebots ist "nur" der Ausschluss des Angebots von der Wertung. Zivilrechtlich handelt es sich damit um eine Obliegenheit (vgl. Heinrichs, in Palandt, BGB, 67. Aufl., Einf vor § 241 Rdnr. 11).

Eine Auslegung von "sollen" im verwaltungsrechtlichen Sprachgebrauch ergäbe keinen Sinn. "Soll" eine Behörde etwas tun, hat die Behörde dies im Allgemeinen zu tun, kann aber in bestimmten Ausnahmefällen davon abweichen. Im Regelfall ist eine Abweichung von einer Soll-Vorschrift daher rechtswidrig. Auf das Verhalten eines Privaten, der nach dem oben Gesagten rechtlich zu nichts verpflichtet ist, lassen sich diese Grundsätze von vornherein nicht übertragen.

Allerdings muss ersichtlich sein, dass die Unterlagen "verlangt" werden und sich deren Vorlage nicht nur positiv auf eine Bewertung auswirken kann. Daran konnte in diesem Fall jedoch bereits nach der Bekanntmachung keinen Zweifel bestehen. Sie lautete wie folgt:

Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen: Der Bieter hat seine Eignung (Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit) nachzuweisen. Hierzu hat der Bieter Angaben zu machen über:

Damit stimmt § 17 Nr. 1 Abs. 2 lit. s) VOB/A überein, wonach in der Bekanntmachung die "verlangte(n] Nachweise für die Beurteilung der Eignung der Bieter" (Unterstreichung durch den Senat) anzugeben sind.

Die von Antragsgegnerin zitierte Entscheidung des Senats vom 27.07.2005 (Verg 108/04) bezieht sich auf eine Fallgestaltung, in der unklar war, ob die Vergabestelle die Referenzliste tatsächlich "verlangt" hat oder eine - dem Bieter freigestellte - Vorlage sich nur positiv bei der Bewertung auswirken konnte.

Die Antragsgegnerin macht geltend, sie habe mit dieser Formulierung bewusst die negativen Folgen der Rechtsprechung u.a. des Senats verhindern wollen, die durch den Ausschluss von - ansonsten geeigneten und preisgünstigen - Bietern allein wegen formaler Mängel entstanden seien, und sich lediglich vorbehalten wollen, nur bei den in die engere Wahl gezogenen Bietern die entsprechenden Nachweise zu fordern, wobei dann eine geringere Zahl von Fehlern auftrete. Es mag sein, dass die Antragsgegnerin von diesem Verständnis ausgegangen ist, wofür spricht, dass sie die Antragstellerin zu 2. und die frühere Beigeladene zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert hat. Dieses Verständnis hat aber - wie ausgeführt - im objektiv auszulegenden Text des Aufforderungsschreibens keinen Ausdruck gefunden.

c) Unstreitig hat die Antragstellerin zu 2. und Beigeladene zu den Punkten a) bis h) der Bekanntmachung (= a), c) - i) der Aufforderungsschreibens) überhaupt keine Unterlagen - sieht man von einer Versicherungsbestätigung ab - bis zum Ablauf der Abgabefrist eingereicht.

Dies führt nach der im Ergebnis übereinstimmenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zum zwingenden Ausschluss der Antragstellerin zu 2.. Die Tatsache, dass sich diese Rechtsfolge nach der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte (s. OLG Naumburg, Beschluss vom 26.02.2004 - 1 Verg 17/03; OLG Schleswig, Beschluss vom 22.06.2006 - 1 Verg 5/06; OLG Dresden, Beschluss vom 17.10.2006 - Wverg 15/06 m.w.N.) aus § 25 Nr. 1 VOB/A ergibt, während dies nach der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 09.06.2004 - VII-Verg 11/04; vom 05.05.2003 - Verg 20/03; vom 01.02.2006 - VII-Verg 38/05) aus § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/B folgt, ist unerheblich.

Aus Art. 51 der Richtlinie ergibt sich nichts anderes. Unabhängig davon, dass diese Vorschrift im nationalen Recht bisher nur in § 7a Nr. 5 VOL/A a.F. und nunmehr - jedenfalls nach der Systematik nur Unterlagen hinsichtlich des Umweltmanagements im Sinne des § 7a Nr. 5 Abs. 2 Unterabsatz 1 VOL/A betreffend - in § 7a Nr. 5 Abs. 2 Unterabsatz 2 VOL/A n.F. umgesetzt worden ist, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Richtlinienvorschrift nicht vor. Sie setzt voraus, dass der Bieter überhaupt Unterlagen vorgelegt hat. Daran fehlt es aber hier gerade. Sie kann - ebenso wie § 24 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A - vom Auftraggeber nicht herangezogen werden, um vollständig fehlende Unterlagen vom Bieter anzufordern.

4.

Die von der Antragsgegnerin nunmehr geltend gemachten Mängel des Angebots der Antragstellerin zu 1. führen nicht zum Ausschluss dieses Angebots.

a) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sind die von der Bietergemeinschaft vorgelegten Unterlagen vollständig.

aa) Fa. E...

Das Blatt "Umsätze" mag als solches nicht sehr aussagekräftig sein, weil dort nur die Umsatzzahlen mitgeteilt werden, ohne nähere Angaben dazu, worauf sich diese beziehen. Allerdings ist die Fa. E...ausweislich ihres Briefkopfs schwerpunktmäßig im "Rohrvortrieb" tätig. Hinzu kommt, dass insoweit eine umfangreiche Referenzliste vorgelegt wurde, aus der sich der Zeitraum, das Auftragsvolumen sowie Angaben über die technische Durchführung (insbesondere darüber, ob der Auftrag - was von der Vergabekammer als wesentlich angesehen wurde - mit Druckluftvortrieb durchgeführt wurde) ergeben.

bb) Fa. K...

Insoweit fehlt ein Aufstellung unter der Überschrift "Umsätze" vollständig. Jedoch hat auch die Fa. K... eine Aufstellung mit Referenzen vorgelegt, aus der sich Auftragssumme, Zeitraum und Art der Arbeit näher ergeben. Auch daraus lassen sich die Umsatzzahlen ermitteln.

Anzumerken ist allerdings, dass sich Arbeiten mit Druckluftvortrieb darunter nicht befinden (so auch ausdrücklich letztes Blatt der Referenzliste). Jedoch reicht es aus, wenn ein Mitglied der Bietergemeinschaft die Spezialaufgaben durchführen kann und insoweit Referenzen vorlegt. Es ist gerade Sinn und Zweck einer Bietergemeinschaft, unterschiedliche Schwerpunkte mit dementsprechend unterschiedlichen Erfahrungen und Befähigungen von Unternehmen für einen Gesamtauftrag zusammenzuführen (ebenso: OLG Naumburg, Beschl. v. 30.04.2007 - 1Verg1/07).

cc) Fa. D...

Die Antragsgegnerin beanstandet insoweit das Fehlen einer Referenzliste, in der die Ansprechpartner genannt sind. Die Antragstellerin zu 1. hat allerdings in der Referenzliste Probjekte aufgeführt, von denen nach den unangefochtenen Feststellungen der Vergabekammer sowie den Erklärungen der Antragstellerin zu 1. im Termin vor dem Senat zumindest ein Teil solche der Antragsgegnerin waren. Damit war klar, dass sich die Antragstellerin zu 1. auf diese Projekte beziehen wollte.

Die Beteiligten haben im Termin vom 09. Mai 2007 darüber diskutiert, ob auch bei derartigen Projekten die Angabe des Ansprechpartners notwendig war. Eine derartige Angabe diente ersichtlich darzu, es der Vergabestelle zu ermöglichen, sich bei den Ansprechpartnern ohne größere Nachforschungen über die Erfahrungen mit dem betreffenden Unternehmen zu erkundigen. Das könnte dafür sprechen, die entsprechende Anforderung in der Bekanntmachung und den Verdingungsunterlagen so auszulegen (§§ 133, 157 BGB), dass sie bei eigenen Projekten erkennbar überflüssig war, weil die Vergabestelle gegebenenfalls die Ansprechpartner selbst ohne Weiteres ausfindig machen konnte. Dafür könnte möglicherweise auch herangezogen werden, dass die Angabe des Ansprechpartners wegen Ausscheidens oder Wechsels der Mitarbeiter nur beschränkten Aussagewert hatte. Die Antragsgegnerin wendet demgegenüber ein, wegen der Vielzahl der von ihr betreuten Objekte weise ihr Haus eine Vielzahl von möglichen Verantwortlichen auf, eine Nachfrage sei ihr nicht zumutbar.

Ob die Angaben von Ansprechpartnern bei eigenen Projekten der Antragsgegnerin letztlich nicht notwendig war, kann offen bleiben. Die fehlende Angabe kann nur dazu führen, dass die entsprechenden Referenzen nicht gewertet werden können. Da aber die Antragstellerin als solche die notwendigen Referenzen vorweisen kann, die ihre fachliche Eignung hinsichtlich der speziellen ausgeschriebenen Arbeiten nachweisen, kann sie nicht wegen fehlender Angaben ausgeschlossen werden. Eine Nichtberücksichtigung auch der ordnungsgemäß dargelegten Referenzen wäre unverhältnismäßig und wird auch durch den Zweck der Vorschriften über den Ausschluss von Bietern, die die notwendigen Unterlagen nicht fristgemäß vorgelegt haben, nicht gefordert; das Vergabeverfahren bleibt auch dann transparent, und die Bieter werden auch dann gleichbehandelt, wenn die ordnungsgemäß eingebrachten Referenzen berücksichtigt werden und nur die "fehlerhaften" Referenzen unberücksichtigt bleiben. So hat es ersichtlich auch die Antragsgegnerin angesehen, die die Antragstellerin im Vergabeverfahren weder ausgeschlossen noch - wie dies bei anderen Bietern mit fehlenden Angaben geschehen ist - Unterlagen nachgefordert hat.

b) Das Angebot der Antragstellerin ist auch nicht wegen überhöhter Preise auszuschließen.

Dabei kann offen bleiben, ob in dieser Hinsicht § 25 Nr. 3 Absatz 1 VOB/A, der insoweit über die Richtlinie hinausgeht (Art. 55 regelt nur ungewöhnlich niedrige Angebote), überhaupt auf den Schwellenwert überschreitende Vergabeverfahren Anwendung findet. Des Weiteren bedarf keiner Entscheidung, ob nicht bejahendenfalls die Grundsätze über das Verfahren, die der EuGH in seiner Entscheidung vom 27.11.2001 (NZBau 2002, 101) für die Behandlung ungewöhnlich niedriger Angebote aufgestellt hat, auch für ungewöhnlich hohe Angebote gelten müssen.

Es kann nämlich nicht von einem unangemessen hohen Preis des Angebots der Antragstellerin ausgegangen werden. Ihr Angebotspreis übersteigt zwar die Endsumme der Kostenschätzung des von der Antragsgegnerin eingeschalteten Ingenieurbüros um rund 16,6 %. Daraus lässt sich aber bereits deswegen nicht auf überhöhte Preise schließen, weil die Kostenschätzung aus Oktober 2005 stammt, während die Antragstellerin ihr Angebot im November 2006 eingereicht hat; gerade in diesem Zeitraum hat eine erhebliche Steigerung der Baupreise stattgefunden. Im Übrigen ist es - worauf die Antragstellerin zu Recht hinweist - zu Massenmehrungen gekommen. Auch aus dem von der früheren Beigeladenen errechneten Angebotspreis lässt sich nicht auf eine Überhöhung des Angebotspreises der Antragstellerin schließen. Dabei kann zugunsten der Antragsgegnerin davon ausgegangen werden, dass die frühere Beigeladene - trotz der von der Vergabekammer beanstandeten fehlenden Referenzen - geeignet und ihr Angebot nicht wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots auszuschließen ist. Der von ihr angebotene Preis ist nämlich darauf zurückzuführen, dass sie damit versucht hat, sich zu Geschäften mit der Antragsgegnerin durch einen "Kampfpreis" Zutritt zu verschaffen.

c) Da die Antragstellerin nicht auszuschließen ist, trifft auch die - nicht näher substantiierte - Darlegung der Antragsgegnerin, die Angebote sämtlicher Bieter seien wegen formaler Fehler auszuschließen, nicht zu. Es bedarf daher keiner Entscheidung, welche Rechtsfolgen sich bei Richtigkeit dieses Vorbringens ergeben würden (vgl. BGH NZBau 2006, 800).

5.

Der Senat weist noch auf Folgendes hin:

a) Die verlangten Angaben sind unglücklich geordnet und überschneiden sich teilweise. Es ist z.B. unklar, wieso die Ansprechpartner unter dem Punkt "vergleichbare Leistungen" und nicht unter dem Punkt "Referenzliste" verlangt wird.

Das Verlangen nach Angaben über den Umsatz (in dem betreffenden Geschäftsfeld) geht mit fünf Jahren über Art. 47 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie und § 8 Nr. 3 Abs. 1 lit. a) VOB/A hinaus.

b) Die Ausschreibung nennt als einziges Zuschlagskriterium den Preis. Das ist nach Art. 53 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie zwar zulässig, wenn sich der Auftraggeber nicht für das Kriterium des - näher zu beschreibenden - wirtschaftlichsten Angebots entscheidet. Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber in § 97 Abs. 5 GWB und § 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 2/3 VOB/B die Wirtschaftlichkeit als entscheidendes Kriterium bestimmt.

6.

Der Antragsgegnerin bleibt es unbenommen, trotz dieser Entscheidung die Ausschreibung aufzuheben. Ob die vorgetragenen Argumente dafür ausreichen, ist in diesem Verfahren auch nicht mittelbar zu entscheiden, weil die Antragsgegnerin bisher eine Aufhebung noch nicht ausgesprochen hat. Das unterscheidet diese Fallgestaltung auch von derjenigen, die der von der Antragsgegnerin angesprochenen Entscheidung des Senats vom 14.10.2005 (VII-Verg 40/05) zugrunde lag.

7.

Da die Antragstellerin zu 1. in weitergehendem Umfange als von der Vergabekammer angenommen obsiegt, ist die von der Vergabekammer vorgenommene Kostenentscheidung anzupassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zu 1. sowohl - im Verhältnis zur früheren Beigeladenen - obsiegt hat als auch - im Verhältnis zur Antragstellerin zu 1. - unterlegen gewesen ist. Die Frage, ob der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu 2. möglicherweise im Ergebnis abzuweisen gewesen wäre, weil ihr Angebot - wie dargelegt - hätte ausgeschlossen werden müssen, oder ob sich im Hinblick auf die beabsichtigte Aufhebung der Ausschreibung durch die Antragsgegnerin ihr durch den Nachprüfungsantrag zumindest eine "zweite Chance" im Sinne der Rechtsprechung des BGH (NZBau 2006, 800) eröffnet hätte, ist unerheblich, weil der Beschluss der Vergabekammer insoweit bestandskräftig ist.

Die Vergabekammer hat bei seiner Entscheidung - soweit sie die Gebühren und Auslagen des Verfahrens betrifft - übersehen, dass § 128 Abs. 3 S. 2 GWB insoweit eine Gesamtschuldnerschaft der unterliegenden Beteiligten vorsieht (vgl. BGH NZBau 2006, 800 Rdnr. 58). Diese Entscheidung kann der Senat nicht zu Lasten der früheren Beigeladenen abändern. Der Senat hat berücksichtigt, dass die Antragstellerin zu 2. nur teilweise unterlegen gewesen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1, § 100 ZPO analog.

Da bereits die Vergabekammer die Notwendigkeit einer Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragstellerin zu 1. für das Verfahren vor ihr unangefochten festgestellt hat, bedarf es einer erneuten Entscheidung des Senats darüber nicht.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 50 Abs. 2 GWB auf 741.400 Euro festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück