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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 22.01.2003
Aktenzeichen: 17 U 69/02
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 88
Zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Eingreifen der Rückschlagsperrfrist nach § 88 InsO.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

17 U 69/02

Verkündet am 22. Januar 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13.03.2002 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land 16.583,77 € nebst 5,83 % Zinsen seit dem 14.04.2000 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 65 %, das beklagte Land 35 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beiden Parteien wird gestattet, eine Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Das klagende Land nimmt die Beklagte als Drittschuldnerin aus einer Forderungspfändung in Anspruch.

Die Vollstreckungsschuldnerin, die Firma H. GmbH & Co. KG in Kronberg/Taunus, hatte bei dem klagenden Land Abgabenrückstände in Höhe von 168.901,66 DM. Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamts Bad Homburg vom 01.06.1999 pfändete das klagende Land sämtliche gegenwärtigen und künftigen Ansprüche, Forderungen und Rechte aus allen bei der Beklagten für die Vollstreckungsschuldnerin geführten Konten. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung wurde der Beklagten am 09.06.1999 zugestellt (Bl. 11 d.A.). In der Drittschuldnererklärung vom 11.06.1999 teilte die Beklagte mit, dass zum Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses der Schuldner keine Forderungen gegen die Beklagte hatte. In der Folgezeit waren auf dem Konto 633933 der Vollstreckungsschuldnerin bei der Beklagten erhebliche Guthaben zu verzeichnen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorliegenden Ablichtungen der Kontoauszüge Bl. 13-43d.A. Bezug genommen. Am 22. und 23.06.1999 zahlte die Beklagte an das klagende Land 36.400.00 DM, 3.340,00 DM, 2.900,00 DM, 1.521,00 DM und 158,00 DM. Am 03.08.1999 wurde beim Amtsgericht Frankfurt Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Vollstreckungsschuldnerin gestellt. Mit Beschluss vom 27.08.1999 wurde das Verfahren an das Amtsgericht Königsstein verwiesen. Am 02.09.1999 ordnete das Amtsgericht Königsstein die vorläufige Verwaltung über das Vermögen der Vollstreckungsschuldnerin an. Mit Beschluss vom 01.11.1999 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Aufforderung durch das klagende Land überwies die Beklagte diesem am 01.03.2000 noch weitere 34.350,58 DM.

Das klagende Land hat die Ansicht vertreten, entgegen dem Rechtsstandpunkt der Beklagten könne diese sich nicht auf die Rückschlagsperre des § 88 InsO berufen, ebenso lägen keine Anfechtungstatbestände aus §§ 130 ff InsO vor.

Das klagende Land hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilten, an das klagende Land 91.911,08 DM nebst 5,83 % Zinsen seit dem 14.04.2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dass auf die Forderungspfändung hin weitere erhebliche Beträge am 20.07.1999 an das klagende Land überwiesen worden seien. Insoweit hat die Beklagte auf die Ablichtungen der Kontoauszüge Bl. 24 d.A. Bezug genommen. Sie hat weiter behauptet, dass das klagende Land Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Vollstreckungsschuldnerin im Zeitpunkt der Pfändung gehabt habe und die Insolvenzverwalterin weitere Zahlungen an das klagende Land angefochten hätte. Die Beklagte hat weiterhin die Ansicht vertreten, dass Zahlungseingänge in Höhe von 145.309,02 DM einer Zweckbindung unterlägen, da diese Zahlungen zweckgebunden für Löhne und Gehälter für Mitarbeiter der Schuldnerin auf deren Konto geflossen seien. Ferner unterlägen die Mieterträge in Höhe von 9.509,61 DM sowie Zahlungen des Arbeitsamts bzw. der Urlaubs- bzw. Lohnausgleichskasse in Höhe von 11.703,06 DM einer Zweckbindung.

Das Landgericht hat gem. Beweisbeschluss vom 16.05.2001 (Bl. 119 ff.d.A.) durch Vernehmung der Insolvenzverwalterin A. und der Finanzbeamtin H. Beweis erhoben. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.12.2001 Bezug genommen (Bl. 154 ff.d.A.).

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat sich insbesondere auf den Standpunkt gestellt, dass die Rückschlagsperre des § 88 InsO nicht greife. Die Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen sei hier bereits mit der Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung am 09.06.1999 erlangt worden. Darauf, ob auf dem gepfändeten Konto auch tatsächlich ein Guthaben vorhanden sei, könne es nicht ankommen. Gepfändet werden nicht nur gegenwärtige Forderungen und Ansprüche sondern auch zukünftige, die sich dann in einem Guthaben auf dem Konto niederschlügen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe für die angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Die Beklagte verfolgt mir ihrer zulässigen Berufung die Abweisung der Klage. Dabei vertritt sie weiterhin die Auffassung, dem Klagebegehren stehe die sogenannte "Rückschlagsperre" nach § 88 InsO entgegen. Sie ist der Auffassung, die Äußerung in der Literatur, bei dem für die Anwendung von § 88 InsO maßgeblichen Zeitpunkt komme auf die Zustellung der Pfändungsverfügung an, beziehe sich stets auf bereits existente der Höhe nach feststehende Forderungen. Etwas anderes müsse aber dann gelten, wenn es um das Erlangen einer Sicherung an Rechten gehe, die erst künftig noch entstehen müssten. Selbst wenn man dies anders beurteilten wolle, müsse der Klage aus dem Gesichtspunkt der Anfechtbarkeit der Zahlungen gem. §§ 130, 131 Abs. 1 InsO der Erfolg versagt bleiben. Die Auffassung des Landgerichts zum Anfechtungsgrund des § 131 Abs. 1 InsO sei nicht nachzuvollziehen. Denn es sei einhellige Auffassung, dass der im Zusammenhang mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme stehende Erwerb einer Forderung stets inkongruent sei. Dabei sei im Hinblick auf § 131 Abs. 2 InsO zu beachten, dass nach den Ausführungen der als Zeugin vernommenen Insolvenzverwalterin diese Zahlungen an das Land Hessen im Zeitraum vom 03.05. bis 03.08.1999 in jedem Fall angefochten worden wären, weil die Firma schon im Juli 1999 nicht mehr in der Lage gewesen sei, Löhne und Gehälter zu bezahlen. Die Beklagte bezieht sich zum Beweis für ihre Behauptung, dass die Gemeinschuldnerin im Zeitpunkt von Erlass und Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zahlungsunfähig gewesen sei, auf das Zeugnis von Rechtsanwältin Angelika A. (Bl. 208 d.A.). Überdies müsse im Hinblick auf die Anwendung von § 130 InsO von einer grob fahrlässigen Unkenntnis des klagenden Landes von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin ausgegangen werden. Im Ergebnis hätten also die mit der Klageforderung begehrten Beträge wieder zur Masse ausgekehrt werden müssen. Schließlich seien die Berechnungen des Landgerichts zur Höhe des Anspruchs nicht nachzuvollziehen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Das klagende Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das klagende Land hat die Klage in Höhe von 1.679,00 DM (858,47 €) zurückgenommen, da es bei seiner Berechnung der Klageforderung die gezahlten Teilbeträge in Höhe von 1.521,00 DM sowie 158,00 DM nicht berücksichtigt hat. Das klagende Land verteidigt im übrigen das angefochtene Urteil und trägt im einzelnen zu den angesprochenen Rechtsfragen vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist zum Teil begründet.

Der Klägerin steht nur ein Anspruch gegen die Beklagte in Höhe von 16.583,77 € (32.435,03 DM) nebst den verlangten Verzugszinsen zu.

Einem weitergehenden Zahlungsanspruch des klagenden Landes steht die sogenannte Rückschlagssperre aus § 88 InsO entgegen.

Zunächst ist davon auszugehen, dass das klagende Land seine noch ausstehende Forderung gegen den Schuldner richtig berechnet hat und berechtigten Einwendungen der Beklagten zur Höhe der Forderung durch die Klagerücknahme Rechnung getragen hat. Im übrigen ergeben sich die Differenzen bei der Berechnung der noch offenen Forderung des klagenden Landes offenbar aus der Tatsache, dass die Abbuchung der Beträge vom Konto der Schuldnerin 2 Tage vor dem Eingang dieser Beträge bei dem klagenden Land erfolgte.

Das klagende Land hat nur Anspruch auf Auskehrung der Guthabensbeträge der Gemeinschuldnerin, die sich bis zum 02.07.1999 auf dem Girokonto der Gemeinschuldnerin befanden. Dies waren ausweislich des Kontoauszuges Bl. 17d.A. 35.777,03 DM. Von diesem Betrag ist die zweckgebundene Überweisung des Arbeitsamts an einen Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin in Höhe von 3.342,00 DM abzuziehen. Insoweit bestand keine Forderung der Gemeinschuldnerin gegen die Beklagte, so dass auf Grund der Pfändungs- und Überweisungsverfügung seitens der Beklagten an das klagende Land 32.435,03 DM bzw. der entsprechende Eurobetrag auszukehren ist.

Weitergehende Ansprüche gegen die Beklagte sind nicht schlüssig dargetan worden. Das klagende Land hat weitergehende Forderungen der Gemeinschuldnerin gegen die Beklagte bis zum 02.07.1999 nicht vorgetragen.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anfang September 1999 ist jede Sicherung unwirksam geworden, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt hat. Der von der Rückschlagsperrfrist gem. § 88 InsO betroffene Gläubiger nimmt ohne Rücksicht auf die erlangte Sicherung oder Befriedigung mit der vollen Höhe seiner Insolvenzforderung am Verfahren teil. Maßgebend für die Entscheidung des Rechtsstreits ist hier die Frage, wann das klagende Land eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt hat. Dem Standpunkt in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts, diese Sicherung sei bereits mit der Zustellung der unter dem 01.06.1999 gem. § 309 ff. der Abgabenordnung ausgebrachten Pfändung eingetreten, kann nicht gefolgt werden. Denn eine Sicherung i.S. des § 88 InsO ist erst mit der Entstehung des Pfandrechts an einem Guthabensbetrag auf den Konten der Gemeinschuldnerin erfolgt. Allein mit der Ausbringung der Pfändung an künftigen Ansprüchen der Gemeinschuldnerin gegen die Beklagte ist noch keine Sicherung eingetreten. Diese wurde erst wirksam mit der Entstehung der Forderung selbst. Erst dadurch ist ein Pfandrecht des klagenden Landes an der Forderung der Gemeinschuldnerin gegenüber der Beklagten entstanden (§§ 1205, 1274 BGB). Dies folgt auch aus den einzelnen Darlegungen des BGH in seinem Urteil vom 24.10.1996 (WM 1996, 2250 ff. (2252)). In Anbetracht der Rückschlagsperre des § 88 InsO stehen dem klagenden Land deshalb keine Ansprüche an Forderungen zu, die nach dem 03.07.1999 seitens der Gemeinschuldnerin gegenüber der Beklagten entstanden sind. Das klagende Land hat nicht im einzelnen dargelegt, wann welche Zahlungen bei der Beklagten zu Gunsten der Gemeinschuldnerin eingegangen sind. Aus den Kontoauszügen, die zu der Gerichtsakte gereicht wurden, ergibt sich für den fraglichen Zeitpunkt, dass auf dem Konto der Gemeinschuldnerin am 02.07.1999 ein Guthabensbetrag von 35.777,00 DM gebucht war (Bl. 17 d.A.).

Darauf, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst vor dem unzuständigen Gericht am 03.08.1999 gestellt wurde, kommt es nicht an. Die Bestimmung des § 88 InsO stellt schlicht auf die Stellung des Insolvenzantrages ab und verlangt nicht, dass dieser allen formalen Voraussetzungen des § 14 InsO entspricht (vgl. Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage, Rnr. 15 zu § 88 mit weiteren Nachweisen).

Wegen der weiteren Einreden der Beklagten aus §§ 130 und 131 InsO folgt der Senat den insoweit zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil. Danach ist das Pfandrecht der Klägerin nicht anfechtbar i.S. dieser Vorschriften, weil weder bewiesen ist, dass die Klägerin die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin kannte, noch ist die Sicherung der Forderung, die der Klägerin jetzt noch zugesprochen wird, im letzten Monat vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Die allgemeinen Ausführungen der Zeugin A., der Insolvenzverwalterin, können keinen Beweis für die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin bereits im Juni 1999 erbringen (Bl. 155 d.A.). Eine erneute Vernehmung der Zeugin ohne weiteren konkreten Sachvortrag der Beklagten zu Einzelheiten für die Begründung einer Zahlungseinstellung der Gemeinschuldnerin kommt deshalb nicht i n Betracht. Von einer Kenntnis des klagenden Landes von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin in den letzten 3 Monaten vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann nach der Aussage der Zeugin H. ohnehin nicht ausgegangen werden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 543 ZPO.

Ende der Entscheidung

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