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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 23.12.2002
Aktenzeichen: 1 U 50/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
Die Stadt muss sich wegen der Anbringung von sogenannten "Kölner Tellern" von einem gestürzten Fahrradfahrer keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorwerfen lassen, wenn am rechten Fahrbahnrand eine Durchfahrtsmöglichkeit für Radfahrer von mindestens 1 m Breite besteht. Dies gilt auch dann, wenn dem Radfahrer ein Passieren dieses Streifens deshalb unmöglich war, weil dort verbotswidrig Fahrzeuge abgestellt waren.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 50/01

Verkündet am 23. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23.02.2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagte wegen eines Fahrradunfalls Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht geltend.

Am 14.06.1998 befuhr der damals 47 Jahre alte Kläger um 16:00 Uhr auf seinem Fahrrad die Sandplackenstraße in Frankfurt am Main. Dabei handelt es sich um eine Einbahnstraße, die in einer Zone mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h liegt. Vor der Einmündung der Straße Am Ebelfeld in diese Straße befindet sich ein Fußgängerüberweg (Lichtbilder Blatt 29 und Hülle Blatt 10d. A.), auf den das Zeichen 134 mit dem Zusatzschild "50m" hinweist. Die Straße bildet eine lang gezogene Rechtskurve und ist leicht abschüssig. Am linken Rand der rund 4,5 m breiten Straße befindet sich das Halteverbotszeichen 283. Etwa 10m nach dem Hinweisschild auf den Fußgängerüberweg ist auf der rechten Straßenseite das Zeichen 286 (eingeschränktes Halteverbot) angebracht. Wenige Meter vor dem Fußgängerüberweg sind auf der Fahrbahn sogenannte "Kölner Teller" in zwei Reihen versetzt hintereinander angebracht. Die Reihen mit den "Kölner Tellern" enden auf beiden Seiten in einem Abstand von mindestens 1 m zum Fahrbahnrand.

Im Bereich der "Kölner Teller" stürzte der Kläger mit dem Fahrrad. Er brach sich den rechten Oberarm und den linken Unterarm. Ferner zog er sich Nervenverletzungen zu, die zu einer deutlichen Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand führten.

Der Kläger hat behauptet, unfallursächlich seien die auf der Fahrbahn angebrachten Kölner Teller gewesen. Er habe am Unfalltag erstmals die Sandplackenstraße befahren. Seine Geschwindigkeit habe weniger als 30 km/h betragen. Die Fahrbahn sei feucht gewesen. Wegen Spiegelungen der Sonne auf der feuchten Fahrbahn habe er die Kölner Teller erst sehr spät erkannt. Wegen verbotswidrig parkender Fahrzeuge sei es ihm nicht möglich gewesen, das Überfahren der Kölner Teller zu vermeiden. Er sei bis heute arbeitsunfähig.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Unfall beruhe auf einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten. Diese hätte durch Anbringen eines Gefahrzeichens auf die Kölner Teller aufmerksam machen müssen. Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm seine aus dem Unfallereignis vom 14.06.1998 resultierenden Schäden sowie hieraus resultierende eventuelle Zukunftsschäden zu erstatten, soweit nicht ein Forderungsübergang auf einen Sozialversicherungsträger erfolgt ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat mit Nichtwissen bestritten, dass die Kölner Teller unfallursächlich gewesen seien. Diese hätten vom Kläger aus einer Entfernung von mehr als 20m deutlich erkannt werden können. Die Aufstellung eines Warnhinweises sei deshalb nicht erforderlich gewesen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau P. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23.02.2001 (Blatt 68 ff) Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage durch am 23.02.2001 verkündetes Urteil abgewiesen (Blatt 74-83 der Akten). Gegen das ihm am 8.03.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6.04.2001 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 7.06.2001 an diesem Tage begründet.

Der Kläger verlangt in der Berufungsinstanz auch die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Er zieht es in Zweifel, ob das Anbringen von Kölner Tellern außerhalb einer verkehrsberuhigten Zone wegen der von ihnen für Zweiradfahrer ausgehenden Gefahr überhaupt zulässig sei. Selbst wenn man Kölner Teller in Bereichen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h - wie hier - als zulässig ansehe, hätte jedenfalls ein Warnschild angebracht oder eine Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 10 km/h für Radfahrer angeordnet werden müssen. Diese Maßnahme sei deshalb erforderlich gewesen, weil im Bereich der Unfallstelle auch für Radfahrer eine Geschwindigkeit von 30 km/h zulässig gewesen sei. Das Überfahren der Kölner Teller mit einer Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h berge für Radfahrer jedoch erhebliche Unfallgefahren. Deshalb müsse ein Radfahrer, der mit Rücksicht auf die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h ohne weiteres davon ausgehen dürfe, die Straße mit dieser Geschwindigkeit auch befahren zu können, rechtzeitig vor den von den "Kölner Tellern" ausgehenden Gefahren gewarnt werden. Die Durchfahrbreite von 1m am rechten Fahrbahnrand mildere die von den "Kölner Tellern" ausgehende Gefahr nicht maßgeblich ab, weil dieser Bereich durch verkehrswidrig geparkte Fahrzeuge häufig zugestellt sei. Das Unterlassen des erforderlichen Warnhinweises sei pflichtwidrig und begründe die Haftung der Beklagten. Ein Mitverschulden könne dem Kläger allenfalls im Umfang von 25% zugerechnet werden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 25.000 DM,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle aus dem Unfallereignis vom 14.06.1998 entstandenen und noch entstehenden Schäden unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 25% zu ersetzen, soweit nicht ein Forderungsübergang auf einen Sozialversicherungsträger erfolgt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Kläger ist persönlich angehört worden. Wegen seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.03.2002 (Blatt 162, 163 d. A.) Bezug genommen. Entscheidungsgründe:

1. Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage und der im Berufungsrechtszug zusätzlich erhobenen Leistungsklage auf Schmerzensgeld bestehen keine Bedenken.

2. Die geltend gemachten Ansprüche können sich nicht aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Amtshaftung (Art. 34 GG, § 839 BGB), sondern allein aus Verletzung der (privat-rechtlichen) Verkehrssicherungspflicht gem. §§ 823, 847 BGB ergeben. Die Verkehrssicherungspflicht ist privatrechtlicher Natur, sofern sie nicht eindeutig durch anderweitige Regelung den öffentlich-rechtlichen Amtspflichten der juristischen Person zugewiesen ist. Mangels einer entsprechenden Zuweisung ist die Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Straßen in Hessen privatrechtlicher Natur (BGHZ 108, 273, 274).

Die beklagte Stadt hat die Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt.

a) Der Verkehrssicherungspflichtige hat die Verkehrsteilnehmer vor den von der Straße ausgehenden Gefahren zu schützen und entsprechend dafür zu sorgen, dass sich die Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand befindet. Er muss in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag (ständige Rechtsprechung, etwa BGHZ 108, 273, 274). Wenn die öffentliche Hand im Straßenraum Hindernisse - etwa wie hierin Form von sogenannten "Kölner Tellern"- anbringt, um Anordnungen der Verkehrsbehörde geschwindigkeitsbeschränkender oder verkehrsberuhigender Art Nachdruck zu verleihen, muss das Hindernis einerseits geeignet sein, die Verkehrsteilnehmer zu dem gewünschten Verhalten zu veranlassen; es darf andererseits aber nicht selbst zur Quelle einer Gefährdung trotz verkehrsgerechten Verhaltens der Teilnehmer am Straßenverkehr werden (BGH NJW 1991, 2824).

b) Nach diesen Grundsätzen kann das Anbringen der "Kölner Teller" in der Sandplackenstraße nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Sie sind geeignet, der für diesen Bereich geltenden Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h Nachdruck zu verleihen. Sie können von Personenkraftfahrzeugen und Lastkraftwagen bei Einhaltung dieser Höchstgeschwindigkeit ohne nennenswerte Gefahrerhöhung überquert werden.

Allerdings stellen die "Kölner Teller" für Radfahrer eine Gefährdung dar. Unstreitig können diese von Radfahrern nur bei einer Geschwindigkeit von bis zu 10 km/h hinreichend sicher passiert werden. Bei höherer Geschwindigkeit besteht das Risiko, dass die Unebenheiten, die sich aus den in 2 Reihen versetzt hintereinander angeordneten "Kölner Tellern" ergeben, zum Sturz führen. Diese Gefährdung wird indes dadurch maßgeblich abgemildert, dass am rechten Fahrbahnrand eine Durchfahrtsmöglichkeit für Radfahrer von mindestens 1m Breite besteht. Ein Streifen in dieser Breite ermöglicht einem Radfahrer das gefahrlose Passieren der "Kölner Teller" (vgl. OLG Hamm DAR 1990, 458, 459; OLG Saarbrücken NZV 1998, 284).

Der Umstand, dass am rechten Fahrbahnrand verbotswidrig parkende Fahrzeuge standen, die den Kläger daran hinderten, an den "Kölner Tellern" seitlich vorbeizufahren, begründet die Haftung der Beklagten nicht. Es ist die typische Folge von Verletzungen der Straßenverkehrsordnung, dass sich dadurch Gefährdungen für andere Verkehrsteilnehmer ergeben. Derartige Gefährdungen ergeben sich indes nicht aus dem Zustand der Straße und können deshalb dem Straßenverkehrssicherungspflichtigen nicht ohne weiteres zugerechnet werden.

c) Der Beklagte haftet auch nicht deshalb wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, weil sie es unterlassen hat, Radfahrer durch ein Verkehrszeichen auf die von den "Kölner Tellern" ausgehende Gefahr hinzuweisen und sie dadurch zu einer Verminderung der Geschwindigkeit zu veranlassen.

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob nach den hier gegebenen besonderen Verhältnissen eine Warnung durch ein Gefahrzeichen erforderlich war. Zwar war die Sicht auf die Gefahrenstelle durch die langgezogene Rechtskurve vor den Kölner Tellern begrenzt. Gegen das Erfordernis einer Warnung vor den "Kölner Tellern" spricht aber der Umstand, dass diese nur wenige Meter vor einem Fußgängerüberweg angeordnet waren, auf welchen die Verkehrsteilnehmer durch das Zeichen 134 mit dem Zusatzschild "50m" hingewiesen wurden. Deshalb waren auch Radfahrer verpflichtet, nur mit mäßiger Geschwindigkeit an den Fußgängerüberweg heranzufahren, um Fußgängern das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen und wenn nötig, zu warten (§ 26 Abs. 1 StVO). Danach musste sich jeder Radfahrer ohnehin darauf einrichten, an dem Fußgängerüberweg möglicherweise anhalten zu müssen. Dieser Umstand spricht dafür, dass sich ein Radfahrer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, (auch) auf die von den Kölner Tellern ausgehenden Gefahren einzurichten vermag.

Ob die Beklagte verpflichtet war, ein Gefahrenzeichen aufzustellen, kann hier jedoch offen bleiben. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht dadurch verletzt hat, dass sie nicht durch ein Verkehrszeichen vor den "Kölner Tellern" warnte, ist die Klage nicht begründet. Denn es fehlt an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem fehlenden Gefahrzeichen und dem Unfallereignis.

Der Kläger hat bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht ausgesagt (Blatt 70, 71): "Ich habe mein Fahrrad noch gut abbremsen können. Zum Stillstand konnte ich es aber nicht mehr bringen. Ich wollte es sicher auch nicht, sondern wollte langsam über die Kölner Teller fahren. Möglicherweise hätte ich eine Vollbremsung machen können, wenn ich es gewollt hätte. Aber mir erschienen die Kölner Teller nicht als solches Hindernis, dass dies nötig gewesen wäre." Bei seiner ergänzenden Anhörung in der Berufungsinstanz hat der Kläger außerdem angegeben (Blatt 165, 166): "Wenn ich noch weiter hätte abbremsen können, wäre ich wahrscheinlich noch langsamer darüber gefahren. Es ist richtig, dass mir eine Vollbremsung nicht notwendig erschien. Ich war der Meinung, dass ich das Hindernis bewältigen kann. Als ich über diese Kölner Teller fuhr, hatte ich die Bremsen nicht mehr angezogen, sondern gelöst."

Die Angaben des Klägers sprechen dafür, dass er davon ausging, auch ohne weitere Reduzierung seiner Geschwindigkeit das in den Kölner Tellern liegende Hindernis bewältigen zu können und dass er deshalb von einer Vollbremsung absah. Eine weitergehende Warnfunktion als der unmittelbare Augenschein von der Gefahrenstelle geht von der Warnung durch ein Verkehrsschild nicht aus. Danach ist der Unfall nicht durch das Fehlen eines Gefahrenzeichens verursacht worden.

d) Die Beklagte hat schließlich auch nicht deshalb ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie im Bereich der "Kölner Teller" nicht die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 10 km/h reduzierte. Die geltende Zonengeschwindigkeit von höchstens 30 km/h begründete kein Vertrauen, dass die Straße mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h gefahrlos benutzt werden könne. Die Bedeutung einer durch das Zeichen 274.1 zu § 41 StVO angeordneten Zonengeschwindigkeit beschränkt sich auf das Verbot, innerhalb der Zone mit einer höheren Geschwindigkeit zu fahren als angegeben.

Danach ist die Berufung des Klägers nicht begründet.

4. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 708 Nr. 10,711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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