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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.09.2006
Aktenzeichen: 13 W 70/06
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 209
ZPO § 116
Zur Frage, ob nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Alt-Masseverbindlichkeiten für die Beurteilung der Bedürftigkeit im Sinne des § 116 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen sind.
Gründe:

Der Kläger ist Verwalter in dem am 31.03.2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A.

Mit Schreiben vom 26.02.04 zeigte der Kläger beim Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit an.

In dem vorliegenden Verfahren nimmt er die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe von 26.666,09 € in Anspruch, der durch die fehlerhafte Vermörtelung von Brandschutzklappen durch die Beklagte als Subunternehmerin der Gemeinschuldnerin entstanden sei. Hierfür begehrt der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Der Kläger macht geltend, die Kosten könnten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden.

Zwar verfüge er auf dem Insolvenzhinterlegungskonto über ein Guthaben von 447.597,04 €, die geschätzten Verfahrenskosten beliefen sich aber auf mindestens 180.000,00 €, hinzu kämen Masseverbindlichkeiten aus den Kündigungszeiten der Arbeitsnehmer in Höhe von 182.883,31 €, weitere Masseschulden in Höhe von 72.125,11 € sowie Kosten für die abzugebenden steuerlichen Erklärungen in Höhe von mindestens 25.000,00 €, sodass die freie Insolvenzmasse nicht ausreiche, die Masseverbindlichkeiten in voller Höhe zu decken. Das Verfahren werde nach derzeitigem Kenntnisstand auch nach Liquidierung aller vorhandenen Vermögenswerte masseunzulänglich bleiben, allenfalls werde eine geringfügige Quote im einstelligen Prozentbereich zur Ausschüttung kommen können. Deshalb sei den Gläubigern der Insolvenzschuldnerin die Einzahlung eines Kostenvorschusses nicht zumutbar.

Mit Verfügung vom 09.06.06 hat das Landgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass im Hinblick darauf, dass gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Neu-Masseverbindlichkeiten den sonstigen Masseverbindlichkeiten vorgehen, der Insolvenzverwalter darlegen müsse, dass Neu-Masseunzulänglichkeit vorliegt. Der Kläger vertritt demgegenüber die Auffassung, die Bedürftigkeit im Sinne von § 116 ZPO sei ausschließlich danach zu beurteilen, ob die Insolvenzmasse ausreichend sei, die bestehenden Masseverbindlichkeiten und Verfahrenskosten zu decken. Die Auffassung des Gerichtes würde dazu führen, dass die Prozessführung zu Lasten der Alt-Massegläubiger erfolge, was zu einer unangemessenen Benachteiligung dieser Gläubigergruppe führen würde.

Mit Beschluss vom 14.07.2006, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, hat das Landgericht - Einzelrichter - die begehrte Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit versagt.

Gegen diesen Beschluss hat der Kläger am 26.07.06 (Eingang bei Gericht) Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Der zuständige Einzelrichter des Senats hat die Beschwerde gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO auf den Senat übertragen.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Bedürftigkeit zu Recht verneint, da nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Alt-Masseverbindlichkeiten für die Beurteilung der Bedürftigkeit nicht mehr zu berücksichtigen sind (a. A. wohl BAG ZIP 2003, 1947, BVerwG ZIP 2006, 1542 (1543 unter 4.), allerdings ohne Eingehen auf § 209 Abs. 1 InsO).

Die aus einer Klage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstehenden Verbindlichkeiten sind Neu-Masseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die vorrangig vor Alt-Masseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) zu berücksichtigen sind. Soweit dem Insolvenzverwalter ausreichende Mittel für sowohl die Massekosten (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO) als auch die Neu-Masseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) zur Verfügung stehen, kann er mithin die Kosten für einen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit beabsichtigten Prozess aus der verwalteten Vermögensmasse aufbringen.

Dass die Prozessführung damit zu Lasten der Altgläubiger erfolgt, wie der Kläger geltend macht, steht dem nicht entgegen. Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit endet nicht die Abwicklungs- und Befriedigungsaufgabe des Insolvenzverwalters. Er bleibt vielmehr zur Verwaltung und Verwertung der Masse verpflichtet (§ 208 Abs. 3 InsO). Das Insolvenzverfahren wird fortgesetzt mit dem Ziel, die noch vorhandene Restmasse geordnet im Interesse der Befriedigung der (nunmehr primär) Massegläubiger zu verwerten (vgl. Münchener Kommentar InsO - Hefermehl Rn 43 zu § 208). Aufgrund der mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit bewirkten Zäsur kann der Verwalter neue Masseverbindlichkeiten zum Zweck der weiteren Verwaltung und Verwertung nach § 208 Abs. 3 InsO eingehen, wenn und soweit er sie aus der Masse vorweg zu befriedigen in der Lage ist (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Durch die Rückstufung der Alt-Masseverbindlichkeiten besitzt er die dazu erforderliche Handlungsfreiheit (vgl. Münchener Kommentar InsO - Hefermehl Rn 45 zu § 208).

Die Entscheidung für eine Klageerhebung unterscheidet sich strukturell nicht von anderen Verwertungsentscheidungen des Verwalters. Dieser hat durch Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens die Vor- und Nachteile jeder Verwertungshandlung zum Wohle der Gläubigergemeinschaft abzuwägen. Dabei ist nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die besondere Mangelsituation zu berücksichtigen. Spricht diese Abwägung für eine Prozessführung, so sind die Kosten, soweit möglich, auch aus der Masse zu tragen. Das Kostenrisiko der Prozessführung liegt damit dort, wo es hingehört. Das Geld, das für eine erfolglose Prozessführung aus der Masse verbraucht wird, fehlt am Ende des Verfahrens derjenigen Gläubigergruppe, der der Erlös aus einem gewonnen Prozess auch zugeflossen wäre. Positiver Nebeneffekt ist, dass damit im Ergebnis auch Kleingläubiger das auf sie entfallende Risiko tragen und nicht aus Praktikabilitätsgründen bevorzugt werden (vgl. Ringstmeier-Homann, ZIP 2006, 284, 285 unter IV). Das Kostenrisiko liegt zudem für den aufschiebend bedingt entstehenden Kostenerstattungsanspruch der Gegenseite ohnedies bei der gegebenenfalls begünstigten Gläubigergruppe, da es sich insoweit um eine Neu-Masseverbindlichkeit handelt.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist hier eine Bedürftigkeit nicht gegeben.

Von dem Guthaben in Höhe von 447.597,04 € sind vorab lediglich die Verfahrenskosten in Höhe von ca. 205.000,00 € abzuziehen. Zur Zahlung der Prozesskosten für die vorliegende Klage mit einem Streitwert von rund 27.000,00 € verbleiben dem Verwalter liquide Mittel von mehr als 200.000,00 €.

Die Frage, ob den Alt-Massegläubigern, die von einem Erfolg der Klage profitieren würden, zumutbar ist, die Prozesskosten aufzubringen (vgl. BGH ZIP 2005, 1519), stellt sich damit vorliegend nicht.

Gemäß § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, da die Frage, ob nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Alt-Masseverbindlichkeiten für die Beurteilung der Bedürftigkeit im Sinne des § 116 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen sind, von grundsätzlicher Bedeutung und - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist.

Ende der Entscheidung

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