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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 27.09.2004
Aktenzeichen: 20 W 111/04
Rechtsgebiete: BGB, WEG


Vorschriften:

BGB § 242
WEG § 4 I
WEG § 4 II
WEG § 5 II
WEG § 14 IV
1. Ein Wohnungseigentümer kann nach § 14 Nr. 4 WEG analog verpflichtet sein, einen auf Wartung / Kontrolle bzw. Notfälle beschränkten Zugang zu einem im Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers stehenden Tankraum durch sein Sondereigentum zu dulden.

2. Das Recht des Sondereigentümers unterliegt immanenten Schranken, die sich aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungs- bzw. Teileigentümer ergeben.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN Beschluss

20 W 111/04

Entscheidung vom 27.09.2004

In der Wohnungseigentumssache

betreffend die Wohnungseigentümergemeinschaft ...straße ..., O1,

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 16.01.2004

am 27.09.2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Wiesbaden abgeändert und die Erstbeschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Verfahrens der Erstbeschwerde und der weiteren Beschwerde trägt die Antragsgegnerin. Außergerichtliche Kosten werden in beiden Beschwerdeverfahren nicht erstattet.

Der Beschwerdewert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beteiligten zu 1) und 2) bilden die Eigentümergemeinschaft ...straße ... in O1, die durch die Teilungserklärung vom 17.01.1997 (Bl. 6- 11 d. A.) mit einem Nachtrag vom 03.03.1999 (Bl. 4, 5 d. A.) begründet wurde. Die Antragstellerin ist Wohnungseigentümerin mit einem Miteigentumsanteil von .../100 Miteigentumsanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an den im Aufteilungsplan mit der Nr. ... bezeichneten Räumen (... umrandet) und an drei Garagen. Ferner ist ihrem Miteigentumsanteil laut Teilungserklärung das alleinige Sondernutzungsrecht an den im Freiflächenplan (Bl. 62 der Grundakten von ..., Blatt ...) ... schraffierten Grundstücksflächen zugeordnet. Die Antragsgegnerin ist Wohnungseigentümerin mit einem Miteigentumsanteil von .../100, verbunden mit dem Sondereigentum an dem im Aufteilungsplan mit der Nr. ... bezeichneten Räumen (... umrandet). Ihr steht ferner ein Sondernutzungsrecht an der auf dem Freiflächenplan ... schraffierten Fläche zu. Zum Sondereigentum der Antragstellerin gehört im Erdgeschoss ein im Aufteilungsplan mit "Öllager" bezeichneter Raum, der mit zweitür- und fensterlosen Innenwänden an ebenfalls im Sondereigentum der Antragstellerin stehende Räumlichkeiten angrenzt. Es befindet sich lediglich ein Fenster in der Außenwand des Öllagers, die an den Teil der Freifläche angrenzt, an der der Antragstellerin ein Sondernutzungsrecht zusteht. Die einzige Tür des Raumes ist in der dritten Innenwand, an die sich ein im Sondereigentum der Antragsgegnerin stehender Raum anschließt, der im Aufteilungsplan als Hobbyraum bezeichnet wird. Der im Aufteilungsplan als "Öllager", in der Teilungserklärung als "Tankraum" bezeichnete Raum wurde zunächst von beiden Beteiligten genutzt. In § 4 der Teilungserklärung war vereinbart, dass der Tankraum bis Ende 1998 aufgelöst wird und die Raumeigentümerin Nr. ... ab Anfang 1999 einen eigenen Tankraum in Betrieb nimmt. Seither nutzte nur noch die Antragstellerin den Tankraum.

Die Antragstellerin hat im amtsgerichtlichen Verfahren die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung der Eintragung einer Grunddienstbarkeit (Wegerecht) begehrt, um sich den Zugang zu dem Tankraum durch das Sondereigentum der Antragsgegnerin zu sichern, nachdem darüber Streit entstanden war.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 26.09.2003 (Bl. 79-84 d. A.) die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin und /oder von ihr Beauftragten pro Jahr an drei Terminen nach vorheriger Anzeige durch die Antragstellerin zwei Tage vorher zum Zwecke der Wartung und /oder Kontrolle des Tankraums und in Notfällen zur Abwehr einer unmittelbar und unaufschiebbar bevorstehenden Gefahr Zutritt über ihr Sondereigentum zu dem Tankraum der Antragstellerin zu gewähren.

Dagegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt und vorgetragen, die Beteiligten hätten eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit der Wohneinheiten beabsichtigt, wie aus der Regelung in §§ 3 und 4 der Teilungserklärung ersichtlich. Auf eine Zugangsberechtigung entsprechend der amtsgerichtlichen Entscheidung sei die Antragstellerin nicht angewiesen. Sie könne durch den Einbau einer Tankklappe anstelle des vorhandenen Fensters die Betankung und durch den Einbau einer Tür den Zugang zu dem Tankraum sicherstellen. Bei der beabsichtigten Wohnnutzung des angrenzenden Hobbyraumes störe die Tür zu dem Tankraum, da sie Kälte und Geruch durchlasse. Die Antragstellerin hat demgegenüber die Auffassung vertreten, es liege ein sogenannter isolierter Miteigentumsanteil vor. Sie müsse sich nicht auf baulichen Maßnahmen zur Schaffung eines eigenen Zugangs verweisen lassen. Durch den Einbau einer Tür zur Freifläche entstünden unverhältnismäßig hohe Kosten, zum Betanken sei auch bei Einbau einer Tankklappe erforderlich, dass ein bis 65 m langer Schlauch um das ganze Gebäude herumgeführt werden müsste, was der Antragstellerin nicht zumutbar sei.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 16.01.2004 (Bl. 111-116 d. A.) den amtsgerichtlichen Beschluss vom 26.09.2003 aufgehoben und den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, ein Anspruch auf Zutrittsgewährung ergebe sich nicht nach § 14 Nr. 4 WEG, da es nicht um die Instandhaltung und Instandsetzung von Gemeinschaftseigentum gehe. Auch aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis folgten nur Beschränkungen in der Ausübung von Rechten. Unter Berücksichtigung der Unverletzlichkeit der Wohnung müsse sich die Antragstellerin darauf verweisen lassen, durch den Einbau einer Tür den Zugang zu dem Tankraum selbst zu schaffen, was ihr auf Grund des § 3 der Teilungserklärung auch rechtlich möglich sei. Der Antragstellerin stünde auch kein Anspruch auf Änderung der Teilungserklärung zu, der ein Zugangsrecht im Rahmen von § 242 BGB begründen könnte, da § 3 Abs. 2 Satz 1 WEG lediglich eine Sollvorschrift darstelle. Die Beschwerde sei auch insoweit erfolgreich, als das Amtsgericht die Antragsgegnerin zur Gewährung von Zugang in Notfällen verpflichtet hat. Da die Beteiligten um den regelmäßigen Zugang zu dem Tankraum gestritten hätten, bestünde kein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin und keine Veranlassung für das Amtsgericht, eine Entscheidung über das Zugangsrecht in Notfällen zu treffen.

Mit ihrer weiteren Beschwerde gegen den landgerichtlichen Beschluss hat die Antragstellerin geltend gemacht, dass ihr durch das Amtsgericht etwas zugesprochen worden sei, was sie nicht beantragt habe, treffe nicht zu. Das Amtsgericht sei befugt gewesen, der Antragstellerin statt des unbedingten Zugangsrechtes ein bedingtes Zugangsrecht zuzusprechen. Ihr genüge das Notzugangsrecht zu dem Tankraum, um eventuelle Wartungsarbeiten ausführen zu lassen. Auf eigene bauliche Maßnahmen müsse sie sich nicht verweisen lassen, zumal das Landgericht ohne Sachaufklärung von der technischen Durchführbarkeit ausgegangen sei. Die Antragsgegnerin ist der weiteren Beschwerde entgegengetreten und verteidigt den angefochtenen Beschluss. Sie hat geltend gemacht, mit dem amtsgerichtlichen Beschluss sei der Antragstellerin etwas von ihr nicht Beantragtes zugesprochen worden. Die Antragstellerin sei uneinsichtig und ihr Rechtsmittel mutwillig, weshalb die Erstattung der außergerichtlichen Kosten anzuordnen sei.

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 45 Abs. 1 WEG, §§ 21, 22 Abs. 1, 29 FGG) sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg, denn die landgerichtliche Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts ( §§ 45 WEG, 27 FGG, 546 ZPO).

Zunächst ist die Kammer von einem unzutreffenden Gegenstand des Erstbeschwerdeverfahrens ausgegangen. Da nur die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung eingelegt hat, war lediglich ihre Verpflichtung zur Zugangsgewährung zu Wartungszwecken und in Notfällen noch Verfahrensgegenstand.

Es trifft auch nicht zu, dass der Antragstellerin mit diesem eingeschränkten Zugangsrecht etwas zugesprochen worden wäre, was sie nicht beantragt hätte. Das Gericht darf den Sachantrag eines Beteiligten grundsätzlich auslegen und ein im Antrag enthaltenes Minus stets zusprechen (Niedenführ/Schulze: WEG, 7. Aufl., Vor §§ 43 ff., Rdnr. 43; Palandt/Bassenge: WEG, 63. Aufl., § 43, Rdnr. 13). Gegenüber dem Antrag auf Bewilligung eines dinglichen Wegerechts stellt sich die Verpflichtung zur Gewährung eines beschränkten Zugangsrechtes als derartiges Minus dar. Die Erklärung des Antragstellervertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, dass das Tanken nicht das eigentliche Problem sei, sondern der Zugang zwecks Wartungsarbeiten und in Notfällen, durfte das Amtsgericht zumindest als einen hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur eingeschränkten Zugangsgewährung auslegen. Dies wird bestätigt durch die Erklärung der Antragstellerin in der Beschwerdeerwiderung, sie sei grundsätzlich mit der Entscheidung des Amtsgerichts einverstanden, und in der Begründung der weiteren Beschwerde, das ihr vom Amtsgericht zugesprochene Zugangsrecht sei für die Antragstellerin ausreichend. Dementsprechend und mangels anderslautender ausdrücklicher Antragstellung ist auch für den Verfahrensgegenstand der weiteren Beschwerde davon auszugehen, dass die Antragstellerin lediglich ein eingeschränktes Zugangsrecht begehrt, wie es das Amtsgericht ihr zugesprochen hat.

In diesem Umfang ist die weitere Beschwerde der Antragstellerin auch begründet, weshalb der amtsgerichtliche Beschluss zu bestätigen war. Das streitgegenständliche Zugangsrecht der Antragstellerin könnte sich direkt aus § 14 Nr. 4 WEG ergeben, weil an dem Tankraum nicht wirksam Sondereigentum der Antragstellerin begründet wurde. Nach § 4 der Teilungserklärung wurde der Tankraum im Zeitpunkt der Begründung des Wohnungseigentums durch beide Beteiligte als Tankraum benutzt. Er diente damals also dem gemeinschaftlichen Gebrauch aller Wohnungseigentümer und war deshalb nach § 5 Abs. 2 WEG zwingend Gemeinschaftseigentum (Niedenführ/Schulze: WEG, 7. Aufl., § 5, Rdnr. 19). Bei der Bestimmung in § 4 der Teilungserklärung könnte es sich deshalb um eine unwirksame, weil unter einer Zeitbestimmung erfolgte Begründung von Sondereigentum an dem Tankraum handeln( § 4 Abs.2 Satz 2 WEG). Eine nachträgliche Vereinbarung über das Sondereigentum an dem Tankraum, nachdem dieser nur noch von der Antragstellerin als solcher benutzt wurde, in der Form des § 4 Abs. 1 WEG ist nicht erfolgt.

Dies kann für die vorliegend zu treffende Entscheidung aber dahingestellt bleiben, da der Senat dem Amtsgericht darin folgt, dass § 14 Nr. 4 WEG jedenfalls analog anwendbar ist im Rahmen des wohnungseigentumsrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses auch für die Duldung des Zugangs zu den im Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen, soweit dies zur Instandhaltung und Instandsetzung von fremdem Sondereigentum erforderlich ist. Die für jedes Eigentum geltenden, letztlich auf der Sozialbindung nach Art. 14 Abs. 2 GG beruhenden Schranken gelten innerhalb des in besonderer Weise von gegenseitigen Rücksichtnahme- und Treuepflichten geprägten Gemeinschaftsverhältnisses der Wohnungseigentümergemeinschaft noch verstärkt (OLG Stuttgart WuM 2001/ 293; BayObLG DWE 1995, 28; KG ZMR 1990, 151; Niedenführ/Schulze: WEG, 7. Aufl., § 13 Rdnr. 4; Staudinger/Kreuzer: WEG, 12. Aufl., § 15 Rdnr. 77 - jeweils für Sondernutzungsrechte-). Deshalb kann der Auffassung des Landgerichts nicht gefolgt werden, insbesondere der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG - der staatliche Eingriffe verhindern soll- schließe bei Abwägung der gesamten Umstände ein Zugangsrecht auch im Verhältnis der Wohnungseigentümer aus. In die Abwägung einzubeziehen war auch nicht die Beeinträchtigung des Sondereigentums des Antragsgegnerin durch einen regelmäßigen Zugang der Antragstellerin zu dem Tankraum, wovon das Landgericht auf Grund seiner unzutreffenden Annahme ausgegangen ist, der regelmäßige Zugang sei Verfahrensgegenstand der Erstbeschwerde. Vielmehr war nur die Beeinträchtigung des Sondereigentums durch das auf Wartung und Kontrolle bzw. Notfälle beschränkte Zugangsrecht entsprechend der vom Amtsgericht ausgesprochenen Verpflichtung abzuwägen gegenüber dem der Antragstellerin entstehenden Aufwand für die Schaffung eines eigenen Zugangs zum Tankraum. Auch dessen technische Durchführbarkeit unterstellt, ist er nach Auffassung des Senats der Antragstellerin nicht zuzumuten im Verhältnis zu der Belastung der Antragsgegnerin durch die auf Wartung und/oder Kontrolle bzw. in Notfällen beschränkten Fälle eines Zugangs durch ihr Sondereigentum. In diesen Fällen besteht auf Grund der räumlichen Nähe ihres Sondereigentums schließlich auch ein Interesse der Antragsgegnerin selbst an diesem Zugang zum Tankraum. Zur Unzumutbarkeit eines Zugangs auch in dieser beschränkten Form hat die Antragsgegnerin nichts vorgetragen. Da die Betankung von dieser Zugangsverpflichtung nicht umfasst wird, spielt die Verlegung des Ölschlauchs durch ihren Hobbyraum keine Rolle mehr, gegen die sich die Antragsgegnerin in den Vorinstanzen im wesentlichen gewendet hat.

Da über die weitere Beschwerde der Antragstellerin bereits in der Hauptsache entschieden werden konnte, ist der beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Dauer das Verfahrens nicht mehr erforderlich.

Die Gerichtskosten der Beschwerdeverfahren hat die Antragsgegnerin gemäß §§ 47 Satz 1 WEG, 91 Abs. 1 ZPO (analog) als Unterlegene zu tragen. Für die ausnahmsweise Anordnung der Erstattung der außergerichtlicher Kosten im Verfahren der weiteren Beschwerde nach § 47 Satz 2 WEG sah der Senat keine Veranlassung.

Die Wertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 WEG und orientiert sich an der unbeanstandet gebliebenen Festsetzung des Landgerichts.

Ende der Entscheidung

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