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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: 16 U 4/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253
BGB § 823
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin beansprucht Ersatz immateriellen Schadens ("Schmerzensgeld") wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts durch eine Presseveröffentlichung der Beklagten in der A vom 15. Januar 2006 über den B (Artikel "O1glänzt" - nach 67 Jahren endlich wieder der Ball in der C; inkriminierte Äußerung: "Das beste Kleid ? Wirklich diese Transe aus dem Travestietheater ,D?"). Die Beklagte hat vorgerichtlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und dafür Sorge getragen, dass die betreffende Äußerung auch über ihr elektronisches Archiv nicht mehr abrufbar ist.

Das Landgericht hat die Beklagte durch das angefochtene Urteil antragsgemäß zur Zahlung von 10.000.- € verurteilt. Es hat die Auffassung vertreten, bei dieser Äußerung handele sich um Schmähkritik; sie diene alleine der Herabwürdigung der Klägerin, schon die Verwendung des bestimmten Artikels "diese" bewirke - gleich einem Fingerzeig - ihre Anprangerung. Obwohl die Klägerin im gesamten Artikel weder namentlich bezeichnet noch abgebildet ist, sei zu vermuten, dass Leser sie als Betreiberin des O1 Travestie-Theaters "D" identifizieren. Es handele sich mithin um eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts, die nur durch Zubilligung der Geldentschädigung befriedigend ausgeglichen werden könne.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie beanstandet Fehler der Tatsachenfeststellung sowie Rechtsfehler und meint, die Klägerin sei in dem betreffenden Presseartikel entgegen den Mutmaßungen des Landgerichts schon nicht identifizierbar bezeichnet worden, sodass es schon an ihrer Erkennbarkeit und damit Betroffenheit fehle. Es handele sich im übrigen ohnehin nur um eine im Fließtext mehr oder weniger untergehende Äußerung. Zudem fehle es auch an der gebotenen rechtlichen Einordnung der Berichterstattung; das Landgericht habe insbesondere übersehen, dass auch überspitzte und scharfe Kritik zulässig sein könne, wenn sie durch einen wahren Tatsachenkern oder das mediale Vorverhalten des Betroffenen ausgelöst worden sei. Jedenfalls aber könne ihr - der Beklagten - kein schweres Verschulden zur Last gelegt werden. Einem etwa doch berechtigten Unterlassungsinteresse der Klägerin sei durch die abgegebene Unterlassungserklärung jedenfalls hinreichend Rechnung getragen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Entgegen der Ansicht des Landgericht ist ein Anspruch der Klägerin auf immateriellen Schadenersatz wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts (§§ 823, 253 BGB) nicht gegeben. Bei der inkriminierten Äußerung handelt es sich nicht um unzulässige Schmähkritik an der namentlich nicht einmal bezeichneten Klägerin. Sie hält sich im Gesamtkontext des satirisch angelegten Presseartikels der Beklagten im Rahmen einer zulässigen Meinungsäußerung, die die Klägerin - sofern wenigstens für Teile des angesprochenen Leserkreises identifizierbar - im Ergebnis hinzunehmen hat.

1. Die Zubilligung einer Geldentschädigung für immateriellen Schaden wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts kommt nach feststehender höchstrichterlicher Rechtsprechung schon im Ansatz nur dann in Betracht, wenn es sich um eine schwerwiegende Verletzung handelt und die Beeinträchtigung nach der Art der Verletzung nicht in befriedigender Weise (z.B. durch Unterlassung) ausgeglichen werden kann (BGH NJW 2005, 58). Ob eine schwerwiegende Verletzung vorliegt, hängt von Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie dem Grad seines Verschuldens ab.

a) In der Tat muss auch eine Meinungsäußerung und eine wertende Kritik am Verhalten anderer ihre Grenze dort finden, wo es sich um reine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handelt oder wo die Äußerung die Menschenwürde antastet. Wegen seines die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Von einer solchen kann erst dann die Rede sein, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (BGH - 29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 = NJW 2002, 1192; 5. Dezember 2006 - VI ZR 45/05 = BGHReport 2007, 261). Dabei dürfen angesichts der heutigen Reizüberflutung auch einprägsame, starke Formulierungen verwendet werden, selbst wenn sie eine scharfe und abwertende Kritik zum Inhalt haben und mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden (BGH a.a.O.)

b) Zudem ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Voraussetzung für die richtige rechtliche Wertung ist (natürlich) auch, dass der Sinn der Äußerung zutreffend erfasst worden ist. Die rechtliche Beurteilung einer satirischen Darstellung erfordert zunächst die Trennung zwischen dem Aussagegehalt und dem vom Verfasser gewählten satirischen Gewand, damit ihr eigentlicher Inhalt ermittelt wird; dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten. Erweist sich eine Glosse nicht unter dem Blickpunkt der Schmähkritik als unzulässig, sondern fällt sie in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, so bedarf es ggf. einer Abwägung mit dem gleichfalls grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (BGH - 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 = NJW 2000, 1036).

c) Schließlich kann sich niemand auf ein Recht zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat. Deshalb kann der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme dann entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten oder Verhaltensweisen öffentlich gemacht werden (BGH - 5. Dezember 2006 - VI ZR 45/05 = BGHReport 2007, 261).

2. Das Landgericht hat die inkriminierte Äußerung in dem Presseartikel der Beklagten demgegenüber zu Unrecht isoliert und ungeachtet des satirischen Gesamtkontextes bewertet. Es hat damit ihren eigentlichen Inhalt, ihre Bedeutung und ihre Tragweite verkannt.

a) Der gesamte Presseartikel der Beklagten wird dem durchschnittlichen Leser nicht als weitgehend wertfreie Wiedergabe von Fakten, sondern angesichts der durchgängig satirischen Tendenz als kritische Glosse über den "nach 67 Jahren endlich wieder" stattfindenden "Ball in der C" (Untertitel) als einem "bürgerlichen Vergnügen", das "sauschwer auf Anhieb hinzubekommen" sei (Spalte 2), erscheinen. Die kritische Haltung der Autorin zu Anspruch (Überschrift: "O1 glänzt") und von ihr so empfundener Realität (z.B.: "Muß ja eine Strafe sein, da mitmachen zu dürfen". Doch alles wird verziehen, alle wollen feiern - Spalte 3 oben) ist im Rahmen einer vordergründig positiv wertenden Darstellung stets deutlich und unübersehbar.

Dieser offensichtlich satirische Charakter der Darstellung prägt ebenso auch die inkriminierte Äußerung und gibt ihr damit ein völlig anderes, die Klägerin jedenfalls nicht als Person anprangerndes Gewicht. Sie steht nicht etwa für sich alleine und ist auch nicht pointiert hervorgehoben, sondern Teil einer Aufzählung von Fragesätzen (u.a.: "Der unmöglichste Gast? Jener mit dem Schnäuzer, der kein Dekolleté ungeprüft läßt"), die sich sämtlich auf das ihnen nachgestellte Fazit beziehen: "Das alles bietet den ballüblichen Gesprächsstoff, und ein ums andere Mal versichern ..., wie fabelhaft es sei, daß hier an eine lebensfrohe Balltradition erfolgreich angeknüpft werde" (Spalte 3).

b) Im Mittelpunkt der satirischen Darstellung des Presseartikels steht mithin die Kritik der Autorin an der offensichtlich von ihr empfundenen Diskrepanz zwischen Anspruch ("O1 glänzt") und Wirklichkeit (etwa: "Muß ja eine Strafe sein...") des Ballereignisses. Im Zusammenhang damit ist auch die inkrimierte Äußerung zu bewerten; im Vordergund steht insoweit nämlich ebenfalls lediglich die Banalität derartiger ("ballüblicher") Gesprächsstoffe. Folgerichtig ist die Klägerin namentlich schon nicht einmal bezeichnet. Um so weniger kann die gewählte gleichsam beiläufige, jedenfalls nicht in den Blickpunkt des Lesers gestellte Wendung im Gesamtzusammenhang als kritische Äußerung von Gewicht in Bezug auf die Klägerin, ihr äußeres Erscheinungsbild ("Das beste Kleid ?") oder eine bestimmten Orientierung ("diese Transe") gewertet werden. Gerade die Verknüpfung mit dem nachgestellten Fazit ("ballüblicher Gesprächsstoff", "lebensfrohe Balltradition") verdeutlicht, dass es der Autorin eben nicht um eine Anprangerung der Klägerin etwa wegen deren sexuellen Orientierung, sondern um die Verdeutlichung der von ihr empfundenen Banalität des so groß angekündigten gesellschaftlichen Ereignisses ging.

In diesem Lichte erscheint auch die Formulierung "diese Transe" - gerade auch wegen ihrer umgangssprachlichen Verballhornung - nicht als ernsthaft einordnende, kritisierende oder gar abwertende Wendung. Sie dient erkennbar nur der Verdeutlichung des "Klatsch- und Tratsch" - Charakters der als belanglos empfundenen, eben "ballüblichen" Gesprächsinhalte.

c) Selbst wenn man angesichts der Gesamtumstände - insbesondere namensbezogener Veröffentlichungen in anderen Medien - zugunsten der Klägerin unterstellen wollte, dass wenigstens Teilen des angesprochenen Leserkreises aus der inkriminierten Formulierung ein Rückschluss auf sie möglich gewesen sei, kann diese dennoch nicht als unzulässige Schmähkritik zu ihren Lasten, als Anprangerung ihrer Person, missdeutet werden.

3. Auch im Rahmen der sodann gebotenen Abwägung zwischen den grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Beklagten (Meinungsfreiheit) und der Klägerin (Persönlichkeitsschutz) ist jedenfalls eine schwerwiegende, nur durch Leistung einer Geldentschädigung auszugleichende Rechtsverletzung nicht erkennbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin, Leiterin eines Travestie-Theaters, eine Frau ist oder eine Frau "spielt": Im dargestellten satirischen Gesamtkontext ließe sich der gewählten Wendung nicht einmal ein Tatsachenkern im Sinne der Behauptung entnehmen, bei der Klägerin handele es sich um einen Transvestiten, sondern allenfalls, dass sie mit derartigen Aktivitäten in Verbindung zu bringen sei.

Das allerdings ist in ihrer Rolle als Theaterleiterin - unstreitig - der Fall.

4. Die Kostenentscheidung zu Lasten der unterlegenen Klägerin folgt aus § 91 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

5. Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; sie betraf nur die Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze und Rechtsprechung in einem Einzelfall. Eine Entscheidung des Bundesgerichthofs ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Ende der Entscheidung

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