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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.05.2003
Aktenzeichen: 20 W 279/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2270
BGB § 2271
BGB § 2084
Haben Eltern sich wechselseitig zu Alleinerben und ihr einziges behindertes Kind als Schlusserben eingesetzt, ohne dem Überlebenden Änderungsmöglichkeiten einzuräumen, so kann der Überlebende diese Bestimmung nachträglich nicht dahingehend ändern, dass er das Kind als befreiten Vorerben und näher bezeichnete Verwandte als Nacherben einsetzt sowie eine Testamentsvollstreckerin ernennt.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 279/01

Entscheidung vom 5. Mai 2003

In der Nachlasssache

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 25.04.2001

am 05.05.2003 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen. Etwaige außergerichtliche Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde hat die Beteiligte zu 2) dem Beteiligten zu 6) zu erstatten.

Geschäftswert: 64.763,636 Euro

Gründe:

Der 1907 geborene Erblasser und seine 1910 geborene und 1991 vorverstorbene Ehefrau haben am 26.08.1986 ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu alleinigen Erben eingesetzt und bestimmt haben, dass nach dem Tod des Längstlebenden der gemeinsame Sohn, der Beteiligte zu 6), alleiniger Erbe sein soll. Der Beteiligte zu 6) ist das einzige Kind der Eheleute. Er ist 1936 geboren und seit seiner Geburt geistig behindert.

Am 15.02.2000 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament, in dem erden Beteiligten zu 6) zum Vorerben und die Beteiligten zu 1)- 5) zu Nacherben einsetzte. Der Beteiligte zu 6) sollte von allen Beschränkungen und Beschwerungen befreit sein. Außerdem ordnete der Erblasser Testamentsvollstreckung an.

Als der Erblasser, der auch Betreuer des Beteiligten zu 6) war, im Jahr 2000 verstarb, bestellte das Amtsgericht für den Beteiligten zu 6) eine Betreuerin mit dem Wirkungskreis Sorge für die Gesundheit einschließlich der Zustimmung zur ärztlichen Heilbehandlung, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge und Postangelegenheiten. Die Betreuerin beantragte für den Beteiligten zu 6) die Erteilung eines Alleinerbscheins. Mit Beschluss vom 06.02.2001 (Bl. 13 d. A.) erteilte das Amtsgericht den Erbschein antragsgemäß. Gegen diesen Beschluss haben die Beteiligten zu 1) bis 5) Beschwerde eingelegt. Zur Begründung haben sie angeführt, der Erbschein sei unrichtig, denn auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB könne nicht zurückgegriffen werden. Bezüglich der Schlusserbeneinsetzung sei keine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen gegeben. Die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments durch den Erblasser und seine Ehefrau sei von der Sorge getragen gewesen, dass das Vermögen durch etwaige Überleitungsansprüche öffentlicher Versorgungsträger zerschlagen werden könnte. Es sei ihr Ansinnen gewesen, das Vermögen für den Sohn zu erhalten und durch Testamentsvollstreckung sicherzustellen, dass direkte Zuwendungen aus dem Vermögen an ihren Sohn erfolgten. Die Eheleute hätten darauf vertraut, dass der Überlebende dasjenige letztlich anordnen dürfe, was aus seiner Sicht für den Sohn sinnvoll sei. Im übrigen stellten die Anordnung der Nacherbfolge sowie der Testamentsvollstreckung keine im Sinne des § 2271 Abs. 2 BGB unwirksamen Beschränkungen dar. Das Landgericht hat die Beschwerde durch Beschluss vom 25.04.2001 (Bl. 74 f. d. A.) zurückgewiesen.

Die wiederum dagegen gerichtete weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig (§§ 27, 29 I, IV, 21 FGG), aber nicht begründet. Die Entscheidung des Landgerichts ist weder verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, noch beruht sie auf einem Rechtsfehler. Nur darauf war die Entscheidung im Verfahren der weiteren Beschwerde nachzuprüfen.

Es ist aus Rechtsgründen (§ 2270 Abs. 2 BGB) nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die im gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 26.08.1986 vom Erblasser verfügte Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 6) als wechselbezüglich zu der von der Ehefrau zugunsten des Erblassers getroffenen Alleinerbeinsetzung angesehen hat. Damit konnte der Erblasser diese Verfügung nach dem Tode seiner Ehefrau nicht mehr wirksam abändern (§ 2271 II BGB), so dass für die Erbfolge nach dem Tod des Erblassers das gemeinschaftliche Testament der Eheleute maßgeblich bleibt.

Für die Frage, ob der Erblasser die zugunsten des Beteiligten zu 6) verfügte Schlusserbeneinsetzung nach dem Tod der Ehefrau wirksam abändern konnte, kommt es nicht darauf an, dass die im notariellen Testament vom 15.02.2000 getroffenen Anordnungen nach der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit sog. Behindertentestamente zulässig waren, sondern es kommt nur darauf an, ob die Schlusserbeinsetzung des Beteiligten zu 6) durch den Erblasser wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des Erblassers durch die Ehefrau war und ob der Erblasser nach dem Willen der Eheleute bei der Testamentsabfassung die Schlusserbeneinsetzung in irgend einer Weise abändern durfte. Letzteres kann auch im Wege der ergänzenden Auslegung festgestellt werden. Allerdings kann eine Abänderungsbefugnis nur dann angenommen werden, wenn sie irgendeinen Anhalt im gemeinschaftlichen Testament gefunden hat.

Letztwillige Verfügungen, die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament getroffen haben, sind gemäß § 2270 I BGB wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, d. h. wenn jede der beiden Verfügungen der Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Ehegatte eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat und jede Verfügung nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden mit der anderen stehen und fallen soll. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das gemeinschaftliche Testament der Auslegung bedarf, weil es die Frage der Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich regelt. Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede einzelne Verfügung gesondert ermittelt werden (vgl. Palandt-Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2003, § 2270 BGB Rn 1 m. w. N.). Das Landgericht hat dies beachtet und geprüft, ob die vom Vater des Beteiligten zu 6) verfügte Schlusserbeneinsetzung, auf die der Beteiligte zu 6) seinen Erbscheinsantrag stützt, wechselbezüglich ist zu einer der Verfügungen, die seine Mutter in dem Testament vom 26.08.1986 getroffen hat.

Für die Auslegung der in einem Testament enthaltenen Willenserklärungen ist zunächst § 133 BGB maßgebend, das heißt es ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften; es ist also zu ermitteln, was als Inhalt jeder einzelnen Erklärung anzunehmen ist. Hierzu muss der gesamte Inhalt der Erklärungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen, gewürdigt werden. Die Auslegung selbst obliegt grundsätzlich den Tatsacheninstanzen. Sie darf im Verfahren der weiteren Beschwerde nur beschränkt nachgeprüft werden, nämlich ob sie nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, dem erklärten Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht und die wesentlichen Umstände berücksichtigt. Dabei müssen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend sein; es genügt, wenn sie nur möglich sind, mag auch eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen haben (Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl. 2003, § 27 Rn. 42). Bei einem gemeinschaftlichen Testament ist stets zu prüfen, ob eine nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliche Auslegung auch dem Willen des anderen entsprochen hat. Dabei kommt es auf den übereinstimmenden Willen der Ehegatten zur Zeit der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments an. Auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB darf erst dann zurückgegriffen werden, wenn die Erforschung des Willens beider Ehegatten trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten bezüglich der Wechselbezüglichkeit kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat, also weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit ergibt (Palandt-Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2003, § 2270 Rn. 7).

Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet, insbesondere hat es alle für die Auslegung wesentlichen Umstände gewürdigt. Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, hinreichende Anhaltspunkte, die klar für oder gegen die Wechselbezüglichkeit sprechen, ergäben sich weder aus dem knappen Wortlaut des Testaments noch aus den von den Beschwerdeführern vorgetragenen Umständen. Zwar mag die vorverstorbene Ehefrau den Beteiligten zu 6) nicht deshalb bedacht haben, weil dies auch ihr Ehemann getan hat. Dies besagt jedoch noch nicht, dass eine solche innere Abhängigkeit im Verhältnis der Einsetzung des Beteiligten zu 6) zur Einsetzung des jeweils anderen Ehegatten nicht vorgelegen hat (BGH NJW 2002, 1126 ff). Da der zunächst enterbte Sohn nach dem übereinstimmenden Willen der Ehegatten abgesichert werden sollte, spricht dies eher dafür, dass der Ehemann von der Ehefrau deshalb als Alleinerbe eingesetzt wurde, weil der Ehemann den Beteiligten zu 6) als Schlusserben einsetzte. Die erstrebte Absicherung des Beteiligten zu 6) nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten konnte nur erreicht werden, wenn eine Abänderung der Schlusserbeinsetzung zugunsten anderer Personen nach dem Tode des erstversterbenden Ehegatten nicht mehr möglich war. Nachprüfbare Anhaltspunkte dafür, dass die vorverstorbene Ehefrau die Erbeinsetzung des Ehemannes zum Alleinerben nicht mit der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 6) verknüpft hat, liegen nicht vor. Da im vorliegenden Fall Anhaltspunkte allenfalls für und nicht gegen eine Wechselbezüglichkeit vorliegen, hat das Landgericht zutreffend die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB angewendet und deren Voraussetzungen bejaht.

Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Landgerichts, dass die Anordnung der Testamentsvollstreckung und der Nacherbfolge den Beteiligten zu 6) in seinen Rechten beeinträchtigt. Die Feststellungen des Landgerichts hierzu bedürfen keiner weiteren Ausführung.

Zutreffend ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass die Verfügungen des Ehemanns im notariellen Testament vom 15.02.2000 unwirksam waren (§ 2271 II S. 1 BGB), weil sich für eine Befugnis zur Änderung der Schlusserbeneinsetzung nach dem Tod der Ehefrau im gemeinschaftlichen Testament kein Anhaltspunkt findet.

Es ist anerkannt, dass es sich bei der Vorschrift des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB um dispositives Recht handelt. In gleicher Weise, wie die Eheleute frei darüber entscheiden können, ob ihre Verfügungen wechselbezüglich sein sollen, können sie einander auch das Recht einräumen, eigene wechselbezügliche Verfügungen nach dem ersten Erbfall aufzuheben oder abzuändern. Eine solche Ermächtigung kann im gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich erfolgen oder - was hier allein in Frage steht - sich im Wege ergänzender Testamentsauslegung ergeben. Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt. Die ergänzende Testamentsauslegung ist dabei ein Hilfsmittel, um den Inhalt einer letztwilligen Verfügung den Veränderungen anzupassen, die zwischen der Errichtung des Testaments und dem Erbfall eintreten, oder um Lücken im Testament zu schließen. Mit ihr soll dem hypothetischen Willen der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zum Erfolg verholten werden, d. h. eine solche Testamentsauslegung hat auf einen Willen abzustellen, der vermutlich vorhanden gewesen wäre, wenn die Erblasser bei der Testamentserrichtung von der wahren Sachlage ausgegangen wären oder vorausschauend später eingetretene Umstände bedacht hätten. Eine derartige Willensergänzung setzt allerdings voraus, dass die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung der Erblasser dafür eine genügende Grundlage bietet. Die letztwillige Verfügung muss mithin irgendeinen, wenn auch noch so unvollkommenen Anhalt bieten, der als Stütze für ihre Ergänzung dienen kann. Es darf aber durch die Auslegung nicht ein Wille in das Testament hineingetragen werden, der darin nicht irgendwie, sei es auch nur andeutungsweise, ausgedrückt ist (Palandt-Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2003, § 2084 BGB Rn 9).

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass eine Willensrichtung dahingehend, der Ehemann sei nach dem Tod der Ehefrau zur Anordnung der Testamentsvollstreckung und der Nacherfolge befugt, aus dem Testamentswortlaut auch nicht andeutungsweise hervorgeht. Ein solcher Anhalt im Testament ist aber erforderlich, weil sonst die gesetzlichen Formvorschriften unterlaufen werden könnten. Die Notwendigkeit der Andeutung eines entsprechenden Willens ergibt sich damit aus der Respektierung des Formerfordernisses und dieses wiederum dient dem praktischen Anliegen, den Erblasserwillen vor verfälschenden Behauptungen zu schützen (vgl. Palandt-Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2003, § 2084 BGB Rn 4). Aus der von den Ehegatten verfügten Schlusserbeneinsetzung zugunsten des Beteiligten zu 6) ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Zielsetzung der Ehegatten, das Vermögen etwaigen Überleitungsansprüchen öffentlicher Versorgungsträger zu entziehen. Anders wäre der Fall nur dann zu beurteilen, wenn die Ehegatten wenigstens diese Zielsetzung in das gemeinschaftliche Testament aufgenommen hätten.

Das Landgericht hat auch zu Recht davon abgesehen, die Bestimmung des § 2338 BGB entsprechend anzuwenden, die eine Beschränkung des Erben durch Anordnung der Nacherbfolge und der Testamentsvollstreckung in guter Absicht gestattet, wenn der spätere Erwerb des Erben durch Verschwendung oder Überschuldung gefährdet ist (§§ 2271 III, 2289 II, 2338 BGB), denn es besteht vorliegend nicht die Gefahr, dass das Vermögen sofort mit dem Erwerb der Gefahr des Verlustes ausgesetzt ist. Ein Anwendungsfall des § 2338 BGB ist damit nicht gegeben.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 13 a Abs. 1 S. 2 FGG, 131 Abs. 2, 30 KostO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt in Anlehnung an die nicht angegriffene Wertfestsetzung des Landgerichts. Sie berücksichtigt, dass das wirtschaftliche Interesse der Beteiligten zu 2) nicht den gesamten Nachlass umfasst.

Ende der Entscheidung

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