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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 26.10.2000
Aktenzeichen: 1 U 81/99
Rechtsgebiete: SGB X, BGB


Vorschriften:

SGB X § 116
BGB § 839
BGB § 839 Abs. 1 S. 2
BGB § 831
Für Schäden, die ein Zivildienstleistender in Ausübung des Ersatzdienstes Dritten zufügt, hat die Bundesrepublik Deutschland unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung einzustehen
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 81/99

5 O 210/98 LG Wiesbaden

Verkündet am 26.10.2000

In dem Rechtsstreit ...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14.9.2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.3.1999 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Wiesbaden (Az.: 5 0 210/98) wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 12.818,13 DM. Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Landgericht hat der Klage in dem - hiermit in Bezug genommenen angefochtenen Urteil zu Recht stattgegeben. Die dagegen erhobenen Einwände der Berufung greifen nicht durch.

Der Ersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht ist aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, § 116 SGB X begründet.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Zeuge B. den Unfall der Frau G. schuldhaft verursacht hat und daß darin eine Amtspflichtverletzung zu sehen ist, für die die Beklagte einzustehen hat.

Anerkanntermaßen haftet die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung für Schäden, die ein Zivildienstleistender in Ausübung des Ersatzdienstes Dritten zufügt. Dabei ist unbeachtlich, daß die Beschäftigungsstelle des Zivildienstleistenden privatrechtlich organisiert ist und privatrechtliche Aufgaben wahrnimmt; es spielt somit keine Rolle, daß vorliegend der J. e.V. als Beschäftigungsstelle des Zeugen B. privatrechtlich organisiert ist und daß er im Falle der Frau G. mit der Durchführung ihres Personentransportes eine privatrechtliche Aufgabe wahrgenommen hatte. Haftende Körperschaft i.S.v. Art. 34 GG ist in solchen Fällen nicht die anerkannte Beschäftigungsstelle des Zivildienstleistenden, sondern die Bundesrepublik Deutschland (BGH NJW 1992, 2882; NJW 1997,2109; BGH NVwZ 2000, 963).

Das Landgericht ist auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme auch rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß der Unfall der Frau G. auf einem vorwerfbaren Fehl- verhalten des für deren ausreichende Transportsicherung verantwortlich gewesenen Zeugen B. beruht hat. Der Einwand der Berufung, entgegen der Annahme des Landgerichts könne ein unfallursächliches Verschulden des Zeugen B. nicht als feststehend erachtet werden, geht fehl.

Für ein entsprechendes Fehlverhalten des Zeugen B. spricht bereits die nach dessen Angaben zeitnah nach dem Unfallereignis gefertigte Schadensmeldung der J. e.V. vom 15.7.1996 (Bl. 6 d.A.), nach deren Inhalt als Ursache des Rausrutschens von Frau G. aus dem Rollstuhl "wohl ein nicht eingeklinkter Sicherheitsgurt" angegeben ist.

Der insoweit von dem Zeugen B. herrührende Anschein einer unzureichenden Sicherung der Frau G. mangels Einrastens des Sicherheitsgurtes ist entgegen der Auffassung der Berufung durch die Vernehmung des Zeugen B. nicht als entkräftet anzusehen. Abgesehen davon, daß die Aussage des Zeugen B. vor dem Landgericht insgesamt von erheblicher, auf Grund des Zeitablaufs allerdings verständlicher Gedächtnislücken geprägt ist und schon deshalb der Beweiswert der unmittelbaren Schadensmeldung vom 15.7.1996 höher einzustufen ist, hat sich der Zeuge bei seiner Vernehmung jedenfalls widersprüchlich geäußert und damit den Anschein seines schadensursächlichen Fehlverhaltens nicht auszuräumen vermocht. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf seine Bekundung, er könne nicht saqen, ob er beide Sicherungsmaßnahmen (Arretierung des Rollstuhles und Personensicherung durch den Sicherheitsgurt) ordnungsqemäß durchgeführt hatte, wozu im übrigen in völligem Widerspruch die weitere Äußerung des Zeugen steht, er gehe davon aus, daß die Angaben in der Schadensmeldung vom 15.7.1996 richtig sind, was heiße, daß "ich an sich Frau G. mit einem Beckengurt gesichert hatte". Letzteres ergibt sich hinsichtlich der notwendigen Sicherung durch Einrasten des Sicherheitsgurtes aber gerade nicht aus der in Bezug genommenen Schadensmeldung, deren Beweiswert unter den gegebenen Umständen der Vorrang einzuräumen ist.

Es liegt auf der Hand, daß die darin bezeichnete Schadensursache auf einem dem Zeugen B. anzulastenden Fehlverhalten beruhte, was unabhängig davon gilt, ob er von der Beschäftigungsstelle hinreichend eingewiesen worden war. Denn nach seinem Be- kunden war sich der Zeuge der Notwendigkeit sehr wohl bewußt, daß die -Geschädigte nur durch ordnungsgemäßes Einklinken des Sicherheitsgurtes hinreichend während des Transportes gesichert war.

Soweit die Beklagte lediglich darauf verwiesen hat, daß die Geschädigte den Gurt selbst gelöst haben kann, bestehen dafür abgesehen davon, daß die Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Gurtbefestigung nicht erwiesen ist, keine hinreichenden Anhalte. Der bloße Umstand, daß der Unfall der Geschädigten sich erst nach einer längeren Fahrstrecke ereignet hatte, reicht insoweit nicht aus, um von einer anderen Schadensurache auszugehen, zumal Frau G. auf Grund eines erstmaligen starken Bremsmanövers des Transportfahrzeuges aus dem unstreitig arretierten Rollstuhl gefallen ist. Es erscheint nicht als ungewöhnlich, daß die Geschädigte bei normaler, nicht durch starkes Abbremsen beeinträchtigter Fahrweise trotz nicht hinreichender Gurtsicherung in dem Rollstuhl sitzen konnte, und es spricht gerade für die mangelnde Gurtsicherung, daß sie erst nach dem starken Bremsmanöver des Zeugen B. aus dem Rollstuhl gefallen ist.

Nach alldem ist somit nicht zu beanstanden, daß das Landgericht von einer erwiesenermaßen vorliegenden Amtspflichtverletzung ausgegangen ist, für die die Beklagte einzustehen hat.

Der Beklagten ist es auch verwehrt, sich ihrer Einstandspflicht unter Berufung auf § 839 Abs. 1 S. 2 BGB Zu entziehen.

Auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit der Geschädigten kann sich die Beklagte schon deshalb nicht erfolgreich berufen, weil im Falle des vorliegenden Unfalls der Frau G. der anerkannte Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer gilt (OLG Köln, OLG-Report 16/1998, 265) und eine Verweisung auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit deshalb ausscheidet (BGHZ 68, 217; NJW 79, 1602).

Der Senat schließt sich der Auffassung an, daß ein Unfall im Straßenverkehr auch dann vorliegt, wenn während einer Transportfahrt der im Rollstuhl zu transportierenden Person diese mangels hinreichender Sicherung geschädigt wurde, weil auch insoweit die verkehrsrechtlich begründete Verpflichtung des Fahrzeugführers berührt ist, für eine hinreichende Sicherheit der Fahrzeuginsassen im Rahmen der Teilnahme am Straßenverkehr - etwa durch Gurtanlegung - Sorge tragen zu müssen.

Nichts anderes kann im vorliegenden Falle im Verhältnis des Fahrzeugführers, des Zeugen B., zu der transportierten Fahrzeuginsassin, der geschädigten Frau G., gelten, denn es besteht kein Grund, zwischen dem Pflichtenkreis des Zeugen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und den gegenüber den Fahrzeuginsassen bestehenden Pflichten zu differenzieren.

Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit der Geschädigten ist im übrigen auch deshalb nicht gegeben, weil der J. e.V. nicht gemäß § 831 BGB für das Fehlverhalten des Zeugen B. haftet. Denn dieser wurde bei Ausübung seines Ersatzdienstes nicht als Verrichtungsgehilfe des J. e.V. tätig. Mit ihrer Anerkennung als Beschäftigungsstelle ist diese hoheitlich beliehene Einrichtung zum Ersatzpflichtigen in ein Verhältnis von Rechten und Pflichten getreten, das durch die zu erfüllende Hoheitsaufgabe eigenverantwortliche Mitwirkung bei der Durchführung des Zivildienstes im Interesse des Allgemeinwohls - bestimmt ist. Die eigene Aufgabenstellung der mit der Durchführung des Zivildienstes betrauten Einrichtung hat insoweit nur Bedeutung, als sie den Zielen des Zivildienstes entsprechen muß (BGH NJW 1992, 2882 (2883)). Diese das Innenverhältnis zwischen dem Zivildienstleistenden und der Beschäftigungsstelle betreffenden Grundsätze bestimmen auch den Charakter der Rechtsbeziehungen zu geschädigten Dritten. Wegen ihrer hoheitlichen Zielsetzung kann die Tätigkeit des Zivildienstleistenden auch nach außen hin in der Regel nur als Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes angesehen werden. Das gilt auch dann, wenn die Beschäftigungsstelle - wie vorliegend der J. e.V. auf Grund eines Vertrages mit der Stadt Wiesbaden - privatrechtliche Aufgaben wahrnimmt, indem sie den Transport der Frau G. von der Reha-Klinik aus durchführte. In solchen Fällen wird die bei isolierter Betrachtung dem Privatrecht zuzuordnende Tätigkeit auf Grund ihrer Einbettung in das Zivildienstverhältnis sowohl allgemein als auch im konkreten Fall durch die hoheitliche Zielsetzung überlagert, die dem Handeln des Zivildienst- leistenden bei der Erfüllung seiner besonderen öffentlich-rechtlichen Pflichten immanent ist (BGH aa0).

Letztlich hat nicht der Träger der Beschäftigungsstelle, sondern die Bundesrepublik dem Dienstleistenden den Aufgabenbereich, innerhalb dessen die Pflichtverletzung erfolgt ist, anvertraut (BGH NVwZ 2000, 963, 964 m.w.Nachw.). Danach ist der Zeuge B. nicht als Verrichtungsgehilfe des J. e.V. anzusehen.

Aus den gleichen Gründen kommt auch eine vertragliche Haftung dieser Beschäftigungsstelle aus dem mit der Stadt Wiesbaden geschlossenen privatrechtlichen Beförderungsvertrag, in dessen Schutzwirkung die Frau G. einbezogen war, nicht in Betracht, denn der Zeuge B. war bei der Ausübung seines Dienstes auch nicht Erfüllungsgehilfe des J. e.V. .

Da dieser seine privat-rechtlichen Pflichten aus dem Beförderungsvertrag durch den zivildienstleistenden Zeugen B. erfüllte, wurde die bei isolierter Betrachtung dem Privatrecht zuzordnende Tätigkeit auf Grund ihrer Einbettung in das Zivildienstverhältnis durch die hoheitliche Zielsetzung überlagert, was ungeachtet der gegebenen eigenen Weisungsbefugnis der Beschäftigungsstelle gilt. Denn der konkrete Einsatz des Zivildienstleistenden fiel letzten Endes in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Bundes (BHGH NVwZ 2000, 963, (964», so daß der Zeuge B. auch nicht als Erfüllungsgehilfe des J. e.V. angesehen werden kann.

Aus den genannten Gründen scheidet eine anderweitige Ersatzmöglichkeit auch hinsichtlich eines Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer des Transportfahrzeuges aus (BGH NJW 1997, 2109).

Die Beklagte hat die Höhe der geltend gemachten und vom Landgericht zugesprochenen Forderungen nach Vorlage der Rechnungsbelege durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.9.00 (Bl. 99 - 103 d.A.) nicht mehr bestritten, aus denen sich die Berechtigung der Klageforderung ebenso ergibt wie die von der Klägerin vorgetragene Schadensre- gulierung gemäß Teilungsabkommen (Bi. 98 d.A.). Danach konnte das Rechtsmittel auch der Höhe nach nicht durchgreifen.

Das gilt ebenso hinsichtlich des durch das Landgericht zuerkannten Feststellungsbegehrens. Unter Berücksichtigung des unstreitig von der Geschädigten erlittenen komplizierten Spiralbruches und ihres fortgeschrittenen Alters - die Geschädigte ist am 19.1.1910 geboren - muß mit derzeit noch nicht absehbaren Unfallfolgen und weiteren Heilungskosten gerechnet werden, so daß der Feststellungsanspruch als begründet zu erachten ist.

Nach allem war der Berufung der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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