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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 09.11.2004
Aktenzeichen: 2 W 54/04
Rechtsgebiete: GVG, SGB V, SGG, VwGO


Vorschriften:

GVG § 17 a III S. 2
SGB V § 130
SGB V § 130 a
SGG § 51
VwGO § 40
Für eine Klage eines Apothekerverbandes gegen den Sozialhilfeträger wegen der Abrechnung für Lieferungen von auf Kosten des Sozialhilfeträgers verordneter Mittel ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

2 W 54/04

In dem Rechtsstreit

...

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 2. Zivilsenat - auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 18. August 2004 (Bl. 122 d.A.) gegen den Beschluss des Landgerichts Hanau vom 29. Juli 2004 - Az. 7 O 436/04 - am 09. November 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Hanau vom 29. Juli 2004 wird wie folgt abgeändert:

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist zulässig.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 18. August 2004 ist zulässig (§§ 17 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 3 GVG, 567, 569 ZPO).

Zwar ist der mit der sofortigen Beschwerde angegriffene Beschluss vom Landgericht in Hanau durch den Einzelrichter entschieden worden, weshalb gemäß § 568 ZPO im Senat der Einzelrichter zuständig wäre. Doch hat dieser gemäß Beschluss vom 27. Oktober 2004 (Bl. 156 d.A.) den Rechtsstreit gemäß § 568 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO zur Entscheidung an den Senat übertragen.

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin ist eines von fünf standeseigenen Abrechnungszentren in der Bundesrepublik Deutschland. Sie rechnet Krankenkassenrezepte und ärztliche Verschreibungen zu Lasten der Sozialämter gegenüber deren Leistungsträgern im Gesundheitswesen für Apotheker in A ab. Aufgrund der mit den Apothekern jeweils abgeschlossenen Abrechnungsaufträgen und den vereinbarten Abrechnungsbedingungen ist die Klägerin berechtigt, Forderungen der Apotheker im eigenen Namen geltend zu machen (s. die Abrechnungsbedingungen für Apotheker, Bl. 6 d.A.).

Die Beklagte ist Trägerin der Sozialhilfe. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem ... Apothekerverband e.V. und dem ... Städtetag sowie dem ... Landkreistag und dem Landeswohlfahrtsverband in A haben die in der Vereinbarung genannten Partner die Abrechnung für die Lieferung von auf Kosten der Sozialhilfeträger verordneter Mittel geregelt (s. Bl. 7 und 8 d.A.).

Vorliegend streiten die Parteien über die Höhe der von der Klägerin abgerechneten Rezepte. Die Klägerin hat Klage beim Landgericht in Hanau erhoben. Die Beklagte hat beantragt, gemäß § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG über die Zulässigkeit des Rechtswegs vorab zu entscheiden. Sie hat ferner beantragt, den Rechtsstreit an die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit, das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht, hilfsweise an die Sozialgerichtsbarkeit, das insoweit örtlich und sachlich zuständige Sozialgericht zu verweisen (Bl. 47, 48 d.A.).

Die Klägerin hält den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben, da es sich vorliegend um eine bürgerlich rechtliche Streitigkeiten zwischen den Parteien handelt. Das Landgericht Hanau hat mit Beschluss vom 29. Juli 2004 beschlossen:

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht zulässig.

Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen.

Das Landgericht hat ausgeführt: "Die Parteien streiten über die Rechtsfrage, ob nach Inkrafttreten des Beitragssicherungsgesetzes zum 01.01.2003 die Rabattbestimmungen gemäß § 130 a SGB V auch auf die Sozialhilfeträger entsprechend Anwendung finden. Diese Auseinandersetzung stellt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit dar. Gemäß § 40 VWGO ist hierfür der Verwaltungsrechtsweg eröffnet".

Entgegen dieser Auffassung hält der erkennende Senat die Beschwerde für begründet, weil die Vereinbarung zwischen dem ... Apothekerverband e.V., dem ... Städtetag, dem ... Landkreistag und dem Landeswohlfahrtsverband A (Bl. 7 und 8 d.A.) eine zivilrechtliche Vereinbarung ist. In einem solchen Fall haben bereits die gemeinsamen Senate der obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Beschluss vom 10. April 1986 entschieden: "Für Klagen auf Zulassung zur Belieferung von Versicherten mit Heil- und Hilfsmitteln aufgrund eines Vertrages zwischen Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung oder ihren Verbänden mit Leistungserbringern, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben." (BGHZ 97, 312 ff.). Dem ist der BGH mit Beschluss vom 30. September 1999, abgedruckt in NJW 2000, S. 782 ff., beigetreten. Er hat erkannt: "Für Streitigkeiten aus einer Rahmenvereinbarung über die Belieferung von Patienten mit Arzneimitteln, die zwischen einem Verein von Apothekern und Trägern der Sozialhilfe, die Krankenhilfe nach § 37 BSHG zu gewähren haben, geschlossen ist, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet."

Ob eine Streitigkeit öffentlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (so BGHZ 97, 313, 314 m. w. N.). Dem ist der BGH in seiner Entscheidung NJW 2000, S. 872 gefolgt. Unter Beachtung dieses Grundsatzes sind die Zuweisungen des Rechtsweges - § 13 GVG (für den Zivilrechtsweg), § 51 SGG (für Sozialrechtsweg) und § 40 VW GO (für den Verwaltungsrechtsweg) - zu sehen. Zwar hat die Arzneimittelpreisverordnung vom 14. November 2003, Bundesgesetzblatt Teil I, S. 2190, 2253 in § 1 Anwendung der Verordnung, bestimmt, dass Preisspannen des Großhandels bei der Abgabe im Wiederverkauf an Apotheken oder Tierärzte Anwendung finden. In § 5 Abs. 4 ist geregelt, dass die maßgeblichen Spitzenorganisationen der Apotheker mit den entsprechenden Spitzenverbänden der Krankenkassen Vereinbarungen über Apothekeneinkaufspreise treffen können. In der Arzneimittelpreisverordnung ist dagegen nicht eine ausdrückliche Bestimmung getroffen worden, welcher Rechtsweg bei Streitigkeiten gegeben ist. Da eine solche ausdrückliche Zuweisung fehlt, hat die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 2000, S. 872 nach Auffassung des erkennenden Senats unverändert Gültigkeit, so dass vorliegend der Rechtsweg zu den Zivilgerichten, nicht aber zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist. Hinzu kommt, dass Apotheken Arzneimittel einkaufen und verkaufen und dieser Handel dem Grunde nach zivilrechtlich strukturiert ist. Gesichtspunkte dafür, dass vorliegend die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausnahmsweise zuständig sein soll, sind nicht erkennbar. Dem steht auch § 54 des ... VwVfg nicht entgegen. Dort heißt es zwar: "Ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts kann durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Insbesondere kann die Behörde anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde". Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, sondern um einen zivilrechtlichen Vertrag. Schon deswegen kommt nach Auffassung des Senates § 54 VwVfg nicht zur Anwendung. Hinzu kommt, dass weder der Hessische Apothekenverband e.V., noch der Hessische Städtetag oder der Hessische Landkreistag eine Behörde im Sinne des § 54 Satz 2 VwVfg sind. Deshalb verbleibt es bei der funktionalen Zuständigkeit der Zivilgerichte. Ein Grund, von der Entscheidung des BGH, NJW 2000, S. 872 ff. abzuweichen, ist vorliegend nicht erkennbar.

Auch der Hilfsantrag, eine Verweisung an das Sozialgericht gemäß § 51 SGG, wie von der Beklagten beantragt, ändert an der vorliegenden Entscheidung nichts. § 51 SGG betrifft Apotheken nicht (s. hierzu Meyer/Ladewis, 4. Aufl. 1991 zu § 51 SGG).

Dem steht auch § 130 und 130 a SGBV nicht entgegen. In § 130 SGBV ist der Rabatt, den Krankenkassen von Apotheken für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel erhalten, geregelt (§ 130 Abs. 1 SGBV). In § 130 a Abs. 5 letzter Satz SGBV heißt es: "Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Apotheker und der pharmazeutischen Großhändler regeln in einem gemeinsamen Rahmenvertrag das Nähere". Ein solcher Vertrag ist in der Vereinbarung Bl. 7 und 8 d.A. zu sehen. Hierbei handelt es sich um einen zivilrechtlichen Vertrag. Soweit es im Absatz 9 des § 130 a SGBV heißt: "Bei Streitigkeiten in Angelegenheiten des § 130 a SGBV ist der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben", trifft dies lediglich dann zu, wenn die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Apotheker und der pharmazeutischen Großhändler nichts Abweichendes in einem Rahmenvertrag geregelt haben (§ 130 a Abs. 5 letzter Satz SGBV). Da dies vorliegend der Fall ist, ist die Sozialgerichtsbarkeit nicht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits berufen.

Auch liegt vorliegend kein Fall der Rechtswegerschleichung vor. Die Parteien der Vereinbarung Bl. 7 und 8 d.A. waren in der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen frei. Dem stand zwingendes Recht nicht entgegen. Auch Sinn und Zweck der Verwaltungs- und der Sozialgerichtsbarkeit wurden durch die Vereinbarung nicht umgangen.

Rabattgewährungen finden auch im Zivilrecht statt. Sie sind hier durchaus üblich. Es handelt sich deshalb keineswegs um eine Spezialmaterie, über die nur die Verwaltungsgerichte oder die Sozialgerichte entscheiden können (s. hierzu auch BGH in NJW 2000, 872 ff.).

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung, da über den vorliegenden Fall vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden ist, wird die Rechtsbeschwerde zugelassen. Hinzu kommt, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof für einen ähnlich gelagerten Fall in seinem Beschluss vom 03. Januar 2003, Az. 1 UE 4252/99, den öffentlich-rechtlichen Weg, mithin den Weg zu den Verwaltungsgerichten für gegeben angesehen hat.

Ende der Entscheidung

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