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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 03.04.2009
Aktenzeichen: 19 W 17/09
Rechtsgebiete: BGB, StGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
StGB § 266 a
Zu den Umständen, die den Schluss ergeben, dass ein Arbeitgeber die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in der Schuldform des Vorsatzes nicht abführte.
Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Das Landgericht hat der Beklagten Prozesskostenhilfe zu Recht deshalb versagt, weil die Rechtsverteidigung der Beklagten keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO).

Allerdings dürfte die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts mit Rücksicht auf den Streitwert nicht gegeben sein. Der Streitwert einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, eine angemeldete Forderung beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, bemisst sich nicht nach dem Nennwert der Forderung; maßgeblich sind vielmehr die späteren Vollstreckungsaussichten des Insolvenzgläubigers nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung (BGH NJW 2009, 920, 921; OLG Celle NZI 2007, 473, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die hier gegebenen Umstände dürften für die Angemessenheit eines Abschlags von 75 % vom Nennwert der angemeldeten Forderung sprechen. Diese Frage kann indes offen bleiben, weil die Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe (§ 571 Abs. 2 S. 2 ZPO) und die Klägerin jedenfalls derzeit - anders als in dem von dem Oberlandesgericht Celle a.a.O. entschiedenen Fall - einen Verweisungsantrag nicht stellt.

Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB wegen nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 9.870,84 EUR schlüssig dargelegt hat, und dass die von der Beklagten vorgetragenen Behauptungen demgegenüber nicht erheblich sind.

Am Vorliegen der objektiven Voraussetzungen des § 266a StGB bestehen keine Zweifel. Die Beklagte war seit Januar 2002 Inhaberin des von ihr einzelkaufmännisch geführten Betriebes A und Arbeitgeberin der von der Klägerin in der Klageschrift im einzelnen bezeichneten Mitarbeiter. In der Zeit von Oktober 2002 bis Juni 2005 hat die Beklagte der Klägerin als Einzugsstelle die Beiträge der in der Klageschrift genannten Arbeitnehmer zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 9.870,84 EUR vorenthalten. Es ist von der Beklagten weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, dass der Tatbestand des § 266a StGB deshalb nicht vorliegt, weil die Beklagte wegen Zahlungsunfähigkeit ihre Verbindlichkeiten gegenüber dem Träger der Sozialversicherung nicht erfüllen konnte (BGH NJW-RR 2007, 991, Rn. 17 m.w.N.).

Die Beklagte handelte auch vorsätzlich. Bewusstsein und Wille, von der gebotenen Abführung der Beiträge bei Fälligkeit abzusehen, sind nach den für den bedingten Vorsatz geltenden Regeln vorhanden, wenn der Arbeitgeber eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGH MDR 2008, 981, 982, Rn. 11; BGH NJW 1997, 130, Rn. 30, 31; NJW-RR 2007, 991, 992, Rn. 14). Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge auf Angestellte übertragen ist, muss der Arbeitgeber im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist, und durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen (BGH MDR 2008, 981, Rn. 11 m.w.N.). Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bietet insbesondere eine finanzielle Krisensituation (BGH a.a.O.). Eine solche Krisensituation, bei der sich die Beklagte nicht mehr darauf verlassen konnte, dass die Sozialversicherungsbeiträge von dem mit der Lohnbuchhaltung beauftragten Mitarbeiter ... pünktlich abgeführt wurden, lag bei dem von ihr geführten Unternehmen jedenfalls in der Zeit von Oktober 2002 bis Juni 2005 vor. Nach dem von dem Insolvenzverwalter erstellten Gutachten gab es bei dem von der Beklagten geführten Unternehmen von Anfang an - also von Januar 2002 an - wirtschaftliche Schwierigkeiten, weil die Beklagte nicht über ausreichendes Eigenkapital verfügte und zusätzlich Verbindlichkeiten ihres Vaters aus früherer Zeit zu tilgen hatte. Von Anfang an geriet die Beklagte auch in Verzug mit den Mietzinszahlungen für die angemieteten Gewerbeflächen; bei Insolvenzeröffnung bestanden Mietzinsschulden von 20.442,-- EUR für das Jahr 2003, 24.232,-- EUR für das Jahr 2004 und 5.236,-- EUR für das Jahr 2005. Seit 2003 gab es auch im übrigen Zahlungsstockungen. Im März 2004 stellte die ... Insolvenzantrag wegen offener Sozialversicherungsbeiträge, der nach entsprechender Zahlung zurückgenommen wurde.

Ferner musste die Beklagte am 21.01.2005 auf Antrag der B GmbH die eidesstattliche Versicherung abgeben. Diese Umstände ergeben, dass sich das Unternehmen der Beklagten jedenfalls in dem hier in Rede stehenden Zeitraum in einer Krisensituation befand, so dass die Beklagte im November 2002 und in angemessenen Abständen bis Juni 2005 Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen hatte. Soweit sie persönlich nicht über ausreichende Kenntnisse zur Überwachung der Lohnbuchhaltung in Bezug auf die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung verfügte, hätte sie sich extern beraten lassen müssen (BGH NJW 2007, 2118 Rn. 16 m.w.N.). Dies ist nicht geschehen. Vielmehr hat sich die Beklagte überhaupt nicht um die Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung gekümmert. Daraus ergibt sich, dass sie mögliche Verstöße bewusst in Kauf genommen hat.

Die Beklagte wird nicht dadurch entlastet, dass sie sich Anfang 2004 von dem Dipl.-Volkswirt C einen Liquiditätsstatus und eine Liquiditätsvorschau erstellen ließ und dieser der Beklagten gemäß Schreiben vom 20.04.2004 prognostizierte, dass Anfang Juni die Liquiditätsenge aus eigener Kraft überwunden sein werde. Die Beratung durch Herrn C bezog sich ersichtlich allein auf die Frage der Liquidität und die Überwindung der sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten; eine Kontrolle der Lohnbuchhaltung in Bezug auf die hier in Rede stehenden Pflichten war damit nicht verbunden. Die Beklagte wird auch nicht dadurch entlastet, dass sie nach ihrer Behauptung die Mahnschreiben der Klägerin erst kurz vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gefunden habe. Dieser Umstand - sollte er zutreffen - belegt vielmehr, dass sich die Beklagte um ihre Arbeitgeberpflichten offensichtlich nicht gekümmert hat. Dieses Bild wird ergänzt dadurch, dass ihr nach dem von ihr vorgelegten Beitragskontoauszug der Klägerin seit Dezember 2002 zahlreiche Schriftstücke wegen Mahngebühren, Säumniszuschlägen und Vollstreckungsgebühren zugegangen sein müssen.

Der Vorsatz der Beklagten wird schließlich auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass sie entsprechend der Empfehlung des Herrn C im Herbst 2004 einen Steuerberater mit der nun als erforderlich angesehenen Neuerstellung der Buchhaltung ab 2002 beauftragen wollte.

Der Umstand, dass die Beauftragung eines Steuerberaters mit der Neuerstellung der Buchhaltung scheiterte, weil die Beklagte die Kosten hierfür nicht aufbringen konnte, und dass die Beklagte gleichwohl ohne Kontrolle der Lohnbuchhaltung in Bezug auf das Abführen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung den Betrieb fortführte, zeigt ihr bedenkenloses und den Vorsatz im Sinne von § 266a StGB unterstreichendes Verhalten.

Der Ausspruch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

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