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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: 1 U 185/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 832
Zum Umfang der elterlichen Aufsichtspflicht bei einem knapp 14 Jahre alten Jungen.
Gründe:

I.

Wegen des Sachverhaltes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sachverhalts ist auszuführen, dass der Beklagte zu 1) nach den Ermittlungsakten 21 Js 50083/99 Jug Staatsanwaltschaft Limburg, die beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, am ....1.1999 als Täter der jeweils am Nachmittag begangenen Brandstiftungen am ....1.1999 und am ....1.1999 ermittelt wurde (Bl. 26 ff, 44 ff der Ermittlungsakten). Der Beklagten zu 5) war vor dem ....1.1999 bekannt, dass ihr Sohn A - der Beklagte zu 1) - in der Schule wiederholt in Streitigkeiten mit Mitschülern und Schlägereien verwickelt war. Nachdem er im September 1998 einen Mitschüler krankenhausreif geschlagen hatte, erschien die Polizei bei der Beklagten zu 5). Der Beklagte zu 1) war in der Schule ferner dadurch aufgefallen, dass er den Unterricht störte und Lehrkräfte beleidigte.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte zu 5) den ihr obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt habe, da sie Art und Weise der Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht nicht umfassend und konkret dargelegt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu 5) als Gesamtschuldnerin neben dem Beklagten zu 1) zu verurteilen, an sie, die Klägerin, 118.899,46 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.8.2000 zu zahlen.

Die Beklagte zu 5) hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Auffälligkeiten in der Schule hätten nicht auch Brandstiftungen erwarten lassen. Eine weitergehende Überwachung ihres Sohnes sei nicht möglich und auch untunlich gewesen. Eine Neigung zu Eigentumsdelikten oder Brandstiftung sei beim Beklagten zu 1) nicht zu bemerken gewesen. Erstmals am ....1.1999 habe sie durch die Polizei von den Brandstiftungen Kenntnis erhalten. Weitere Straftaten seien ihr nicht bekannt gegeben worden.

Das Landgericht hat die gegen die Beklagte zu 5) gerichtete Klage durch am 21.7.2004 verkündetes Urteil abgewiesen (Bl. 217-224 d.A.). Die Klägerin hat gegen das ihr am 22.7.2004 zugestellte Urteil am Montag, dem 23.8.2004 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 22.10.2004 an diesem Tage begründet.

Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin, dass das Landgericht verkannt habe, dass die Beklagte zu 5) die Darlegungs- und Beweislast dafür trage, dass sich der Aufsichtspflicht genügt habe oder dass der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden wäre. Diesen Entlastungsbeweis habe die Beklagte nicht geführt, weil sie nicht dargelegt habe, was sie zur Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht getan habe. Wegen der Auffälligkeiten des Beklagten zu 1) in der Schule und wegen der von ihm über die Brandstiftungen hinaus begangenen Straftaten habe eine erhöhte Aufsichtspflicht bestanden. Sie behauptet, die Beklagte zu 5) sei darüber informiert worden, dass der Beklagte zu 1) innerhalb weniger Tage 6 Straftaten begangen habe (Beweis: Zeugnis KOK Z1).

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu 5) als Gesamtschuldnerin neben dem Beklagten zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 118.899,46 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszins seit 15.8.2000 zu bezahlen.

Die Beklagte zu 5) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt - insbesondere mit Schriftsatz vom 15.12.2004, auf dessen Inhalt bezug genommen wird, hinsichtlich Art und Weise ihrer Aufsicht über den Beklagten zu 1) vor.

Der Senat hat die Beklagte persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.4.2005 (Bl. 351-355 d.A.) und vom 23.5.2005 (Bl. 386-387 d.A.) sowie auf den Vermerk vom 25.05.2005 (Bl. 389 d. A.). Bezug genommen. Der Senat hat ferner Beweis erhoben durch Vernehmung der Herren Z2 und Z3 als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die genannten Sitzungsniederschriften (Bl. 356-360 und 382-386 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage gegen die Beklagte zu 5) zu Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten zu 5) nicht nach § 832 BGB i.V.m. § 67 VVG Ersatz des vom Beklagten zu 1) verursachten und mit der Klage geltend gemachten Schadens beanspruchen.

Allerdings haftet die Beklagte zu 5) gemäß § 832 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich für den von ihrem minderjährigen Sohn - dem Beklagten zu 1) - verursachten Schaden. Es steht außer Streit, dass der Beklagte zu 1) im Alter von fast 14 Jahren durch vorsätzliche Brandstiftung am ....1.1999 und am ....1.1999 rechtswidrig einen Brandschaden in Gebäuden verursacht hat, welchen die Klägerin als Feuerversicherung nach Maßgabe der Versicherungsverträge der geschädigten Eigentümer ausglich. Von der Ersatzpflicht ist die Beklagte zu 5) jedoch deshalb befreit, weil sie ihrer Aufsichtspflicht genügt hat (§ 832 Abs. 1 S. 2 BGB).

Der Umfang der gebotenen Aufsicht richtet sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Minderjährigen (BGH NJW 1993, 1003; 1998, 1404, 1405; 1997, 2047, 2048). An die Pflicht zur Aufsicht über Kinder sind - sowohl was ihre Belehrung über die Gefahren des Feuers als auch was die Überwachung eines möglichen Umgangs der Kinder mit Zündmitteln angeht - strenge Anforderungen zu stellen. Demgemäß haben Eltern ihre kleineren Kinder nicht nur eindringlich über die Gefährlichkeit des Spiels mit dem Feuer zu belehren, sondern auch streng darauf zu achten, dass die Kinder nicht unerlaubt in den Besitz von Streichhölzern oder anderen Zündmitteln gelangen. Für ältere, dem Grundschulalter bereits entwachsene Kinder können aber nicht in allem die selben Maßstäbe gelten (BGH NJW 1993, 1003). Bei der Bestimmung der erforderlichen und zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen, welche verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation ergreifen müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern, sind die jedenfalls bei normal begabten und entwickelten Kindern wachsenden intellektuellen und psychischen Fähigkeiten sowie die Möglichkeit zu rationaler Einsicht in die Gefahren offenen Feuers und zur Beachtung solcher Einsichten auch im Rahmen des Spiels zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang kommt es wesentlich darauf an, welche Veranlagung und welches Verhalten das Kind in der jeweiligen Altersstufe an den Tag legt und in welchem Umfang die bisherige Erziehung Erfolge gezeigt hat (BGH a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte zu 5) ihrer Aufsichtspflicht gegenüber dem Beklagten zu 1) genügt.

Insbesondere hat die Beklagte zu 5) ihre Aufsichtspflicht nicht dadurch verletzt, dass sie den Beklagten zu 1) an den Tattagen, dem ....1.1999 und dem ....1.1999, jeweils am Nachmittag mehrere Stunden lang seine Freizeit außerhalb des Hauses unbeaufsichtigt mit Schulkameraden verbringen ließ. Der Beklagte zu 1) stand damals kurz vor Vollendung seines 14. Lebensjahres. Ein Kind dieses Alters ohne nennenswerte Einschränkungen seines intellektuellen oder psychischen Entwicklungsstandes - der Beklagte zu 1) besuchte die Klasse 7 der Gesamtschule und erbrachte dort durchschnittliche Leistungen - muss nach vernünftigen Anforderungen seine Freizeit nachmittags auch mehrere Stunden lang ohne elterliche Aufsicht verbringen können. Auch die in der Schule zu Tage getretenen und der Beklagten zu 5) bekannt gewordenen Auffälligkeiten erforderten eine Verkürzung des Zeitraumes unbeaufsichtigter Freizeit während dieser Zeit nicht. Für die Beklagte zu 5) gab es keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich ihr Sohn wegen der ihn begleitenden Schulkameraden seinerzeit in "schlechter Gesellschaft" befand. Die Beklagte zu 5) hatte ferner keinen Anlass für die Annahme, dass ihr Sohn während dieser Zeit strafbare Handlungen - insbesondere vorsätzliche Brandstiftungen - ausführen werde. Ihr war nicht bekannt, dass ihr Sohn bereits am ...1.1999 widerrechtlich in zwei leerstehende Ferienhäuser eingedrungen war. Sofern der Sachvortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung über die Kenntnis der Beklagten zu 5) von den vor dem ....1.1999 begangenen Taten des Beklagten zu 1) dahin zu verstehen ist, dass die Beklagte zu 5) bereits vor dem ....1.1999 von der Polizei entsprechend informiert worden sei, ist diese Behauptung neu und nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Sie wäre im übrigen auch offensichtlich falsch. Sie steht im Widerspruch zu dem Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakten, wonach der Beklagte zu 1) erst am ....1.1999 als Täter nicht nur der Brandstiftungen, sondern auch der weiteren ab dem ....1.1999 begangenen Taten ermittelt wurde. Auch die der Beklagten zu 5) bekannt gewordenen Auffälligkeiten ihres Sohnes während der Schulzeit qualifizierten das Verhalten der Beklagten zu 5), ihrem Sohn zu gewähren, dass er nachmittags mehrere Stunden lang außerhalb des Hauses und unbeaufsichtigt seine Freizeit mit Klassenkameraden verbrachte, nicht als Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Außer dem Vorfall im September 1998, bei welchem der Beklagte zu 1) einen Mitschüler mit einem Faustschlag am Auge verletzte, und dem Beschmieren einer Toilettentür in der Schule mit einem Filzstift hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Beklagte zu 5) seitens der Schule darüber informiert war, dass ihr Sohn immer wieder seine Hausaufgaben nicht gemacht und - vereinzelt - auch den Unterricht "geschwänzt" hatte. Hinsichtlich der Störung des Mathematikunterrichtes im Oktober 1998 und der Störung des Unterrichts der Lehrerin B im November 1998, die nach Angaben des Zeugen Z2 in der Schulakte verzeichnet sind, hat die Beweisaufnahme eine entsprechende Information der Beklagten zu 5) durch die Schule nicht ergeben. Das gilt auch für Beleidigungen von Lehrkräften durch den Beklagten zu 1), von denen der Zeuge Z2 nichts und der Zeuge Z3 nur vom Hörensagen im Kollegenkreis etwas wusste. Übereinstimmend mit den Angaben der Beklagten zu 5) haben die Zeugen Z2 und Z3, die den Beklagten zu 1) in der fraglichen Zeit unterrichteten, ausgesagt, dass beim Beklagten zu 1) ein besonderes Aggressionspotential oder Erziehungsdefizite nicht erkennbar gewesen seien, dass der Beklagte zu 1) sich auf Ermahnungen hin einsichtig gezeigt habe, allerdings gleichwohl immer wieder seine Hausaufgaben nicht gemacht habe. Dass der Beklagte zu 1) im September 1999 bei einer Rangelei mit einem Mitschüler diesem einen Jochbeinbruch zugefügt hat, stellt sich danach als ein atypisches Ereignis dar, von dem die Beklagte zu 5) - in Übereinstimmung mit der Einschätzung der als Zeugen vernommenen Lehrer - nicht auf eine generelle Neigung zu Straftaten oder gar auf eine Bereitschaft zu Vermögensdelikten oder Brandstiftungen ... müsste. Danach kann eine Verletzung der Aufsichtspflicht der Beklagten zu 5) nicht darin gesehen werden, dass sie dem Beklagten zu 1) generell und auch am ....1.1999 und am ....1.1999 gewährte, nachmittags mehrere Stunden lang seine Freizeit außerhalb des Hauses unbeaufsichtigt zu verbringen.

Die Beklagte zu 5) hat auch im allgemeinen ihre Pflicht zur Aufsicht, Belehrung und Ermahnung des Beklagten zu 1) erfüllt. Die Beklagte zu 5) hat bei ihrer Anhörung glaubhaft angegeben, dass sie wusste, wie und wo ihr Sohn seine Freizeit verbrachte, dass dieser ihr Bescheid gab, wenn er das Haus zum Spielen im Freien verließ, ins Schwimmbad, in den Sportverein oder auch in das Jugendzentrum der evangelischen Kirche ging, und dass er die vereinbarten Zeiten seiner Rückkehr einhielt. Sie hat ferner glaubhaft angegeben, dass sie ihren Sohn dahin erzogen und entsprechend ermahnt habe, das Eigentum anderer zu achten und - wenn sie einmal erfahren hatte, dass er in eine Rangelei oder Schlägerei mit Gleichaltrigen verwickelt war - Provokationen aus dem Weg zu gehen. Die Beklagte zu 5) hat sich auch nach Kräften bemüht, zur Bewältigung der schulischen Probleme des Beklagten zu 1) beizutragen. Nach der Aussage des Zeugen Z3 hat die Beklagte zu 5) dafür gesorgt, dass der Beklagte zu 1) wegen seiner Rechtschreibschwäche Nachhilfeunterricht erhielt. Ferner zeigte sich die Beklagte zu 5) nach Angaben des Zeugen kooperativ wegen der Problematik der häufig nicht erledigten Hausaufgaben des Beklagten zu 1), indem sich die Beklagte zu 5) in Absprache mit dem Zeugen um die Einhaltung eines Kontrollsystems hinsichtlich der Hausaufgaben bemühte.

Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Beklagten zu 5) über die Wahrnehmung ihrer Verpflichtung zur Aufsicht, Ermahnung und Belehrung des Beklagten zu 1) bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Soweit die Angaben der Beklagten zu 5) von denen der Zeugen Z2 und Z3 hinsichtlich der Informationen der Schule über schulische Verfehlungen des Beklagten zu 1) abweichen, hat die Beklagte zu 5) dies plausibel damit erklärt, dass sie die Informationen der Schule nicht als "Disziplinarangelegenheiten" verstanden habe und dass ihre Erinnerung an diese Vorgänge mit Rücksicht auf die in der Folgezeit aufgetretenen wesentlich größeren Probleme mit dem Beklagten zu 1) ungenau sei. Für eine ausreichende Belehrung und Ermahnung des Beklagten zu 1) im allgemeinen spricht schließlich der Umstand, dass dieser sich des Verbotenen seines Tuns durchaus bewusst gewesen ist. Nach seinen Angaben bei der Polizei wusste er, dass er als noch 13-Jähriger für die Taten nicht bestraft werden kann (Ermittlungsakten Bl. 44, 45).

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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