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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 15.08.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 147/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 130 Abs. 1
StGB § 130
StGB § 130 Abs. 1 Nr. 1
Die Bezeichnung von Ausländern als "Sozialparasiten" erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 I StGB).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

2 Ss 147/00

25 Js 5189/97 (H 54) LG Limburg

In der Strafsache gegen ...

wegen Volksverhetzung.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a.d.L. ­ 4. kleine Strafkammer ­ vom 12.1.2000 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ­ 2. Strafsenat ­ in der Sitzung vom 15.8.2000, an der teilgenommen haben: ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Limburg a.d.L. zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht ­ Strafrichter ­ Dillenburg verurteilte den Angeklagten wegen Volksverhetzung, begangen am 21.6.1997 im Rahmen einer Veranstaltung in ..., durch Urteil vom 22.10.1998 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 DM. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hob das Landgericht Limburg a.d.L. durch Urteil vom 12.1.2000 das Urteil des Amtsgerichts auf und sprach den Angeklagten frei. Das Landgericht stellte fest, daß der Angeklagte am 21.6.1997 auf einer Sonnenwendfeier in im Rahmen einer Rede vor ca. 60 Zuhörern u.a. folgende Erklärung verlesen hat:

"Anstatt Millionen von deutscher Arbeit erwirtschaftete Deutsche Mark in die biologische Explosion afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Völker zu stecken oder eine Invasion unseres Volkes mit nicht verpflichteten Sozialparasiten zu finanzieren, hat der Staat erheblich mehr finanzielle Mittel und organisatorische Anstrengungen in die Förderung deutscher Familien ... zu investieren."

Gegen dieses Urteil des Landgerichts richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und ebenso begründete Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Urteil des Landgerichts war auf die erhobene Sachrüge hin aufzuheben, da der Freispruch des Angeklagten rechtsfehlerhaft erfolgt ist. Das Landgericht hätte bei zutreffender rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhalts eine Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 StGB aussprechen müssen. Der Angeklagte hat in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen, daß er Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht hat (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Die Aussage des Angeklagten betrifft Teile der Bevölkerung, nämlich - alle Ausländer, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und hier Sozialleistungen in Anspruch nehmen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen. Diese zahlenmäßig erhebliche Personengruppe ist aufgrund der genannten gemeinsamen Merkmale als unterscheidbarer Teil von der Gesamtheit der Bevölkerung abgrenzbar. Mit der Bezeichnung dieser Bevölkerungsteile als "Sozialparasiten" hat der Angeklagte die Personengruppe verächtlich gemacht. Die betroffenen Personen werden durch ein Werturteil als der Achtung der Staatsbürger unwert und unwürdig hingestellt (vgl. hierzu OLG Frankfurt am Main, NJW 1995, 143, 144-1 OLG Frankfurt am Main - 1 Ss 318/94 Bay0bLG, NJW 1995, 145 ff.; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl. 1999, § 130, Rn. 7; § 90 a, Rn. 4). Denn ihnen wird angelastet zielgerichtet auf Kosten anderer, nämlich der deutschen Bevölkerung, in der Bundesrepublik Deutschland zu leben. Diesen Vorwurf hat der Angeklagte auch böswillig, also aus feindlicher Gesinnung mit der Absicht zu kränken erhoben, wie sich aus der Wortwahl ergibt.

Der Angeklagte hat durch seine Formulierung diese Bevölkerungsgruppe in ihrer Menschenwürde angegriffen. Denn er hat den Personen ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertige Wesen dargestellt. Der Angriff richtet sich gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit, nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte, mit dem Ziel, die Angegriffenen in der Entfaltung ihrer Individualität zu behindern und sie gewissermaßen in einen Objektstatus zu versetzen. Das Landgericht hat einen Angriff auf die Menschenwürde verneint. Es hat hierzu lediglich ausgeführt, durch die Bezeichnung ausländischer Mitbürger als Sozialparasiten würden diese nicht als menschlich unterwertig dargestellt; auch werde ihnen hierdurch nicht das Lebensrecht innerhalb der Gemeinschaft abgesprochen.

Zwar ist die Auslegung mündlicher Erklärungen grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht ist an sie gebunden, wenn die Erwägungen, auf denen sie beruht, rechtlich fehlerfrei sind und Umstände berücksichtigen, die ihr entgegen stehen könnten (vgl. BGH, NJW 1994, 1421, 1422-1 Bay0bLG, NJV/ 1995, 145). Die Auslegung durch das Landgericht ist aber aus Rechtsgründen zu beanstanden. Die Strafkammer hat gegen Denkgesetze verstoßen, da sie es unterlassen hat, eine andere naheliegende Auslegungsmöglichkeit in Betracht zu ziehen und sie gegen die gewählte abzuwägen. Bei der Auslegung ist vom objektiven Sinngehalt der Äußerung auszugehen, wie sie ein unbefangener verständiger Durchschnittshörer versteht. Maßgebend ist dabei nicht, was der Äußernde zum Ausdruck bringen wollte, sondern was er bei objektiver Bewertung zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Bay0bLG, a.a.0.). Ist eine Äußerung nicht eindeutig, muß ihr wahrer Erklärungsinhalt aus dem Zusammenhang und ihrem Zweck erforscht werden. Dabei sind alle Begleitumstände, mithin die gesamte konkrete Situation, zu berücksichtigen, soweit sie im Wortlaut der Äußerung selbst oder im Kontext, in dessen Zusammenhang sie steht, ihren Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfG, NJW 1994, 2943; Bay0bLG, a.a.O.). Diese Aspekte lassen die Ausführungen des Landgerichts vollständig außer Acht. Die Begründung für die Ansicht, ein Angriff auf die Menschenwürde der angesprochenen Personengruppe liege nicht vor, ist nicht nachvollziehbar. Bei zutreffender rechtlicher Würdigung hätte die Strafkammer vielmehr zur Annahme eines Angriffs auf die Menschenwürde gelangen müssen. Der Begriff "Parasit" bezeichnet tierische oder pflanzliche Lebewesen, die aus dem Zusammenleben mit anderen Lebewesen einseitig Nutzen ziehen, sie schädigen oder auch Krankheiten hervorrufen. Die Bezeichnung der betreffenden Bevölkerungsgruppe als "Sozialparasiten" knüpft daran an, daß diese Menschen auf Kosten der Bundesrepublik Deutschland im Inland leben, ohne ihrerseits Gegenleistungen zu erbringen. In der Verwendung des Begriffs Parasiten liegt jedoch nicht nur eine "bildhaft beschreibende Kritik in volkssprachlicher Form". Vielmehr haftet diesen Begriff nach dem objektiven Sinngehalt in der betreffenden Situation ein deutlich erkennbares erhebliches Unwerturteil an. Ein Parasit ist gerade kein menschliches Wesen, sondern ein tierischer oder pflanzlicher Schädling. Dem steht nicht entgegen, daß im Tier- oder Pflanzenreich durchaus für beide Teile nützliche Symbiosen existieren, der Angeklagte hat ersichtlich keine wissenschaftlich korrekte Parallele ziehen wollen, sondern eine seiner Ansicht entsprechende deutlich negative Bezeichnung verwendet. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß der Begriff "Parasit" schon deshalb eine ganz erhebliche verächtlichmachende Bedeutung hat, weil er in der Vergangenheit bereits gegenüber Juden in böswillig verächtlichmachender Weise verwendet wurde, was in den von dem Angeklagten angesprochenen Kreisen als bekannt vorausgesetzt werden konnte. Die Bezeichnung der betreffenden Menschen als "Sozialparasiten" beschreibt auch nicht lediglich bestimmte Verhaltensweisen, sondern richtet sich gegen die angesprochenen Personen als solche. Ebenso diente die Verwendung des Begriffs "Parasiten" in dem gewählten Satzzusammenhang nicht lediglich der kritischen Beschreibung ei- nes Zustandes, sondern ist verknüpft mit dem erklärten Ziel, die Invasion" des Volkes mit solchen Menschen eben nicht mehr zu finanzieren, und spricht damit diesen Menschen das Recht ab, als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft zu leben. Sie werden vielmehr als unterwertig gekennzeichnet. Dabei ist es ohne Bedeutung, daß das mit der Rede verfolgte politische Ziel ohne Angriff auf die Menschenwürde der Betroffenen durchaus geäußert werden darf. Unerheblich ist es auch, daß weiteres Ziel der Kritik die Politik der Bundesregierung gewesen sein mag.

Die Äußerung des Angeklagten ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Denn es liegen berechtigte Gründe für die Annahme vor die Tat würde das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern oder potentielle Täter durch Schaffung eines "psychischen Klimas", in dem Gewalttaten gegen diese Bevölkerungsgruppe begangen werden könnten, zu Gewalt und Willkürmaßnahmen gegen diese Bevölkerungsgruppe aufhetzen. Der öffentliche Friede braucht hierbei noch nicht gestört oder nur konkret gefährdet zu sein. Es genügt, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen (vgl. OLG Frankfurt am Main, a.a.O.; BayObLG, a.a.O.; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 130, Rn. 2). Die Tat erfolgte in recht kurzem zeitlichen Zusammenhang mit der zum Teil hitzig geführten Asyldebatte", die begleitet war von Ausschreitungen und Mordanschlägen gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen Ausländer, die seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland leben. Solche Angriffe sind auch heute noch häufig zu verzeichnen.

Zweifel an dem Vorsatz des Angeklagten bestehen jedenfalls nach den getroffenen Feststellungen nicht.

Die Rechtswidrigkeit der Tat entfällt nicht im Hinblick auf das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG). Dieses Grundrecht wird nicht schrankenlos gewährt. Die Meinungsfreiheit findet vielmehr ihre Grenze in den allgemeinen Gesetzen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG, also auch in § 130 StGB. Der Meinungsäußerungsfreiheit ist durch die Tatbestandsbegrenzungen des § 130 StGB bereits auf tatbestandlicher Ebene in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung getragen (vgl. Leipziger Kommentar/von Bubenoff, 11. Aufl. 1999, § 130, Rn. 30).

Möglicherweise liegt in der Äußerung des Angeklagten auch ein Aufstacheln zum Haß gegen Teile der Bevölkerung i.S.d. § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Es ist grundsätzlich denkbar, daß der Angeklagte mit seiner Handlung die deutsche Bevölkerung zu einer emotional gesteigerten, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehenden feindseligen Haltung anreizen wollte, indem er darauf abzielte, vorhandene Vorurteile und Intoleranz gegenüber dem betreffenden Bevölkerungsteil in einem aufgehetzten Klima zu schüren und zu Fremdenhaß zu steigern. Insoweit fehlt es aber an hinreichenden Feststellungen zu den Begleitumständen der Tat und der aus dem Gesamtzusammenhang des Geschehens zu entwickelnden und festzustellenden Einstellung des Angeklagten (vgl. hierzu BGH, NJW,1994, 1421, 1422).

Die Sache war danach an eine andere Kammer des Landgerichts Limburg a.d.L. zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Bei der erneuten Entscheidung ist zu beachten, daß im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen entsprechend dem Urteil des Amtsgerichts Dillenburg geboten ist. Zwar liegt diese Anzahl der Tagessätze unter der gesetzlichen Mindeststrafe von. 90 Tagessätzen (§ 130 Abs. 1 i.V.m. § 47 Abs. 2 StGB). Art und Höhe der Rechtsfolgen dürften aber nicht zum Nachteil des Angeklagten von dem Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts abweichen, da gegen dieses Urteil lediglich der Angeklagte Berufung eingelegt hatte (§ 331 Abs. 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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