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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 10.09.2007
Aktenzeichen: 2 WF 319/07
Rechtsgebiete: FGG, ZPO


Vorschriften:

FGG § 15
ZPO § 42
ZPO § 406
Der Vorschlag des Sachverständigen, die Fragestellung eines Gutachtens zu Umgangsfragen auf die Frage der Erziehungsfähigkeit des betreuenden Elternteils auszudehnen, kann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Auch Empfehlungen des Sachverständigen zu verfahrensleitenden Maßnahmen können ein Befangenheitsgesuch begründen, vor allem wenn der Sachverständige neben entsprechenden Schreiben an das Gericht in Mitteilungen an die betroffene Partei die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen als sicher vom Gericht zu erwarten darstellt.
Gründe:

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des betroffenen Kindes A. Sie haben sich nur wenige Monate nach der Geburt des Kindes voneinander getrennt. Seither ist es - unter im einzelnen streitigen Umständen - nicht zu Umgangskontakten zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter gekommen. A weiß nicht, dass der Antragsteller ihr leiblicher Vater ist, dafür hält sie den Ehemann ihrer Mutter. Die Kindesmutter ist in einem Beschluss des Amtsgerichts Fulda aus dem Jahr 2005 zwar dazu verpflichtet worden, A über ihre Abstammung vom Antragsteller aufzuklären. Dies ist bis heute jedoch nicht geschehen.

Im hier anhängigen Verfahren verlangt der Antragsteller Umgangskontakte mit dem Kind. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen solche Umgangskontakte. Sie ist der Meinung, es werde A schaden, wenn sie erfährt, dass nicht B ihr Vater sei. Umgangskontakte seien kontraproduktiv, da der Antragsteller für A ein völlig fremder Mensch sei, der sich nie für sie interessiert habe.

Mit Beschluss vom 6. Februar 2007 hat das Amtsgericht die Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens zu der Frage, welche Umgangsregelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht, angeordnet und zum Sachverständigen den Dipl. Psych. SV1 bestellt. Unter dem 16. April 2007 teilte der Sachverständige der Antragsgegnerin mit, er halte es für unabdinglich, A mit dem Gegenstand der Begutachtung vertraut zu machen. Es werde eine entsprechende Aufklärung des Kindes erfolgen, worüber das Familiengericht unterrichtet werde. Am 25. April 2007 bat die Antragsgegnerin darum, dem Sachverständigen aufzugeben, diese Aufklärung zu unterlassen. Am 16. Mai 2007 bat sie wegen weiterer vom Sachverständigen anberaumter Untersuchungstermine erneut darum, den Sachverständigen zu einer Verschiebung der Termine zu veranlassen, da eine psychologische Behandlung des Kindes zur Abklärung etwaiger Folgen der Aufklärung für den 13. Juni 2007 vorgesehen sei. Am 23. Mai 2005 nahm der Sachverständige zu diesem Anliegen auf Bitte des Gerichts Stellung und teilte zur Gerichtsakte mit, er sehe keinen Grund, die Termine zu verschieben. Es sei aus entwicklungspsychologischer Sicht erforderlich, dem Kind Informationen über die eigene Vorgeschichte nicht vorzuenthalten. Er werde das Kind bei dem geplanten Untersuchungstermin darüber informieren, welcher Auftrag der Begutachtung zugrunde liege. Dazu gehöre auch die Information darüber, wer ihr leiblicher Vater ist. Am gleichen Tag teilte der Sachverständige dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin mit, es bleibe bei den festgesetzten Terminen. In diesem Schreiben führte er aus:

"Bis zu einer anderweitigen Entscheidung des Familiengerichts bleibt es bei den festgelegten Untersuchungsterminen. Sollte Ihre Mandantin Untersuchungstermine bei der Begutachtung nicht wahrnehmen, wird dies als Verweigerung hier festgestellt. Der Sachverständige wird dem Familiengericht geeignete Maßnahmen vorschlagen, um eine Diagnostik bei dem Kind A auch gegen den Willen Ihrer Mandantin durchzusetzen.".

Am 13. Juni 2007 gab der Sachverständige gegenüber dem Familiengericht eine gutachterliche Stellungnahme ab, in der er die Ausweitung des Gutachtenauftrags auf die Frage der Erziehungsfähigkeit der Mutter anregte. Die Empfehlung ging ferner dahin, der Kindesmutter die Einsetzung eines Pflegers für den Bereich familienpsychologische Begutachtung anzudrohen. Zur Begründung bezog sich der Sachverständige darauf, dass die Kindesmutter zu zwei anberaumten Untersuchungsterminen nicht erschienen war und lediglich Krankmeldungen für sich selbst vorgelegt hatte. Sie habe es nicht ermöglicht, dass das Kind von anderen Personen zu ihm gebracht werde. Da die Mutter gleichzeitig eine Verschiebung der Gutachtentermine anstrebe, liege der Verdacht nahe, dass die Antragsgegnerin ihre elterliche Sorge nicht adäquat ausübe. Weiter heißt es:

"Es ergibt sich damit der Anfangsverdacht eines Manipulationssyndroms, bei dem die Kindesmutter in missbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge das Kind von einem zentralen Erfahrungsbereich seines Lebens abschirmen möchte".

Am 18. Juni 2007 lehnte die Antragsgegnerin den Sachverständigen wegen Befangenheit ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Sachverständige beim ersten Termin im April, den sie allein wahrgenommen hatte, beleidigende Äußerungen ihr gegenüber gemacht habe. Außerdem ergebe sich seine Voreingenommenheit daraus, dass er dem Gericht vorschlagen wolle, welche Maßnahmen zur Durchsetzung der Begutachtung gegen ihren Willen geeignet seien. Am 6. Juli 2007 gab der Sachverständige seine Stellungnahme zu dem Befangenheitsgesuch ab (Bl. 67ff.). Er widersprach der Behauptung, gegenüber der Antragsgegnerin beleidigende Äußerungen getätigt zu haben. Außerdem legte er noch einmal dar, warum es aus seiner Sicht unbedingt erforderlich sei, das Kind über den Inhalt des Gutachtenauftrags zu informieren. In zahlreichen Fällen von Umgangsverweigerung habe der sorgeberechtigte Elternteil ein Manipulationssyndrom herausgebildet, das die Rechte des Kindes erheblich einschränke. Die Begutachtung stoße daher bei dem verweigernden Elternteil auf zahlreiche Vorbehalte und Vorwürfe. Aus derartigen subjektiven Empfindungen sei aber nicht auf eine Befangenheit des Sachverständigen zu schließen. In einer weiteren Stellungnahme vom 30. August 2008 hat der Sachverständige weiter ausgeführt, ihm sei letztlich zu Unrecht unterstellt worden, dass er das Kind über die Vaterschaft des Antragstellers aufklären wollte. Er habe nur vorgehabt, das Kind über den Anlass der Begutachtung aufzuklären.

Nachdem die Ablehnung der mit der Sache befassten Richterin durch das Oberlandesgericht als unbegründet zurückgewiesen worden war, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 9. August 2008 den Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde. In dieser Beschwerde führt sie zusätzlich aus, die Befangenheit des Sachverständigen ergebe sich auch daraus, dass er die Ausweitung der Begutachtung auf die Frage ihrer Erziehungsfähigkeit empfohlen habe.

II.

Die gemäß §§ 15 Abs. 1 FGG, 406 Abs. 5 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragsgegnerin hat Gründe glaubhaft gemacht, aus denen sich aus Sicht eines vernünftigen, objektiven Betrachters Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der beauftragte Sachverständige SV 1 die Begutachtung nicht mit der notwendigen Unvoreingenommenheit vornehmen werde.

Gemäß § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus den gleichen Gründen als befangen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigten. Die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit ist möglich, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, § 42 Abs. 2 ZPO. Befangenheit meint eine unsachliche innere Einstellung des Richters zu den Beteiligten oder zum Gegenstand des konkreten Verfahrens. Eine Besorgnis der Befangenheit des Richters ist daher anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus. Es kommt für die Begründetheit eines Befangenheitsgesuchs nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist, allein der Anschein der Befangenheit ist ausreichend (Vollkommer in: Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 26. Aufl., Rn. 9 zu § 42 ZPO).

Gemessen an diesem für Sachverständige ebenso geltenden Maßstab ist das Befangenheitsgesuch der Antragsgegnerin begründet.

Die Antragsgegnerin hat Gründe geltend gemacht, die auch aus Sicht eines objektiven und besonnenen Betrachters die Annahme rechtfertigen, der Sachverständige werde nicht die notwendige Unvoreingenommenheit walten lassen. Ob der Sachverständige im ersten Gesprächstermin mit der Antragsgegnerin tatsächlich eine von ihr als beleidigend aufgefasste Äußerung getätigt hat, kann dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, ob sich die Antragsgegnerin unberechtigt dem Anliegen des Sachverständigen und dem Beschluss aus dem Jahr 2005 widersetzt, das Kind über seine wahre Abstammung aufzuklären. Deswegen ist es auch nicht entscheidend, ob der Sachverständige - wie er in der Stellungnahme vom 30. August 2007 entgegen seiner eindeutigen Ankündigung vom 23. Mai 2007 ausführt - eine solche Aufklärung letztlich gar nicht beabsichtigte. Denn aus anderen den in der Akte dokumentierten Anregungen des Sachverständigen gegenüber dem Familiengericht ergibt sich der Anschein einer Befangenheit.

Aus dem Umstand, dass der Sachverständige die Ausweitung des Gutachtenauftrags auf die Erziehungsfähigkeit der Antragsgegnerin vorschlägt, kann sich für die Antragsgegnerin nachvollziehbar der Schluss ergeben, der Sachverständige habe sich bereits ein negatives Bild von ihr gemacht. Denn der Vorschlag der Gutachtenerweiterung in Form einer gutachterlichen Stellungnahme kann auch von einem objektiven Betrachter so verstanden werden, dass der Sachverständige eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit annimmt. Geht ein Sachverständiger mit seinen Feststellungen über den ihm erteilten Gutachtenauftrag hinaus, rechtfertigt dies einen Ablehnungsantrag (Thüringer Oberlandesgericht, 1. Senat für Familiensachen, Beschluss vom 2.8.2007 zu 1 WF 203/07, S. 2, iuris-Datenbank). Mit seinen Feststellungen in der gutachtlichen Stellungnahme vom 13. Juni 2007 ist der Sachverständige über den Gutachtenauftrag hinausgegangen, ohne dazu hinreichend Anlass zu haben. Das Verfahren weist keinerlei Anhaltspunkte dafür auf, es könne für die Entscheidung von Belang sein, ob eine nur eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Mutter vorliegt. Auch die mit der Sache befasste Richterin hat diese Empfehlung gleichwohl so verstanden, dass der Sachverständige die Notwendigkeit von Maßnahmen aus dem Bereich des Sorgerechtsentzugs überprüft wissen will (S. 3 des Beschlusses vom 8. August 2007). In dem anhängigen Verfahren sind ausschließlich die Fragen von Umgangskontakten des bislang dem Kind unbekannten Vaters zu klären. Ein Anlass dafür, das Kind aus der gewohnten Umgebung und Familie allein deswegen herauszunehmen, weil die Mutter sich gegen die Umgangskontakte zu dem Vater wendet, der bislang keinerlei soziale Rolle im Leben des Kindes spielt, ist nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund kann es die Antragsgegnerin vernünftigerweise als ein Zeichen von Voreingenommenheit werten, wenn der Sachverständige im Rahmen des auf Umgangskontakte eingeschränkten Gutachtenauftrags die Empfehlung ausspricht, ihre Erziehungsfähigkeit zu untersuchen.

Da der Sachverständige sich gleichzeitig nicht mit den von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründen auseinandersetzt, die die Antragsgegnerin zu einem Aufschub von Begutachtungsterminen veranlassen, und weil er dem Gericht die Einleitung von Zwangsmitteln vorschlägt, wird der Eindruck der Voreingenommenheit zusätzlich gestützt. Eine eigenmächtige Umformulierung von Beweisthemen kann nämlich vor allem dann einen objektiven Betrachter zu Zweifeln an der Unparteilichkeit veranlasse, wenn substantiierter Vortrag der betroffenen Partei nicht wahrgenommen wird (Greger in: Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 26. Aufl., Rn. 8 zu § 406 ZPO). Für die Antragsgegnerin bietet diese fehlende Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit ihren Befürchtungen ausreichend Anlass zu der Annahme, dass der Sachverständige bereits vor einer erschöpfenden Exploration zu negativen Schlüssen auf ihre Person neigt und das Ergebnis der Begutachtung vorweg nimmt.

Der Sachverständige hat überdies in den zitierten Schreiben Bezug auf allgemeine Konstellationen in Umgangsverfahren genommen und daraus gefolgert, es bestehe bei der Antragsgegnerin der Verdacht auf ein "Manipulationssyndrom". Diese Vermutung hat er in der ersten Stellungnahme zum Befangenheitsgesuch wiederholt. Stellt der Sachverständige im Rahmen von im Beweisbeschluss nicht genannten Fragen weitere Problembereiche fest, so darf er die zugrunde liegenden Tatsachen zwar auch dem Gericht gegenüber benennen. Leitet er jedoch pauschal Vermutungen daraus ab, so kann auch ein objektiver Betrachter auf eine Voreingenommenheit des Sachverständigen schließen (OLG Frankfurt, GesR 2006, 217).

Ein Anschein der Befangenheit ergibt sich im übrigen auch daraus, dass der Sachverständige der Richterin unzulässiger Weise den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidungsfindung weist (Thüringer Oberlandesgericht, a.a.O.). Kommt es bei der Begutachtung zu zeitlichen Verzögerungen, weil Termine durch die Parteien nicht eingehalten werden, ist eine Nachricht an das Gericht zweckmäßig. Welche Maßnahmen das Gericht für sinnvoll erachtet, um den Fortgang der Begutachtung zu fördern, ist allerdings von dort aus zu entscheiden. Daher setzt sich der Sachverständige dem Verdacht einer Voreingenommenheit aus, wenn er verfahrensleitende Maßnahmen zu Lasten einer Partei empfiehlt. So liegt die Sache hier, da der Sachverständige dem Gericht die Androhung eines partiellen Sorgerechtsentzugs und Einsetzung eines Pflegers für die familienpsychologische Begutachtung des Kindes empfohlen hat. Hierbei kann die durchaus zweifelhafte Frage offenbleiben, ob das überhaupt zulässig wäre.

Ob eine Begutachtung vor dem Hintergrund einer etwaigen Rückkehr des Kindesvaters in sein Heimatland weiterhin notwendig ist, wird durch das Amtsgericht zu entscheiden sein.

Die Kostenentscheidung folgt §§ 13 a Abs. 1 S. 1 FGG, 131 Abs. 3 KostO.

Ende der Entscheidung

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