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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 21.08.2008
Aktenzeichen: 20 W 105/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1792
BGB § 1799
BGB § 1897
BGB § 1899
BGB § 1908 i Abs. 1
Die Bestellung eines Mitbetreuers kann nicht zu dem Zweck erfolgen, die Kontrolle der Amtsführung des bereits bestellten Betreuers zu delegieren und etwaigen Missständen durch dessen Tätigkeit entgegen zu wirken.
Gründe:

I.

Der 29jährige Betroffene leidet an einer genetisch bedingten und fortschreitenden Muskelatrophie sowie einer Intelligenzminderung. Er lebt in häuslicher Gemeinschaft mit seinem Vater, dem Beteiligten zu 1) und arbeitet an seinem Wohnort in einer Werkstatt für Behinderte, wobei er dieser Tätigkeit krankheitsbedingt seit einiger Zeit nur noch halbtags nachgehen kann. Mit Zustimmung des Betroffenen ist bereits seit 1997 dessen Vater zum ehrenamtlichen Betreuer bestellt. Die Betreuung umfasst die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge sowie der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Krankenkassen, Rechtsanwälten, Gerichten und ähnlichen Institutionen.

Das Vormundschaftsgericht erhielt im Mai 2007 einen Hinweis der Staatsanwaltschaft Kassel, wonach die frühere Lebensgefährtin des Beteiligten zu 1) in einem gegen sie geführten Strafverfahren angegeben hatte, der Betroffene werde durch seinen Vater, der nur am Erhalt des Pflegegeldes interessiert sei, nicht ausreichend versorgt. Der mit der Überprüfung der häuslichen Situation beauftragte Mitarbeiter der Betreuungsstelle teilte in seinem Bericht vom 23. Mai 2007 mit, nach seinem bei einem Hausbesuch gewonnenen Eindruck kümmere der Vater sich ausreichend um den Betroffenen, so dass ein Betreuerwechsel nicht notwendig sei. Er schlug jedoch die Bestellung der Beteiligten zu 2) als zusätzliche ehrenamtliche Betreuerin vor, die sich hauptsächlich um die Wohnungsangelegenheiten kümmern solle. Der Vormundschaftsrichter hörte den Betroffenen persönlich an seiner Arbeitstelle in der Behindertenwerkstatt an, wobei dieser sich gegen die ihm vorgeschlagene Bestellung einer zusätzlichen Betreuerin aussprach. Nach schriftlicher Anhörung des Beteiligten zu 1), der unter Vorlage ärztlicher Atteste der angekündigten Bestellung der Beteiligten zu 2) ebenfalls widersprach, bestellte das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. August 2007 die Beteiligte zu 2) zur weiteren Betreuerin für die bestehenden Aufgabenkreise und ordnete die Alleinvertretungsberechtigung beider Betreuer an. Zur Begründung wurde ausgeführt, durch die Bestellung der Beteiligten zu 2) als zusätzlicher neutraler Betreuerin gemäß § 1899 Abs. 1 BGB solle gewährleistet werden, dass der Betroffene einen neutralen Ansprechpartner erhält, seine Versorgung zu Hause durch den Vater und eingesetzten Betreuer durch gelegentliche Besuche überprüft und etwaigen Missständen entgegengewirkt werden kann, so dass insgesamt durch die Bestellung mehrerer Betreuer die Angelegenheiten des Betroffenen besser geregelt werden könnten. Es solle nicht ausgesagt werden, dass es tatsächlich zu Missständen oder Vernachlässigungen des schwerkranken Betroffenen durch seinen Vater gekommen sei. Allerdings zögen sich durch die Akte Äußerungen Dritter, die sich gegen die Eignung des Vaters ausgesprochen und dessen Ablösung als Betreuer angeregt hätten. So habe im Jahre 1997 ein Heimleiter angegeben, der Beteiligte zu 1) sei selten zu erreichen, habe es abgelehnt seine Anschrift mitzuteilen und hetze den Betroffenen gegen seine ebenfalls im Heim befindlichen Schwestern auf. Des Weiteren habe sich im März 2000 die zwischenzeitlich verstorbene Mutter des Betroffenen und geschiedene Ehefrau des Beteiligten zu 1) gemeldet und eine völlig unzureichende Versorgung des Betroffenen geltend gemacht, was sich bei einer Nachprüfung durch die damals örtlich zuständige Betreuungsstelle jedoch nicht bestätigt habe. Nunmehr habe die Lebensgefährtin des Beteiligten zu 1) Ähnliches geschildert. Des Weiteren habe die Mitarbeiterin der Behindertenwerkstatt während der Anhörung vom 18. Juli 2007 mitgeteilt, der Beteiligte zu 1) habe bei einer Vorsprache ein massiv unbeherrschtes und ausfallendes Verhalten gezeigt, als er angenommen habe, die Anregung zur Bestellung einer weiteren Betreuerin stamme von ihrer Einrichtung. Zwar verkenne das Gericht nicht, dass ein Großteil der Angaben sicher nicht ungeprüft als zutreffend angenommen werden könne. Die Vielzahl der Hinweise zwinge jedoch zum Handeln, wobei weder das Gericht noch die Betreuungsstelle zeitlich oder personell in der Lage seien, sich häufiger einen unmittelbaren Eindruck von der Versorgungssituation des Betroffenen zu verschaffen oder über die jeweiligen Vorwürfe quasi "Beweis zu erheben".

Die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 15. August 2007 gerichtete Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht mit Beschluss vom 26. November 2007 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Vormundschaftsrichter sei vor seiner Entscheidung nicht gehalten gewesen, sämtlichen gegen den Beteiligten zu 1) erhobenen Vorwürfen im Einzelnen nachzugehen. Vielmehr könne es als sachgerecht angesehen werden, wenn die Beteiligte zu 2) als neutrale Mitbetreuerin bestellt werde, um etwaigen Gefährdungen für das Wohl des Betroffenen zu begegnen.

Gegen den landgerichtlichen Beschluss hat der Betroffene weitere Beschwerde eingelegt, mit der er im Wesentlichen geltend macht, die Eignung des Beteiligten zu 1) zur Führung der Betreuung sei in der Vergangenheit nie in Zweifel gezogen und auch keinerlei Missstände festgestellt worden. Die Prognose, dass die Angelegenheiten des Betreuten durch mehrere Betreuer besser besorgt werden könnten, sei nicht gerechtfertigt. Die zehn bzw. sieben Jahre zurückliegenden Vorwürfe des Heimleiters und der verstorbenen Mutter hätten sich nicht bestätigt bzw. seien bei einem Hausbesuch sogar widerlegt worden. Die Angaben der früheren Lebensgefährtin des Beteiligten zu 1) aus dem Jahre 2007 seien durch ärztliche Bescheinigung sowie den Bericht der Betreuungsstelle über den Hausbesuch widerlegt, so dass der dortige Vorschlag zur Bestellung einer zusätzlichen Betreuerin rechtlich unhaltbar und unverständlich sei. Dass der Beteiligte zu 1) angesichts des Verfahrensverlaufes bezüglich der Frage der Bestellung eines weiteren Betreuers gegenüber einer Mitarbeiterin der Werkstatt aggressiv reagiert habe, erscheine verständlich und beeinträchtige seine Eignung als Betreuer nicht.

II.

Die weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO). Die von den Vorinstanzen herangezogenen Gründe rechtfertigen die Bestellung der Beteiligten zu 2) als weiterer Betreuerin nicht.

Die gesetzliche Regelung des § 1897 Abs. 1 BGB geht von dem Grundsatz der Einzelbetreuung aus, wonach grundsätzlich nur eine Person zum Betreuer des Betroffenen bestellt werden soll (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 130). Als Ausnahme hiervon sieht § 1899 Abs. 1 Satz 1 BGB vor, dass das Vormundschaftsgericht mehrere Betreuer bestellen kann, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen hierdurch besser besorgt werden können. Aus dem gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich, dass die Bestellung eines weiteren Betreuers nicht in das freie Ermessen des Vormundschaftsgerichtes gestellt ist. Vielmehr kommt sie nur dann in Betracht, wenn aufgrund festzustellender Tatsachen die letztlich auf einer Prognose beruhende Beurteilung gerechtfertigt ist, dass hierdurch die Angelegenheiten des Betreuten besser besorgt werden können (vgl. BayObLG NJWE-FER 1998, 33; MünchKomm/Schwab, BGB, 3. Aufl., § 1899 Rn. 2; BayObLG FamRZ 2003, 1967; Jurgeleit, Betreuungsrecht, § 1899 BGB Rn. 1). Als ein Bespiel wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren die Bestellung der Eltern für ein volljährig gewordenes geistig behindertes Kind zum Zwecke der Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge genannt (BT-Drucks. 11/4528 S. 130). Des Weiteren hat die Rechtsprechung ein Bedürfnis für die Bestellung mehrerer Betreuer etwa bei großer Entfernung des Wohnortes eines der Betreuer zur Überwindung der sich hieraus möglicherweise ergebenden Schwierigkeiten anerkannt (BayObLG NJWE-FER 2000, 259). Mehrere Betreuer werden in der Betreuungspraxis des Weiteren dann bestellt, wenn dies wegen Interessenskonflikten oder der Notwendigkeit besonderer Kenntnisse nur für einzelne Aufgabenkreise oder Bereiche sachlich gerechtfertigt ist (vgl. Doddegge, Betreuungsrecht, 2. Aufl., Abschnitt B Rn. 73; Palandt/Diederichsen, BGB, 67. Aufl., § 1899 Rn. 2; BayObLG FamRZ 1997, 1502).

Im vorliegenden Falle haben die Vorinstanzen die Bestellung der Beteiligten zu 2) zur Mitbetreuerin neben dem bereits seit elf Jahren zum ehrenamtlichen Betreuer bestellten Vater für dieselben Aufgabenkreise mit jeweiliger Einzelvertretungsbefugnis darauf gestützt, dass hiermit eine Kontrolle der Amtsführung des Beteiligten zu 1) erreicht werden soll. Mit dieser Erwägung lässt sich jedoch eine Mitbetreuung gemäß § 1899 Abs. 1 BGB nicht rechtfertigen. Dies verdeutlicht bereits der Umstand, dass bei der Bestellung mehrerer Betreuer für jeden einzelnen Betreuer die Voraussetzungen des § 1897 BGB erfüllt sein müssen, was u. a. bedeutet, dass jeder der beiden Betreuer für das Amt geeignet sein muss (vgl. Jurgeleit, a.a.O., § 1899 BGB Rn. 4; Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1899 Rn. 1; Doddegge, a.a.O., Abschnitt B Rn. 71). Stellt sich im Laufe des Betreuungsverfahrens heraus, dass ein gerichtlich bestellter Betreuer zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgabenkreise nicht (mehr) geeignet ist, so hat das Vormundschaftsgericht diesen Betreuer nach § 1908 b BGB zu entlassen. Gemäß §§ 1908 i Abs. 1, 1837 Abs. 2 BGB hat das Vormundschaftsgericht über die Tätigkeit des Betreuers die Aufsicht zu führen und gegen Pflichtwidrigkeiten einzuschreiten. Hiernach gehört es des Weiteren zu den dem Vormundschaftsgericht gesetzlich zugewiesenen Aufgaben, begründeten Hinweisen auf Pflichtwidrigkeiten oder sonstige Fehler und Versäumnisse des betreuers gegebenenfalls unter Einschaltung der Betreuungsbehörde nachzugehen. Demgegenüber lässt § 1899 Abs. 1 BGB die Bestellung eines weiteren Betreuers nach § 1899 BGB zum Zwecke der Delegation der Kontrolle der Amtsführung des bisherigen Betreuers und zur Vermeidung etwaiger Missstände durch dessen Tätigkeit auf einen weiteren Betreuer nicht zu. Denn mit einer derartigen Zielrichtung würde die Betreuung nicht dem Wohl des Betroffenen und der besseren Erledigung von dessen Angelegenheiten dienen, sondern der Entlastung des Vormundschaftsgerichts. An der Unzulässigkeit der Bestellung eines Mitbetreuers zu Kontrollzwecken vermag auch der Hinweis in der amtsgerichtlichen Entscheidung nichts zu ändern, das Gericht sehe sich ebenso wie die Betreuungsstelle weder zeitlich noch personell in der Lage, sich häufiger einen unmittelbaren Eindruck von der Versorgungssituation des Betreuten zu verschaffen oder jeweiligen Vorwürfen nachzugehen.

Zwar ergibt sich aus der Verweisung des § 1908 i Abs. 1 BGB auf § 1792 BGB, dass das Vormundschaftsgericht einen Gegenbetreuer bestellen kann, dessen Aufgabe nicht in der Wahrnehmung der Angelegenheiten des Betroffenen selbst liegt, sondern der im Sinne einer zusätzlichen Kontrolle die Amtsführung des Betreuers zu überwachen und hierdurch das Vormundschaftsgericht bei seiner Aufsichtspflicht zu entlasten hat (vgl. BayObLG BtPrax 2004, 197; Jürgens, a.a.O., § 1900 Rn. 7; Jurgeleit, a.a.O, § 1899 Rn. 2). Wie die in § 1908 i Abs. 1 BGB ebenfalls in Bezug genommene Vorschrift des § 1799 BGB über die besonderen Pflichten des Gegenvormundes sowie die Regelung des § 1792 Abs. 2 BGB belegen, kommt die Bestellung eines Gegenbetreuers insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge in Betracht, wenn es insoweit um eine umfangreiche und schwierige Verwaltung geht, wenngleich sie nicht auf diesen Aufgabenkreis beschränkt ist. Die Notwendigkeit der zusätzlichen Kontrolle sowie der Unterstützung der Überwachungstätigkeit des Vormundschaftsgerichtes ergibt sich hierbei also aus Art, Umfang und Schwierigkeit der von dem Betreuer zu leistenden Tätigkeiten und der aus dieser komplexen Betreuungsaufgabe resultierenden Notwendigkeit einer besonders aufwändigen ständigen Kontrolle.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle eindeutig nicht erfüllt. Der Aufgabenkreis der Gesundheitssorge erfordert zwar wegen der vorhandenen fortschreitenden Muskelerkrankung eine regelmäßige Vorstellung und Kontrolle des Betroffenen bei den behandelnden Ärzten, ist jedoch nicht besonders aufwändig oder schwierig. Der daneben bestehende Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Krankenkassen, Rechtsanwälten, Gerichten und ähnlichen Institutionen wurde vor 8 Jahren nur hinzugenommen, weil damals die Beauftragung eines Rechtsanwaltes zur Klärung der Finanzierung einer alternativen Behandlung durch die Krankenkasse anstand und mag für die Zukunft für die Stellung eines Rentenantrages Bedeutung haben. Auch die Vorinstanzen haben ersichtlich die Voraussetzungen für die Bestellung eines Gegenbetreuers nicht als erfüllt angesehen, da sie die Beteiligte zu 2) ausdrücklich unter Heranziehung von § 1899 Abs. 1 BGB zur weiteren Betreuerin mit Einzelvertretungsbefugnis bestellt haben.

Dem gegenüber lässt das Gesetz auch die Bestellung eines Gegenbetreuers nicht mit dem Ziel zu, das Gericht im Rahmen einer weder besonders schwierigen noch besonders aufwändigen Betreuung von der Überwachung eines Betreuers zu entlasten, an dessen Eignung zur Führung der Betreuung in den angeordneten Aufgabenkreisen Zweifel von dritter Seite geäußert oder durch das Vormundschaftsgericht gehegt werden.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass entgegen der Anregung der Betreuungsbehörde die Voraussetzungen für die Bestellung eines Ergänzungs- oder Verhinderungsbetreuer im Sinne des § 1899 Abs. 1 und 4 BGB im vorliegenden Falle nicht erfüllt sind, da dem gesamten Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte dazu entnommen werden können, dass der Beteiligte zu 1) in den zurückliegenden elf Jahren aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen jemals an der Erledigung der Betreuungsaufgaben innerhalb der ihm übertragenen eingeschränkten Aufgabenkreise gehindert gewesen wäre oder dies in Zukunft sein könnte. Soweit die Beteiligte zu 2) nach der Vorstellung der Betreuungsbehörde sich hauptsächlich um die Wohnungsangelegenheiten kümmern sollte, weil die von dem Betroffenen und seinem Vater gemeinsam genutzte Wohnung zum Zeitpunkt des Hausbesuches wegen der Beseitigung von Schäden, die der Vormieter verursacht hatte, in einem schlechten Zustand war, steht dem bereits entgegen, dass für diesen Aufgabenkreis überhaupt keine Betreuung angeordnet ist.

Die Entscheidung über die Gebührenfreiheit des Verfahrens der weiteren Beschwerde beruht auf § 131 Abs. 1 Satz 2 KostO.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ergibt sich aus §§ 14 FGG, 114 ZPO.

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