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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.01.2009
Aktenzeichen: 20 W 154/08
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2 S. 5
Eine Abschiebungshaftanordnung verliert ihre Wirksamkeit, wenn der konkrete Abschiebungsversuch vorzeitig abgebrochen werden muss und der Betroffene dies nicht zu vertreten hat. In diesem Fall bedarf es zum weiteren Vollzug der Freiheitsentziehung einer neuen richterlichen Entscheidung.
Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Wiesbaden vom 27.03.2008 insoweit aufgehoben, als festgestellt wird, dass die vom Betroffenen erlittene Haft zur Sicherung seiner Zurückweisung seit dem Abbruch des Fluges am 04.03.2008 bis 07.03.2008 rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die sofortige weitere Beschwerde zurückgewiesen.

Dem Betroffenen wird Prozesskostenhilfe für das weitere Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt A, ..., O1 ratenfrei bewilligt.

Der Gegenstandswert des weiteren Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Betroffene, nigerianischer Staatsangehöriger, war am 16.11.2007 aus O2 kommend am Flughafen O3 eingetroffen und stellte einen Asylantrag, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Mit Verfügung vom 22.11.2007 wurde ihm die Einreise in das Bundesgebiet verweigert. Sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 18 a Abs. 4 Asylverfahrensgesetz wurde mit Datum vom 06.12.2007 vom Verwaltungsgericht abgelehnt.

Seit dem 14.12.2007 befand sich der Betroffene zur Sicherung seiner Zurückweisung gemäß § 15 Abs. 4 AufenthG in Haft. Die Haftanordnung wurde zunächst bis zum 28.02.2008 verlängert, da der Betroffene sich seiner beabsichtigten Zurückweisung mit Flug vom 30.12.2007 widersetzte, so dass dieser Zurückweisungsversuch abgebrochen werden musste. Nach dem der Betroffene im Januar darüber hinaus versucht hatte sich durch Flucht der weiteren Haft und seiner Zurückweisung zu entziehen, jedoch wieder festgenommen werden konnte, beantragte die antragstellende Behörde im hier gegenständlichen Verfahren die Verlängerung der Haft um weitere vier Wochen, da nunmehr beabsichtigt und notwendig sei, den Betroffenen mit einem Charterflug in seine Heimat zurückzuführen. Der Charterflug sei für den 04.03.2008 organisiert.

Antragsgemäß ordnete das Amtsgericht Wiesbaden die Verlängerung der Haft bis einschließlich 26.03.2008 an.

Die für den 04.03.2008 vorgesehene Abschiebung des Betroffenen scheiterte daran, dass der Flug wegen eines Defektes abgebrochen wurde und das Flugzeug in O4 zu einer Notlandung gezwungen war. Die Abschiebung wurde sodann am 07.03.2008 durchgeführt und der Betroffene in seine Heimat abgeschoben.

Mit der gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegten sofortigen Beschwerde machte der Betroffene zum einen geltend, die angeordnete Haft sei aufzuheben, da er aufgrund in seiner Heimat erlittener Verletzungen traumatisiert und damit haftunfähig sei. Nachdem der Betroffene am 07.03.2008 abgeschoben worden war, beantragte er festzustellen, dass die gegen ihn angeordnete Haft aufgrund seiner Haftunfähigkeit rechtswidrig gewesen sei und insbesondere seit dem Fehlschlagen des Abschiebungsversuches vom 04.03.2008 nicht mehr hätte vollzogen werden dürfen. Dem stehe die Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG entgegen, da die Abschiebung gescheitert sei, ohne dass er dies selbst zu vertreten habe.

Mit dem hier angegriffenen Beschluss (Bl. 88 ff. d. A.) wies das Landgericht Wiesbaden die sofortige Beschwerde zurück. Es könne nicht festgestellt werden, dass die gegen den Betroffenen angeordnete Haft zur Sicherung seiner Zurückweisung rechtswidrig gewesen sei. Zum einen ergebe sich aus dem Gutachten des Arztes SV1 vom ärztlichen Dienst des Polizeipräsidiums O3, dass der Betroffene haftfähig sei. Aufgrund des Attestes der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie könne die Kammer nicht von einer Haftunfähigkeit des Betroffenen ausgehen, denn in diesem Attest sei lediglich festgestellt, dass die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt denkbar ungeeignet und umgehend zu beenden sei. Dies rechtfertige jedoch nicht die Annahme der Haftunfähigkeit, denn von dieser könne nur ausgegangen werden, wenn die naheliegende, konkrete Gefahr bestehe, dass der Betroffene durch den Vollzug der Haft schwerwiegende Schäden an seiner Gesundheit nimmt oder gar lebensbedrohliche Zustände eintreten. Dies lasse sich dem vorliegenden Attest jedoch nicht entnehmen.

Die angeordnete Haftverlängerung sei auch nicht deswegen rechtswidrig geworden, weil die für den 04.03.2008 geplante Zurückweisung nicht habe durchgeführt werden können und am 07.03.2007 habe nachgeholt werden müssen. Die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung folge insbesondere nicht aus einem Umkehrschluss aus § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG, denn es könne nicht von einem Scheitern der Abschiebung im Sinne dieser Vorschrift gesprochen werden. Diese liege nur dann vor, wenn es an der Aufnahmebereitschaft des Zielstaates fehle. Der Umstand, dass die Abschiebung aus vom betroffenen Ausländer nicht zu vertretenden Gründen - etwa aufgrund eines technischen Defekts - verschoben werden müsse, stelle gerade kein Scheitern dar.

Mit der hiergegen eingelegten sofortigen weiteren Beschwerde macht der Betroffene im Wesentlichen geltend, dass die Haftanordnung rechtswidrig gewesen sei, da er haftunfähig gewesen sei. Im Übrigen sei die Haft dadurch rechtswidrig geworden, dass der Flug des Betroffenen wegen eines Defektes abgebrochen werden musste und die Maschine in O4 notgelandet sei, so dass die Inhaftierung des Betroffenen bis zur sodann erfolgten Zurückweisung am 07.03.2008 rechtswidrig gewesen sei.

Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig - insbesondere form- und fristgerecht erhoben - und hat den aus dem Tenor ersichtlichen teilweisen Erfolg.

Die Entscheidung des Landgerichts hält nur teilweise der dem Senat allein möglichen Überprüfung auf Rechtsfehler (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO) stand.

Soweit die Kammer angenommen hat, dass die Inhaftierung des Betroffenen nicht rechtswidrig war, weil eine Haftunfähigkeit nicht vorgelegen habe, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat hierzu ausgeführt, dass ausweislich des Attestes SV1 Haftfähigkeit gegeben sei und das Attest der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie lediglich aussage, dass die Unterbringung des Betroffenen in der JVA denkbar ungeeignet sei und umgehend zu beenden. Da aus dem Attest nicht erkennbar sei, dass durch die Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt eine erhebliche bzw. wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Betroffenen oder gar ein lebensbedrohlicher Zustand zu besorgen sei, könne auch angesichts des vorliegenden Attestes nichts von einer Haftunfähigkeit ausgegangen werden. Die Ausführungen des Landgerichts halten insoweit der Überprüfung auf Rechtsfehler stand. Der festgestellte Sachverhalt trägt die Wertung der Kammer, dass von einer Haftunfähigkeit nicht auszugehen war, so dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit aufgrund einer etwaigen Haftunfähigkeit des Betroffenen zu Recht nicht erfolgt ist.

Keinen Bestand haben kann jedoch die Entscheidung der Kammer, soweit die Kammer feststellt, dass die Fortführung der Freiheitsentziehung auch nach der abgebrochenen Zurückweisung am 04.03.2008 rechtmäßig gewesen sei.

Gemäß dem durch Richtlinienumsetzungsgesetz seit dem 28.08.2007 geltenden § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG bleibt die Anordnung von Sicherungshaft bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, wenn die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer zu vertreten hat, gescheitert ist. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs erfolgte die Einfügung des § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG um die Wirksamkeit der Anordnung der Sicherungshaft trotz Zweckverfehlung in den Fällen fort gelten zu lassen, in denen der Ausländer das Scheitern der Abschiebung und damit die Zweckverfehlung der Maßnahme selbst herbeigeführt habe. Dies sei z. B. dann der Fall, wenn der Ausländer im Flugzeug randaliert und der Flug deshalb abgebrochen werden muss (Bundestagsdrucksache 16/5065, zitiert nach Kloesel/Christ/Häuser, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 62).

Grund für die Einfügung des § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG waren Unsicherheiten, die im Zusammenhang mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München (OLG München FGPrax 2006, 593) entstanden waren, nachdem man zuvor in Rechtsprechung und Literatur - soweit ersichtlich - regelmäßig davon ausgegangen war, dass eine Haftanordnung nicht ihre Wirksamkeit verliert, wenn die versuchte Abschiebung - aus welchen Gründen auch immer - vorzeitig abgebrochen werden musste, denn ihrem Regelungszweck nach dient die Haftanordnung dazu, den Vollzug der Abschiebung zu ermöglichen und nicht eines konkreten Abschiebungsvorgangs.

Nach Einfügung § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG geht der Gesetzgeber offensichtlich nunmehr davon aus, dass jede Haftanordnung bei einem Scheitern der Abschiebung unwirksam wird, es sei denn, der Betroffene hat das Scheitern zu vertreten.

Keiner Erörterung bedarf es im vorliegenden Fall, dass der Betroffene das Scheitern aufgrund eines Defektes der Maschine, der zu einer Notlandung zwang, nicht zu vertreten hat. Fraglich ist jedoch, ob in Anbetracht der Tatsache, dass die begleitete Abschiebung bereits in O4 abgebrochen werden musste, von einem Scheitern der Abschiebung ausgegangen werden kann. Das Landgericht Wiesbaden hat hierzu ausgeführt, dass von einem Scheitern im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG erst dann gesprochen werden könne, wenn es an der Aufnahmebereitschaft des Zielstaates fehle. Die Kammer weist hierzu auf Funke-Kaiser im Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 60 a, Rn. 220 hin, in dem sich allerdings für eine Definition des Scheiterns der Abschiebung keine Hinweise finden lassen.

In Anbetracht der Begründung, die sich für die Einfügung des § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG im Regierungsentwurf findet, kann die vom Landgericht vorgenommene Auslegung nicht überzeugen. Der im Regierungsentwurf explizit genannte Fall, bei dem der Gesetzgeber offensichtlich von einem Scheitern der Abschiebung ausgeht ist der, dass der Ausländer im Flugzeug randaliert und der Flug deshalb abgebrochen werden muss. In diesem Fall ist von einer Zweckverfehlung nicht dadurch ausgegangen worden, dass es an einer Aufnahmebereitschaft des Zielstaates gefehlt hätte, sondern die Abschiebung ist im Beispielsfall vorübergehend wegen des Randalierens des Betroffenen nicht zustande gekommen. Im Umkehrschluss muss daher davon ausgegangen werden, dass der Abbruch eines Fluges, der nicht vom Betroffenen verursacht wurde, sondern wie hier durch höhere Gewalt in Form des Defektes des Flugzeugs oder durch etwaig wetterbedingte Probleme, ebenfalls ein Scheitern darstellen, da auch in diesen Fällen die Abschiebung vorübergehend nicht vollzogen werden kann. Es mag zwar sein, dass der Gesetzgeber dies nicht bedacht hat, da hierdurch jedoch Freiheitsrechte der Betroffenen tangiert werden, kann eine einschränkende Auslegung zu Lasten der Betroffenen nicht erfolgen. Es kann hier dahinstehen, ob in den Fällen der Zurückweisungshaft im Sinne des § 15 AufenthG aufgrund der fehlenden Verweisung auf § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG davon auszugehen ist, dass bei Rückführungen aus der Zurückweisungshaft heraus, die bisherige Haftanordnung bei Scheitern stets wirkungslos würde unabhängig vom Vertretenmüssen des Betroffenen (in diesem Sinne Loseblattkommentar: Melchior, Abschiebungshaft, Bearbeitung 08/2007) oder der Rechtsgedanke des § 62 Abs. 2 Satz 5 auch in den Fällen der Zurückweisungshaft Anwendung finden muss. Jedenfalls muss davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Parallele des im Regierungsentwurf genannten Fallbeispiels von einem Scheitern der Abschiebung bereits dann auszugehen ist, wenn der Abschiebungsvorgang konkret begonnen hat und aus welchen Gründen auch immer abgebrochen werden muss. Nur dann, wenn der Betroffene dies zu vertreten hat - was im vorliegenden Fall zweifellos nicht der Fall ist - bedarf es keiner erneuten Anordnung der Freiheitsentziehung, wenn die Haft gegen den Betroffenen weiter vollzogen wird. Liegt das Scheitern nicht im Zurechnungsbereich des Betroffenen, bedarf es zum weiteren Vollzug der Freiheitsentziehung einer erneuten richterlichen Entscheidung, die im vorliegenden Fall nicht ergangen ist, so dass das weitere Festhalten des Betroffenen nach dem Scheitern des Abschiebungsversuches am 04.03.2008 bis zur endgültigen Abschiebung am 07.03.2008 rechtswidrig war.

Eine Auferlegung der außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen auf die antragstellende Behörde kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da ein begründeter Anlass zur Stellung des Haftverlängerungsantrags (§ 16 FEVG) vorlag.

Dem Betroffenen ist jedoch, da sein Rechtsmittel - zumindest teilweise - hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und eine Trennung insoweit nicht sinnvoll erscheint, Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A für das weitere Beschwerdeverfahren zu bewilligen.

Ende der Entscheidung

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