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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.01.2000
Aktenzeichen: 15 W 114/99
Rechtsgebiete: GKG, ZPO, InsO


Vorschriften:

GKG § 50 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 577
ZPO § 575
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 93
ZPO § 94
ZPO § 95
ZPO § 96
ZPO § 97
ZPO § 98
ZPO § 99
ZPO § 100
InsO § 304
InsO § 7 Abs. 1 Satz 2
InsO § 6 Abs. 2
InsO § 7 Abs. 1
InsO § 304 Abs. 1
InsO § 4
InsO § 7
Verbraucherinsolvenzverfahren bei früherer selbstständiger wirtschaftlicher Tätigkeit.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

15 W 114/99

3 T 550/99 LG Kassel 661 IK 1/99 AG Kassel

Entscheidung vom 5.1.2000

In dem Insolvenzverfahren ...

hat der 15. Zivilsenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Antrecht sowie die Richter am Oberlandesgericht Knauff und Bloch am 5. Januar 2000 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers werden die Beschwerdeentscheidung der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 27. August 1999 sowie der Beschluß des Amtsgerichts Kassel - Insolvenzgericht - vom 3. August 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur weiteren Bearbeitung an das Amtsgericht Kassel zurückverwiesen, das angewiesen wird, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht aus den Gründen der aufgehobenen amts- und landgerichtlichen Entscheidungen abzuweisen. Der Schuldner hat die Gerichtskosten der weiteren Beschwerde nach einem Beschwerdewert von 5.000 DM zu tragen; außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 26. Januar 1999 bei dem Amtsgericht Kassel beantragt, über sein Vermögen das Verbraucherinsolvenzverfahren zu eröffnen, weil er aufgrund einer früheren selbständigen Tätigkeit zahlungsunfähig und überschuldet sei.

In den Jahren 1988 bis Ende 1995 war der Antragsteller als Händler für EDV-Zubehör, PC-Soft- und Hardware selbständig tätig; seit Anfang 1996 arbeitet er als Vertriebsrepräsentant für Informationstechnik. Nach seinem Vorbringen hat er gegenüber 9 Gläubigern Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt etwa 250.000 DM, die überwiegend aus seiner früheren selbständigen Tätigkeit herrühren.

Durch Beschluß vom 3. August 1999 hat das Amtsgericht die Anträge des Antragstellers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung als unzulässig abgewiesen, weil seine Verbindlichkeiten auf der früher ausgeübten, nicht nur geringfügigen selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit beruhten. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht durch Beschluß vom 27. August 1999 aus den gleichen Gründen zurückgewiesen, weil die Vorschriften über das Verbraucherinsolvenzverfahren nur dann anwendbar seien, wenn die Verbindlichkeiten, deretwegen die Durchführung eines Insolvenzverfahrens beantragt werde, ganz oder zumindest überwiegend von dem Schuldner als Verbraucher eingegangen worden seien, weshalb es nicht darauf ankomme, daß der Schuldner im Zeitpunkt des Insolvenzantragsverfahrens eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit nicht mehr ausübe.

Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 7. September 1999 zugestellten Beschluß des Landgerichts hat der Antragsteller am 21. September 1999 schriftsätz- lich die Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde sowie zugleich beantragt, die Beschlüsse des Landgerichts und des Amtsgerichts Kassel aufzuheben und das Insolvenzverfahren antragsgemäß zu eröffnen.

Er bringt vor, das Amts- und das Landgericht hätten den § 304 InsO falsch ausgelegt und angewendet, weil nach dem Wortlaut jener Vorschrift eindeutig auf die gegenwärtig ausgeübte Tätigkeit des Antragstellers abzustellen sei; zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidungen geboten, zumal von ihnen abweichende Ansichten im Schrifttum sowie nunmehr auch vom Amtsgericht Frankfurt am Main (Beschluß vom 23. Juni 1999 - 816 IK 11/99) vertreten würden.

I.

Dem Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde ist zu entsprechen. Denn er ist form- und fristgerecht nach den §§ 7 Abs. 1 Satz 2, 6 Abs. 2 InsO, 577 ZPO gestellt worden, und auch die sonstigen Voraussetzungen für die Zulassung des weiteren Rechtsmittels nach § 7 Abs. 1 InsO sind erfüllt.

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts und ebenso die des Amtsgerichts beruhen auf einer Verletzung des Gesetzes, weil § 304 Abs. 1 InsO nicht richtig angewendet worden ist (§§ 7 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 InsO, 550 ZPO).

Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut des § 304 Abs. 1 InsO, wonach das Verbraucherinsolvenzverfahren in Betracht kommt, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, die keine oder nur eine geringfügige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt". Damit hat der Gesetzgeber eindeutig die Gegenwartsform gewählt und nicht etwa auf eine frühere selbständige wirtschaftliche Tätigkeit abgestellt (ebenso Bork ZIP 1999, 301, 302; Hoffmann Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung 1998, Seite 7). Wollte man demgegenüber entgegen dem Wortlaut des Gesetzes zur Abgrenzung des Regelinsolvenzverfahrens vom Verbraucherinsolvenzverfahren auf die Verhältnisse des Schuldners in der Vergangenheit abstellen, ergäben sich in vielen Fällen erhebliche praktische Schwierigkeiten bei der erforderlichen Sachauf- klärung. Dabei müßte zunächst einmal ein Zeitpunkt festgelegt werden, für den in der Vergangenheit festzustellen wäre, ob eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners noch geringfügig war oder schon nicht mehr. Denn im Verlaufe einer längeren Zeit mag einmal das eine und einmal das andere gegolten haben. Deshalb hätte man wohl darauf abzustellen, wann in der Vergangenheit etwa Insolvenzreife eingetreten war, was wiederum in den meisten Fällen besondere Schwierigkeiten bereiten würde. Es mag zwar grundsätzlich einleuchten, solche Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen, wenn es darum geht, die Abwicklung eines - wenn auch toten" Wirtschaftsbetriebs oder Unternehmens dem Regelinsolvenzverfahren zuzuführen, doch hat der Gesetzgeber - wie bereits ausgeführt - nicht daran angeknüpft, ob ein stillgelegter Wirtschaftsbetrieb zu liquidieren ist, sondern er hat allein auf die persönlichen Eigenschaften des Schuldners abgestellt (Bork a.a.O.). Insoweit sind daher die Verhältnisse im laufenden Verfahren maßgebend, wobei lediglich zweifelhaft sein kann, ob auf den Zeitpunkt des Eingangs des Insolvenzantrags bei Gericht abzustellen ist (so Vallender ZIP 1999, 125, 129; Pape DB 1999, 1539; 1544; Nerlich/Römermann, Kommentar zur Insolvenzordnung, 1999, § 304 Anm. 7; Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. II 1999, § 304 Anm. 4; Hoffmann a.a.O.) oder ob es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Insolvenzantrag ankommt (so Bork a.a.O. Seite 303), was im Ergebnis allerdings selten einen Unterschied machen wird, weil sich die für § 304 InsO bedeutsamen Verhältnisse in dem zwischen diesen Zeitpunkten liegenden Zeitraum zumeist nicht verändert haben dürften (Bork a.a.O.).

Nach den vorstehenden Ausführungen ist mit der heute schon überwiegenden Ansicht im Schrifttum festzustellen, daß im vorliegenden Verfahren das Amts- und das Landgericht in den angefochtenen Entscheidungen das Gesetz, nämlich § 304 Abs. 1 InsO, nicht richtig angewendet haben.

Da jedoch die vom Amts- und vom Landgericht Kassel hier vertretene Ansicht einer Mindermeinung im Schrifttum entspricht (vgl. Eickmann/Flessner/Irschlinger/Kirchhof/Kreft/Landfermann/Marotzke, Insolvenzordnung, 1998, Anm. 4 zu § 304 mit weiterem Nachweis), und andererseits wiederum das Amtsgericht Frankfurt am Main (816 IK 11/99) bereits im Juni 1999 eine den hier angefochtenen Beschlüssen des Amts- und des Landgerichts Kassel entgegenstehende Entscheidung getroffen hat, erscheint die Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

II.

Das mithin zuzulassende und aus denselben Gründen wie der Zulassungsantrag auch sonst zulässige weitere Rechtsmittel hat insofern Erfolg, als die Sache in entsprechender Anwendung des § 575 ZPO zur weiteren Bearbeitung unmittelbar an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen ist (vgl. Eickmann/Flessner/Irschlinger/- Kirchhof/Kreft/Landferman/Marotzke, a.a.O., Anm. 28 zu § 7 InsO mit weiteren Nachweisen).

Da - wie oben unter I. ausgeführt - die Gründe, aus denen das Amts- und das Landgericht Kassel den Insolvenzantrag des Schuldners abgelehnt haben, mit § 304 InsO nicht im Einklang stehen, wird dem Antrag stattzugeben sein, sofern dem nicht andersartige Gründe entgegenstehen.

Insoweit ist anzumerken, daß nach dem derzeitigen Akteninhalt keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Schuldner etwa versucht, die Vereinfachungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens rechtsmißbräuchlich in Anspruch zu nehmen (vgl. zum Rechtsmißbrauch in derartigen Fällen: Bork a.a.O. Seite 304; Pape a.a.O. Seite 1544).

Gleichwohl ist die Sache noch nicht in dem Sinne entscheidungsreif, daß etwa der Senat selbst das Verbraucherinsolvenzverfahren - wie vom Schuldner mit der Beschwerde beantragt - eröffnen könnte. Insoweit wird auf die Verfügung des zuständigen Amtsrichters vom 15. Juni 1999 zu Ziffer 2) verwiesen, der zufolge das Verfahren noch weiterer Förderung bedarf.

III. Die Entscheidung über die Gerichtskosten der weiteren Beschwerde beruht auf entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. mit Nr. 4300 KV (vgl. Oestreich, Winter/Hellstab, Kommentar zum GKG, Anm. 5 und 6 zu Nr. 4300 KV). Die §§ 91 bis 100 ZPO sind hier nicht gemäß § 4 InsO anwendbar, weil die Gläubiger an dem vorliegenden Verfahren nach § 7 InsO nicht beteiligt waren (vgl. Eickmann/- Flessmann/Irschlinger/Kirchhof/Kreft/Landfermann/Marotzke, a.a.O., Anm. 8 zu § 4 InsO mit weiteren Nachweisen). Aus diesem Grunde sind auch außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.



Ende der Entscheidung

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