Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.05.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 57/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die weitere Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§ 310 StPO) und begründet.

Der Angeklagte ist der ihm in dem Haftbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 15.4.2008 vorgeworfenen Straftat der gefährlichen Körperverletzung dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht gründet sich auf die in dem Haftbefehl, der während laufender Hauptverhandlung erlassen wurde, angegebenen Beweismittel.

Die gesetzlichen Voraussetzungen des einzig herangezogenen Haftgrundes der Wiederholungsgefahr nach § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO liegen nicht vor.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht. Der Angeklagte ist nicht der wiederholten Begehung einer Anlasstat dringend verdächtig. Von den Katalogtaten der Norm ist Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens lediglich eine gefährliche Körperverletzung. Die den rechtskräftigen Verurteilungen des Angeklagten durch das Amtsgericht Schmalkalden vom 27.8.2004 und 11.11.2004 (Az.: 380 Js 9254/03 - 1 Ds und 380 Js 8612/04 - 1 Ds) wegen gefährlicher Körperverletzung zugrunde liegenden Taten sind als Anlasstaten im Sinne des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 9.4.2008 - Az.: 1 Ws 44/08) müssen die Taten, deren wiederholter oder fortgesetzter Begehung der Angeklagte zur Erfüllung der Voraussetzungen der Vorschrift dringend verdächtig sein muss. Gegenstand desselben Ermittlungsverfahrens sein. Die abweichende Meinung (u.a. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 210) widerspricht dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO erfordert, dass der Angeklagte dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt die Anlasstaten des §§ 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO begangen zu haben. Der Beschuldigte einer bereits rechtskräftig abgeurteilten Tat ist aber nicht mehr "dringend verdächtig", die Tat begangen zu haben, seine Täterschaft ist vielmehr bereits rechtskräftig festgestellt, er ist der Tat schuldig. Die abweichende Auffassung vermischt in unzulässiger Weise zwei Voraussetzungen der Wiederholungsgefahr miteinander, nämlich den dringenden Tatverdacht der Anlasstaten und die bestimmten Tatsachen, welche die Wiederholungsgefahr begründen. Das Gesetz verlangt beides nebeneinander, die Anlasstaten und die bestimmten Tatsachen, welche die Wiederholungsgefahr begründen, zu denen regelmäßig die Vorverurteilungen gehören. Zur Begründung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO können die Vorverurteilungen jedoch nicht herangezogen werden. Dafür spricht auch der gesetzestechnische Aufbau. Wäre es der Wille des Gesetzgebers gewesen, schon eine einzelne Tat als Anlasstat ausreichen zu lassen, wäre es nicht erforderlich gewesen, zwischen den beiden Fallgruppen des § 112 a StPO schon bezüglich der Anlasstat zu differenzieren, d. h. bei Sexualstraftaten (Nr. 1) eine, bei den übrigen Delikten (Nr. 2) hingegen eine wiederholte oder fortgesetzte Tat zu fordern. Vielmehr hätte es genügt, die im Hinblick auf das unterschiedliche Gewicht beider Fallgruppen gebotene Differenzierung im Bereich der übrigen Voraussetzungen vorzunehmen. Der Auffassung des Senats entspricht auch dem in den Gesetzesmotiven zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers (vgl. Senatsbeschl. v. 9.4.2008 a.a.O.). Zudem hat der Gesetzgeber in Kenntnis der in der Rechtsprechung kontroversen Auslegung des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO es bei den Änderungen der Norm (zuletzt Art. 2 des 40. StrG vom 22.3.2007) bei dem ursprünglichen Wortlaut belassen und nicht etwa eine der abweichenden Meinung entsprechende Regelung der Norm formuliert. Auch der nach § 112 a StPO gestattete Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit zum Schutze der Allgemeinheit, also zu Präventivzwecken, gebietet eine restriktive Auslegung der Norm, die eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 112 a StPO über seinen Wortlaut hinaus entgegensteht (vgl. SK-Päffgen, StPO, § 112 a Rdnr. 11). Das zur Begründung der Gegenmeinung bemühte Bedürfnis des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten rechtfertigt keine Ausweitung des restriktiv auszulegenden Haftgrundes dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers entgegen, dem es unbenommen gewesen wäre, die Formulierung der Nr. 2 der der Nr. 1 anzugleichen.

Da weitere Haftgründe nicht vorliegen (sie werden weder vom Amtsgericht noch vom Landgericht noch von der Staatsanwaltschaft bemüht), war der Haftbefehl entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft beim OLG aufzuheben.

Ende der Entscheidung

Zurück