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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 22.03.2004
Aktenzeichen: 1 U 185/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 287
Zur Beweiserleichterung beim Nachweis eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer Falschauskunft und dem Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 185/03

Verkündet am 22.03.2004

In dem Rechtsstreit

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09. Februar 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.07.2003 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den ihr entstandenen und künftig entstehenden Schaden aus der am 01.10.1999 erteilten fehlerhaften Rentenberechnung zu erstatten, insbesondere den Schaden, der der Klägerin dadurch entstanden ist, dass sie gemäß Aufhebungsvereinbarung vom 28.06.2001 mit ihrem Arbeitgeber aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden ist.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die von ihr erhobene Feststellungsklage ist begründet.

Gegenstand der von der Klägerin im ersten Rechtszug und in der Berufungsinstanz erstrebten Feststellung war - unabhängig von der in der Berufungsverhandlung zur Klarstellung angebrachten Ergänzung des Antrages - die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz des entstandenen und zukünftig noch entstehenden Schadens, der sich aus der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin ergibt. Das folgt aus der allein auf diese Fragestellung zugeschnittenen Begründung von Klage und Berufung. Gegen die Zulässigkeit der erhobenen Klage bestehen keine Bedenken. Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse folgt daraus, dass dieser Schaden, soweit er erst in der Zukunft entstehen wird, derzeit nicht abschließend beziffert werden kann.

Die Schadensersatzverpflichtung des Beklagten ergibt sich dem Grunde nach aus der Schlechterfüllung des ihm als Rentenberater von der Klägerin erteilten Auftrages zur Ermittlung des Betrages, der ihr bei möglicher Aufgabe ihrer abhängigen Beschäftigung aus den Zahlungen der BfA-Witwenrente und der BG-Witwenrente zustehen würde. Den ihm mit Schreiben der Klägerin vom 22.09.1999 (Bl. 14 d.A.) erteilten Auftrag erledigte der Beklagte mit Schreiben vom 01.10.1999 (Bl. 15 d.A.). Die dort gegebene Auskunft war - unstreitig - falsch, weil sie die genannten Rentenzahlbeträge ohne weiteres addierte. Die richtige Auskunft erteilte der Beklagte der Klägerin erst mit Schreiben vom 26.08.2002 (Bl. 20-21 d.A.). Danach ergibt sich wegen der Teil-Anrechnung der BG-Witwenrente auf die BfA-Rente ein monatliches Gesamteinkommen von 1.488,53 € anstelle eines sich aus der Auskunft vom 01.10.1999 ergebenden monatlichen Betrages von 1.907,74 €. Gegen die sich aus der fahrlässig erteilten Falschauskunft ergebende Haftung dem Grunde nach erhebt der Beklagte auch keine Bedenken.

Die vom Beklagten mit Schreiben vom 01.10.1999 erteilte Falschauskunft war ursächlich dafür, dass die Klägerin am 28.06.2001 mit ihrem Arbeitgeber eine Vereinbarung über die Aufhebung des Arbeitsvertrages schloss und demgemäß aus dem Beschäftigungsverhältnis ausschied. Die gegenteilige Tatsachenfeststellung des Landgerichts, wonach ein Ursachenzusammenhang nicht besteht, bindet das Berufungsgericht nicht. Vielmehr bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung, die deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Angriffe der Berufung gegen die Tatsachenfeststellung des Landgerichts haben bereits deshalb Erfolg, weil das Landgericht verkannt hat, dass für den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Eintritt eines daraus erwachsenen allgemeinen Vermögensschadens nicht die strengen Beweisführungsmaßstäbe des § 286 ZPO, sondern die in § 287 ZPO vorgesehenen Beweiserleichterungen gelten. Das Landgericht hat zwar zutreffend die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis zu Gunsten der Klägerin verneint. Die Entscheidungsgründe ergeben jedoch, dass das Landgericht als Maßstab für den Nachweis des geltend gemachten Schadens § 286 ZPO angewendet hat. Indes gehört bei einem Schadensersatzanspruch aus Vertragsverletzung der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Eintritt eines daraus erwachsenen allgemeinen Vermögensschadens nach der Rechtsprechung des BGH nicht mehr zur haftungsbegründenden, sondern zur sog. haftungsausfüllenden Kausalität, für deren Nachweis § 287 ZPO anzuwenden ist. Nach § 287 ZPO reicht für die richterliche Überzeugung eine überwiegende, freilich auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit (BGH NJW 2000, 2814, 2815; NJW 2004, 444, 445).

Hier ergibt sich aus der Würdigung aller Umstände eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang zwischen der Falschauskunft des Beklagten und dem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung vom 28.06.2001. Für den von der Klägerin behaupteten Ursachenzusammenhang spricht bereits der Umstand, dass sie überhaupt die Dienste des Beklagten in Anspruch nahm. Dieses Verhalten lässt erkennen, dass die Klägerin nicht in jedem Fall und ohne Rücksicht auf die ihr dann zur Verfügung stehenden Einkünfte zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bereit war, sondern dass es ihr darauf ankam, auch weiterhin über die aus ihrer Sicht als erforderlich angesehenen Geldmittel verfügen zu können. Die Renteneinkünfte, die sich aus der Auskunft des Beklagten vom 01.10.1999 ergaben und die bereits eine erhebliche Einbuße im Vergleich zu dem bisher erzielten Erwerbseinkommen darstellten, erschienen der Klägerin unstreitig als ausreichend zur Deckung ihres Lebensbedarfes, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der von ihr erwarteten Abfindung von etwa 160.000,00 DM, die sie nach der bestehenden Betriebsvereinbarung von ihrem Arbeitgeber erwarten konnte. Tatsächlich jedoch hätten sich aus einer zutreffend erteilten Auskunft des Beklagten um mehr als 400,00 € monatlich geringere Rentenzahlungen ergeben, die nur etwas mehr als 50% der bei Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte betrugen. Danach erscheint es plausibel, dass die Klägerin die Aufhebungsvereinbarung vom 28.06.2001 nicht abgeschlossen hätte, wenn der Beklagte ihr eine zutreffende Auskunft erteilt hätte. Der erhebliche zeitliche Abstand zwischen der Falschauskunft vom 01.10.1999 und der Aufhebungsvereinbarung vom 28.06.2001, die zwischenzeitlich eingetretene weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin sowie die Höhe der von ihr erreichten Abfindungszahlung rechtfertigen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme einer erheblich überwiegenden Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und der Aufhebungsvereinbarung vom 28.06.2001. Die Klägerin hat bei der in der Berufungsverhandlung nach § 287 Abs. 1 S. 3 ZPO durchgeführten persönlichen Anhörung (BGH NJW 2003, 3049, 3051) überzeugend dargelegt, dass sie in Kenntnis der ihr in Wirklichkeit zustehenden geringeren Renteneinkünfte ihre Erwerbstätigkeit fortgesetzt hätte. Danach lag die mit ihrem Arbeitgeber ausgehandelte Abfindung von 190.000,00 DM zwar über dem Betrag von etwa 160.000,00 DM, den sie nach der bestehenden Betriebsvereinbarung beanspruchen konnte, der Mehrbetrag konnte bei wirtschaftlicher Betrachtung die Mindereinnahmen bei einer Erwerbstätigkeit bis zur Altersgrenze von etwa noch 12 Jahren nicht annährend ausgleichen. Die Klägerin hat ferner glaubhaft dargelegt, dass sie trotz der weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ihre Erwerbstätigkeit nicht beendet hätte. Allerdings hat sie angegeben, dass sie wegen ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage gewesen wäre, ihre bisherige Tätigkeit im Umfang von 19 Wochenarbeitsstunden und als Leiterin einer Abteilung mit 15 Mitarbeitern fortzusetzen. Sie hätte jedoch, insbesondere, nach dem sie eine andere Mitarbeiterin in die von ihr bisher wahrgenommenen Aufgaben eingearbeitet hatte - ihre Leitungsfunktion aufgegeben ("ich wäre in das zweite Glied zurückgetreten") unter Inkaufnahme einer Zurückstufung um ein oder zwei Lohnstufen; erforderlichenfalls hätte sie auch eine weitere Verringerung ihrer Wochenarbeitszeit vereinbart. Danach rechtfertigt die weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin keine Bedenken gegen den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und der Beendigung der Berufstätigkeit der Klägerin. Auch der zeitliche Abstand zwischen der Falschauskunft vom 01.10.1999 und dem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung vom 28.06.2001 ergibt keine Zweifel an dem Ursachenzusammenhang. Nachdem die Auskunft des Beklagten vom 01.10.1999 Renteneinkünfte genannt hatte, die der Klägerin auch ohne ihr Erwerbseinkommen ausreichend erschienen, hatte diese keinen Anlass für die Annahme, dass die Renten abgesenkt worden sein könnten, so dass eine Aktualisierung der Auskunft erforderlich sein könnte. Schließlich hat die Klägerin bei ihrer Anhörung auch entschieden und überzeugend einen maßgeblichen Einfluss des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für das Zustandekommen der Vereinbarung über die Aufhebung des Arbeitsvertrages verneint. Es erscheint plausibel, dass der Anspruch auf den Bezug von Arbeitslosengeld, den die Klägerin bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung nicht gesehen hatte, wegen seiner Befristung auf zwei Jahre die Entscheidung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht maßgeblich beeinflusste bzw. hätte beeinflussen können.

Danach besteht eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des Ursachenzusammenhangs zwischen der Falschauskunft des Beklagten vom 01.10.1999 und dem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung vom 28.06.2001.

Den der Klägerin daraus entstandenen und noch entstehenden Schaden hat der Beklagte deshalb zu ersetzen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreit zu tragen, da er unterliegt (§ 91 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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