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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 18.12.2002
Aktenzeichen: 17 U 176/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2346
BGB § 2352
Ein mit "Erbverzicht" überschriebener notarieller Vertrag kann trotz dieser Bezeichnung gleichwohl nur einen Zuwendungsverzicht regeln.
17 U 176/01

Verkündet am 18.12.2002

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter .........

auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 21. Juni 2001 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden abgeändert.

Die Beklagte wird in der ersten Stufe verurteilt,

a) Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 30.05.2000 verstorbenen Herrn zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses,

b) den Wert des im Grundbuch von Wiesbaden-Außen beim Amtsgericht Wiesbaden, Band 248, Blatt 5238, eingetragenen Grundstücks, Hof- und Gebäudefläche ......... durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, eine Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist der Sohn der am 28.3.1995 verstorbenen H. und des am 30.5.2000 verstorbenen H.K. B. Die Eheleute B. hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament vom 30.10.1984 zu gegenseitigen Alleinerben eingesetzt. Erbe des letztversterbenden sollte der Kläger sein (Bl. 6 d.A.). Nach dem Tod der Mutter schlossen der Kläger und sein Vater am 27.2.1998 einen als "Einigung mit Erbverzicht" bezeichneten notariell beurkundeten Vertrag. In diesem Vertrag stellten der Kläger und sein Vater in § 1 fest, dass im Jahre 1994 und am Tag der notariellen Beurkundung abgeschlossene Grundstückskauf- und Tauschverträge wirksam seien. § 2 heißt wie folgt:

Herr Udo B. erklärt, dass er auf sämtliche Erbrechtlichen Ansprüche als eingesetzter Schlusserbe aus dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute H.K. B. und H. B. geb..... vom 30.10.1984 verzichtet.

Der Verzicht erstreckt sich auch auf etwaige Ansprüche an den Nachlass der verstorbenen Frau H. B. geb. ..... Insoweit erklärt sich

Herr Udo B. für abgefunden.

Herr Heinz-Karl B. nimmt die vorstehende Verzichtserklärung an.

Durch Testament vom 15.11.1999 setzte der Vater des Klägers unter Hinweis auf den vorzitierten notariellen Vertrag die Beklagte, seine Lebensgefährtin, zur Alleinerbin ein. Dabei stellte der Erblasser dar, dass sich sein Sohn als Erbe für abgefunden erklärt habe. Der Verzichtsvertrag ermächtige ihn, ihn beim Nachlass nicht mehr zu berücksichtigen.

Mit der Stufenklage verlangt der Kläger von der Beklagten Auskunft über den Bestand des Nachlasses, Wertermittlung eines im Nachlass befindlichen Grundstücks durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Zahlung des Pflichtteils in Höhe von 1/2 des sich aus der Auskunft ergebenden Nachlasswertes.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe in dem Vertrag vom 27.2.1998 nicht auf sein Pflichtteilsrecht, sondern nur auf seine Erbrechtlichen Ansprüche aus dem gemeinschaftlichen Testament seiner Eltern verzichtet und sich im übrigen nur bezüglich des Nachlasses seiner Mutter für abgefunden erklärt.

Das Landgericht hat durch ein unechtes Versäumnisurteil die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe sich dem Vertrag vom 27.2.1998 nicht nur hinsichtlich seines Pflichtteilsanspruchs am Nachlass der Mutter für abgefunden erklärt, sondern auch auf seine Erbenstellung nach dem Vater verzichtet. Für eine solche Auslegung des Vertrages spreche, dass mit dem Erbverzicht nach einem vorausgegangenen Grundstückskauf- und -tauschvertrag eine Abfindung nicht nur wegen der Pflichtteilsansprüche am Nachlass der Mutter, sondern auch eine Abfindung bezüglich des Nachlasses des Vaters beabsichtigt gewesen sei, wie es der Erblasser in seinem Testament vom 15.11.1999 erklärt habe.

Der Kläger wendet sich mit seiner zulässigen Berufung gegen die Auffassung des Landgerichts, er habe auch auf sein Erbe nach seinem Vater verzichtet. Wie in dem notariellen Vertrag vom 27.2.1998 zum Ausdruck gekommen sei, habe er nur auf seine im Testament der Eltern vom 30.10.1984 verfügte Position als eingesetzter Schlusserbe des Vaters und zugleich auf etwaige Pflichtteilsansprüche am Nachlass seiner schon verstorbenen Mutter verzichtet. Anlässlich der Beurkundung am 27.2.1998 sei von den Vertragsparteien übereinstimmend erklärt worden, dass die Pflichtteilsansprüche des Klägers der einzige Nachlass des Vaters erhalten bleiben sollte.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 21.6.2001 verkündeten Urteils des Landgerichts Wiesbaden die Beklagte im Wege der Stufenklage wie folgt zu verurteilen:

1. Unter Abänderung des am 21.06.2001 verkündeten Urteils des Landgerichts Wiesbaden, Az.: 2 O 330/00, wird die Beklagte im Wege der Stufenklage verurteilt,

1. in der ersten Stufe

a) Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 30.05.2000 verstorbenen Herrn H. K. B. zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses,

b) den Wert des im Grundbuch von Wiesbaden-Außen beim Amtsgericht Wiesbaden, Band ..., Blatt ...., eingetragenen Grundstücks, Hof- und Gebäudefläche ......... durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln,

2. in der zweiten Stufe zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass sie nach bestem Wissen den Bestand des Nachlasses so vollständig angegeben hat, als sie dazu imstande ist,

3. in der dritten Stufe an ihn den Pflichtteil in Höhe von 1/2 des sich aus der Auskunft ergebenden Nachlasswertes zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie verweist auf den Text des Testamentes des Erblassers vom 15.11.1999, aus dem sich ergebe, dass der Erblasser niemals den Wunsch gehabt habe, seinem Sohn den Pflichtteil zu belassen. Das dem Kläger im Zusammenhang mit dem Erbverzicht überlassene gewerblich durch das Betreiben einer Apotheke genutzte Grundstück sei höher zu bewerten gewesen, als das mit dem Wohnhaus des Erblassers bebaute Grundstück ......... in Wiesbaden, welches mit einem Niesbrauch und einer Buchhypothek belastet gewesen sei. Auf Grund der Verknüpfung des Verzichtsvertrages mit der Überlassung eines wertmäßig höher einzustufenden Grundstücks müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger auf sein gesamtes gesetzliches Erbrecht gemäß § 4346 BGB verzichtet habe und nicht nur einen Zuwendungsverzicht im Sinne von § 23 52 BGB vereinbart habe. Der Erblasser habe nach Abschluss der Verträge immer wieder erklärt, er habe es mit Hilfe eines Notars, der ein Schlitzohr sei, gänzlich und endgültig geschafft, dass sein Sohn von seinem Vermögen "nicht mehr einen Pfennig erhalte". Der von dem Notar gemachte Vertrag sei absolut "wasserdicht" (Beweis: Vernehmung des Zeugen P.).

Auch die zu lasten des Klägers ergangenen Urteile des Landgerichts Wiesbaden vom 11.9.1996 und 18.6.1997, in denen der Kläger verurteilt worden war, Darlehen an seinen Vater zurückzuzahlen, sprächen dafür, dass der Vater seinem Sohn nicht noch Pflichtteilsansprüche hätte überlassen wollen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vertrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Oberlandesgericht hat gemäß Beschluss vom 16. Oktober 2002 (Bl. 202 f) durch Vernehmung des Rechtsanwalts und Notar S. Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18. Dezember 2002 Bezug genommen (Bl. 218 ff d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht der begehrte Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch zu.

Der Kläger hat Anspruch auf den Pflichtteil nach dem Tod seines Vaters (§ 2303 BGB). Auf diesen Pflichtteil hat der Kläger im notariellen Vertrag vom 27.2.1998 (Bl. 7 ff d.A.) nicht verzichtet. § 2 des Vertrages weist eindeutig aus, dass nach der Fassung des Textes lediglich ein Zuwendungsverzicht gemäß § 2352 BGB vereinbart war. Denn der Kläger hat lediglich auf seine Erbrechtlichen Ansprüche aus dem gemeinschaftlichen Testament seiner Eltern als eingesetzter Schlusserbe verzichtet und insoweit sich auch hinsichtlich des Pflichtteils nach seiner Mutter für abgefunden erklärt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Überschrift des Vertrages "Einigung mit Erbverzicht" und den mündlichen Abreden bei der notariellen Beurkundung. Zwar ist in erster Linie von dem Wortlaut des Vertrages und diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen auszugehen. Gleichwohl ist eine Auslegung auch gegen einen an sich eindeutigen Wortlaut nicht ausgeschlossen (vgl. BGH NJW 2002, 3248 (3249)). Insoweit ist allerdings nicht erwiesen, dass der Kläger bei der notariellen Beurkundung vom 27.2.1998 auch einen Erbverzicht gemäß § 2346 BGB, der ein Pflichtteilsrecht ausschlösse, erklären wolle. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Parteien des Vertrages vom 27.2.1998 entsprechend der Fassung des § 2 des Vertrages lediglich einen Zuwendungsverzicht im Sinne von § 2352 BGB vereinbart haben. Gegenteilige Erklärungen sind in dem notariellen Beurkundungstermin nach der überzeugenden, glaubhaften Aussage des Notars S. nicht abgegeben worden. Ziel des beurkundeten Vertrages war vielmehr, dem Wunsch des Erblassers zu entsprechen, wieder frei über sein Vermögen testieren zu können. Diesem Ziel wird der Vertrag vom 27.2.1998 gerecht. Dabei war dem Erblasser ausdrücklich bewusst, dass dem Kläger in Anbetracht der gefundenen Regelung der Pflichtteil nach seinem Tod zukommen würde. Dies ergibt sich aus einer ausdrücklichen Erklärung des Erblassers, wie sie der Notar bei der Beweisaufnahme wiedergegeben hat. Es besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass sich der Zeuge insoweit irren könnte. Denn er hat seine genaue Erinnerung damit belegt, dass der Erblasser es vernünftig fand, den Sohn wirtschaftlich an seinem Nachlas auf Grund der Tatsache zu beteiligen, dass ein Teil seines Vermögens von der Mutter des Klägers stammte.

Den Behauptungen der Beklagten dazu, dass der Erblasser gegenüber dem als Zeugen benannten P. mehr als ein Jahr nach Erklärung des notariellen Verzichts erläutert habe, der Kläger würde von seinem Vermögen nicht mehr einen Pfennig erhalten, war nicht nachzugehen. Wenn der Erblasser, wie möglcherweise auch in seinem Testament zum Ausdruck kommt, nach der Beurkundung des notariellen Vertrages vom 27.2.1998 seiner Überzeugung Ausdruck gegeben hat, der Kläger werde nichts mehr aus seinem erhalten, so ist dies ohne Bedeutung. Denn es kommt allein auf die gesetzliche Regelung hinsichtlich des Pflichtteils an und auf in diesem Zusammenhang getroffene wirksame Abreden. Anhaltspunkte dafür, dass diese im Sinne des Verständnisses der Beklagten getroffen worden seien, ergebne sich weder aus dem Wortlaut der notariell beurkundeten Vereinbarung noch aus übereinstimmend im Zusammenhang mit dem Vertrag abgegebene Erklärungen der Vertragsparteien.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 101, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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