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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 15.02.2006
Aktenzeichen: 1 U 140/05
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 55 I Nr. 1
ZPO § 55 I 1
Die ein Wettbewerbsverbot in Kraft setzende Kraft eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter führt nicht dazu, dass der Anspruch auf Karenzentschädigung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Masseforderung erstarkt.
Gründe:

I. Die Beklagte ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der A GmbH, für die der Kläger früher als Geschäftsführer tätig war. Er nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Karenzentschädigung und von Tantiemen in Anspruch. Soweit die Klage auf Ausstellung einer dem Finanzamt vorzulegenden Bestätigung gerichtet war, ist sie in der Berufungsverhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt worden.

Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat der Klage nur bezüglich der Karenzentschädigung stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt und diese mit Rechtsausführungen begründet. Der Kläger begehrt weiter eine Verurteilung zur Zahlung der Tantiemen, während die Beklagte eine vollständige Klageabweisung erreichen will.

Der Kläger beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und

1. dieses im ersten Absatz des Tenors dahingehend klarstellend neu zu fassen, dass Zinsen aus dem Betrag von jeweils 15.267,69 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.12.2002 und dem 1.1.2003 an den Kläger zu zahlen sind,

2. die Beklagte zur Zahlung von 27.162,38 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.2.2003 zu verurteilen,

außerdem,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen, das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage bzuweisen.

II. Beide Rechtsmittel sind zulässig. Die Berufung des Klägers ist unbegründet, die der Beklagten begründet.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Masseanspruch auf Zahlung der Karenzentschädigung, insbesondere nicht aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Allenfalls aus § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO hätte sich ein Masseanspruch ergeben können; die Beklagte hat aber nicht die Erfüllung der Wettbewerbsabrede gewählt.

a) § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts nicht anwendbar.

(1) Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO werden nach Insolvenzeröffnung begründet. Darin liegt der Unterschied zu den Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die auf gegenseitigen Verträgen beruhen, die vor Insolvenzeröffnung vom Schuldner abgeschlossen waren. Masseverbindlichkeiten nach Nr. 1 können nur durch Geschäftsführungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters entstehen, die darauf abzielen, der Insolvenzmasse etwas zuzuführen; davon abzugrenzen sind Handlungen des Insolvenzverwalters, die allein der Abwicklung dem Grunde nach bei Verfahrenseröffnung bestehender Rechtsbeziehungen dienen (vgl. MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rn. 17 f.).

(2) Die Kündigung des Anstellungsvertrages mit dem Kläger diente allein der Abwicklung dieses bereits von der Schuldnerin begründeten Rechtsverhältnisses. Auch die Wettbewerbsabrede hatten der Kläger und die Schuldnerin getroffen, wenn auch dergestalt, dass der Entschädigungsanspruch von der Beendigung des Dienstverhältnisses abhängen sollte. Die Kündigung war nicht dazu geeignet, der Masse etwas zuzuführen.

b) Der Anspruch auf Karenzentschädigung ist auch nicht gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO als Masseforderung zu qualifizieren.

(1) Wettbewerbsabreden sind nach allgemeiner Meinung als gegenseitige Verträge i. S. d. § 103 InsO anzusehen; der Verzicht auf Wettbewerbshandlungen und die Karenzentschädigung sind synallagmatisch miteinander verknüpft (vgl. MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rn. 192; MünchKommInsO-Kreft, § 103 Rn. 80; Uhlenbruck/Berscheid, InsO, 12. Aufl., § 103 Rn. 33; ArbG Lingen ZIP 1984, 92, 93; LAG Hamm DB 1974, 877). Die § 103 InsO vorgehende Spezialregelung der § 108, 113 InsO für Dienstverhältnisse ist auf die Wettbewerbsabrede nicht anzuwenden, die insoweit ungeachtet ihrer Verknüpfung mit einem Dienst- oder Arbeitsvertrag gesondert zu beurteilen ist.

(2) Die Erfüllungsansprüche aus der Wettbewerbsabrede erloschen kraft Gesetzes mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. BGHZ 135, 25, 27; 129, 336, 338; BGH ZIP 1993, 600 ff. [juris-Rn. 8]). Die Beklagte war ohne Aufforderung des Klägers nicht - wie das Landgericht dies angenommen hat - verpflichtet, sich umgehend zur Ausübung ihres Wahlrechts aus § 103 InsO zu äußern (vgl. BGHZ 81, 90, 92 ff.; MünchKommInsO-Huber, § 103 Rn. 176). Solange sie nicht die Erfüllung gewählt und dadurch die Erfüllungsansprüche neu begründet hatte, blieb es bei der gesetzlichen Folge der Verfahrenseröffnung; ihr "Verzicht" hatte nur deklaratorische Bedeutung (vgl. BGHZ 135, 25, 30; BGH ZIP 1993, 600 ff. [juris-Rn. 9]).

c) Der Kläger hat danach nur die Wahl zwischen der Anmeldung seines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Wettbewerbsabrede bezüglich der Karenzentschädigung zur Tabelle oder der Inanspruchnahme der Schuldnerin nach Beendigung des Insolvenzverfahrens (vgl. MünchKommInsO-Kreft § 103 Rn. 22).

2. Der Kläger hat unabhängig von der Anfechtbarkeit der Umlaufbeschlüsse keinen Tantiemeanspruch gegen die Beklagte, denn die vertraglichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch liegen nicht vor. Nach § 2 Abs. 2 des Anstellungsvertrages sollte der Kläger für die Zeit, die er aktiv als Geschäftsführer/Vorstand tätig war, eine variable Vergütung erhalten; es handelte sich ersichtlich um eine Leistungsprämie. Im streitgegenständlichen Zeitraum 1.7.-31.10.2002 war der Kläger nicht aktiv als Geschäftsführer tätig. Die Geschäftsführung oblag vielmehr der Beklagten als Insolvenzverwalterin. Der Kläger arbeitete infolge sofortiger Freistellung überhaupt nicht mehr für die Schuldnerin.

Auf das Fehlen einer Zielvereinbarung und eines den streitgegenständlichen Zeitraum betreffenden Aufsichtsratsbeschlusses - dem ein Beschluss der Gesellschafterversammlung mangels Umwandlung der Schuldnerin in eine AG gleichzustellen wäre - kommt es deshalb ebenfalls nicht an. Die nach der Rechtsprechung des BGH vorzunehmende Interessenabwägung im Rahmen des § 315 BGB müsste im Übrigen hier zum nämlichen Ergebnis führen: Die Insolvenz der Schuldnerin spricht für einen Misserfolg auch des Klägers, der in der fraglichen Zeit zudem nicht weiter für jene gearbeitet hat.

3. Der Kläger muss als Unterliegender nach §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits tragen, nach § 101 Abs. 1 ZPO auch die Kosten der Nebenintervention. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ergibt sich die Kostentragungspflicht des Klägers aus § 91a ZPO. Eine Grundlage für den mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch fehlte. Der Kläger konnte - eine sachgerechte Verfahrensweise des Finanzamts vorausgesetzt, für die die Beklagte nicht verantwortlich ist - mithilfe der Bescheinigung der Pensionskasse vom 12.11.2003 (Anlage B 9, Bl. 63 d. A.) eine Berichtigung seiner Einkommensbesteuerung erreichen.

4. Die sonstigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Klärungsbedürftige Grundsatzfragen stellen sich im Streitfall nicht. Soweit ersichtlich, ist bislang weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum die Ansicht vertreten worden, die ein Wettbewerbsverbot in Kraft setzende Kündigung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter führe dazu, dass der Anspruch auf Karenzentschädigung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Masseforderung erstarkt.

Ende der Entscheidung

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