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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 20 W 108/05
Rechtsgebiete: FEVG, HSOG


Vorschriften:

FEVG § 13 II
HSOG § 32
1. Es gibt keine auf Bundesrecht beruhende gesetzliche Ermächtigung, die es der Ausländerbehörde ohne vorherige richterliche Anordnung gestattet, einen Ausländer festzunehmen und bis zur Anordnung der Abschiebungshaft festzuhalten.

2. Wenn die Polizei einen Ausländer ausschließlich im Interesse und im Einverständnis der Ausländerbehörde festnimmt, festhält und dem Abschiebungshaftrichter vorführt, kann sich die Ausländerbehörde nicht nachträglich darauf berufen, die Polizei habe den Ausländer auf Grund von Vorschriften nach dem Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) festgenommen und festgehalten.


Gründe:

Der Antragsteller wendet sich mit der sofortigen weiteren Beschwerde gegen die im Rahmen eines Verfahrens nach § 13 Abs. 2 FEVG getroffene Feststellung des Landgerichts, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom 2. August 2004 bis zum 3. August 2004 rechtswidrig war. Das Rechtsmittel des Antragstellers ist zulässig; hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass es eine auf Bundesrecht beruhende ausländerrechtliche Ermächtigungsgrundlage dafür, einen Ausländer festzunehmen und bis zur Anordnung der Abschiebungshaft festzuhalten, also in Verwaltungsgewahrsam zu nehmen, nicht gibt (vgl. dazu OLG Köln Beschluss vom 29. Juni 2005 in der Sache 16 Wx 76/05 dok. bei Melchior = FGPrax 2005, 275 und Beschluss vom 1. Oktober 2004 in der Sache 16 Wx 195/04 dok. bei Melchior = NJW 2005, 3361; OLG Celle Beschluss vom 20. Januar 2005 in der Sache 16 W 182/04 = InfAuslR 2005, 149 und vom 22. Dezember 2004 in der Sache 16 W 155/04 = InfAuslR 2005, 111; OLG Oldenburg Beschluss vom 3. Mai 2004 in der Sache 13 W 18/04 dok. bei Melchior; OLG Braunschweig Beschluss vom 4. Februar 2004 in der Sache 6 W 32/03 = InfAuslR 2004, 166; OLG Schleswig Beschluss vom 28. April 2003 in der Sache 2 W 207/02 = InfAuslR 2003, 292; Hans.OLG Hamburg Beschluss vom 2. April 2003 in der Sache 2 Wx 67/02 = InfAuslR 2003, 288; Kammergericht Beschluss vom 30. August 2002 in der Sache 25 W 78/02 = NVwZ-Beil. 2003, 30 und vom 22. März 2002 in der Sache 25 W 218/01 = InfAuslR 2002, 315 = NVwZ-Beil. 2002, 109; Senat Beschluss vom 31. März 1998 in der Sache 20 W 94/98 = AuAS 1998, 99 = InfAuslR 1998, 457, vom 22. Mai 1997 in der Sache 20 W 365/96 = InfAuslR 1997, 313, vom 6. Februar 1996 in der Sache 20 W 22/96 = NVwZ-Beil. 1996, 38 = AuAS 1996, 97 = FGPrax 1996, 119 = OLGR Frankfurt 1996, 104 = InfAuslR 1996, 145 und vom 3. März 1995 in der Sache 20 W 55/95 = InfAuslR 1995, 361).

Mithin kommt es darauf an, ob eine andere gesetzliche Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist. Das ist hier nicht der Fall.

Der Vorgang der Festnahme des Betroffenen ergibt sich aus dem vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 12. August 2004 zu der Gerichtsakte gereichten polizeilichen Vermerk (Polizeidienststelle A in O1) vom selben Tag (Bl. 40 GA), der folgenden Wortlaut hat:

"Festnahme des ... B *....1984 in O2

Am 01.08.2004 wurde in O3 gg. 05.00 Uhr ein Jugendlicher von drei unbekannten Tätern um Bargeld und Zigaretten beraubt. Mindestens zwei der Täter sollen Ausländische Jugendliche, einer davon ca. 20 Jahre alt gewesen sein. Davon wiederum einer evtl. Türke, der aus O3 kommen soll. Der Vorgang wurde hier unter der VN ST/0954174/2004 bearbeitet und an die Staatsanwaltschaft Gießen abgegeben.

Aufgrund dieser Angaben des Geschädigten ergab sich aufgrund vorausgegangener Erfahrungen ein vager Verdacht in Richtung des in O3 wohnenden B, dem ein solches Verhalten nicht unbedingt wesensfremd ist.

Soweit hier in Erfahrung gebracht werden konnte, ist B derzeit beschäftigungslos und leistet aufgrund einer Verurteilung des AG Friedberg Arbeitsstunden beim städtischen Bauhof in O3 ab.

B konnte über den Bauhof an seiner Arbeitsstelle am Kindergarten in der ...straße in O3 bei Reinigungsarbeiten angetroffen werden.

Zum o. a. Sachverhalt konnte er tatsächlich Angaben machen und zumindest einen der Täter benennen. Dieser habe ihm selbst von der Sache erzählt und den Ablauf minutiös geschildert.

Eher nebenbei gab er an, dass er in der vergangenen Woche nicht zum Ausländeramt gehen konnte, weil er unbedingt die Arbeitsstunden ableisten musste.

Auf Befragen gab er schließlich an, dass er keine Pass habe und auch seine Aufenthaltsgestattung abgelaufen sei, er sich aber darum kümmern wollte.

Da B nunmehr offensichtlich illegal in der BRD aufenthältlich war, wurde er zur Klärung seines Aufenthaltsstatuts zur hiesigen Dienststelle gebracht.

Nach Rücksprache mit der Ausländerbehörde des A-Kreises, Herrn C, war dem tatsächlich so. Von dort aus lagen die Voraussetzungen für eine Abschiebung vor. Beim AG Friedberg wurde Antrag auf Abschiebehaft gestellt. Diesem Antrag wurde hier entsprochen und B in die JVA O1 eingeliefert.

D, KOK"

Danach bestehen entgegen der Annahme des Landgerichts, aber auch des Antragstellers keine Anhaltspunkte dafür, dass die Festnahme und das Festhalten des Betroffenen - jedenfalls nach der Kontaktaufnahme der Polizei mit dem Antragsteller - auf Grund strafprozessualer Vorschriften (nach den §§ 163c, 163b STPO oder nach § 127 StPO) erfolgt sein könnte.

Es fehlen nach dem Wortlaut des Vermerks aber auch Anhaltspunkte dafür, dass die Polizei den Betroffenen auf Grund von Vorschriften nach dem Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) festnahm.

In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des polizeilichen Vermerks erweisen sich die Angaben des Antragstellers zum Vorgang der Festnahme als nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns auf Grund landesgesetzlicher Bestimmungen nachträglich zu belegen.

Im einzelnen:

In dem Abschiebungshaftantrag vom 2. August 2004 (Bl. 1 GA) hat der Antragsteller angegeben, der Betroffene sei am 2. August 2004 durch die Polizei O1 in anderer Sache vernommen und aufgrund des derzeitigen illegalen Aufenthalts zunächst vorläufig festgenommen worden.

In der Stellungnahme des Antragstellers vom 12. August 2004 (Bl. 38 GA) ist der Vorgang der Festnahme des Betroffenen wie folgt beschrieben:

"...Die Festnahme durch die Polizei erfolgte zunächst nicht mit dem Ziel der Abschiebung. Herr B wurde bei der hiesigen Polizeidirektion - Arbeitsgruppe Intensivtäter - in anderer Sache vernommen. Hierbei stellte sich dann heraus, dass er sich illegal (§ 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt. Die vorläufige Festnahme erfolgte aus diesem Grunde zunächst gem. straf- bzw. polizeirechtlichen Vorschriften und nicht auf Ersuchen meiner Behörde zwecks Abschiebung.

Nach telefonischer Rücksprache mit mir, wurde sodann die kurzfristige Abschiebung des Og. ins Auge gefasst. Da hierzu aber zunächst das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft einzuholen war (mehrere Verfahren waren noch anhängig), die notwendige Sicherheitsbegleitung organisiert werden musste und der Pass des Og. auch nur noch bis 24.08.2004 gültig war, habe ich sodann unverzüglich den Haftantrag gestellt. .."

In der Stellungnahme des Antragstellers vom 23. Dezember 2004 (Bl. 65 GA) heißt es u.a.:

"Die Festnahme des Og. Am 02.08.2004 erfolgte gerade nicht auf Ersuchen der Ausländerbehörde. Vielmehr wurde Herr B zunächst in anderer Sache vernommen. Hierbei wurde durch die Polizeibeamten auch der aktuelle ausländerrechtliche Status bei meiner Behörde telefonisch abgefragt. Den Polizeibeamten war bekannt, dass die Aufenthaltsbeendigung durch meine Behörde betrieben wurde. Der aktuelle Verfahrensstand war den Polizeibeamten aber nicht bekannt, so dass dieser bei mir telefonisch erfragt wurde. Hierbei wurde nun festgestellt, dass sich der Og. zum damaligen Zeitpunkt unerlaubt im Sinne des § 92 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt.

Ich habe daher die Polizeibeamten darüber informiert, dass ich zur Sicherung der Abschiebung nun unverzüglich einen Abschiebungshaftantrag stellen werde. Dieser Antrag ging am 02.08.2004 gegen 12.30 Uhr per Telefax beim Amtsgericht ein.

Eine Festnahme erfolgte daher aufgrund straf. bzw. polizeirechtlicher Vorschriften. Hierfür dürften der § 127 StPO bzw. insbesondere auch § 32 HSOG einschlägig sein. .."

Im Schriftsatz vom 24. Februar 2005 (Bl. 84 GA) bringt der Antragsteller schließlich vor, nach Rücksprache mit der Polizei sei die Ingewahrsamnahme nach den Bestimmungen des HSOG (§ 32 Abs. 1 Ziffer 2) erfolgt.

Nach § 32 Abs. 1 Ziffer 2 HSOG können die Polizeibehörden eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Für den Fall der Ingewahrsamnahme schreibt das Gesetz in den §§ 33 bis 35 HSOG zwingend vor, wie die Polizeibehörden nach der Festnahme zu verfahren haben. U.a. haben sie unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 HSOG). Dies ist hier nicht geschehen.

Die Vorführung des Betroffenen erfolgte nicht vor den Richter im Sinne des § 33 Abs. 2 HSOG, sondern vor den Abschiebungshaftrichter und zwar nicht zum Zwecke der Prüfung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Freiheitsentziehung, sondern im Hinblick auf den Abschiebungshaftantrag des Antragstellers allein zum Zwecke der Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft vorliegen.

Deshalb kann sich der Antragsteller auch nicht darauf berufen, er sei im Verfahren nach § 13 Abs. 2 FEVG der falsche Beschwerdegegner; denn er habe "weder ein Amtshilfeersuchen, ein Vollstreckungsersuchen, ein Festnahmeersuchen o.ä. an die Polizei gerichtet, damit der Og. weiterhin festgehalten wird." (Schriftsatz vom 24. Februar 2005 - Bl. 84 GA). Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Polizei ausschließlich im Interesse und im Einverständnis des Antragstellers gehandelt hat.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens beruht auf den §§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 16 FEVG.

Ende der Entscheidung

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